Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen: Oberhofprediger

Nikolaus Crell Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen (1918) von Adolf Hantzsch
Oberhofprediger
Martin Mirus
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

[10] Nr. 8. Die Wohnhäuser der Oberhofprediger. Seit Einführung der Reformation in Sachsen gibt es hier Hofprediger. Heinrich der Fromme hatte nur einen; später waren beim Landesherrn gleichzeitig zwei, schließlich drei tätig. Einen Rangunterschied unter ihnen gab es zunächst nicht. Man sprach vom ersten, mittleren und dritten Hofprediger. Das Gehalt war für alle gleich. Der sehr ehrgeizige Matthias Hoë v. Hoënegg, der unter Johann Georg I. von 1615–1645 als erster Hofprediger in Dresden wirkte, wußte es bei diesem Kurfürsten durchzusetzen, daß ihm der Titel Oberhofprediger verliehen werde, den seit jener Zeit jeder erste Geistliche an unserer evangelischen Hofkirche führt. [10] Anfangs hatten die Hofprediger keine Amtswohnung; sie mögen wohl im Schlosse oder in einem Privatgebäude gewohnt haben. 1593 wendete sich der erste Hofprediger Dr. Martin Mirus mit dem schriftlichen Gesuche an den Herzog Friedrich Wilhelm von Sachsen-Weimar, der für den damals minderjährigen Kurfürsten Christian die Vormundschaft führte, und bat ihn, für den ersten Hofgeistlichen eine Amtswohnung zu beschaffen. Dieser Bitte wurde entsprochen, das unmittelbar neben dem Schloßtore an der Schloßgasse gelegene Gebäude angekauft und dem ersten Hofprediger überwiesen. Außer dem an der Gasse stehenden Vorderhause, das eine Tiefe von mehr als 21 Meter, aber nur eine Breite von etwa 10 Meter und drei Obergeschosse zeigte, gab es noch ein Hintergebäude. Diese zwei Häuser haben den Oberhofpredigern von 1593–1739 zur Wohnung gedient und führte deshalb das Grundstück in der Folge den Namen Oberhofpredigerhaus. In dem letzterwähnten Jahre wurde es für andere Zwecke bestimmt, mit den zwei später vom Hofe hinzugekauften Nachbargebäuden schließlich abgebrochen und der dadurch gewonnene Raum bei einer Schloßerweiterung mit verwandt. [11] Von den Oberhofpredigern, die in dem erwähnten Hause gewohnt haben, seien nur folgende zwei kurz genannt.

Hoë v. Hoënegg, Matthias, 1580–1645, wirkte von 1602–1604 als dritter, von 1613–1645 als erster Hofprediger in Dresden und führte zuerst den Titel eines Oberhofpredigers. Leider beeinflußte er als politischer Ratgeber seinen Landesherrn Johann Georg I. in einer für Sachsen verhängnisvollen, schädlichen Weise.

Spener, Philipp Jakob, 1635–1705, der „Vater des Pietismus“, führte während seiner Tätigkeit in Dresden vom Juli 1686 bis Juni 1691 die von ihm bereits anderwärts eingerichteten Versammlungen mit Erwachsenen zur Vertiefung und Stärkung des religiösen Sinnes auch hier ein. Anfangs hielt Sp. diese Unterredungen in seiner Wohnung ab; als diese aber für die immer zahlreicher werdenden Teilnehmer nicht mehr ausreichte, durfte er die Zusammenkünfte in der Kapelle des seinem Wohnhause gegenüberliegenden Gebäudes abhalten, jetzt Schloßstraße 32 (O.-Nr. 761). Es gehörte damals der Kurfürstin Magdalene Sybille (1612–1687), der Witwe Johann Georg II. Da sie es selbst bewohnte, hatte sie darin mancherlei verändern und eine Hauskapelle einbauen lassen. – Als ein streng pflichtbewußter Hofprediger war von Sp. wiederholt gewagt worden, sein Beichtkind Johann Georg III. seiner Trunksucht wegen zu tadeln; deshalb fiel er bei diesem in Ungnade und ging 1691 nach Berlin, wo er als Probst der Gemeinde zu St. Nikolai 1705 starb.

