Gründliche und allgemein faßliche Darlegung der Glaubenslehre der evangelisch-lutherischen Kirche/20. Kapitel

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Das zwanzigste Kapitel.
Gott bekehret den bußfertigen Sünder, daß sein Verstand zur Erkenntniß Gottes und seines gnädigen Willens erleuchtet, der Wille und alle Kräfte von der Sünde zu Gottes Liebe, Gehorsam und Gerechtigkeit gewendet werden, und er, so viel möglich, nach göttlichem Wohlgefallen alle sein Thun und Leben anstelle.

 537. Hinsichtlich der Bekehrung des Menschen ist zu beachten: die Bekehrung selbst, was sie sei; Gott, der die Bekehrung wirket; der Mensch, welcher bekehrt wird; die Frucht der Bekehrung.

 538. a) Was die Bekehrung sei? Die Bekehrung wird beschrieben, daß sie geschehe, wenn den Menschen das göttliche Wort durch’s Herz geht, Apost. Gesch. 2, 37., das Herz ihnen schlägt, 2 Sam. 24, 10., das Herz ihnen eröffnet wird, daß sie die Sünde erkennen und des Herrn Wort hören, Apost. Gesch. 16, 14., das steinerne Herz aus ihrem Leibe genommen, dagegen ein neues und reines Herz, ein neuer gewisser Geist gegeben wird, daß sie Gottes Volk werden, und in seinen Wegen wandeln, Hesek. 11, 19. 36, 26. Ps. 51, 12.

 539. Es besteht demnach die Bekehrung darin, daß, wie ein Mensch von Natur Gott nicht kennt, sein| Verstand verfinstert und er von dem Leben entfremdet ist, das aus Gott ist, durch die Unwissenheit, so in ihm ist, durch die Blindheit seines Herzens, Ephes. 4, 18.; wie er durch Widerwillen, Feindschaft, Ungehorsam und Widerspenstigkeit von Gott abgewendet ist, er von Christo, als dem großen Lichte der Welt (Joh. 1, 9.) erleuchtet wird, Ephes. 5, 14., daß, da er zuvor war Finsterniß, er nun ein Licht in dem Herrn ist, V. 8., im Lichte wandelt, Joh. 12, 35. 36., die Werke des Lichts thut, Joh. 3, 21., die Werke der Finsterniß ab- und die Waffen des Lichts anleget, ehrbarlich wandelt, als am Tage, nicht in Fressen und Saufen, nicht in Kammern und Unzucht, nicht in Hader und Neid, sondern anziehet den Herrn Jesum Christ, Röm. 13, 12. 13. Und wie er vor der Bekehrung abgewendet war, also wird er durch demüthigen Gehorsam, Unterthänigkeit, Zuversicht und Liebe zu Gott gewendet; wie er zuvor trachtete nach dem Irdischen, also trachtet er forthin nach dem Himmlischen; wie er zuvor beliebte, Böses zu thun, also hasset und fliehet er nunmehr die Sünde, liebt die erkannte Wahrheit, erfreut sich darüber in Gott, hängt ihr an und folgt, so weit möglich, nach.

