Gott Wezels Zuchtruthe des Menschengeschlechts (Erstes Bändchen)

Textdaten
Autor: Johann Karl Wezel (umstritten)
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Titel: Gott Wezels Zuchtruthe des Menschengeschlechts. Werke des Wahnsinns von Wezel dem Gott-Menschen (Erstes Bändchen)
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Erscheinungsdatum: 1804
Verlag: Hennings
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Erscheinungsort: Erfurt
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Quelle: MDZ München = Commons
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[Ξ]
Gott Wezels
Zuchtruthe
des
Menschengeschlechts.



Erstes Bändchen.

Erfurt,
in der Henningsschen Buchhandlung.
1804.

[Ξ]
Werke des Wahnsinns
von
Wezel
dem
Gott-Menschen.



Erstes Bändchen.

Erfurt,
in der Henningsschen Buchhandlung.
1804.

[Ξ]

[Ξ]
Vorrede.

Was ich hier meinen Lesern vom armen Wezel liefere, ist fast ganz aus seiner Feder geflossen. Ich kannte diesen Schriftsteller schon vor zwanzig Jahren, da er eben im schönsten Flor stand, da alles ihn begünstigte und sein Meteor einen heitern Tag verkündete. Nun lebet er abgezogen von der Walt, einsam in Sondershausen, geht zuweilen [Ξ] des Morgens in den Wald, hält sich einige Stunden darin auf und wenn er lange genug darin zugebracht, eilt er nach Hause.

Wirklich ist das Leben dieses Mannes, der so hohe Aussichten hoffen ließ, ein sonderbares Ereigniß, sowohl für den Denker, als den Menschen. Doch! abgesehen davon, erzähle ich nur, wie ich zu dem Werke kam, das ich hier dem Publiko vorlege. Ich reisete durch Sondershausen und hörte, daß Wezel mehrere Jahre hier sey und sich verschlossen aufhalte. Dieses Gerücht machte mich neugierig. Ich gieng zu seiner Aufwärterin und bat, mich vor ihn zu bringen. Wezel war damals ganz ordentlich. Man behauptete überall, er werde nach und nach wieder zu sich selbst kommen.

Gegen Mittag ließ er mich in seine Stube. Ich sprach mit ihm über die Litteratur, fragte ihn, ob [Ξ] er nichts von Schiller, von Kotzebue gelesen habe und da er es verneinte und mir zu verstehen gab, daß diese Männer sehr geringfügig seyn müßten, indem er sonst gewiß von ihnen Nachricht hätte, brach ich ab und leitete das Gespräch auf den Knaut.

Er hielt dieses Produkt, für das gelungenste in seiner Art und gab vor, es sey bis jetzt noch nicht übertroffen. Weil ich von manchen, die ihn vorher gekannt, erfahren, daß er sich nicht gern widersprechen lasse, bestärkte ich ihn in diesem seinen Vorsatze und brachte ihn dergestalt in gute Laune, wie er vielleicht lange nicht war; er überreichte mir das Manuscript, welches ich hier gedruckt vorlege und ersuchte mich solches zu lesen.

Ich thats, ich zeichnete mir den ganzen Plan ab, schrieb, was ich in zwey Tagen abschreiben konnte, aus selbem heraus und brachte ohngefähr [Ξ] sechzehn Druckbogen zusammen, die ich in die Schale der Liebe webte. Würden meine Leser das Wezelische Manuscript neben dem meinigen besitzen, so könnten sie leicht einsehen, daß ich sowohl die Geschichte, wie die Einkleidung und Anordnung dieses Schriftstellers plan befolgt und ein Ganzes gewebt habe, das mit den Ideen dieses Denkers völlig übereinstimmt.

Ohnehin gestand Wezel, daß er sein Weyk nie in Druck senden wolle. Er habe es, erklärte er, blos für sich und seine Ausbildung gearbeitet und sey nie entschlossen gewesen, seine undankbare Nation damit zu beehren. Aus dieser freymüthigen und natürlichen Antwort, schloß ich, er sey nicht überspannt und toll. Ueberhaupt ließ er sich gegen mich so liebenswürdig heraus, wie er immer konnte. Nur, wenn ich ihn von seinen Ideen abbrachte, stellte sich bey ihm ein gewisser Paroxism ein, er wurde wüthend, er gerieth [Ξ] in Hitze und kam ganz aus dem Kontexte. Alles dieses rührt jedoch von nichts; denn seinem Stolze her, den niemand ordentlich zu leiten und anzugreifen wußte.

Auch das ganze Manuscript, das ich hier vorlege, spricht dafür. Manchmal redet er darin sehr verständig, aber kömmt er zufällig in die alte Zeit, denkt er an seine Schicksale und wie geringfügig man ihn behandelt, so sprüht er Feuer und Flamme.

Ich besitze noch zwey Manuscripte, die er mir geschenkt, weil ich, seiner Einsicht zufolge, lediglich der Mann sey, welcher ihn verstehe und dem er gern alles sagen wolle, wenn ich bey ihm bliebe. Diese schmeichelhafte Meinung redet ganz für meinen Schriftsteller. Wer wollte nicht hieraus sein gutes, frohes Gemüth erkennen?

[Ξ] Macht die Schale der Liebe ihr Glück; so bin ich Willens auch die übrigen Werke herauszugeben. Nur verzeihe man mir, daß ich wegen Eilfertigkeit des Drucks, die Akten von dem braven Wezel nicht bündig genug ordnen konnte. Sie mußten hin und wieder von einander getrennt werden, um die Lücken mit eignen Ideen auszufüllen. Dadurch entsteht nun manchmal ein etwas undeutlicher Blick. Indeß stützt sich das Ganze, wie auch Wezel behauptet, auf lauter Gewißheit, es ist herausgezogen aus dem Archive des menschlichen Herzens und läßt vermuthen mit welchem Geiste es dargestellt sey, indem die Akten allenthalben Leitfaden sind.

