Im Grillparzerzimmer des Wiener Rathhauses
Im Grillparzerzimmer des Wiener Rathhauses.
Zwei Jahre etwa sind es her, seit sich im Wiener Volksgarten das Kundmannsche Denkmal für Franz Grillparzer erhebt. Als dieses Denkmal enthüllt wurde, da hat die „Gartenlaube“ (vergl. Jahrg. 1889, S. 314) der geistigen und litterarischen Bedeutung des großen Dichters Altösterrelchs eine warmherzige Darstellung gewidmet. Und heute nun, da die gesammte deutsche Welt sich anschickt, einen Grillparzergedenktag zu feiern, den Tag, an dem es hundert Jahre sind, seit der Dichter der „Ahnfrau“ das Licht der Welt erblickte – es war am 15. Januar 1791 – heute mögen die Leser im Geiste mit mir eine Stätte besuchen, die mehr als irgend eine andere geeignet ist, das Bild des Gefeierten in den lebendigsten Farben vor dem inneren Auge aufsteigen zu lassen und zum Gedächtniß an ihn die rechte Stimmung zu verleihen. Das „Grillparzerzimmer“ im Wiener Rathhause ist es, was ich meine.
Nicht auf eigenem Grund und Boden, wie Goethe, nicht einmal im eigenen Heim ist Grillparzer gestorben. Zeitlebens hat es der größte Dichter Altösterreichs zu keinem selbständigen Hauswesen gebracht. In seinen Mannesjahren fehlte es ihm an dem Muth und an den Mitteln, seine „ewige Braut“ Katharina Fröhlich zu heirathen; jahre- und jahrzehntelang lebte der Poet in den engen Verhältnissen eines Archivbeamten, und als ihm, gelegentlich seines 70. Geburtstages, durch kaiserliche Verfügung eine Erhöhung seines Gehaltes zutheil wurde, da hatte der Greis weder Lust noch Anlaß mehr, sein Junggesellenleben aufzugeben.
Er war, mit dem Eintritt des Alters, zu den Schwestern Fröhlich gezogen, hochgebildeten, in der Wiener Musikwelt mit Recht allverehrten Damen, die als Gesangslehrerinnen eine segensreiche Thätigkeit entfalteten. Die bescheidene Wohnung dieser Jugendfreundinnen Grillparzers befand sich in der Spiegelgasse; auf einer finsteren Treppe waren vier steile Stockwerke zu erklimmen, bevor man zu der kleinbürgerlichen Behausung der „Fräulein Fröhlich“ gelangte, als deren „Zimmerherr“ Franz Grillparzer alles in allem nur eine einzige, nicht allzugeräumige Stube als Wohnraum innehatte.
Durch einen schmalen Gang, in welchem ein paar Bücherschränke untergebracht waren, gelangte man in das Gemach, welches dem Poeten sowohl als Arbeits- wie als Schlafzimmer dienen mußte. Die Einrichtung dieses eigentlichen Wohnraumes, in welchem Grillparzer nach einem treffenden Worte Hans Hopfens lebte, „fast könnte man sagen wie das Thier in seiner „Muschel“, war geradezu dürftig. Altväterischer, vermuthlich ererbter Hausrath, wie er heutzutage kaum einer Studentenwirthschaft angemessen sein möchte, genügte dem anspruchslosen Wesen des Dichters.
Die ansehnlichsten Stücke der Einrichtung waren ein derber Schreibtisch und ein ledergepolsterter Armstuhl: das Bett des Dichters, ein schmales Sofa, ein Kleiderkasten und eine Kommode hätten in ihrer Armseligkeit dagegen selbst in der Zelle eines Bettelmönches ohne weiteres Platz finden dürfen. An der Wand rechts stand ein schmuckloses Klavier (sechsoktavig), auf welchem der große Freund und Kenner Beethovens und Schuberts gern und gut phantasirte. Zieraten, Bilderschmuck u. dgl. hatte Grillparzer in seinem Studierzimmer spärlich angebracht; nur dem Lorbeerzweig, den Kaiser Max von Mexiko dem Poeten einst als Zeichen der Huldigung gewidmet, und dem Ehrengeschenk, welches die Armee dem Dichter der an Radetzky gerichteten Verse „In Deinem Lager ist Oesterreich“ dargebracht, hatte Grillparzer eine Stelle auf seiner Kommode, den Bildnissen seiner Lieben und seiner Lieblinge Ehrenplätze an den Wänden gegönnt. Im übrigen genügten ihm als Sorgenbrecher und stets willkommene Hausgenossen die Geistesgewaltigen aller Zeiten und Völker, voran die über alles verehrten Werke Goethes, dann die Dramen seiner geliebten Spanier, zumal Lopes, die großen Historiker und Philosophen der Vergangenheit, die Grillparzer als unermüdlicher Leser und strenger Kritiker immer wieder vornahm, prüfte und auskernte.
