Gotthold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel

Textdaten
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Autor: Ferdinand Sonnenburg
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Titel: Gotthold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 115–116
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Gotthold Ephraim Lessing in Wolfenbüttel.

Archivarische Enthüllungen.
(Zur Erinnerung an den 15. Februar 1781.)


Auf der Ostseite der Stadt Braunschweig erstreckt sich in mäßiger Entfernung von den ehemaligen Stadtwällen ein weiter, grüner Anger; er ist abgelegen von dem lauten Leben des Tages; die Jugend der höheren Schulen hat ihn zu ihren Spielen ausersehen. Kein Ort aber in der altersgrauen Stadt und ihrer Umgebung kommt an Bedeutung diesem stillen Platze gleich: an seiner einen Seite erhebt sich inmitten schattiger Bäume das Denkmal der tapfern Schill’schen Officiere, welche im Jahre 1809 an dieser Stelle von französischen Kugeln hingestreckt wurden und hier ihre gemeinsame letzte Ruhe gefunden haben, diesem Kriegerdenkmale gegenüber aber, an der anderen Seite des Angers, zieht sich der Friedhof der Gemeinde zu St. Magni hin, und in seinen Gräberreihen ist ein kleiner Fleck Erde, bei welchem am 15. Februar 1881 die Gedanken der Gebildeten aller Völker verweilen werden: es ist das Grab Lessing’s, und an jenem Tage sind es hundert Jahre, seit man den großen Mann, der als einer der ersten in der Reihe der weltumgestaltenden Geister stand, in diese abgelegene Gruft bettete. Kein Denkmal, nicht einmal ein Grabstein, bezeichnete damals diese heilige Stätte, und nur dem Umstände, daß eines Freundes Hand eine Pappel und eine Akazie neben den Grabhügel pflanzte, war es zu danken, daß man später mit Sicherheit diese Stelle als das Grab Lessing’s bezeichnen konnte. Jetzt ist sie bekanntlich in würdiger Weise durch ein schönes Denkmal geschmückt, welches die Mitglieder des herzoglich braunschweigischen Hoftheaters hier errichten ließen; über die näheren Umstände aber von Lessing’s Tod und Bestattung, sowie von seinen gesammten Verhältnissen in Wolfenbüttel und am Hofe des Herzogs von Braunschweig sind so manche ungenaue, ja trotz aller fleißigen Forschungen geradezu unrichtige Nachrichten immer noch so verbreitet, daß eine Berichtigung dieser selbst bei Adolf Stahr, und bei Danzel-Guhrauer falschen Angaben wünschenswerth erscheint. Die Nachweise, welche hier gegeben werden sollen, sind meist den noch erhaltenen Originalacten der herzoglichen Kammer zu Braunschweig entnommen und werden an dieser Stelle zum ersten Mal veröffentlicht; was des Zusammenhanges Wegen aus schon veröffentlichten Berichten entlehnt wurde, wird dem kundigen Auge leicht erkenntlich sein.

Als die neubegründete Hamburger Nationalbühne, bei welcher Lessing bekanntlich als Dramaturg engagirt war, durch die Gleichgültigkeit der Hamburger im November 1768 zu Grabe getragen worden war, hatte Lessing seine Hoffnung auf eine sorgenfreie Existenz, auf die Druckerei gesetzt, welche er gemeinschaftlich mit seinem Freunde Bode angelegt hatte. Doch auch dieses Unternehmen mißglückte, und der vielbedrängte Mann war jetzt fest entschlossen, Deutschland zu verlassen und in Rom ein Unterkommen zu suchen. Selbst einen Ruf nach Wien als Dramaturg und Theaterdichter, der im April 1769 an ihn erging, wies er zurück. Sein Wille stand fest: er wollte seinem Vaterlande den Rücken kehren. Daß er diesen Vorsatz nicht ausführte, war dem Anerbieten zu danken, das von Braunschweig aus an ihn erging, die Stelle des Bibliothekars an der berühmten Wolfenbüttler Bibliothek zu übernehmen. Lessing fand diese Stelle seinen Wünschen ganz entsprechend, und im April 1770 siedelte er von Hamburg nach Braunschweig, am 7. Mai nach Wolfenbüttel über.