 540. b) Gott, der die Bekehrung wirkt. Hiebei ist zu beachten

 α) was Gott bei des Menschen Bekehrung thue? Solches ist aus dem kund, daß Gott alles Guten Anfänger ist. Jacob. 1, 17. „Wir sind von uns selber untüchtig, auch etwas zu denken, und daß wir tüchtig sind, ist von Gott.“ 2 Corinth. 3, 5. So ist er in unsrer Bekehrung der Anfang und das Ende, und also die einzige Ursache, wie die Schrift vielfältig bezeugt. Jeremias 31, 18.| „Bekehre du mich, so werde ich bekehret;“ Joh. 6, 44. „Es kann Niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater, der mich gesandt hat;“ V. 29. „Das ist Gottes Werk, daß ihr an den glaubet, den er gesandt hat.“ Phil. 2, 13. „Gott ist’s, der in euch wirket, beide das Wollen und Vollbringen, nach seinem Wohlgefallen.“ Apostelgesch. 15, 9. „Gott reiniget die Herzen durch den Glauben.“ 2 Thess. 3, 5. „Der Herr richte eure Herzen zu der Liebe Gottes und zu der Geduld Christi.“ Also fängt Gott das gute Werk an und vollendet es. Phil. 1, 6. „Er ist der Anfänger und Vollender unsers Glaubens,“ Hebr. 12, 2. „Gott rufet die Herzen, öffnet sie, nimmt hinweg das steinerne Herz u. s. w.“
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 541. β) Was Gott zu des Menschen Bekehrung bewege? Daß Gott die Menschen zu sich zieht und bekehrt, ist ein Werk seiner Güte und Barmherzigkeit, wie denn auch das ganze Werk unsrer Seligkeit allein von göttlicher Gnade herrührt. Wenn nun gefragt wird, was Gott bewege, daß Gott den Menschen zu sich bekehre, so ist zu antworten, daß Gott dabei keine höhere Ursache habe, als allein seine Güte und Barmherzigkeit. Und weil Gottes Gnade und der Menschen eigenes Verdienst nicht bei einander stehen können, so wird geschlossen, daß Gott im Menschen vor der Bekehrung nicht ansehe einige Tugend, Würde nach Verdienst, die ihn bewegte, in demselbigen Menschen die Bekehrung zu wirken. Denn wie der Hirte das vermeinte Schäflein zum Schafstall bringt, da es nichts um ihn verdient hatte, Luc. 15, 4. 5. wie das Weib den verlornen Groschen wieder sucht, ohne dessen vorhergehendes Verdienst, V. 8., wie der König| zu seines Sohnes Hochzeit, und der Hausvater zu seinen Abendmahl die Fremdlinge, Krüppel, Lahmen und Blinden, die an den Straßen saßen, und eine solche Wohlthat nicht verdient hatten, eingeladen, Matth. 22, 9. Luc. 14, 21., also ruft, führt und kehrt Gott uns zu sich, daß wir seine Güte und Gnade genießen, da wir doch unsern Herrn und Gott nichts anders, denn ewige Verdammniß abverdienen können, nach des Apostels Ausspruch, Ephes. 2, 4. „Gott, der da reich ist von Barmherzigkeit, durch seine große Liebe, damit er uns geliebet hat, da wir todt waren in Sünden, hat er uns sammt Christo lebendig gemacht.“

 542. c) Die Menschen, die bekehrt werden. Hier sind drei Punkte zu merken: Was sie bei ihrer Bekehrung zu thun vermögen? Was sie bei ihrer Bekehrung nicht vermögen? Was von ihnen gefordert werde, daß sie zur Bekehrung tüchtig seien?

 α) Was der Mensch bei seiner Bekehrung zu thun vermöge? Diejenigen Werke, die bei der Bekehrung vorlaufen, sind zweierlei, etliche sind solche Handlungen, die vor der Bekehrung hergehen, und sind äußerlich, andere gehören wesentlich zur Bekehrung, und sind innerlich.

 543. Die äußerlichen Handlungen sind: Das Wort Gottes hören, mit Fleiß und mit den Vorsatz hören, daß man etwas daraus lernen, zum wenigsten, daß man vernehmen wolle, was das für eine Rede und Lehre sei. Beides ist mit Schriftzeugnissen und Exempeln zu beweisen.

|  Mit Zeugnissen, wenn St. Paulus von verführerischen Lehrern schreibt: „Sie lernen immerdar, und können nimmer zur Erkenntniß der Wahrheit kommen.“ 2 Timoth. 3, 7. und von den Israeliten: Röm. 9, 31. „Israel hat dem Gesetz der Gerechtigkeit nachgestanden und hat das Gesetz der Gerechtigkeit nicht überkommen, denn sie haben sich gestoßen an den Stein des Anstossens.“ Von den Zeiten in der babylonischen Gefangenschaft spricht Gott Amos 8, 11. 12. „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, daß ich einen Hunger ins Land schicken werde, nicht einen Hunger nach Brod, oder Durst nach Wasser, sondern nach dem Worte des Herrn zu hören, daß sie hin und her, von einem Meer zum andern, von Mitternacht gegen Morgen laufen, und des Herrn Wort suchen und doch nicht finden werden.“

