Heidelberg (Meyer’s Universum)

L. Die Seilbrücke bei Teree im Himalaya-Gebirge Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band (1835) von Joseph Meyer
LI. Heidelberg
LII. New-Castle an der Tyne
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HEIDELBERG.

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LI. Heidelberg.




Heidelberg! so rufen gewiß Tausende unserer Leser bei’m ersten Blick auf das reizende Bild. Den breiten, schäumenden Neckar und sein entzückendes Thal erkennen sie wieder, die schöne Brücke, die sich über ihn wölbt, am entgegengesetzten Ufer die Stadt selbst, dicht am Strome einen weiten Bogen bildend, über den sich die prächtigen Ruinen des Schlosses hoch erheben und hinter diesen steile, waldbekleidete Berg- und Felsenwände, deren dunkles Grün den Grund des großen Gemäldes bildet. Für solche bedürfte es der erklärenden Zugabe nicht. Aber nicht Alle gehören zu Denen, die sagen können: „Auch ich war im Paradiese des Neckars!“ Und darum ist eine kurze Beschreibung von Heidelberg und seiner Gegend hier wohl an ihrer Stelle.


Heidelberg, nach Mannheim und Carlsruhe die größte Stadt des badischen Landes, und bis 1720 die Residenz der Kurfürsten von der Pfalz, liegt am Fuße des 2000 Fuß hohen Königstuhls, am Ende der reizenden Bergstraße, auf dem linken Ufer des Neckars, welcher hier aus einer waldigen Bergschlucht als mächtiger Strom hervorbraußt. Ihn überspannt eine 700 Fuß lange, steinerne Brücke, von der man auf- und niederwärts vortreffliche Aussichten genießt. Die Stadt, zwischen den Strom und die Berge gedrängt, besteht großentheils aus einer einzigen, breiten, schönen Straße, die sich wohl eine halbe Stunde lang, parallel mit dem Laufe des Flusses und an hohen Felsen hinzieht. Ein kleiner Theil der Gebäude drängt sich auch die Wand des Schloßberges hinan, – darum die Bergstadt geheißen. Der Ort hat, sammt seiner Vorstadt, etwa 1200 Häuser und 13,000 Einwohner. Die Hauptstraße ausgenommen, sind die übrigen Straßen meistens düster und eng; doch tragen die großentheils massiven Häuser das wohlthuende Gepräge der Dauer und der Stattlichkeit. Und es trügt nicht; denn Wohlhabenheit ist hier noch nicht aus den Wohnungen der Vielen geflohen, um sich bei Wenigen zum Reichthum zusammen zu drängen. Die bürgerlichen Gewerbe blühen, theils durch die meistens von reichen Ausländern besuchte [14] Universität, theils durch den ansehnlichen Handel der Stadt, welchen der schiffbare Neckar und die sich hier durchkreuzenden 2 Hauptstraßen, von Basel nach Frankfurt und Offenbach, und von Mannheim nach dem mittlern Deutschland und Schwaben, sehr begünstigen.

Nicht leicht ist der Mensch mit dem ihm beschiedenen Loose zufrieden; auch unter den Bewohnern dieses reizvollen Orts wird man häufig die Aeußerungen der Unzufriedenheit hören; aber der Sklave duldet und schweigt, der freie Mensch klagt und vergißt. Die gesprächige Unzufriedenheit hier, wie im ganzen Badener Lande, jedem Fremden hörbar, beweist eine liberale Regierung und ist kein Zeugniß gegen sie. Uebrigens herrscht in Heidelberg unter allen Ständen ein gebildeter Ton und der Sinn für Kunst und Literatur ist allgemein. Die berühmte Universität (1368 gestiftet und nächst der Prager und Wiener die älteste in Deutschland) zieht immer eine Masse großer Talente und Kenntnisse hierher und selten wird man mehr unterrichtete, gebildete, mit einem Wort, mehr interessante Menschen auf einem so kleinen Punkte versammelt finden, als in Heidelberg. Aus diesem Kreise (welcher Deutsche kennt die Männer nicht, die ihn gegenwärtig verherrlichen!) wirft die Sonne der Bildung wohlthätig ihre Strahlen weit bis in die untern Stände herab. Abgeschlossene, in Neid, Eifersucht und Haß einander gegenüber stehende Familienkliquen, der Fluch des Lebens in den meisten deutschen Städten, kennt man hier nicht; denn die bedeutendsten, geachtetsten Einwohner, meistens Beamte und Lehrer, sind Ausländer, und das wirkt der Bildung solcher Krebsschäden der Gesellschaft stets entgegen. Gleiche Gesinnung ist’s, die hier die Menschen nähert, und solche Gleichgesinnte bilden kleine gesellige Kreise, die ohne Zwang oder Ceremonie unter einander in freundschaftlichem Verkehr stehen. Der Fremde aber befindet sich wohl unter solchen Menschen. –