So versammelte er in diesem kahlen, nur wenigen Lebenden zugänglichen Stübchen die vornehmste Gesellschaft der Jahrhunderte um sich. So ergoß sich – wie Immermann das von Goethes Arbeitszimmer bewegt sagt – eine Fülle des glänzendsten Lichtes aus dieser kleinen, weltabgeschiedenen Dachstube.
Jahrelang hat Grillparzer in dieser Kammer gehaust in streng geregelter Lebensordnung, rastlos lesend und denkend, alle Anregung nur aus dem eigenen Innern schöpfend. Zwar wandelte sich schon bei Lebzeiten des Dichters seine stille Klause zu einem Nationalheiligthum Deutschösterreichs; zwar drängten sich an seinem 75. und 80. Geburtstage Berufene und Unberufene als Glückwünschende hinzu, Vertreter aller Stände, Minister und Studenten, die Bürger der Zukunft, die Größen des Burgtheaters und die Dichter der Zeit, die Frauen Wiens und die Abgesandten der Armee. Wohl aber wurde dem Dichter nur, wenn er in seinem mühsam errungenen Weltfrieden, abgeschlossen, nur seinen Träumen und Studien leben konnte.
So zurückgezogen er aber auch hauste, dem Weltlaufe folgte er stets mit lebendigem Antheil, nicht nur in kühler Betrachtung. Die Ereignisse des Jahres 1866 thaten dem Patrioten am tiefsten weh, und als im Herrenhause die große Redeschlacht für die Aufhebung des Konkordates anhob, verließ Grillparzer seine Zelle, um als Führer des geistigen Adels von Deutschösterreich im Parlament zu sein.
Auch die letzte Krankheit überkam unseren Dichter in dem unscheinbaren Gelaß der Spiegelgasse; als der Arzt den Altersschwachen fragte, was ihm fehle, erwiderte er, dem sein herber Witz bis zuletzt treu blieb, mit launiger Selbstironie: „Junges Blut.“
Nach dem Tod Grillparzers (1872) hegten die Schwestern Fröhlich den edlen Wunsch, die Wohnstätte des Dichters der Nachwelt unverändert vor Augen zu stellen. So lange die Freundinnen des Poeten lebten, wachten sie ängstlich über seine Papiere, Bücher und Möbel. Nach dem Heimgang dieser trefflichen Damen aber trat als Hüterin ihrer Schätze die Gemeinde Wien an ihre Stelle. Mit der größten Pietät wurden im städtischen Museum des neuen Rathhauses zwei Gemächer als Grillparzerzimmer so sorgfältig als möglich der Eintheilung und Einrichtung der Wohnung nachgebildet, welche der Dichter bei den Schwestern Fröhlich innegehabt hatte.
Durch den Saal der Zünfte und die Galerie der Wiener Tonkünstler, Dichter, Schauspieler, Volksschriftsteller etc. kommt man zunächst in einen Vorraum, der mit den Bildnissen der Mitglieder der Familien Grillparzer und Fröhlich geschmückt ist. Zur Linken gelangt man in ein Gemach, das dem Flur und Bibliotheksraum der Wohnung des Poeten in der Spiegelgasse genau entspricht und das wir auf unserer Zeichnung oben rechts abgebildet finden; seine Bücherschränke sind hier unversehrt mit ihrem alten, köstlichen Inhalt zur Stelle. In Schaukästen sind aber alle Ehrendiplome und Prachtgeschenke, Miniaturen, Medaillen, Ringe und Reliquien des Dichters (seine letzte Feder etc.) ausgestellt. An den Wänden hängen (von Meister Rudolf Alt in Musteraquarellen festgehalten) Abbildungen von Grillparzers Wohnräumen; gegenüber (nach einem Aquarell [44] von Reinhold) eine Sommerwohnung des Dichters in Rudolfsheim mit der Umschrift: „Heimlich sei es und stiller Schatten mäßige den Tag, daß ich gern sitzen und sinnen, dichten und denken mag.“ Auf einem Bücherspinde gewahren wir die mehr liebenswürdige Absicht der Spender als Geschmack offenbarende Vase, welche das Burgtheater dem Dichter zu seinem 70. Geburtstag als Ehrengabe stiftete.
Das altväterische Prunkstück ist mit allerhand Wiener Ansichten, unter anderem auch mit einer Abbildung des Geburtshauses unseres Dichters, geziert, ein Gebäude, das der Stift des Zeichners auf unserem nebenstehenden Erinnerungsblatt in einer Aufnahme nach der Natur veranschaulicht hat. Es ist das mit einer Gedenktafel geschmückte Haus Nr. 10 auf dem Bauernmarkt in der inneren Stadt, dessen Grillparzer in seiner Selbstbiographie (Werke, X, S. 4 ff.) gedenkt.
