Jerusalem; innere Ansicht bei’m Teiche Bethesda

LXXXXII. Die Bank der Vereinigten Staaten in Philadelphia Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LXXXXIII. Jerusalem; innere Ansicht bei’m Teiche Bethesda
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JERUSALEM
innere Ansicht beym jetzt verschütteten Teiche von Bethesda.

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LXXXXIII. Jerusalem; innere Ansicht bei’m Teiche Bethesda.




Ein geheimer Trieb führte immer die Menschen dahin, den Ewigen auf den Höhen anzubeten; dem Himmel näher glaubten sie: das Gebet brauche weniger Zeit zu Gottes Throne zu gelangen. Die Patriarchen opferten schon auf den Bergen und gleichsam das Bild der Gottheit den Altären entlehnend, nannten sie Gott den Allerhöchsten. Diese älteste Verehrungsweise des Schöpfers war allen Völkern und allen Kulten gemein. Als die Israeliten das Land der Verheißung (1500 Jahre vor Christo) eroberten, fanden sie Tempel heidnischer Götzen auf den Höhen. Sie stürzten sie herab und errichteten an ihrer Stelle Altäre dem einzigen Gott. – Um diese erhoben sich die Levitischen Städte. – So entstand auch auf der Stelle des alten zerstörten Salem der Jebusiter, Jerusalem, welches David erweiterte, befestigte, zu seiner Residenz machte und nach sich benannte. Salomo, der reiche, prachtliebende, verschönerte es und erbaute durch Tyrische Arbeitsleute den herrlichen Tempel. Die Stadt wuchs auf zu einer Größe, die um so größeres Erstaunen erregt, je furchtbarer die Wechsel waren, die sie zu erdulden gehabt. Fünfmal ward sie schon unter den Königen Juda’s erobert, großentheils zerstört und geplündert. Zuerst unter Rehabeam von den Aegyptern, dann unter Joram von den Arabern, unter Joas von den Syrern, unter Amazias von den Israeliten und unter Josias nochmals von den Aegyptern. Endlich bemächtigte sich der Chaldäer Nebukadnezar des Reichs, zerstörte die heilige Stadt von Grund aus und führte die Ueberreste des jüdischen Volks gefangen nach Babylon. – 70 Jahre nachher erlaubte Cyrus den Juden die Rückkehr und sie bauten unter Esra und Nehemias Führung die Stadt Davids wieder auf. Die Kriegsstürme des welterobernden Alexanders trafen sie nicht; aber Ptolemäus, sein [111] Nachfolger in Aegypten, zog mit einem Heere gegen Palästina, unterjochte es, erstürmte Jerusalem und übersiedelte einen großen Theil der Einwohner nach Alexandrien. Aus den Händen der Aegypter kam es in die der syrischen Könige, der Nachfolger von Antiochus dem Großen. Dann ward es frei eine Zeitlang unter dem Heldengeschlechte der Maccabäer, bis einer der gewählten Fürsten den Pompejus mit den römischen Legionen in’s Land rief. Die Römer (64 v. Chr.) theilten die Herrschaft in eine weltliche unter Königen und eine geistliche unter Hohepriestern, beide durch römische Statthalter und ein römisches Heer übermacht. 134 Jahre dauerte dieser Zustand und in diese Periode fällt die Gründung des Christenthums. Gegen das Ende derselben brach der unruhige Geist der Juden, unter welchen die unglaubliche Uebervölkerung die Unbehaglichkeit auf’s Höchste gesteigert hatte, in Empörung gegen die Römer aus. Das reiche, große Jerusalem war der stete Heerd dieser Meutereien, welchen Vespasian und Titus, die römischen Cäsaren, dadurch ein Ende machten, daß sie, nach einer Belagerung, deren Schrecknisse ohne Beispiel sind, die Stadt erstürmten, plünderten, den Flammen preisgaben und die Einwohner (über eine Million) austilgten. Dennoch bauten sich die Juden wieder an auf der heiligen Stätte, und obschon Jerusalem nie wieder den frühern Glanz erreichen konnte, so war es doch 40 Jahre später ein ansehlicher Ort, der an 100000 Bewohner zählte. Hart, unerträglich vielleicht, drückte das Joch der Römer ihren Nacken, und – sie empörten sich von neuem. Da sandte Hadrian seine Legionen, auszutilgen alles Lebendige und Jerusalem der Erde gleich zu machen. – Es geschah; und damit kein Versuch des fanatischen Volks, die Stadt Davids wieder aufzubauen, möglich sey, und die letzte Spur derselben mit dem Namen sogar verschwinde, befahl er an ihre Stelle eine Veste aufzubauen, eine Römerstadt, AELIA CAPITOLINI geheißen, die er mit lateinischen Ansiedelern bevölkerte. Kein Jude durfte sie, bei Todesstrafe, betreten. –