Außer den zur Universität gehörigen Instituten und Sammlungen, der berühmten Bibliothek, [von deren vor 200 Jahren nach Rom entführten Schätzen sie 1815 leider nur die altdeutschen Manuscripte zurück erhielt;] den naturhistorischen Sammlungen, Observatorium, anatomischem Theater und botanischem Garten, besitzt die Stadt selbst nichts, was den nach Sehenswürdigkeiten suchenden Fremden sehr fesseln könnte; die berühmte Boisseree’sche Sammlung alt niederdeutscher Gemälde, welche früher ein Hauptanziehungspunkt für den kunstsinnigen Reisenden war, ist bekanntlich seit mehren Jahren nach München gewandert; – aber um so einladender ist der Genuß, der jedem gefühlvollen und empfänglichen Menschen in dem herrlichen Tempel der Natur harrt, welcher Heidelberg umgibt. Wohin man sich auch wende, überall Pracht und Herrlichkeit! Geht man westwärts, zum Mannheimer Thor hinaus, so sieht man die ganze reiche Rheinebene vor sich ausgebreitet, welcher der schöne Neckar in zahllosen Windungen zueilt, und in blauer Ferne ragen, jenseits des Rheins, die Vogesen empor, während seitwärts des Odenwaldes Höhen an der Bergstraße mit ihren zahllosen Ruinen von Klöstern und Burgen die Aussicht begrenzen. Wendet man sich ostwärts, dem andern Stadtende zu, so hat man kaum die Häuserreihen verlassen und den Blick frei, als er auf dem [15] schönsten von Hügeln und Felsen besäumten Thale ruht, zwischen welchem der Neckar, breit und silbern, dahin wogt. Reben bekleiden die Höhen bis zu ihrer Mitte; über diese erheben sich, wie an der Bergstraße, dunkle Kastanienhaine fast bis zu den mit Wald und Busch gekrönten Gipfeln hinauf. Wo die größere Breite des Thales es irgend erlaubt, blicken freundliche Dörfer und einzelne Wohnhäuser aus Reben und reichen Obstgärten hervor und ziehen sich am Abhange der Berge, oder durch enge Felsenklüfte hin. – Aber dicht über der Stadt, in mäßiger Höhe, am Fuße einer mit dunkelm Grün gekleideten Bergwand, thront über all’ diesem Reichthum das Erhabenste, Großartigste, was das Auge entzückt und fesselt, – die Schloßruine; unter denen Deutschlands die prachtvollste, die herrlichste Aller. Unbeschreiblich ist ihr Eindruck auf die Seele des Beschauers. Er glaubt sich mehr an der Stätte einer von lauter Königen ehemals bewohnten Stadt, als der eines einzigen Palastes; so groß ist ihr Umfang, so im Styl von einander verschieden sind die vielen einzelnen Gebäude, aus denen sie zusammengesetzt ist und welche im Laufe der Jahrhunderte hier nach und nach entstanden.

Wir wollen es nicht unternehmen, diese berühmte Ruine des Kur-Pfälzischen Palastes (1689 von den Franzosen in Brand gesteckt und gesprengt, dann zum Theil wieder restaurirt, bis er durch einen Blitzstrahl (1764) von neuem aufloderte und ausbrannte) in ihren Einzelnheiten zu beschreiben. Dazu ist kein Raum in diesem Werke und nie würde es gelingen, auf diese Weise den mächtigen Eindruck des Ganzen wieder zu geben, den eine leichte Skizze der Hauptpartieen vielleicht noch am besten festhält. – Versuchen wir es mit einer solchen. –

