Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen: Heinrich von Kleist

Karl Ludwig Kaaz Hervorragende Persönlichkeiten in Dresden und ihre Wohnungen (1918) von Adolf Hantzsch
Heinrich von Kleist
Emmanuel Gottlieb Flemming
Wikipedia: Heinrich von Kleist
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[142] Nr. 149. v. Kleist, Heinrich, 1777–1811, der hervorragendste der deutschen Romantiker und neben Schiller und Goethe unser größter Dramendichter, widmete sich in seinem leider nur kurzen, aber vielbewegten Leben von 1795 an zunächst der militärischen Laufbahn, die er jedoch bald wieder aufgab, da er sich darin nicht wohlfühlte. Nun studierte er Philosophie und Staatswissenschaften, übernahm indes vor der Hand kein Amt, begab sich vielmehr, von einer inneren Unruhe getrieben, eine Reihe von Jahren auf Reisen, die ihm aber auch keine Befriedigung gewährten, vorübergehend arbeitete, er 1805 in bescheidener [143] Stellung in Königsberg, dann in Berlin und kam, nachdem er ein halbes Jahr in französischer Gefangenschaft gewesen war, erneut nach dem ihm schon bekannten Dresden, wo er sich bis zum Frühjahre 1809 aufhielt. Erbittert über die damals überaus traurigen politischen Verhältnisse in Deutschland, das ja von Napoleon völlig geknechtet wurde, und über den Umstand, daß der König von Sachsen ein Verbündeter des Franzosenkaisers war, wendete er sich wieder nach Berlin. Leider gelang es ihm hier nicht, eine erhoffte Anstellung zu finden, noch sein vollendetstes Drama „Prinz Friedrich von Homburg“ bei einer dortigen Bühne anzubringen. Mit sich selbst und der Welt gänzlich zerfallen, machte der geistig völlig zerrüttete große Dichter im November 1811 bei Potsdam seinem Leben freiwillig ein Ende. Seine Grabstätte ist jetzt Reichsbesitz und wird von der Gemeinde Wannsee dauernd in einem würdigen Zustande erhalten.

Viermal ist K. in Dresden gewesen. Auf einer Reise nach Würzburg, wo er hoffte, von einem alten Leiden geheilt zu werden, kam er am Spätabend des 2. September 1800 zum ersten Male in unsere Stadt. Es ließ sich nicht feststellen, in welchem Gasthofe er während seines diesmaligen ganz kurzen Aufenthaltes gewohnt hat. Der Brief, den er von hier aus an seine Braut schrieb, enthält keine darauf bezügliche Angabe; dagegen erfährt man aus dem Schriftstücke, daß der Dichter von unserer Stadt, die er freilich nur ganz flüchtig sah, keinen besonders günstigen Eindruck empfangen hat. Über den Plauenschen Grund und Tharandt, wohin er sich am 3. September begab, spricht er sich jedoch ganz begeistert aus.

Körperlich genesen war K. aus Würzburg zurückgekehrt, aber seine im nächsten Winter in Berlin wieder aufgenommenen philosophischen Studien hatten ihn geistig in einen Zustand der Verzweiflung versetzt. Eine Reise nach Paris in Begleitung seiner treuen Schwester sollte ihm Besserung bringen. Auf dem Wege nach der französischen Hauptstadt nahm er in Dresden, wo er wohl gegen Ende April 1801 eintraf, einen etwa dreiwöchigen Aufenthalt, bei dem er die Stadt eingehend kennen und überaus schätzen lernte. Von der Brühl'schen Terrasse, die einen Blick auf „das herrliche Elbtal“ bietet, war der Dichter entzückt; aber auch der oft wiederholte Besuch der Gemäldegalerie, der Gipsabgüsse, des Antikenkabinetts, namentlich der katholischen Hofkirche, bereitete ihm innige Freude. Auch die nähere und weitere Umgebung Dresdens, namentlich wieder der Plauensche Grund, jedoch auch das Elbtal von Dresden bis Aussig entlockten ihm in zwei Briefen an seine Braut Worte hoher Bewunderung.

Wo K. diesmal in unserer Stadt sein Heim aufgeschlagen hatte, ließ sich ebensowenig ermitteln, als bei seinem dritten hiesigen Aufenthalte, der in den Frühling des Jahres 1803 fällt und von längerer Dauer war. Obgleich der Dichter mit der ihm bereits bekannten Familie v. Schlieben und mit seinen beiden Freunden Ernst v. Pfuel und Rühle v. Lilienstern viel verkehrte, fühlte er sich jetzt wieder tief unglücklich und konnte sich nicht freimachen von den krankhaften Todesgedanken, denen er fast in jedem Gespräche Ausdruck verlieh. Zuweilen [144] hatte er auch ruhigere Stunden. Als er sich in einer solchen von dem auf seiner Seele lastenden furchtbaren Drucke freier fühlte, ließ er sich herbei, seinem Freunde Pfuel die drei ersten Szenen des 1806 vollendeten Lustspiels „Der zerbrochene Krug“ in die Feder zu diktieren.