Es ist nun eine landläufige, von fast allen Biographen des großen Mannes vertretene Ansicht, daß Lessing’s Einkommen in Wolfenbüttel so gering gewesen sei, daß es ihn kaum habe vor Mangel schützen können. Man hat dabei aber, abgesehen davon, daß die angegebenen Zahlen zum Theil unrichtig sind, stets den Maßstab der heutigen Zeit angelegt und ist so zu durchaus schiefen Urtheilen gelangt. Lessing wurde mit einem Anfangsgehalte von 600 Thaler und freier Wohnung im Schlosse zu Wolfenbüttel angestellt; dieses Gehalt steigerte sich allmählich auf die Summe nicht von 800, wie irrthümlich angegeben worden, sondern von 957 Thaler und freier Familienwohnung. Was diese Summe aber in jener Zeit zu bedeuten hatte, das ergiebt sich, wenn man andere Besoldungen daneben hält. Ich setze aus der herzoglichen Kammerrechnung nur einige Gehaltssätze hierher. Es bezogen: „Cammerherr Graf Marschall 500 Thaler, Forstmeister von Löhneisen 600 Thaler, Canzley-Director von Hoym 700 Thaler, Vice-Oberstallmeister von Bothmer 750 Thaler.“ Neben diesen Summen erscheint Lessing’s Einkommen als ein recht ansehnliches.

Einen Fingerzeig für die Anwendung der oben genannten Zahlen auf heutige Verhältnisse giebt eine Angabe im Gehalt Lessing’s selber; als ein Theil desselben erscheinen „16 Klafter 6füßig büchen Brennholz à 3 Thaler.“ Dieses Holz hat nach den heutigen Forsttaxpreisen einen Werth von etwa 34 Mark pro Klafter. Legen nur diesen Maßstab auch im übrigen an, so erscheint in heutigem Gelde das Einkommen Lessing’s mindestens in einer Höhe von 3000 Thaler, die geräumige Wohnung nicht eingerechnet. Aus den Tagebüchern von Leisewitz, der mit Lessing sowie mit den oben genannten Personen verkehrte, und aus andern zeitgenössischen Aufzeichnungen geht hervor, daß die angegebenen Gehälter sehr wohl ausreichten, auch eine ziemlich ausgedehnte Gastfreundschaft zu pflegen, und von diesen Gehältern erreicht doch keins das Einkommen Lessing’s.

Wie richtig aber der Herzog Karl und dessen Nachfolger Karl Wilhelm Ferdinand den Werth des Mannes, der ihren Hof schmückte, zu schätzen wußten, wie sehr sie von der Erkenntniß der Pflicht durchdrungen waren, weltliche Macht habe geistiger Größe einen beide Theile ehrenden Tribut zu entrichten, davon legen abermals die Kammerrechnungen Zeugniß ab. Wiederholt erhielt Lessing bedeutende Vorschüsse, selbst bis zur Höhe von 1000 Thaler. Der letzte Posten, den die Rechnungen nennen, ist eingetragen am 9. Januar 1781: „Dem Hoff-Raht Lessing zum Vorschuß [116] 600 Thaler. Nach Seren. gndst. Rescripto vom 29. Dec, 1780 die wieder Bezahlung gesichert 1/4 Jährig mit 50 Thaler.“ Von diesen vierteljährigen Ratenzahlungen ist aber nur die erste, „den 1. Maji. 1781“ wirklich geleistet worden, als den Erben Lessing’s der Gehaltsbetrag für das sogenannte Gnadenquartal ausgezahlt wurde.

