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christliches Königreich gestiftet, wovon Jerusalem, dessen Namen es führte, die Hauptstadt wurde. Ihm aber machten die Türken schon 1187 ein Ende, und seitdem blieb Jerusalem unter ihrem eisernen Zepter.

Das heutige Jerusalem nimmt nur einen kleinen Theil der Aera des alten ein. Die Umgegend ist öde und menschenleer. Kleine und größere Schaaren christlicher und mohamedanischer Pilgrime, (denn auch für Mohameds Gläubige sind hier heilige Orte!), sind fast die einzigen menschlichen Wesen, welche dem Wanderer begegnen. Der erste Anblick der berühmten Stadt ist keineswegs vortheilhaft und täuscht selbst bescheidene Erwartungen. Eine halb verfallene hohe Mauer, die eine Gebäudemasse von sehr mäßigem Umfang einschließt, einige feste Thürme in alt-florentiner Style, ein Paar unvollendete, oder abgebrochene Kirchthürme, schlanke Minarets einiger Moscheen und dazwischen eine Menge kleiner, niedriger Kuppeln, die gewöhnliche Bedachung der hiesigen Häuser, dazu die kahle, blaugraue, dürre Felsengegend, ohne Wasser, Baum und Strauch: – so zeigt sich die Stadt des Heils und unwillkührlich denkt man an die Verwünschungsworte des Jesaias: zwei Dinge werden zugleich dir begegnen an einem Tage: Unfruchtbarkeit und Wittwenschaft.

Das Innere entspricht dem ersten ungünstigen Eindruck des Aeußern vollkommen. Die Häuser sind niedrige, meistens freistehende, plumpe, steinerne Vierecke, im untern Stock ohne Fensteröffnungen, und sehen Beinhäusern ähnlicher, als menschlichen Wohnungen. Die Straßen sind mit Sand, Schutt und Koth schuhhoch bedeckt, ungepflastert, unregelmäßig, winklich, steil und so enge, daß die meisten kaum ein Kameel passiren kann. Im Sommer spannt man von Haus zu Haus große Tücher aus, sich vor der Sonne zu schützen: und dann ist’s ganz düster auf den Gassen, und da zugleich die Ausdünstungen des Unraths gehemmt werden, ist ihre Atmosphäre pestilenzialisch. –

Die Zahl der Einwohner übersteigt nicht 7000. Zur Hälfte sind’s Türken, ¼ Juden, der Rest Christen aller Sekten, meistens Ordensgeistliche; denn noch gibt es hier über 50 Klöster, die von den Geschenken der Pilger und milden Beiträgen der Christenheit ihr Daseyn fristen. – Auf den Straßen hört und sieht man nichts als Pilger, plärrend und betend in allen Sprachen der Erde, zuweilen einen grandios daherschreitenden Türken neben tief gebückten Hebräern, oder des weiblichen Geschlechts gespensterartige, umschleierte, weiße Gestalten. – An Gewerbe ist hier nicht zu denken. Die Hauptnahrungs-Quellen sind die Schaaren christlicher und mohamedanischer Pilger, die aus allen Ländern des Morgenlandes das Ziel ihrer Fahrt in Jerusalem finden. Sogenannte geistliche Waaren, als Rosenkränze, Heiligenbilder, Reliquien, welche man in großer Menge an die pilgernden Gläubigen verkauft (und von denen ehedem jährlich über 20 Schiffsladungen nach Europa gingen), sind meist Augsburger und Nürnberger Fabrikate.

Wir werden später Anlaß finden, die merkwürdigsten und heiligsten Orte der Stadt, wo der Heiland lehrte und blutete, zu betrachten und zu beschreiben. Und so verlassen wir jetzt, aber nicht auf immer, diesen Boden, des Christen geistige Heimath, auf dem ein neues Reich erstanden, heiliger in seiner Wiege und größer in seiner Macht und segnender in seinem Wirken, als alle vorangegangenen.