 544. Exempel sind zu sehen an Herodes, der Johannes den Täufer gern hörte, und ihn in vielen Sachen gehorchte; an Sergius, dem römischen Landvogt, der dem Paulus und Barnabas zu sich berief, und begehrte das Wort Gottes zu hören; Apostelgesch. 13, 7. So geschieht noch heutiges Tages, daß viele Leute das Wort hören und lesen mit dem Vorsatz, etwas daraus zu lernen und zu vernehmen, was darinnen gelehrt werde, denen aber das gehörte Wort ein Geruch des Todes zum Tode wird, 2 Corinth. 2, 16., „weil der Gott dieser Welt der Ungläubigen Sinn verblendet hat, daß sie nicht sehen dasselbe Licht des Evangelii,“ 2 Corinth. 4, 4.

 545. β) Was der Mensch bei seiner Bekehrung nicht vermöge? Diese Frage weiset uns auf die innerlichen und zur Bekehrung wesentlich gehörenden Handlungen, als da sind: den| Verstand erleuchten, das Herz vom Bösen bekehren und zum Guten wenden, daß es Gott und Gottseligkeit liebe, den Sünden feind werde und absage. Hier vermag kein Mensch weder den Anfang zu machen, noch auch diese Werke zu vollführen, denn

 546. wir können viel geringere Dinge nicht einmal thun. „Niemand vermag ein einiges Haar weiß oder schwarz zu machen,“ Matth. 5, 36., keiner kann sein Herz, Gehirn, Leber, Lungen u. s. w. ändern, wenn sie mangelhaft und gebrechlich sind, und „wer ist, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget,“ Matth. 6, 27. Wer nun dieses Geringe nicht vermag, wie will derselbe seine Seele, seinen Willen und Verstand ändern, und sie abwenden von dem, was ihnen natürlich und angeboren ist?

 547. Die heil. Schrift benimmt den Menschen alle Verrichtung guter geistlicher Werke, insonderheit die zur Bekehrung und Seligkeit dienen, indem sie bezeugt,

 daß wir nichts Gutes thun können, Joh. 15, 5. spricht Christus: „Ohne mich könnet ihr Nichts thun.“ So vermag ja ein fauler Baum nicht gute Früchte zu bringen, Matth. 7, 18. Wir sind aber von Natur alle miteinander faule Bäume, denn unser Tichten und Trachten ist böse von Jugend auf und immerdar, 1 Mos. 6, 5. 8, 21.

 Daß wir nichts Gutes reden können, Matth. 12, 34. „Wie könnt ihr Gutes reden, dieweil ihr böse seid?“ „Weß das Herz voll ist, deß gehet der Mund über, 1 Corinth. 12, 3. „Niemand kann Jesum einen Herrn heissen, ohne durch den heil. Geist?“

|  Daß wir nichts Gutes denken können, 2 Corinth. 3, 5. „Wir sind nicht tüchtig von uns selber, etwas zu denken, als von uns selber.“ Daraus muß geschlossen werden: Wer aus eigenen Kräften nicht Gutes thun, reden und denken kann, der vermag auch bei seiner Bekehrung durchaus nichts zu verrichten, als welches gute Gedanken und gute Werke sein müßten.

 548. d) Was von dem Menschen erfordert werde, daß er zur Bekehrung tüchtig sei? Daß etliche Menschen zur Bekehrung nicht kommen, daran sind sie selbst Schuld. Denn wie ein frommer, fleißiger Präceptor und Lehrmeister alle seine Schüler von der Unwissenheit zur Geschicklichkeit, von Lastern zur Tugend bekehrte, und es darum bei keinem an dem dazu dienlichen Mittel fehlen läßt, so werden sie doch nicht alle gelehrt, nicht, als wäre der Lehrmeister schuld daran, sondern weil die Schüler ihn nicht hören wollen, seine Ermahnungen auslachen, sich verständiger achten als ihn, andern bösen Buben folgen, durch deren Exempel sich verderben lassen, und also in Unwissenheit und Lastern stecken bleiben: also thut auch Gott das Seine, damit er allen Menschen helfe, und er an Keines Untergang nur die geringste Schuld habe, sondern zu allen Menschen sagen könne, was er zu den Juden gesprochen hat: „Nun richtet ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Juda, zwischen mir und meinem Weinberge, was sollte man doch mehr thun an meinem Weinberge, das ich nicht gethan habe an ihm? Warum hat er denn Heerlinge gebracht, da ich wartete, daß er Trauben brächte.“ Jes. 5, 3. 4.