So oft Lessing von Wolfenbüttel nach Braunschweig kam und bei Hofe erschien, wurde er, wie es seiner Stellung zukam, mit Auszeichnung aufgenommen, und alle Mitglieder des herzoglichen Hauses zeigten, daß sie die hohe Bedeutung ihres Gastes zu würdigen wußten; an Einladungen zur Tafel fehlte es niemals, selbst zu der Zeit nicht, wo bereits die Wolfenbüttler Fragmente[1] in den Kreisen des Hofes und der obersten Behörden so viel böses Blut gemacht hatten.

Noch am 12. Februar 1781 speiste Lessing an der Tafel des regierenden Herzogs, und den Abend des 13. Februars brachte er bei der verwittweten Herzogin zu, und schon zwei Tage darauf erlag er hier in Braunschweig einem plötzlichen Anfalle eines Brustleidens, an dem er schon seit einiger Zeit gelitten hatte. In dieser seiner letzten Krankheit waren die Erkundigungen nach seinem Befinden von Seiten des Hofes unablässig, besondere Theilnahme aber zeigte Herzog Ferdinand, der berühmte Feldherr des siebenjährigen Krieges.

In fürstlicher Weise wurde Lessing auch noch im Tode geehrt. Karl Wilhelm Ferdinand gab sofort Befehl, die Hofstaatscasse solle die Kosten der Beerdigung trugen. Diese Kosten aber sind in den Kammerrechnungen mit 154 Thalern 30 Mariengroschen = 466,50 Mark angegeben, eine Summe, die damals ein sogenanntes „Begräbniß erster Classe“ erforderte, wie es ja einem Manne von Lessing’s Bedeutung ohne Zweifel zukam. Der Tag der Bestattung war der 20. Februar. Im Sterbehause wurde der eichene Sarg, von Wachskerzen umgeben, feierlich aufgestellt, und unter dem Geläute sämmtlicher Glocken von St. Magni setzte der Zug sich in Bewegung. Vorauf schritt der Cantor der Magni-Schule mit sämmtlichen Schülern; den Leichenwagen zogen vier Pferde, von vier Dienern geführt, und der Sarg war während der Fahrt mit schwarzem Tuch behangen. Im Trauergefolge befanden sich der Vertreter des Hofes und viele der angesehensten Personen der Stadt. Ein eigenes Grab – wie es sich geziemte – nahm die Leiche auf. Diese ehrenvolle Bestattung Lessing’s fordert in unabweisbarer Gedankenverbindung zu einem Vergleiche mit der unwürdigen Beisetzung Schiller’s auf, den man mit vielen Anderen in eine gemeinsame Todtengruft einsenkte, und zwar ohne Sang und Klang.

Wie ist nun aber die Bedrängniß zu erklären, in welcher Lessing sich nach seinem eigenen Zeugnisse in Wolfenbüttel so oft befand? Sie hatte drei triftige Gründe. Lessing war mit einer – bedeutenden Schuldenlast von Hamburg herübergekommen; er mußte diese von Wolfenbüttel aus tilgen, und er hat sie getilgt. Der zweite Grund war der Umstand, daß er von seiner Familie, besonders von seiner ältesten Schwester, deren Charakter nicht im hellsten Lichte erscheint, stark in Anspruch genommen wurde. Endlich kommt noch hinzu, daß Lessing selber nicht das kleinste wirthschaftliche Talent besaß. Bettlern gab er zuweilen einen Louisd’or, und Fremde, die sein Interesse zu erregen wußten, behielt er monatelang in seinem Hause und versah sie sogar mit Taschengeld; in seinem Nachlasse fanden sich mehr als ein Dutzend vollständige, zum Theil sehr kostbare Anzüge, 41 feine Oberhemden, 69 Paar Strümpfe, darunter 28 Paar seidene, und die übrigen Sachen in gleichem Verhältniß.