Soviel zu meiner Vertheidigung. Nun zur Geschichte. In ihr wird ein Bauersbursch dargestellt, der sich bis zu der Höhe eines Fürstenlieblings hebt. Als ich den Verfasser fragte, warum er diesen Gegenstand gewählt, erklärte er sich so:

[Ξ]

„Ich besaß einen Jugendfreund, der unter den Bauersbuben agirt und durch Zufall gerade in einer Lehmhütte gebohren ward, welches, wie er vorgab, allem Anscheine nach nicht sein Wohnhaus, sondern blos seine ihn vom Unglücke zugetheilte Behausung sey. Alle nahmen an, er habe diesen und jenen zum Vater und wäre dadurch mit den Gaben beschenkt worden, die ihm jetzt mehr oder weniger anklebten.“

Wezel, der außer seinem Blicke ins menschliche Gemüth, zugleich die Gabe besaß, nichts vorzutragen, was nicht unmittelbar jemanden angehörte, wußte wohl besser als irgend ein anderer wissen, wie er über seinen Jugendfreund, zu raisonniren habe.

Möge dieses sein Produkt, das ich nun, mit einem neuen Kleide in die Welt schicke, eben so viel Aufsehen [Ξ] machen, wie die Seinigen und ich werde mich aufgemuntert fühlen, auch die anderen darzulegen. Ueberhaupt gehört es ihm an und verdient um deswillen den Dank seiner Freunde. –




[1]
Erstes Buch.


[2] [3] Klaus wurde Anno 1753 in einer kalten Jannuar-Nacht auf diese Welt gesetzt. Sein Vater war, wie wir wissen, abwesend. Er besuchte einen Markt, welcher, in der Nähe gehalten wurde und wo er sich ein neues Nachtrohr kaufte, indem ihm sein altes zu Schande gegangen. Er hörte zu seiner Verwunderung von Kasparn, dem wohledlen Nachbar, daß ihm ein Söhnlein [4] geworden, er freute sich nicht und weinte auch nicht; denn seine Gedanken schwebten zwischen Andacht und Liebe. Doch er ermannte sich, dachte, was geschehen, kann man nicht ändern und kam so wohl behalten zur baufälligen Hütte. Seine Ehehälfte lag noch in den ersten Wehen. Mit Betrübniß und dem Gefühle, daß sie anjetzt sehr leide, sah er sie an und wäre in Thränen ausgebrochen, wenn nicht die Amme, welche zugegen war, es gehindert hätte. Sie bat den Vater unseres Klaus, ja ruhig zu seyn, indem er sehe, wie sehr seine Dorthe leide. Der Nachtwächter nahm seinen Verstand [5] zusammen, band ihn in einen Knoten, steckte denselben hinter den Spiegel und gieng ins Dorf, um die Uhr abzurufen. Es war eine stille Nacht, allenthalben blinkten ihm jubelnde Sternchen entgegen und er wäre bald glaubend geworden, ihm sey der Messias gebohren, sofern nicht lärmende Knechte seine fantastischen Träume unterbrochen. Diese muntern Gesellen erhoben schon frisch die Flegel und schlugen die Aehren aus, welche sie im Herbst in die Tenne gefahren. Der ehrliche Vater gieng, um ihnen seine Freude zu berichten, er stieß erst lebhaft in das Horn, schrie: es hat [6] eins geschlagen, sang sein Gesangbuchslied und trat zur Scheuer. Die Trescher erzählten sich eine Geistergeschichte und suchten das Ding so glaublich zu machen, daß Meister Klaus, ohnerachtet er keine Furcht hatte, doch mit Grauen an den Weg gedachte, den er noch rückzulegen habe. Er mußte um den alten Thurm, um das verfallene Schloß, um die Kirche wandern und hatte schon mehrmals vernommen, daß es hier nicht geheuer sey.

Tobias der gelehrte Schneider rief einmal über das andere, er habe schon viele Geister gesehen, die als er von [7] B. gekommen, um halb zwölf den alten Thurm umgangen, dann zur Mauer geritten und endlich verschwunden seyen. Der schadenfrohe Schneider sagte das aus blosem Jux und wohlwissend, daß er den dröhnenden Wächter ins Bockshorn jage, beglaubte er seine Ausrede auf jede Art.

Die Trescher kamen nun auf das neugebohrne Kind und wünschten dem alten Nachtwächter Glück, daß er einen so rechten Vater zu seinem Klauschen bekomme. Er, der gute Ehemann, wollte anfänglich läugnen, daß seine Gehülfin keineswegs Umgang mit [8] dem jungen Offiziere gehabt; zu aber da der gelehrte Trescher durch Wort und Werk bezeigte, Lisabeth sey nicht die keuscheste Dame, hohlte Klaus einen tiefen Seufzer und schwieg.

Er gieng von dannen und kam an den alten Graben, von woher ihm ein lästerliches Geschrey entgegen hallte. Er nahte schüchtern und konnte nichts erkennen, doch als er sein Augenlicht etwas besser putzte, bemerkte er ein Zappeln, ein Zucken, das ihm Bangen machte. Er setzte sich in Positur um das Gespenst anzureden, legte zweymal das Horn an’s Maul, rückte [9] die rothe Pudelmütze zurecht und als ihm seine Rede noch immer nicht rutschen wollte, blieb er eingewurzelt stehen. Die Uhre zirpte fort, die Heimichen sangen an einem hin, die Nachteulen ächzten, die Fledermäuse schwirrten; allein sein inneres Ich gerieth immermehr ins Stocken. Endlich wollte es gar nicht fort. Soll ich alter Knabe etwa noch furchtsam werden, redete er seiner Seele zu und mit einemmal wachte sein Muth auf, seine Furchtsamkeit wandelte sich in den Grimm des Löwen, seine Stimme drang ellenlang aus der Kehle und er schrie, wer da. Die Stille wurde stiller, [10] die Nacht dunkler, sein Zunder brannte aus, seine Größe sank nieder, seine Kohlen verglimmten und er wußte sich kaum zu helfen.

