Im Strafhause
Im Strafhause.
Mich trieb’s trotz einem heimlich stillen Grauen
Hinein ins Strafhaus, das am Strome lag,
Um die Gefangnen und ihr Thun zu schauen.
Es war im Herbst und golden klar der Tag.
Da stand ich nun in einem langen Gang,
Den raschen Flugs mein Auge scheu durchirrte.
Es folgte Thür auf Thür die Wand entlang.
Die erste wurde mir jetzt aufgeschlossen:
Darin ein Schwarm Gefangner unverdrossen
Die flinken Hände rührte mit Geschick.
Ich suchte zu erforschıen ihre Mienen
Und blickte jedem tief ins Angesicht;
Verbrecher las ich doch aus ihnen nicht.
In sich versenkt, wie völlig fremd dem Leben,
Und ohne jeden Blitz der Leidenschaft,
Mit stiller Fassung ihrem Los ergeben,
Dabei noch bartlos, kahl das Haupt geschoren,
Sah’n sie, dem Kleid zu Trotz, wie Mönche aus.
Die selbst die Abgeschiedenheit erkoren,
Die Sünde fliehend und das Weltgebraus.
Da fiel mir’s auf: that er nur einen Schritt,
Rührt’ er sich noch so leis an meiner Seite,
So war’s, als zuckte jeder Sträfling mit.
Griff er nach etwas, um es mir zu zeigen,
Doch sah er keinen an und wies mit Schweigen
Sie wieder fort, als ob’s nicht recht ihm sei.
Und weiter ging’s. Gewerbe um Gewerbe
Fand ich geübt und blickte kurz hinein;
Sollt’ ihm ein Schirm die rüst’ge Arbeit sein.
Wir kamen, mir zum Staunen, gar am Ende
In eine Schmiede: hell die Glut entfacht,
Und lauter Lärm, geschäftig alle Hände;
Damit die Hammerschwinger sich nicht irren
Und, von dem Drang nach Freiheit jäh erfasst,
Mit Wucht die Waffe lassen niederschwirren,
Zu brechen ihrer eignen Ketten Last.
Da – welch ein lieblich Bild erschloss sich mir!
Er war bepflanzt mit Rasen, Blumenbeeten,
Und alles prangte rings in farb’ger Zier.
So sah ich hier gepflegt nun auch das Schöne;
Dass er des Schaffens nimmer sich entwöhne,
Zu üben seine früh erlernte Kunst. – –
Der Boden stieg bergan gemach; von oben
Vermocht’ ich in die Fernen auszuschau’n:
Und schimmernd floss der Strom durch grüne Au’n
Die ganze Landschaft lag mir herrlich offen,
Als wie verklärt im lichten Sonnenbrand;
Ich stand bewegt, im Innersten getroffen,
»Was sollten die Gefangnen hier vermissen,
Wie sehnten sie sich in die Not zurück,
Wär’ eins nur nicht: das nagende Gewissen,
Und gäb’s nur ohne Freiheit je ein Glück!«
In diesen Mauern hinlebt Jahr um Jahr?
»Ich bin’s!« sprach jener, »dem das Los gefallen,
Zu walten über der Verlornen Schar.
Sie sah’n, mit welcher kühlen Handbewegung
Wie unzugänglich jeder Herzensregung,
Als hätt’ ich mit Aussätzigen verkehrt.
So musst’ ich sein! Ich darf mich nicht erweichen:
Greift einer mir ans Herz auch noch so sehr,
Ich säte Zwietracht, und er büsst’ es schwer.
Ihn träfe noch zu allen seinen Bürden
Der lauernden Genossen Neid und Hass,
Indes sie gegen mich zu Heuchlern würden,
Wie dringt mich’s oft, den Bessern anzusprechen,
Dem die Vergangenheit und Gegenwart
Mit spitzem Stachel in die Seele stechen;
Doch muss ich lieblos scheinen, kalt und hart.
Wo ich ihm’s endlich künden kann: Zieh’ fort!
Dann darf das langverschlossne Herz sich dehnen
Und überquellen warm im Freundeswort.
Ich geb’ ihm, was er sich erwarb durch Jahre,
Mich zwingt nichts mehr, dass ich mit Worten spare,
Ich sag’ ihm’s: Du warst gut und bist mir wert!
Da seh’ ich ihn froh zitternd vor mir stehen,
Wie mir die Augen feucht, die Pulse glühn:
Und mög’ ein neues Dasein dir erblühn!«