Nachdem K. wieder vier wechselvolle und unruhige Jahre hinter sich hatte, wollte er sich in der ihm besonders liebgewordenen sächsischen Königsstadt niederlassen und sich ganz der Dichtkunst widmen. Im September 1807 langte er hier an und bezog die ihm von seinem Freunde Rühle ermietete Wohnung in dem Hause Äußere Rampische Gasse Nr. 123, jetzt Pillnitzer Straße 29 (O.-Nr. 233). Hier vollendete der Dichter nicht nur das Trauerspiel „Penthesilea“, sondern schuf auch das Ritterschauspiel „Das Käthchen von Heilbronn“, die gewaltige Bühnendichtung „Die Hermannschlacht“ und zum größten Teil den Roman „Michael Kohlhaas".

Um das Andenken an den leider erst nach seinem Tode zu höchster Anerkennung gelangten Dichter in unserer Stadt wach zu erhalten, ließ die Tiedge-Stiftung im Januar 1906 über dem zweiten Obergeschoß von K's. Wohnhause, Pillnitzer Straße 29, eine in Kupfer getriebene Gedenktafel anbringen. Sie zeigt das Kopfbild des Dichters in erhabener Arbeit und die Jahreszahlen 1777–1811. Gleichzeitig wurde über der Haustür eine bronzene Widmungstafel eingelassen, die die Inschrift trägt:

„Hier wohnte Heinrich von Kleist l807–1809.“

Als Unterschrift liest man die Worte:

„Dem edeln Dichter und Vaterlandsfreunde
die Tiedge-Stiftung zu Dresden.“

Dazwischen stehen die Kleist'schen Verse:

„Frei auf deutschem Grunde walten
Laßt uns nach dem Brauch der Alten,
Seines Segens selbst uns freun:
Oder unser Grab ihn sein!“

Links auf der Widmungstafel ist Prometheus mit dem Adler, rechts eine Muse mit der Leier angebracht.

Während der letzten Monate von dem diesmaligen langen Aufenthalte des Dichters in Dresden wohnte er im Dachgeschoß der 1913 abgebrochenen alten Löwenapotheke, damals Wilsdruffer Gasse Nr. 194, jetzt Wilsdruffer Straße 1 (O.-Nr. 603). Hier schuf K. seine von höchster Vaterlandsliebe zeugenden Gedichte: „Germania an ihre Kinder“ und das „Kriegslied der Deutschen“.

Die Jahre, die K. in unserer Stadt zugebracht hat, sind die schönsten seines Lebens gewesen. Hier trat er mit einer größeren Anzahl hervorragender Menschen in Verbindung, die ihn schätzten und seinen Werken hohe Anerkennung zollten, so daß er sich in ihren Kreisen wahrhaft wohlfühlte. So verkehrte der Dichter außer mit seinen schon erwähnten Freunden Pfuel und Rühle mit dem Naturforscher Gotthilf Heinrich von Schubert, dessen Vorträge er fleißig besuchte, sowie mit dem gerade [145] damals vorübergehend in Dresden weilenden Ludwig Tieck. In Gottfried Körner's Hause, in dem sich viele geistig und gesellschaftlich hochstehende Persönlichkeiten oft zusammenfanden, war K. ein gern gesehener Gast. Aber auch in anderen Kreisen hatte er Zutritt. Auf dem Liebhabertheater im Hause des österreichischen Gesandten Grafen Buol[1], bei dem der Dichter am 10. Oktober 1807 eingeladen war, hatte man den Zerbrochenen Krug aufgeführt, worauf K. bei der dann folgenden Tafel von Körner's schöner Pflegetochter Julie Kunze mit einem Lorbeerkranze gekrönt wurde.

Da K. bei aller Anerkennung, die seine Werke fanden, von ihnen keine Einnahme erzielte, wollte er seine immer geringer gewordenen Geldmittel dadurch aufbessern, daß er mit seinen beiden vertrautesten Freunden im Jahre 1808 in Dresden eine Buch-, Karten- und Kunsthandlung errichtete und gleichzeitig eine für gebildete Kreise bestimmte vornehme Kunstzeitschrift „Phöbus“ herausgab. Leider gingen noch im Jahre 1808 beide Unternehmungen zugrunde und die auf sie verwendeten Geldsummen fast ganz verloren. Infolgedessen geriet K. von neuem in tiefe Schwermut. Am 29. April 1809 verließ er Dresden. Als es ihm in Berlin, wohin er sich wendete, trotz ernster Bemühungen nicht gelang, seine so überaus bedauernswerten Verhältnisse freundlicher zu gestalten, erlag er der Verzweiflung. (Vergl. Kästner: Heinrich v. Kleist in Dresden. Sonntagsbeilage Nr. 47 des Dresdner Anzeigers vom 19. November 1911.)


  1. Hierzu sei bemerkt, daß Joseph Buol, der in dem Hause Pirnaische Gasse Nr. 704, zuletzt bis zu seinem 1915 erfolgten Abbruche Landhausstraße 14 wohnte, damals nicht Gesandter, sondern nur Legationssekretär bei der österreichischen Gesandtschaft war.