Endlich kam Michael ein treuer Freund und Rathgeber. Er hatte eine Laterne, einen Stachelstock, hob manchmal sein hachardisches Pfeifchen, worin er edlen Kneller gestopft, höchstens in die Höhe und rief dem gutgebauten Schaarwächter ein groß Dank, einen guten Morgen, entgegen.

Klaus blieb lange stumm, sein Rohr lag zur Seite und sein Glaube war [11] ihm in die Tasche gekrochen. Doch Schweben giebt Kraft, Weben Bewegung. Er reichte dem Michael die Hand, rief, bist du’s alter Schulkammerad und bewillkommte ihn so herzlich, daß der Nachbar, vergessend seinen Streit, ihm entgegen lachte.

Meine Leser müssen wissen, daß Michael und Klaus seit Jahr und Tag einen Prozeß hatten. Der Nachtwächter besaß ein gelbes Huhn, Michael hatte lange ein Auge darauf und wollte es seinem Nachbar abhandeln, indeß war der Nachtwächter nicht zu bewegen. Sein Freund ein Trotzkopf und [12] belesener Mann hatte aus den Pandekten so viel vernommen, daß man sich einer Sache, wenn sie nicht freywillig zu unserm Eigenthume wird, auch mit Gewalt bemeistern dürfe.

Michael wollte nun das Huhn. Was geschah: Er stahl es und steckte es so lange ein, bis Klaus vergessen, wohin es gekommen. Nach einem halben Jahre erschien das Hühnchen vor der Thür des Nachbars. Der Nachtwächter sah es und wollte dasselbe wieder nehmen. Indeß die Frau seines Kammeraden gerieth mit ihm in Wortwechsel und weil sie den wohllöblichen [13] Nachtbläser mit Blasphemien überhäufte, in Kampf. Der Herr Klaus hatte die Oberhand und warf Frau Michlin, wohlversohlt, in ihre kleine Hütte. Jetzt gieng der Spektakel los. Der Nachbar kam vom Acker, hörte die Dispüten, mischte sich selbst ein und brachte es soweit, daß auch Klausin aus der Zelle sprang, den Werkrocken schwang und unsern Hintersiedler so derb an’s Ohr traf, daß diesem Hören und Sehen vergieng.

Er lag und streckte die Beine. Seine Ehehälfte fiel jammernd über ihn her, hohlte Spiritus, riebs Herrn [14] Michael in die Nase und führte seinen gesunkenen Geist nach und nach wieder in den hochliegenden Kopf zurück. Unterdeß war Frau Klausin nach dem Hühnerhäuschen gesprungen, hatte ihr Hühnchen nach den Pandekten acquirirt und solches in Sicherheit gebracht.

Die Versammlung der Bauern, welche herbey gekommen, foderte, daß sich Klaus und Michael wieder aussöhnen sollte. Sie führten so wackere Exempel von gleichen Streitigkeiten an, thaten die Sache so klar dar, als wäre sie gar nichts. Endlich hatten sich die Lebensgeister des Hühnerdiebs zusammen [15] gefunden. Er fühlte sich neu belebt und wollte eben den Angriff fortsetzen, als er zur Freude seiner Seele die beyden Frauen erblickte.

Sie hatten sich lange mit Mistgabeln herausgefodert, aber immer gezögert, wie sie den Streit ausführen wollten. Nach und nach, als ihr Blut etwas kälter geworden, legten sie die Mordgewehre zur Seite und foderten sich, wie zwey homerische Helden, heraus. Hierauf ballten sie ihre Fäuste und schlugen sich so meschant ins Gesicht, daß den Zuschauern Blutschweis entrann. Doch wollte es niemand wagen [16] die Erhitzten in ihren Kämpfen zu stören. Man besorgte, sie würden den Zwist auf den Gegner lenken und so diesen in die größte Noth setzen.

Die göttlichen Schönen, in deren Busen so oft keusche Liebe gewohnt, die mit einem reinen, entflammten, dichterischen Enthusiasmus ihre Bestimmung suchten und in Melken und Misten die Tage hinbrachten, diese Schönen, sage ich, entrüsteten sich jetzt so, daß ihr liebliches Antlitz, gleich der Sonne in Wolken versank.


[17] Wir haben nun kürzlich zu erörtern, woher es kam, daß unsere Schönen so plötzlich aus der Regentraufe in die glänzende Gegend treten. Wenn wir dabey, nach Art der Eklektiker verfahren, sind wir in kurzem gerettet. Also an’s Werk.

Im Menschen wohnt ein kleines, kurzes Menschchen, welches man, wogen seiner Durchsichtigkeit, Seele zu nennen pflegt. Wie aber das Dinglein sonst noch aussehe, ob es zuweilen verrückt, zuweilen traurig erscheine, hat meines Wissens noch kein Philosoph, ja selbst Mendelsohn nicht [18] zu erklären gewagt. Daher darf ich mich nicht erkühnen, eine solche metaphysische Frage aufzuwerfen.

Die Schönen hatten, wie uns bekannt worden, vor kurzem sich gedroht, bey den Haaren zu packen und auf die Erde zu werfen. Aber ein vorhergegangener Sonnenschein, der, wenn ich nicht irre, alle wirkliche Geschöpfe wieder zusammenknüpft, hatte sie in eine Kapsel geschlossen.

Die jungfräuliche Michaelin dachte, da sie schon die Faust krampfte, daß sie nur zu den nächtlichen Zusammenkünften [19] der Frau Klausin ihre Zuflucht zu nehmen nöthig hätte, um diese ehrsame Mamsell zur Ruhe zu bringen. Sie entschloß sich daher und warf der Nachbarin die Unzucht vor. Diese anstatt weiter zu kämpfen, krampfte die Daumen und sah die Streiterin ernst an. Es stand in ihrem Gesichte, wie plötzlich oft ein kleines Fünkchen, die größte Flamme entzünde und ein wenig Wasser die lodernde Masse wieder in Schranken bringe.