Der letzte Oberhofprediger, der das Gebäude an der Schloßgasse bewohnte, war Bernhard Walther Marperger (1682–1746), der 1724 von Nürnberg nach Dresden berufen wurde; er ist aber auch der einzige, der sein Heim in dem vom König Friedrich August II. 1739 erkauften Hause Willsche Gasse, zuletzt Wilsdruffer Straße 15 (O.-Nr. 616) gehabt und bis zu seinem Tode behalten hat. 1801 erkaufte der Hoftraiteur Erler zu Pillnitz dieses Grundstück und richtete es zu einem Gasthofe ein, der den Namen „Goldener Helm“ erhielt. Als ihn 1820 der Kaffeehauswirt Menzel in seinen Besitz brachte, gab er ihm den Namen „Hotel de France“. Durch den Franzosen Voisin, der 1826 das Gasthaus käuflich erworben und 1832 das Nachbargebäude (O.-Nr. 615) in der Zwangsversteigerung erstanden hatte, wurden beide Grundstücke vereinigt. In dem Hause, zuletzt Wilsdruffer Straße 15, das gleich nach Ausbruch des Weltkrieges die Bezeichnung „Schloßhotel“ annahm, stellte man 1915 den Gasthofsbetrieb ein, brach es ab und errichtete auf seinem Raume ein neues Gebäude, das ebenfalls als Fremdenhof dienen soll.

Nach Marpergers Tode wurde das damals dem Staate gehörige Haus Große Brüdergasse jetzt 31 (O.-Nr. 691) zur Oberhofpredigerwohnung bestimmt und ist es bis 1850 geblieben. Am Erker des ersten Obergeschosses trug es in Goldbuchstaben den Namen JESUS. Seit dem Herbste 1916 steht an seinem Platze ein Neubau, der [12] zu den jetzt ebenfalls neu aufgeführten Häusern Wilsdruffer Straße 32, 34 gehört. – Von den Inhabern der zuletzt angegebenen Amtswohnung seien nur die beiden letzten hervorgehoben. [12] Reinhard, Franz Volkmar, 1753–1812, einer der gefeiertsten Theologen, der sich sowohl praktisch, als auch schriftstellerisch außerordentlich erfolgreich betätigte. In Dresden, wohin er 1792 berufen wurde, wirkte er zwanzig Jahre in großem Segen. Auf wiederholte dringende Wünsche seiner stets überaus zahlreichen Zuhörer ließ R. seine Predigten drucken, von denen über vierzig Bände erschienen sind. Besonders gewaltig und nachhaltig wirkte er durch eine Predigt, die er am 31. Oktober 1800 über Röm. 3, 23–25 hielt, und worin er im vollsten Gegensatz zu dem damals noch herrschenden Rationalismus eindringlich auf die Grundlehre unserer evangelischen Kirche hinwies: Gerecht allein aus Gnaden durch den Glauben! – Für das Perikopenbuch führte R. eine vierte Textreihe ein. Eifrig war er auch bemüht, die Lehrerbildung zu heben. – Die Sommerabende pflegte er in Gesellschaft von Freunden in dem ihm gehörigen Grundstücke zuletzt Mittelgasse 8 (O.-Nr. 450) zu verleben, weil ihm dort ein größerer Garten zur Verfügung stand. Beim Durchbruch der Wettiner Straße ist R's. Haus mit verschwunden. [12] Ammon, Christoph Friedrich v., 1766–1850, wirkte von 1813 bis 1849 in Dresden, war, wie sein Vorgänger im Oberhofpredigeramte, ein auch weithin berühmter Theolog und Kanzelredner, trat als Geh. Kirchenrat in das 1831 errichtete Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts und wurde 1835 Vizepräsident des damals gebildeten Landeskonsistoriums. Von den Schriften A's., der in allen Zweigen der Theologie wie in den orientalischen Sprachen außerordentliche Kenntnisse besaß, seien nur einige derjenigen genannt, die in der Zeit seines Dresdner Aufenthalts erschienen, z. B. Handbuch der christlichen Sittenlehre, Leipzig 1823–1829; Die Fortbildung des Christentums zur Weltreligion, Leipzig 1833–1840; Das Leben Jesu, Leipzig 1842–1844; Die wahre und falsche Orthodoxie, Leipzig 1849. In diesem Jahre trat A. in den Ruhestand, starb aber bereits 1850.

A. war Besitzer des an der Feldgasse gelegenen Hauses damals 4, jetzt 6 (O.-Nr. 325), das er 1832 erkauft hatte und in dem er zehn Jahre lang das Sommerhalbjahr verlebte. Als er es 1843 wieder veräußerte, wohnte er dann stets den Sommer über in einem Pavillon des Großen Gartens. Das von A. besessene Grundstück befindet sich heutzutage nicht mehr in seinem früheren Zustande. 1843 und 1844 wurden von dem sehr ausgedehnten Garten zwei Teilstücke abgetrennt und mit den noch jetzt stehenden Häusern Feldgasse 8 und 10 bebaut. Die später vom Hauptgrundstück losgelösten zwei weiteren Gartenteile vereinigte man mit Nachbargrundstücken. – Nach A. haben alle Oberhofprediger in Privatgebäuden gewohnt.