 549. Daß nun der Mensch zur Bekehrung tüchtig werde, ist nicht nöthig,

|  α) daß er sich vornehme, Gottes Wort zu dem Ende zu hören, daß er dadurch bekehrt werde, weil ihm das Wort noch eine Thorheit ist, und er nicht vernehmen kann, wie ihm die Predigt desselben zu Gott helfen solle, 1 Corinth. 2, 14. „Fleischlich gesinnt sein, ist eine Feindschaft wieder Gott.“ Röm. 8, 7., und wenn der Mensch einen solchen Vorsatz haben könnte, so vermöchte er auch von sich selber, etwas Gutes zu denken, was ihm doch unmöglich ist, 2 Corinth. 3, 5.; er hätte von sich selber das Wollen zum Guten, das doch allein Gott wirket, Phil. 2, 13.

 550. β) Vielweniger ist nöthig, daß ein Mensch zu göttlichen Werken sich bequeme, weil solches aus angezeigten Ursachen allen Menschen unmöglich ist, und also kein einziger bekehrt werden würde. Zu dem geschieht die Bekehrung also, wie ein Fisch mit einem Garne gefangen und aus dem Wasser gezogen wird, dazu er sich selber nicht bequemt, Matth. 11, 20. 13, 47. 48. Auch haben dergleichen nicht gethan der Schächer, der mit dem Herrn Christo gekreuzigt ward, Luc. 23, 42.; nicht der Hauptmann, welcher bei des Herrn Christi Kreuz stand, Matth. 27, 54., nicht der Kerkermeister, der Paulum und Silam verwahren mußte, Apostelgesch. 16, 29 ff. Es ist also dergleichen von den Menschen vor ihrer Bekehrung nicht zu fordern.

 551. Aber dieß Einzige wird von ihm gefordert, daß, wenn er das Wort höret, er der göttlichen Wirkung keine muthwilligen Hindernisse entgegenstelle. Zwar von Natur sind wir alle der göttlichen Wirkung zuwider, denn es ist uns allen das Wort eine Thorheit, 1 Corinth. 2, 14. Aber| diese natürliche Widerspenstigkeit vermag Niemanden zu hindern, weil sonst kein einziger bekehrt würde. Muthwillige Hindernisse aber, die ein jeder selbst der göttlichen Wirkung entgegensetzt, sind theils äußerliche, welche die nothwendige Vorbereitung verhindern, z. B. daß einer in Sicherheit dahin geht, sich um seine Nahrung bekümmert, in Wollüsten lebt, und des göttlichen Worts nicht achtet, welcher zur Bekehrung nicht kommen kann, weil er das göttliche Wort erstickt, daß es nicht Früchte bringt, Luc. 8, 14. 14, 18., wozu auch die große Nachlässigkeit gehört, daß Menschen, da sie des Herrn Wort, aber von Weitem etwas davon hören, dennoch nicht darnach trachten, wie sie es überkommen möchten, ob sie schon zeitliche Güter zu erlangen, keine Mühe, Sorge und Gefahr scheuen; theils innerliche, welche die zur Bekehrung eigentlich und wesentlich gehörigen Werke verhindern, als da sind:

 552. α) Gottlosigkeit (Atheismus), wenn der Gottlose in seinem Herzen sagt, es ist kein Gott, Ps. 14, 1. Denn wer also in dem gottlosen Leben ersoffen ist, daß er auf Gott nicht achtet, der hat sich in des Teufels Stricke ergeben, von dem er sehr hart gebunden ist, daß er schwerlich zur Buße gebracht werden kann; 2 Timoth. 2, 26.