Sie warf den Spinnrocken bey Seite und schrie und weinte. Wenn du doch nur ein wenig Schaam hättest, [20] rief sie ihrer Nachbarin zu, so würdest du nicht Dinge an den Tag bringen, die kaum in der Christenheit gehört werden. Ich die eingeschlossene, die bescheidene Klausin, sollte neben dem Manne hergehen? Was denkest du, o ich möchte Blutstropfen weinen, wenn ich an diesen grausamen Verdacht komme.

Dies gesagt, reichte sie der Nachbarin die Hand, blinzte ihr zu und beyde schlossen sich zutraulich in die entrüsteten Arme. Nun waren ihre Seelen versöhnt. Sie dachten mit süßer Empfindung an die Schwächen [21] des weiblichen Geschlechts, an die vielen Lockungen und Reize, die diese Klasse von Wesen auszustehen hat.

Erst jetzt wurde es ihnen klar, wie blos die Liebe die einzige Kraft sey, welche in der Welt wohne, sie verbinde und jede Triebfeder zum Guten zeuge. O! mit überseeliger Empfindung setzten sie sich in die Gärtchen der Vorwelt und tändelten mit Geßnern in einer eignen Schäferwelt. Ihre reine, enthusiastische Einbildung trieb ihnen Schäfchen und andre Thiere entgegen, welche in dem Paradies ihrer Liebe weideten.

[22] Indeß waren die Männer noch im Disput und Zank begriffen. Der Nachtwächter verlangte das gestohlne Huhn und wenn Herr Michael es nicht heraus gäbe, schwur er noch vor Abends in die Stadt zu gehen und den Amtmann um Beystand anzurufen.

Er thut’s; denn ehe die Nacht in sein Kamin stieg, rüstete er sich mit einem schönen Ranzen, schnürte einige Brode auf den Rücken und gieng in die Stadt. Tobias begleitete ihn. Der treue Mann hatte auch Händel gehabt und mußte morgen vor Gericht [23] erscheinen. Jetzt beredeten sich beyde miteinander, wie sie ihre Sache anfangen wollten. Der Nachtwächter hatte den kritischen Einfall, seinen Richter zu belügen.

Er ersann folgende Nothlüge: Mein Nachbar Michael kömmt und will mir ein Huhn abkaufen, er nimmt, weil ich’s ihm nicht lasse, sich den Vorsatz, mich zu überlisten und es nächtlicher Weile aus dem Hühnerstalle zu entwenden. Ich erwische ihn über der That, gehe ihm zu Leibe und da er sich nicht zu helfen vermag, läßt er das Hühnchen los und entkömmt. [24] Die andere Nacht stiehlt er solches, behält das Kleine ein halb Jahr und läßt’s laufen. Ich greife ihn an, der wehrt sich und um mein Leben, das mir lieber als alles und die seeligste Hälfte meines Selbsts ist, zu retten, prügele ich ihn.

Mit dieser Anekdote attrappirte er den Herrn Amtmann, der um sich seiner Nothdurft zu entledigen, das Gemach suchte, hielt ihn fest und überhäufte ihn mit dem burlesken Salz seines Geistes.

Michael wurde in die Amtsunkosten verurtheilt, mußte 30 Kreuzer für [25] das Huhn zahlen und da er seinen Freund deswegen unhöflich behandelt und zwischen seiner Gattin und der des Klaus Streitigkeiten erregt, Abbitte thun.

Dies war die Verhandlung, welche beyde edle Nachbarn seit fünf Jahren von einander geschieden hatte. Jetzt brachte sie das Schicksal zufällig zusammen und ihre Seelen schlugen mit neuer Herzlichkeit für einander. Beyde schienen gleichsam ein Zweig zu seyn, der aus dem allgemeinen Gärtchen des Eigennutzes lustig hervorsproßt.

[26] Meister Klaus liebte die Dukaten und sah von Morgen bis zum Abend auf den Punkt, durch den er ohne große Arbeit reich und wenn ihm das Glück hold wäre, zu einem edlen Manne werden könne. Die Edelmuth glaubte er sey eine herrschende Leidenschaft von ihm, indem sie gleich einer Magd jeden seiner Schritte umgieng und ihm jedesmal winkte, wenn er einen Fehlgriff zu thun gesonnen.

Klaus machte seinem Nachbar eine tiefe Verbeugung, als er ihm anjetzt in seiner Noth entgegen kam. Er redete ihn äußerst freundschaftlich an und [27] erhob die lange Geistesgröße seines Feindes. Dieser reichte ihm die Hand, lobte seine Amtstreue, den Diensteifer, mit welchem er seine Pflichten erfüllte; sagte viel zum Lobe seines glänzenden Horns und bat den lieben Freund, doch seine knallenden Töne einmal herauszujagen. Der Nachtwächter schien nicht abgeneigt; allein er winkte, deutete auf den Sumpf, dann auf den Mund, machte die Bewegungen stillschweigend nach, welche er bemerkt und als Michael nichts verstand, flüsterte er in sein wohlgeöffnetes Ohr, daß es nicht geheuer sey.

[28] Jetzt griff der andächtige Bauer nach der Mütze, machte drey Kreuze, hob seine Hand zum gewaltigen Gott und betete einen Spruch aus dem Gesangbuche, der ihm in dieser Lage am passensten schien.

Indeß begann das Geschrey von neuem. Es wälzte sich gleich einem gewaltigen Sturme im beschilften Graben und da sich Klaus das Herz nahm nachzuforschen, erkannte er den Herrn Pfarrer, benebst einer Begleiterin, die kommend vom nahgelegenen Dorfe hier erst Rasttag halten wollten.

