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schönsten von Hügeln und Felsen besäumten Thale ruht, zwischen welchem der Neckar, breit und silbern, dahin wogt. Reben bekleiden die Höhen bis zu ihrer Mitte; über diese erheben sich, wie an der Bergstraße, dunkle Kastanienhaine fast bis zu den mit Wald und Busch gekrönten Gipfeln hinauf. Wo die größere Breite des Thales es irgend erlaubt, blicken freundliche Dörfer und einzelne Wohnhäuser aus Reben und reichen Obstgärten hervor und ziehen sich am Abhange der Berge, oder durch enge Felsenklüfte hin. – Aber dicht über der Stadt, in mäßiger Höhe, am Fuße einer mit dunkelm Grün gekleideten Bergwand, thront über all’ diesem Reichthum das Erhabenste, Großartigste, was das Auge entzückt und fesselt, – die Schloßruine; unter denen Deutschlands die prachtvollste, die herrlichste Aller. Unbeschreiblich ist ihr Eindruck auf die Seele des Beschauers. Er glaubt sich mehr an der Stätte einer von lauter Königen ehemals bewohnten Stadt, als der eines einzigen Palastes; so groß ist ihr Umfang, so im Styl von einander verschieden sind die vielen einzelnen Gebäude, aus denen sie zusammengesetzt ist und welche im Laufe der Jahrhunderte hier nach und nach entstanden.

Wir wollen es nicht unternehmen, diese berühmte Ruine des Kur-Pfälzischen Palastes (1689 von den Franzosen in Brand gesteckt und gesprengt, dann zum Theil wieder restaurirt, bis er durch einen Blitzstrahl (1764) von neuem aufloderte und ausbrannte) in ihren Einzelnheiten zu beschreiben. Dazu ist kein Raum in diesem Werke und nie würde es gelingen, auf diese Weise den mächtigen Eindruck des Ganzen wieder zu geben, den eine leichte Skizze der Hauptpartieen vielleicht noch am besten festhält. – Versuchen wir es mit einer solchen. –

Die letzten Häuser der Stadt hinter sich lassend, betritt der Wanderer, durch Parkanlagen aufsteigend, eine lange Terrasse. Ihm gegenüber erhebt sich, hehr und ernst, die nördliche Façade des Palastes. Sechzehn Bildsäulen zieren noch die Zinnen; architektonischer Schmuck die Mauern; Alles ist frisch und neu, als wäre es das Werk von gestern. Im ersten Augenblick weiß er nicht, ob er eine Ruine oder ein bewohnbares Gebäude erblickt, bis die aus den Fensteröffnungen schreiend aufflatternden Vögel den kurzen Zweifel zerstören. Gleich gut erhalten, reicher noch geschmückt, findet er den östlichen Schloßflügel. Er erkennt noch in seinem Innern den großen Rittersaal, den Waffensaal, mehre andere Gemächer. Ueberall, bei jedem Schritte und wohin sein Auge sich wendet, erblickt er Zeugen der alten, fürstlichen Pracht; reiche, kunstvolle Bildhauerarbeit an Gesimsen und Pfosten, Wappen und Schilde über Fenster und Thüren, Statuen auf den Zinnen, Basreliefs an den Mauern, in den Wänden der innern Gemächer Nischen mit Postamenten und geschmückt mit reichen Arabesken und Laubwerk. Diesen beiden Theilen der Ruine mangelt, bei all’ ihrer imponirenden Größe, dennoch das ehrwürdige Ansehen des Alterthums, welches nur viele vorübergegangene Jahrhunderte zu geben vermögen. Auch das Moderne des Styles an dieser Schloßpartie rückt den Zeitpunkt seiner Zerstörung dem geistigen Auge als zu nahe hin und thut nothwendig dem Pittoresken, Ehrwürdigen Abbruch. Aber Beides findet sich, in seltenem, hohen Grade, bei