 553. β) eine alte eingewurzelte Meinung, von der man sich nicht abtreiben lassen will, wie z. B. die Juden ihre Gedanken auf einen Messias gesetzt hatten, der ein weltlicher Potentat sein solle, und weil sie sich davon nicht abtreiben ließen, so konnten sie auch zu dem Jesu von Nazareth, dessen Reich nicht von dieser Welt ist, keineswegs gebracht werden.

|  554. γ) Das äußerliche Ansehen vornehmer und hoher Leute, nach denen man sich richtet. Hiermit hielten die Pharisäer ihre Diener zurück, daß sie dem Herr Jesu nicht anhängig wurden, Joh. 7, 47 ff. „Da antworteten ihnen die Pharisäer, seid ihr auch verführt? Glaubt auch irgend ein Oberster oder 'Pharisäer an ihn? sondern das Volk, das nichts vom Gesetz weiß.“ Und dieß verhindert viele im Papstthum, daß, ob sie schon das Licht der Wahrheit sehen, gleichwohl sich nicht dazu bekennen, weil der Papst, die Cardinäle, Bischöfe, auch Könige und große Potentaten, die alle zusammen stehen, und vor der Welt in großem Ansehen sind, da hingegen bei der lutherischen Kirche dergleichen Hohheit und Ansehen sich nicht findet.

 555. δ) Die allzugroße Liebe der zeitlichen Nahrung, Wollust und hohes Ansehen in der Welt. Sie verhinderte den reichen Mann, daß er nicht bekehrt wurde, Luc. 16, 19.; sie hinderte den reichen Jüngling, welchen der Herr Jesus Alles verkaufen und den Armen geben hieß, denn er gieng betrübt davon, weil er viele Güter hatte, Matth. 19, 21. 22. Dieß verursachte, daß Demas Christum verließ, weil er die Welt lieb gewonnen hatte, 2 Timoth. 4, 10. Und wie viel sind heutiges Tages im Papstthume, welche ihre Hohheit und ihr Ansehen, ihre fetten Präbenden und Küchen von der evangelischen Lehre abhalten, daß sie sich von der erkannten Täuschung nicht abwenden.

 556. ε) Die Klügelei unsrer eigenen Vernunft. Wollen wir Christo folgen, so müssen wir die Vernunft unter dem Gehorsam Christi gefangen nehmen,| 2 Corinth. 10, 5. Wer sich aber klügeln lässet, der kann nicht bekehrt werden, bis er davon abstehe; wie Thomas die Predigt von der Auferstehung Christi von sich stieß und so lange im Unglauben blieb, bis die Vernunft in Christi Gehorsam gefangen gelegt wurde, Joh. 20, 25. 27. 28.

 557. ζ) Das Ausschlagen der göttlichen Wirkung; wenn der heil. Geist anfängt, im Menschen zu wirken, daß er ihm das Herz gerührt hat, und der Mensch entschlägt sich der guten Gedanken, will davon weiter nichts hören noch wissen, stößt also die Wahrheit von sich, die er zu erkennen angefangen hat, so folgt die Bekehrung nicht. Ein solches Exempel ist der König Agrippa, als er dem Paulus gehört hatte, bekannte er ihm: es kostet nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ würde; als aber Paulus weiter an ihn setzte, ob er möchte bekehrt werden, stand Agrippa auf, gieng davon und dämpfte also das Fünklein, welches der heil. Geist in seinem Herzen angezündet hatte, Apostelgesch. 26,28 ff.

 558. η) Die muthwillige Verläugnung und Verfolgung der erkannten Wahrheit. Wenn es mit dem Menschen so weit gekommen ist, daß er in seinem Herzen überzeugt ist, das, was er gehört habe, sei die himmlische, ewige Wahrheit, will sich aber gleichwohl nicht gern zu ihr bekennen, widerspricht also und verfolgt die Lehre, welche er als göttlich erkannt hatte, an einem solchen ist fast alle Hoffnung der Bekehrung verloren. Solche Leute waren die Pharisäer, welche sahen und bekannten, der Herr Jesus wäre ein Lehrer von Gott gekommen, er lehre den Weg Gottes recht, Niemand könnte die Zeichen| thun, die er that, es wäre denn Gott mit ihm, Joh. 3, 2. Matth. 22, 16. Gleichwohl verfolgten sie ihn, sein Wort und seine Werke, hörten auch nicht auf, bis sie ihn an das Kreuz gebracht hatten. Damit verstockten sie ihre Herzen und lästerten den heil. Geist, welches der Herr Christus ihnen vorhält, Matth. 12, 31. 32., und Stephanus führte ihnen zu Gemüthe Apostelgesch. 7, 51. „Ihr Halsstarrigen und Unbeschnittenen an Herzen und Ohren, ihr widerstrebet allezeit dem h. Geist, wie eure Väter, also auch ihr.“