[29] Wie in aller Welt Herr Pfarrer, rief Michel, kommen sie in diesen tiefen Graben. Hat Ew. Wohlehrwürden ein Gespenst irre geführt, oder sind sie ausgeglitten und so ein wenig unbemerkt in den Teich gewischt. Sagen sie mir in der Christenheit, wie kann bey ihnen so was statt haben. Sie ein so vernünftiger und gelehrter Mann, der alle Sprüche wieder den Satan, Gott sey bey uns, weiß und nicht einen Trostgrund im Hinterhalte hat, den er diesem bösen Feind könnte an den Hals schleudern, mußten so schändlich in seine Klauen kommen.

[30] Herr Gabriel, hörte mit tiefgerührter Innigkeit die schönen Reden seines Demosthenischen Michels, es wurde ihm wohl, da er endlich aus der Noth die Tugend schimmernd empor klettern sah. Guter Nachbar, rief er aus, auch der beste Mensch kann fehlen und zumalen, wenn man neben einem Graben geht, an dem Dickicht steht und im abendlichen Scheine des Mondes wandelt.

Der leidige Hans Urian hat mir einen Streich gespielt, woran ich in meinem Leben nicht gedacht. Ich weiß Klaus ist verschwiegen und Michael [31] kennt seinen Mann. Also höret ihr treuen Gefährden, was sich begab.

Ich komme Schlag acht von dem nahliegenden Dorfe, habe die gottseelige Jungfer Barbara der kühlen Erde angetraut und mich mit den lieben Brüdern über die göttlichen Werke, über die Wohlthaten des lieben Gottes und das schöne Wetter unterhalten. Ich wandere in der Herzens-Einfalt an dem Graben dahin, höre ein leises Schluchsen, sehe ein liebendes Frauenzimmer und weil ich jedem zu helfen suche, mache ich mich auf und steige zu ihr, um sie zu trösten.

[32] O! wie dichterisch strahlte ihr Antlitz, wie philosophisch war ihr Busen, wie rednerisch ihr Mund! gleich als käme sie aus dem Paradiese, so glich sie an Reizen jeder unendlichen Frau. Ich fragte sie, was ihr fehle, erkundigte mich in gefälligen Worten nach ihren Unglück und öffnete ihr durch Schmeicheleyen den Mund.

Welche Worte kamen da an’s Licht! wie zierlich wußte sie alle Rednerfloskeln, die Cicero, Sallust und Livius gebraucht. Ich meinte eine Römerin zu sprechen und freute mich baß, den Liv in Anwendung zu bringen. Erstlich [33] begann sie mit Klagen über Untreue, dann über die Welt und zuletzt warf sie dem Schicksal ihr Schooshündchen, die Liebe entgegen.

Klaus, eine Vitellia konnte nicht schöner seyn, als sie, die ich die Ehre hatte, in diesen mitternächtlichen, stillen Stunden zu sprechen. Beynahe hätte sie meine Begierden aus den Rosenketten gelöset und ins Freye getrieben, aber ich zwang mich so sehr, legte mir so viele göttliche Gedanken in den Mund, daß die Begierde, wie ein überwundner Soldat, wieder in das Schilderhäuschen zurück floh.

[34] Bey dieser Rede stieg die Dame aus dem Schilfe, worin sie mit dem Herrn Pfarrer gesteckt hatte und bezauberte die beyden Männer. Klaus stand wie angepflöckt, schnappte unaufhörlich nach Luft und da er nicht mehr still seyn konnte, brach er, wie durch eine Muse getrieben, in so mancherley Ausrufungen aus, daß wir, der Geschichtschreiber, unsere Leser mit zwey Bogen davon unterhalten könnten, wenn wir nicht glaubten, ihr Feuer auszulöschen. Wir sehen nicht ein, warum wir nicht wie alle Schriftsteller verfahren sollten, indem es ja allein von dem lesenden Publiko abhängt, [35] ob wir unsere Schriften verkaufen, oder ungelesen in die Archive der Bibliotheken zu schicken nöthig haben.

Nachdem unser Herr Pfarrer seine Geliebte präsentirt und dadurch bey den pfiffigen Bauern den Verdacht erregt hatte, er möge sie mit Fleis in den Sumpf bestellt und sich dann in Friede und Eintracht zu ihr gesellt haben, bat die allerliebste Götzin ihre drey Anbeter, sie mit in das Dorf zu nehmen und ihr Herberge und Obdach zu geben. Wir finden es für gut, nach Art der gewöhnlichen Romanenschreiber, [36] aus unserer Demoiselle plötzlich eine Amme werden zu lassen, die, weil sie die Madam Klausin unterstützt, sich noch den Dank der ganzen Nachwelt verdient.


Frau Klausin war, während der Abwesenheit ihres theuren Ehegemahls, wieder besser geworden. Anhaltende von der Frau Pfarrin übersandte Kraftbrühen, hatte ihre schwachen Nerven gestärkt und ihr diejenige Elastizität gegeben, welche zur Gesundheit erforderlich ist.

[37] Jetzt kam ihr Peter zurück, traf seine Ehegattin in den besten Umständen und erzählte ihr, was sich begeben, allwo er den würdigen Herrn Pastor getroffen und in welchen Umständen; er bat seine Theure es zu verheimlichen. Die Gebährerin wurde einmal über das andere roth, sie machte bald böse, bald liebliche Mienen und da Klaus gewahrte, daß sie das Gespräch in Allarm setzte, brach er ab und rekommandirte ihr das Frauenzimmer, welches er mitgebracht.

Elisabetha eine gebohrne Tuchmacherin that gar zärtlich, griff sogleich [38] nach dem neugebohrnen Knaben und prophezeyte der Nachtwächterin in selben einen großen, trefflichen Mann.

