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Universität, theils durch den ansehnlichen Handel der Stadt, welchen der schiffbare Neckar und die sich hier durchkreuzenden 2 Hauptstraßen, von Basel nach Frankfurt und Offenbach, und von Mannheim nach dem mittlern Deutschland und Schwaben, sehr begünstigen.

Nicht leicht ist der Mensch mit dem ihm beschiedenen Loose zufrieden; auch unter den Bewohnern dieses reizvollen Orts wird man häufig die Aeußerungen der Unzufriedenheit hören; aber der Sklave duldet und schweigt, der freie Mensch klagt und vergißt. Die gesprächige Unzufriedenheit hier, wie im ganzen Badener Lande, jedem Fremden hörbar, beweist eine liberale Regierung und ist kein Zeugniß gegen sie. Uebrigens herrscht in Heidelberg unter allen Ständen ein gebildeter Ton und der Sinn für Kunst und Literatur ist allgemein. Die berühmte Universität (1368 gestiftet und nächst der Prager und Wiener die älteste in Deutschland) zieht immer eine Masse großer Talente und Kenntnisse hierher und selten wird man mehr unterrichtete, gebildete, mit einem Wort, mehr interessante Menschen auf einem so kleinen Punkte versammelt finden, als in Heidelberg. Aus diesem Kreise (welcher Deutsche kennt die Männer nicht, die ihn gegenwärtig verherrlichen!) wirft die Sonne der Bildung wohlthätig ihre Strahlen weit bis in die untern Stände herab. Abgeschlossene, in Neid, Eifersucht und Haß einander gegenüber stehende Familienkliquen, der Fluch des Lebens in den meisten deutschen Städten, kennt man hier nicht; denn die bedeutendsten, geachtetsten Einwohner, meistens Beamte und Lehrer, sind Ausländer, und das wirkt der Bildung solcher Krebsschäden der Gesellschaft stets entgegen. Gleiche Gesinnung ist’s, die hier die Menschen nähert, und solche Gleichgesinnte bilden kleine gesellige Kreise, die ohne Zwang oder Ceremonie unter einander in freundschaftlichem Verkehr stehen. Der Fremde aber befindet sich wohl unter solchen Menschen. –

Außer den zur Universität gehörigen Instituten und Sammlungen, der berühmten Bibliothek, [von deren vor 200 Jahren nach Rom entführten Schätzen sie 1815 leider nur die altdeutschen Manuscripte zurück erhielt;] den naturhistorischen Sammlungen, Observatorium, anatomischem Theater und botanischem Garten, besitzt die Stadt selbst nichts, was den nach Sehenswürdigkeiten suchenden Fremden sehr fesseln könnte; die berühmte Boisseree’sche Sammlung alt niederdeutscher Gemälde, welche früher ein Hauptanziehungspunkt für den kunstsinnigen Reisenden war, ist bekanntlich seit mehren Jahren nach München gewandert; – aber um so einladender ist der Genuß, der jedem gefühlvollen und empfänglichen Menschen in dem herrlichen Tempel der Natur harrt, welcher Heidelberg umgibt. Wohin man sich auch wende, überall Pracht und Herrlichkeit! Geht man westwärts, zum Mannheimer Thor hinaus, so sieht man die ganze reiche Rheinebene vor sich ausgebreitet, welcher der schöne Neckar in zahllosen Windungen zueilt, und in blauer Ferne ragen, jenseits des Rheins, die Vogesen empor, während seitwärts des Odenwaldes Höhen an der Bergstraße mit ihren zahllosen Ruinen von Klöstern und Burgen die Aussicht begrenzen. Wendet man sich ostwärts, dem andern Stadtende zu, so hat man kaum die Häuserreihen verlassen und den Blick frei, als er auf dem