Grillparzers Vater, ein ehrenfester, eigenrichtiger Mann, hatte eines Abends, zufällig als Gast in die saalähnlichen Zimmer dieses Altwiener Gebäudes geladen, in diesen Räumlichkeiten das Ideal einer Behausung sowohl für seine Advokatenkanzlei als für seine Familie zu erkennen geglaubt und deshalb, nicht ohne Uebereilung, die Wohnung gemiethet. Hinterdrein freilich stellte es sich heraus, daß eine Reihe der Fenster in ein enges, schmutziges Sackgäßchen ging.
„Nur in den längsten Sommertagen fielen um Mittagszeit einzelne Sonnenstrahlen in das Arbeitszimmer unseres Vaters, und wir Kinder standen und freuten uns an den einzelnen Lichtstreifen am Fußboden. Finster und trüb waren die riesigen Gemächer. Ja auch die Eintheilung der Wohnung hatte etwas Mirakuloses. Nach Art der uralten Häuser war es mit der größten Raumverschwendung gebaut. Nächst der Küche lag das sogenannte Holzgewölbe, so groß, daß allenfalls ein mäßiges Haus darin Platz gehabt hätte. Man konnte es nur mit Licht betreten, dessen Strahl übrigens bei weitem die Wände nicht erreichte. Von da gingen hölzerne Treppen in einen höheren Raum, der Einrichtungsstücke und derlei Entbehrliches verwahrte. Nichts hinderte uns, diese schauerlichen Räume als mit Räubern, Zigeunern oder wohl gar Geistern bevölkert zu denken!“ Es hat, nach dieser Beichte Grillparzers, denn auch nicht an Stimmen gefehlt, welche auf diese ersten Kindheitseindrücke die Grundstimmung des gespenstischen Treibens im Schloß der „Ahnfrau“ zurückführen.
Durch die Seitenthür des Flurraums treten wir endlich in das Allerheiligste, das eigentliche Wohn-, Studier- und Schlafzimmer Grillparzers, das sogar diejenigen, welche bei Lebzeiten des Dichters die Schwelle seiner Klause überschreiten durften, anheimelt, als ob sie das alte Gemach Grillparzers selbst vor sich sehen würden.
Mit solcher Liebe und Treue ist das Urbild nachgeahmt, daß man fast einen Augenblick wähnen und hoffen mag, jetzt und jetzt werde der frühere Eigenthümer dieses bescheidenen und doch einzigen Hausrathes eintreten und wieder Besitz ergreifen von seinen Bücher- und Gedankenschätzen. Im nächsten Augenblick freilich überkommt uns Ehrfurcht und Wehmuth: unwiderstehlich drängen sich uns die Faustischen Verse auf die Lippen: „In dieser Armuth, welche Fülle! in diesem Kerker, welche Seligkeit!“
Mehr als einen wandelte wohl dasselbe Befremden an, welches Kaiser Franz Joseph äußerte, als er bei einem Besuch des am 24. Juni 1887 neueröffneten städtischen Museums angesichts des Grillparzerzimmers erstaunt fragte: „So einfach hat der Dichter gewohnt?“
Aber schon Jakob Grimm hat in seiner Selbstbiographie die goldenen Worte gesprochen: „Es hat mich nie geschmerzt, vielmehr habe ich oft hernach das Glück und auch die Freiheit mäßiger Vermögensumstände empfunden. Dürftigkeit spornt zu Fleiß und Arbeit an, bewahrt vor mancher Zerstreuung und flößt einen nicht unedlen Stolz ein, den das Bewußtsein des Selbstverdienstes gegenüber dem, was andern Stand und Reichthum gewähren, aufrecht erhält. Ich möchte sogar die Behauptung allgemeiner fassen und vieles von dem, was Deutsche überhaupt geleistet haben, gerade dem beilegen, daß sie kein reiches Volk sind. Sie arbeiten von unten herauf und brechen sich viele eigenthümliche Wege, während andere Völker mehr auf einer breiten, gebahnten Heerstraße wandeln.“
Wie dem auch sei: wir schulden Grillparzer trotz oder vielmehr erst recht wegen der antiken Schlichtheit seiner Lebensführung erhöhte Bewunderung. Und die Deutschösterreicher nicht bloß, alle guten Deutschen sollen das Grillparzerzimmer mit derselben heiligen Scheu betreten wie die denkwürdigen Stätten von Weimar.
– – Gerade in dem Augenblick, in welchem diese Zeilen zum Drucke gehen, kommt uns die Meldung zu, daß am hundertsten Geburtstag des Dichters in den oben geschilderten Räumlichkeiten auf Anregung des Bürgermeisters von Wien, Dr. Prix, eine Grillparzer-Ausstellung eröffnet wird. Die bedeutendsten Privat- und öffentlichen
Sammlungen in Oesterreich und Deutschland haben der Stadt Wien wetteifernd ihre Schätze zur Verfügung gestellt (Gemälde, Porträts von Grillparzer und seinen namhaftesten Zeitgenossen, Altwiener und Neuwiener Ansichten etc.). Der Zweck der Ausstellung ist, Grillparzers Lebenslauf im Bilde zu spiegeln.