Wie erquickte sich da das sanfte Mutterherz, wie hob es sich noch einmal so froh, als des mit Lob gefüttert, still der Zukunft entgegen sah. Wir werden in der Folge finden, daß die ehrliche Tuchmacherin recht gesehen und das Kindlein in seiner wahren Natur erkannt hat. Die beyden Weiber waren vom ersten Augenblick Freundinnen und gleichwie, um mit Vater Homer zu reden, zwey Hündinnen schwänzelnd sich nahn, traten die Seelen [39] unserer Frauen in innige, ewige Bindung. Noch ehe der Mittag heranrückte, lasen sie sich schon deutlich im Auge, daß sie für einander gebohren und wie kein Augenblick mehr zu preisen sey als der, durch den sie in die nahe Freundschaft getreten.

Die neue Geburtshelferin wickelte den kleinen Klaus aus und ein, säuberte seinen Körper und freuete sich, wenn sie darüber ein Lob von dem ehrwürdigen Pastor erhielt, der mehrmals des Tages erschien. Die naheliegenden Bauern waren so schadenfroh zu behaupten, daß der Bibelkundige [40] Prediger mit dem Obristen, welcher im Dorfe gelegen, Kompagnie gemacht und die treffliche Nachtwächterin zuweilen heimgesucht habe.

Indeß machte sich Frau Klausin aus allem diesem nicht ein Haar, sie sagte sogar laut, wenn man sich zu viel um die Gespräche der Nachbarn kümmre, komme man nicht vom Fleck.

Der Herr Pfarrer schien ihren tiefgedachten Aussprüchen in allem beyzupflichten, er lobte mit seltenem Pathos die schöne Sprecherin, das Salz, welches sie hin und wieder in die Blumen [41] ihrer Rede mische, die Kraft, womit sie sich ihrer Gedanken entledige, kurz war ein wahrer Klausianer. Welche Aussichten für den jungen, heranwachsenden Klaus, welche Beyspiele, um ihn groß, herrlich und glänzend zu machen. Es ist kein Wunder, wenn wir in ihm einen Weisen erblicken, der mit edler Ueberzeugung seinem Inneren nachlebt und die schuldlosen Empfindungen pflegt, die ihm von seinen Ahnherrn waren angehängt worden.

Gesetzt der böse Leumund übelredender Nachbarn sey gegründet, Frau [42] Klausin habe sich zu Schritten verleiten lassen, die einem weiblichen Wesen nicht angemessen sind, so bitten mir zu bedenken, daß es von den Geistesgaben eines Predigers, von den schönen Reden der Offiziere kam, die ein so himmlisches Weib, als Klausin, gewiß mehr verführten, als überredeten.

Der Herr Pfarrer war im Gespräch so süß, so voll von Anmuth, daß man glaubte einen Cicero, einen Sallust, einen Terenz reden zu hören. Er sagte, diese Männer hätten ihn gebildet. Aus dieser Absicht trug er auf den heutigen Tag ein paar Stiefeln [43] mit Absätzen, die in allem den alten Kothurns gleich kamen, welche von den Komikern gebraucht wurden. Auch zog er nie seinen Mantel aus, um zu zeigen, wie sehr er sowohl seiner Kirche, als den alten Gesetzen obliege, die ihm von den Römern gegeben. Er freute sich, daß Madam Klausin ein Söhnlein bekommen, er sprach schon von den Anstalten, welche er treffen wollte, um dieses Kind seiner Liebe elterlich zu bilden.

Ohnedies hatte ihm der Himmel alle Erben versagt, er weinte oft mit seiner Anna, wenn er im Dorfe eine [44] neue Blüthe aufwachsen sah. Dann wurde seine Frau blaß und roth, sie wunderte sich höchlich, wie es zugehe, daß ihr kein Seegen des Himmels zu Theil werde.

Der ehrwürdige Gatte tröstete sie indeß gar trefflich. Er machte ihr so begreiflich, als es ihm möglich war, daß Kinder im Grunde eine Plage und wenn sie nicht in der Furcht Gottes aufwüchsen, eine Pest für die lieben Eltern seyen. Die Frau Pfarrin tröstete sich, wenn sie die Sprüche des redenden Gatten vernahm und sehr oft streichelte sie ihm seine gefurchten [45] Wangen, um ihm ihren Dank recht augenscheinlich zu machen.

Da saß denn der alte Prediger des Worts und weinte, weinte so gefühlvolle Zähren, daß auch seiner Anna ein Seufzer aus dem Busen stieg und sich in das Klaglied mit einmischte.


Die Geburt unsers Klaus giebt uns die Frage ein, warum das Weib mit dem Manne harmoniren soll und muß. Eine wunderliche Sache, die aber noch wunderlicher werden wird, [46] sobald wir sie aus dem rechten Gesichtspunkte betrachten. Ein Weib ist ein Weib, darüber ist man eben so einig, als über die Frage, warum ist der Mann ein Mann. Ich finde jedoch viele Zweifel, daß der Mann nicht immer ein Mann, die Frau nicht immer eine Frau sey.

Erstlich gehe ich meine Tugenden durch und finde in mir, dem Schriftsteller Wezel, die Beobachtung meiner Pflichten, die Beabsichtigung eines reinen Lebens. Aber wer thut dies außer mir? Wer ist pflichtmäßig tugendhaft, außer dies mein Individuum, [47] das, weil es der Menschheit erstorben, auch dem Fehlen entflohen ist. Darum kann ich mit Grund der Seele behaupten, ich sey mehr, als alle Individua. Bin ich nicht einzig in meiner Art? Doch ich kenne dich Lumpenwaare, Mensch genannt. Du bildest dir zu viel ein und darum kennst du nicht die großen Ideen, welche ich auf den Acker meiner Schriftstellerey säete. Ein Plato nur vermag mich zu verstehen! Aber da sitzen die albernen Männchen und lesen und lesen, ohne auch nur eine Erbse zu verstehen. Haben sie nicht den Knaut so unflätig behandelt, daß einem Angst [48] wird! Und sollte ich daher noch für Leute schreiben, die gar nicht einmal das Thor des göttlichen Reichs sehen. Weg mit euch, ihr unsaubern Geister. Erst die späteste Nachwelt wird einen Wezel erkennen und in ihm den alten Homer wieder finden. Wer kann so homerisiren, wie ich? Wer kann die Gedanken dieses Weisen so energisch anwenden? Nur ich kann es und darum Lumpengeschlecht falle nieder vor deinem Wezel. Ob sie mich verstehen? – Nun sie werden sich freuen über den komischen Klaus! – Fort!