 Was nun bisher angeführt worden ist, lehrt, daß es ein Mensch geschehen lassen müsse (sich passiv halte), daß ihn Gottes Geist lehre und unterrichte, wenn er überzeugt wird, und daß er durch nichts in der ganzen Welt sich davon abhalten lasse, sondern dem h. Geiste folge, wohin er ihn zieht, dann ist er zur Bekehrung geschickt.

 559. Das bisher Gemeldete wird nun auch die Frage zur Genüge beantworten: wie es komme, daß nur wenige bekehrt werden? Ob nämlich gleich der Mensch nichts thun kann, was ihn zur Bekehrung fördert, so kann er doch viel thun, das ihn daran hindert. Keineswegs vermag er zu bewirken, daß er bekehrt werde, aber gar wohl kann er hindern, daß er nicht bekehrt werde. Wie ein Kranker sich selbst nicht zur Gesundheit verhelfen, aber leicht verhindern kann, daß er nicht zur Gesundheit komme, wenn er nämlich den Arzt von sich stößt, seinem Rath nicht folgt, die Arznei wegwirft, hingegen das thut, was die Krankheit stärkt. Und wie einer, der in eine tiefe Grube gefallen ist, sich, wenn ihm ein Seil hinunter gelassen wird, daran man ihn wieder herauf ziehen will, weigert,| dieß Mittel zu gebrauchen, und das Seil von sich stößt; ein solcher kann wohl verhindern, daß er aus der Grube kommen, sich selbst aber kann er nicht heraushelfen. Wie nun bei einen Kranken zur Genesung genug ist, daß er sich der Verwendung des Arztes unterwerfe und ihr nicht widerstehe, und wie es einen in eine Grube Gefallenen zum Herauskommen genug ist, daß er sich heraufziehen lasse, da von beiden keiner etwas zur Sache thun kann, und sich allein leidend (passive) verhält, gleich also ist’s einem Menschen zur Bekehrung genug, daß er dem h. Geist nicht widerstrebe, sondern ihn in sich wirken lasse, ob schon er zu seiner Bekehrung nicht das Geringste thun kann.

 560. c) Die Früchte der Bekehrung. Solche sind theils eben diejenigen, die aus der Buße und Rechtfertigung folgen, als: Gottes Gnade und Barmherzigkeit, Friede des Gewissens, Besserung des Lebens, neuer Gehorsam und gute Werke; denn ein Bekehrter liebt Gott, darum liebt er auch dem Nächsten und begehrt, Gott den schuldigen Gehorsam und jeden möglichen Dienst zu erweisen, dem Nächsten aber Alles das, was er wünscht, daß ihm selbst geschehen möchte, Matth. 7, 12.

 561. Theils ist der Bekehrung Frucht die Freiheit des Willens, daß, wie der Mensch vor seiner Bekehrung nicht frei war, das Gute zu thun, nach der Bekehrung durch den h. Geist das Gute zu verrichten vermag. Röm. 6, 12. 13. „Lasset die Sünde nicht herrschen in eurem sterblichen Leibe, ihr Gehorsam zu leisten in ihren Lüsten, sondern begebet euch selbst Gott, als die aus den Todten lebendig sind, und eure Glieder| Gott zu Waffen der Gerechtigkeit.“ Ephes. 2, 10. „Wir sind Gottes Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken,“ Röm. 8, 13. 14. „Wo ihr durch den Glauben des Fleisches Geschäfte tödtet, so werdet ihr leben, denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.“

 562. Weil aber in dieser Zeit Alles unvollkommen ist, so ist diese Freiheit des bekehrten Menschen auch unvollkommen, und nicht ohne Streit, dadurch manches Gute verhindert, und das Böse befördert wird, worüber auch der Apostel heftig klagt, Röm. 7, 14 ff. Gal. 5, 17.





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