Bei diesen wenigen Angaben, denen sich ähnliche leicht hinzufügen ließen, lasse ich es bewenden. Sie ergeben zur Genüge, daß Lessing in Wolfenbüttel nicht hat zu darben brauchen.

Schlimmer aber drückte ihn ein anderes Uebel. Wolfenbüttel war gesellschaftlich ein für Lessing vollkommen todter Ort. Eine verhältnißmäßig große Anzahl von höchst ehrenwerthen Beamten, deren geistiger Horizont von den Anforderungen ihres Berufes eng umschlossen war, konnte einem Lessing nicht den Verkehr bieten, der ihm Zeit seines Lebens unabweisliches Bedürfniß war. Sein fleißiger Nachfolger, Langer, klagt in einem Briefe an Eschenburg: „Schon im zweiten Jahre seines hiesigen Aufenthaltes war der arme Lessing desselben so überdrüssig. Geschah dies am grünen Holz, was soll am dürren werden?“

An einer andern Stelle. „Vielleicht steckt der Knoten darin, daß der ehrliche Mann (Lessing) die Menschen weder zu brauchen, noch zu entbehren verstand. Das Erstere habe ich vierzig Jahre hindurch leider! wohl lernen müssen, und daß das Letztere für mich Nothwendigkeit sein würde, habe ich sogleich bei meinem Eintritt in Wolfenbüttel bis auf’s Mark gefühlt.“

Was Lessing selber von Wolfenbüttel erwartete, das zeigen die Worte, welche er am Tage seiner Einführung (7. Mai 1770) an Ebert in Braunschweig schrieb. „Ich bin Ihnen unter den Händen weggekommen. Aber es verlohnt auch wohl der Mühe, daß man Abschied nimmt, wenn man stirbt – oder von Braunschweig nach Wolfenbüttel reist!“ – Sich selber erschien Lessing in dem öden Städtchen wie ein lebendig Begrabener, und als später der endlose Verdruß hinzukam, den ihm die Herausgabe der Reimarus’schen Fragmente bereitete, als der bittere Schmerz um den Tod seiner so innig geliebten Gattin ihn traf, da erzeugte sich in ihm jener herbe Lebensüberdruß, der ihm in einem Briefe an Elise Reimarus in Hamburg die leidesschweren Worte erpreßte. „Ich bin zu stolz, mich unglücklich zu denken, knirsche eins mit den Zähnen und lasse den Kahn gehen, wie Wind und Wellen wollen. Genug, daß ich ihn nicht selbst umstürzen will!“ –

Lessing war – um ein Wort Gleim’s zu gebrauchen – wie Friedrich der König, ein Einziger. Heute sind die Früchte seines großen Geistes längst Gemeingut der Welt geworden. Könnte er jetzt, nach einem Jahrhundert, die Stätte seines letzten Wirkens wieder sehen, so würde ein anderes Bild sich ihm zeigen, als in jenen dunklen Tagen. Außer dem herrlichen Denkmale von Rietschel’s Meisterhand, das ihm das deutsche Volk auf dem Lessing-Platze errichtete, würde er ein anderes, mit nicht geringerer Liebe und Verehrung gepflegtes Denkmal in den Herzen Derer finden welche heute die Stätte bewohnen, die ihm damals ein Ort der Anfeindung und des Leides wurde.

Ferdinand Sonnenburg.



  1. Die Entstehung dieser Fragmente ist bekannt. Die geistvolle Freundin Lessing’s, Elise Reimarus, übergab ihm bei der Abreise von Hamburg nach Wolfenbüttel das Bruchstück eines Werkes, das ihr Vater, der Professor Samuel Reimarus, unter dem Titel „Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“ niedergeschrieben hatte. Lessing gab im Jahre 1774 als einen Theil seiner bibliothekarischen Beiträge dieses Manuscript, betitelt. „Von Duldung der Deisten. Fragment eines Ungenannten“, heraus. In diesem Werke wurden freisinnige religiöse Anschauungen verfochten.
    D. Red.