[49] Anjetzt war auch Peter zu seiner Frau gegangen, hatte mit ihr traktirt, wie die morgende Kindtaufe sollte gehalten werden und von selber eine schnakische Antwort bekommen. Trübsinnig, wie der alte Odysseus, gieng er zum Nachbar Schweinhirt, zündete sich bey selbem seine Pfeife an und rauchte ben gezogenen Kneller.

Er bließ den Dampf kraus um seine Nase und ließ sich mit Meister Schafkalb in eine Unterredung über das Wetter ein. Der treffliche Nachbar suchte das Gespräch zu verschiedenen Malen auf die Frau Klausin [50] und ihr Söhnlein zu leiten, allein der Gatte lenkte immer den Gedankenwagen um und führte den Nachbar nach langen Debatten zur naheliegenden Kirchweyh, die morgen sollte gehalten werden. Wenn meine Frau, begann der Nachtwächter, nicht besser wird, so gehe ich hol’s der Henker zu meinem Horn und lasse sie liegen.

Sie will, seitdem sie das Söhnlein hat, nichts mit mir zu schaffen haben und ob ich ihr gleich alles zu Liebe gethan, macht sie mir doch ein so grimmig Gesicht, als gehörte ich ihr nicht an. Unser Pfarrer ist dagegen [51] Hahn im Korbe. So erlauschte ich, daß beyde Freundinnen ihn als den gefälligsten, behülflichsten Seelsorger rühmten und besonders seine körperliche Hülfleistung als excellent priesen. Was mag das zu bedeuten han?

Die Nachbarin schlug ein lautes Gelächter auf und sprach scherzend: Freund Klaus, ihr habt diesmal das Ey nicht gelegt. Diese rhetorische Sprache befremdete unsern Klaus, er fragte nach einer deutlichen Erklärung und erhielt von seiner Rednerin die lakonische Antwort: mit weiterer Erklärung gebe sie sich nicht ab.

[52] Der Schweinhirt sagte viel zum Lobe seiner neuen Gretel, daß sie ihm in allen behülflich sey und lobte noch ihre Seelenfreyheit, benebst ihrem Anstande. Nachdem Klaus unter diesen Disputen seine Pfeife ausgeraucht, klopfte er sie stillschweigend aus, schob den Schemel hinter den Ofen und indem er nach dem Wachstocke griff, erschien eine Deputation, die ihn eiligst zum Amtmann lud. Er räusperte sich ein wenig, dachte der Ursache nach und da er sie nicht so geschwind, als seine Pudelmütze finden konnte, legte er selbige auf sein Haupt und schritt majestätisch zum Gerichtshalter.

[53] Als er an die Thür kam, scholl ihm das Geschrey der nächtlichen Geburtshelferin entgegen. Er wunderte sich über diesen Vorfall, blieb ein wenig stehen, machte seinen Mund auf und weil seine schnellen Ideen nicht bis zum Grunde reichten, griff er zum Drücker und kam in’s Auditorium.

Es war alles nach Sitte und Herkommen eingerichtet. Da saß der Gerichtshalter, hob seinen Hals tiefachtend zum Himmel, holte die Akten, suchte ein Buch und gebot Stille. Ihm zur Seite saß ein Scribent, um welchen Akten und Dintenfässer [54] standen. Wie man ahndete, war dies der Gerichtseinlader. Oben an einer langen Tafel erschien der Magister des Dorfs und nicht weit von selbem ein Assessor. Sie alle erharrten den Ausgang der Begebenheit, stutzten, sahen sich zuweilen schweigend an und weil die Sache wichtig zu werden schien, holte der Magister seine Schreibetafel heraus, um das wichtigste zu notiren. Der Nachtwächter stand demüthig und niedergeschlagen an der Thür, hielt seine Pudelmütze unter dem Arme und gab, weil es ihm sehr angst war, nur zuweilen einen Laut von sich.

[55] Die nächtliche Amme sollte Umgang mit zwey Insassen haben und sich darum, als der Mond vom Himmel gestiegen, in das Schilf des Wallgrabens versteckt haben. Auch wurde es bewiesen, daß hier die beyden Ehemänner bey ihr gewesen und wie es schien, mit der Jungfrau verbotenen Umgang getrieben.

Der Richter, ein sehr strenger Mann, hatte sich deshalb mit seinem Amte, das er auf einen Wagen geladen, vom nächsten Orte selbst hieher verfügt, um die Verwirrungen des [56] Staatskörpers so gut als möglich zu heben.

Nachdem die wohlbekannte Geburtshelferin abgehört war und gestanden hatte, daß sie im Graben gesteckt, keineswegs aber üble Absichten gehabt, sondern vielmehr durch einen bösen Geist, sie wisse nicht wie, hineingekommen, trat Klaus hervor und referirte mit gesunkener Stimme, daß er müde und erschöpft vor wenig Tagen die Nacht am Schilfsumpf vorübergegangen, ein Schluchsen vernommen und näher geschritten sey. Seine beyden gesunden Augen hätten ihm da [57] den Herrn Magister und die zur Sprache gekommene Amme sehen lassen. Als er nun den lieben Herrn in dieser Noth erblickt, sey er mit dem Michael zu Hülfe geschritten und er und sein Nachbar hätten die beyden Unglücklichen aus dem Schlamme wohlbehalten gerettet. Darauf habe er ein Te Deum geblasen und dem lieben Gott gedankt, daß der ehrwürdige Pastor wieder gesichert. Hierauf zog Klaus die Mütze nochmals von seinem Scheitel, machte einen Kratzfuß und trat zurück.