So war das alte Jerusalem ausgelöscht von der Erde; aber die Heiligkeit seiner Stätte tilgten Schwerdt und Brandfackel nicht. – Als mit Konstantin dem Großen die christliche Religion den Sitz der Cäsaren einnahm, gab der Kaiser, im Verein mit seiner Gemahlin Helena, der Stadt des Hadrian den Namen Jerusalem zurück. Er ließ die heidnischen Tempel niederreißen und christliche Kirchen und Monumente erhoben sich aller Orten, wo der Heiland und die Apostel gelitten hatten, oder an welche sich fromme Erinnerungen knüpften. – So entstand das neue, das christliche Jerusalem. Zwei hundert Jahre lang schützte es der oströmische Adler. Er floh vor den mit dem Schwerdte und Koran welterobernd aus ihren Wüsten brechenden Arabern, und der Khalif Omar nahm im Jahre 637 Jerusalem mit stürmender Hand. Das Kreuz verschwand von seinen Zinnen, von welchen nun der Halbmond schimmerte; Kirchen verwandelten sich in Moscheen und der Koran ersetzte überall das Evangelium. – Unter der nachfolgenden Herrschaft der Turkomannen wurde der Druck der christlichen Einwohner so arg, daß die meisten auswanderten; die Berichte von der Grausamkeit der Türken gegen christliche Pilger erfüllten (gegen das elfte Jahrhundert) die christliche Welt. – Da predigte Peter von Amiens das Kreuz, – und aus den Händen der Ungläubigen erlösten die Schaaren der Christenvölker unter Gottfried von Bouillon (1099) die heilige Stadt. Es ward ein eigenes [112] christliches Königreich gestiftet, wovon Jerusalem, dessen Namen es führte, die Hauptstadt wurde. Ihm aber machten die Türken schon 1187 ein Ende, und seitdem blieb Jerusalem unter ihrem eisernen Zepter.

Das heutige Jerusalem nimmt nur einen kleinen Theil der Aera des alten ein. Die Umgegend ist öde und menschenleer. Kleine und größere Schaaren christlicher und mohamedanischer Pilgrime, (denn auch für Mohameds Gläubige sind hier heilige Orte!), sind fast die einzigen menschlichen Wesen, welche dem Wanderer begegnen. Der erste Anblick der berühmten Stadt ist keineswegs vortheilhaft und täuscht selbst bescheidene Erwartungen. Eine halb verfallene hohe Mauer, die eine Gebäudemasse von sehr mäßigem Umfang einschließt, einige feste Thürme in alt-florentiner Style, ein Paar unvollendete, oder abgebrochene Kirchthürme, schlanke Minarets einiger Moscheen und dazwischen eine Menge kleiner, niedriger Kuppeln, die gewöhnliche Bedachung der hiesigen Häuser, dazu die kahle, blaugraue, dürre Felsengegend, ohne Wasser, Baum und Strauch: – so zeigt sich die Stadt des Heils und unwillkührlich denkt man an die Verwünschungsworte des Jesaias: zwei Dinge werden zugleich dir begegnen an einem Tage: Unfruchtbarkeit und Wittwenschaft.

Das Innere entspricht dem ersten ungünstigen Eindruck des Aeußern vollkommen. Die Häuser sind niedrige, meistens freistehende, plumpe, steinerne Vierecke, im untern Stock ohne Fensteröffnungen, und sehen Beinhäusern ähnlicher, als menschlichen Wohnungen. Die Straßen sind mit Sand, Schutt und Koth schuhhoch bedeckt, ungepflastert, unregelmäßig, winklich, steil und so enge, daß die meisten kaum ein Kameel passiren kann. Im Sommer spannt man von Haus zu Haus große Tücher aus, sich vor der Sonne zu schützen: und dann ist’s ganz düster auf den Gassen, und da zugleich die Ausdünstungen des Unraths gehemmt werden, ist ihre Atmosphäre pestilenzialisch. –

Die Zahl der Einwohner übersteigt nicht 7000. Zur Hälfte sind’s Türken, ¼ Juden, der Rest Christen aller Sekten, meistens Ordensgeistliche; denn noch gibt es hier über 50 Klöster, die von den Geschenken der Pilger und milden Beiträgen der Christenheit ihr Daseyn fristen. – Auf den Straßen hört und sieht man nichts als Pilger, plärrend und betend in allen Sprachen der Erde, zuweilen einen grandios daherschreitenden Türken neben tief gebückten Hebräern, oder des weiblichen Geschlechts gespensterartige, umschleierte, weiße Gestalten. – An Gewerbe ist hier nicht zu denken. Die Hauptnahrungs-Quellen sind die Schaaren christlicher und mohamedanischer Pilger, die aus allen Ländern des Morgenlandes das Ziel ihrer Fahrt in Jerusalem finden. Sogenannte geistliche Waaren, als Rosenkränze, Heiligenbilder, Reliquien, welche man in großer Menge an die pilgernden Gläubigen verkauft (und von denen ehedem jährlich über 20 Schiffsladungen nach Europa gingen), sind meist Augsburger und Nürnberger Fabrikate.

Wir werden später Anlaß finden, die merkwürdigsten und heiligsten Orte der Stadt, wo der Heiland lehrte und blutete, zu betrachten und zu beschreiben. Und so verlassen wir jetzt, aber nicht auf immer, diesen Boden, des Christen geistige Heimath, auf dem ein neues Reich erstanden, heiliger in seiner Wiege und größer in seiner Macht und segnender in seinem Wirken, als alle vorangegangenen.