Die letzten Häuser der Stadt hinter sich lassend, betritt der Wanderer, durch Parkanlagen aufsteigend, eine lange Terrasse. Ihm gegenüber erhebt sich, hehr und ernst, die nördliche Façade des Palastes. Sechzehn Bildsäulen zieren noch die Zinnen; architektonischer Schmuck die Mauern; Alles ist frisch und neu, als wäre es das Werk von gestern. Im ersten Augenblick weiß er nicht, ob er eine Ruine oder ein bewohnbares Gebäude erblickt, bis die aus den Fensteröffnungen schreiend aufflatternden Vögel den kurzen Zweifel zerstören. Gleich gut erhalten, reicher noch geschmückt, findet er den östlichen Schloßflügel. Er erkennt noch in seinem Innern den großen Rittersaal, den Waffensaal, mehre andere Gemächer. Ueberall, bei jedem Schritte und wohin sein Auge sich wendet, erblickt er Zeugen der alten, fürstlichen Pracht; reiche, kunstvolle Bildhauerarbeit an Gesimsen und Pfosten, Wappen und Schilde über Fenster und Thüren, Statuen auf den Zinnen, Basreliefs an den Mauern, in den Wänden der innern Gemächer Nischen mit Postamenten und geschmückt mit reichen Arabesken und Laubwerk. Diesen beiden Theilen der Ruine mangelt, bei all’ ihrer imponirenden Größe, dennoch das ehrwürdige Ansehen des Alterthums, welches nur viele vorübergegangene Jahrhunderte zu geben vermögen. Auch das Moderne des Styles an dieser Schloßpartie rückt den Zeitpunkt seiner Zerstörung dem geistigen Auge als zu nahe hin und thut nothwendig dem Pittoresken, Ehrwürdigen Abbruch. Aber Beides findet sich, in seltenem, hohen Grade, bei [16] den älteren, im Geschmack der Vorzeit erbauten Schloßtrümmern; namentlich an einem Theil des andern Flügels, den herrliche Granitsäulen zieren, die zum Theil noch aufrecht stehen, theils umgestürzt in malerischer Gruppirung am Boden liegen. – Einen unübertrefflich erhabenen Anblick aber gewährt der im 30jährigen Kriege gesprengte Thurm an einer Ecke des Palastes, dessen ungeheure, aus großen Felsstücken zusammen gekettete Steinmasse die Wuth der Flammen verspottete. Der Vandalismus der mordbrennerischen Franzosen, die damals in der unglücklichen Pfalz Alles der Erde gleich zu machen trachteten, füllte ihn mit Schießpulver, um ihn in die Luft zu sprengen; aber selbst so entsetzlicher Gewalt wichen nur einzelne Theile der fest vereinigten Masse, und drohend schwebt sie, seit fast zwei Jahrhunderten, gespalten von des Pulvers Kraft und unterwühlt, über dem Abhang, den zerstörenden Elementen und der Zeit vielleicht Jahrtausende noch trotzend. Baumstarker Epheu umklammert diese herrlichen Trümmer, und Felsen und Mauern zugleich umziehend, schmückt er sie beide mit einem immergrünen Kranze, des Thurmes Anblick unendlich verschönernd. Im Süden und Westen des Schlosses streckt sich der alte kurfürstliche Park weit an der Bergwand hin, mit Felsen und Terrassen und altem Gemäuer reich und harmonisch geschmückt, und von vielen Punkten die reizendsten Aussichten in die bezaubernde Gegend gebend. – Eine der berühmtesten ist von einem Plateau unfern von dem durch ein großes, hohes Steinthor gebildeten Eingang. Sie ist mit Linden besetzt und an dem einen Ende derselben steht eine uralte Warte. Epheu überdeckt sie bis zur Zinne, von der weißstämmige Birken und Gesträuche herabwinken. Zwei tiefe Nischen in ihrer Mauer sind von rankendem Immergrün in dichte Lauben verwandelt; in ihrem Dunkel stehen 2 verwitterte colossale Bildsäulen, Pfalzgrafen aus der Vorzeit. – Von höchst malerischer Wirkung ist die Schloßruine, betrachtet vom jenseitigen Ufer. Jede Jahres- und jede Tageszeit, jede Nüance des Lichts und der Beschattung wirft den prächtigen Trümmern ein neues Gewand um, und wenn im Herbst die vom Winde gejagten Wolken sie mit leicht hineilenden Schlagschatten bestreuen, oder der Mond sie beleuchtet, haben sie ein wahrhaft magisches Ansehen, und man möchte sie für ein Zauberschloß halten, den Aufenthalt von Gnomen und Geistern.