Dem wohlehrwürdigen Magister wurde es warm ums Herz, da er [58] den Nachtwächter so gehorsam alles referiren hörte, was er vernommen; er biß seine holen Zähne so gut als möglich zusammen und winkte der Gesellin, daß sie läugnete. Indeß schien diese gar nicht hierzu gemacht. Sie wußte aber doch einen Ausweg, der ihr mehr, als das Läugnen nützte.

Der edle und bescheidne Amtmann setzte sich von neuem in Positur, ließ die Geburtshelferin hervortreten und da der Assessor seine Feder geschnitten, den Spalt ausgebessert und seine glückliche Imagination wieder in Ordnung gebracht; fieng er die Inquisition von [59] neuem an und zwar schärfer als zuvor.

Er fragte, wie es gekommen, daß die Mamsell in der späten Nacht an den Graben, allwo es doch so sehr spuke, gegangen, warum sie ihr schuldloses Leben in so große Gefahr gesetzt, aus was für Absichten sie an den schlammigten Schilfe hinabgeklettert und wie sie auf den Vorsatz gerathen, allhier einige Zeit zu weilen.

Die Sünderin sagte, sie sey, da sie in dem nächsten Dorfe nicht beherbergt worden, unter dem Schutze [60] Gottes und seiner Engel weiter gewandert, habe unter Gebet und Seufzen die Reise zurückgelegt und, indem es plötzlich so dunkel worden, sie hingegen weder ein Dorf, noch ein Wirthshaus erblickt, habe sich entschlossen, lieber im Sumpfe zu ersticken, als den Irrlichtern und bösen Geistern in die Hände zu fallen.

Indem sie es referirte, rollte ein Strom von Thränen ihre Wangen herab, sie wurde ohnmächtig und mußte gleich der Dido mit Hoffnungen und Versprechungen getröstet werden. Der erste, welcher ihr zu Hülfe kam, war [61] der Pastor. Er besaß noch ein halb Duzend Trostsprüchlein, die er schön an einander gereiht, vor ihre brechenden Aeuglein legte. Auch der Amtmann hatte Mitleid. Er streichelte zu verschiedenen Malen die Wangen unserer Amme und fand sie so zart, daß er von Zeit zu Zeit sein Streicheln wiederholte.

Er brach ab, entließ die verstummten Bauern und bat sie, auf dem Zuhause-Wege Gott anzurufen, daß er das unschuldige Weib, welches bisher so viel gelitten, mit seiner Barmherzigkeit überschütten möge.


[62]

Singe den Zorn, v. Göttin, des Peleuiden Achilleus,
Ihn, der entbrannt den Achäern unnennbaren Jammer erregte
Und viel tapfre Seelen der Heldensöhne zum Ais
Sendete, aber sie selbst zum Raub ausstreckte den Hunden. [1]

So ohngefähr dachte Klaus, als er vom Amte ging und die schöne Geburtshelferin zurückließ.

Er zitterte tief in seiner Seele, daß die gute Gesellin seiner Frau so entwürdigt wurde. Wie konnte man [63] wohl dazu kommen, dachte er? Woher entsprang die Ursache ihrer Verhaftung? Sein Lebensprinzip ging in Feuer und Flamme auf, er glühte wie der tapfere Hektor, als er einst vor Troja’s Mauern den Kampf um Ehre, Stadt, Heimat und Weib stritt. Gleich einem Löwen stampfte er muthig im Gehen und verfluchte seine geringfügige Existenz, nannte sich selbst einen Verbrecher, indem er nach keinem höheren Ziele gerungen und machte einen so gewaltigen Lärm, daß seinen Kammeraden ordentlich angst wurde.

[64] Indeß sank sein Enthusiasmus allmählig herab, stieg von der Höhe in die Tiefe und beschaute seine Nichtigkeit. In kläglichen Akkorden floß nun die Wehmuth gleich der lautern, sanften Quelle dahin und es fehlte nur an einem pathetischen Dichter, um einen Gesang zu machen, der schöner, wie der des edlen Horaz, wär. Welche Blume hätte er hier anbringen, mit welchem Laubwerke das Ganze ausschmücken können, wenn er die Kunst der Dichtung verstanden. Ein Pindar würde sicher aus dem Flammenmunde des Nachtwächters süßere Töne geleitet, als irgend ein Deutscher und [65] wäre er auch Vater Gellert, solches gekonnt.

Alle Bauern standen wie angewurzelt, als sie ihren Freund die Leyer so schön schlagen hörten. Bald wäre allen die Lust angekommen, auch zu wirbeln; allein sie dachten an den Pflug und die Kindtaufe, weshalb es ihnen nicht räthlich schien länger zu harren.

Aber was werden meine süßen Leserinnen denken, wenn ich erst jetzt die Kindtaufe anfange und nachdem ich das Kindlein schon lang gebohren, dennoch den Pfarrer noch nicht herbeygeführt, [66] um es zu waschen. Indeß harren sie nur einen Augenblick, bis ich die Kindbetterin angekleidet, mit Schönheit überworfen und ihr Kleines in Windeln gepackt, dann sollen sie auch den Magister sehen, der in seinem Amtskleide und geführt von dem Herrn Schulmeister die Taufe beginnt. Lassen wir ihn erst in Christo Jesu beten, oder sogleich das Kindlein waschen. Dies meine Damen kommt blos auf sie an, ich der Schriftsteller, bin zu allem bereit und schicke lieber meinen Nachtwächter ins Holz, um ihnen gefällig zu seyn, als daß ich mir die paar Gulden entgehen lasse, welche [67] mein geehrter Buchhändler für jeden Bogen mir auszahlt.

Die Taufe geht an. –

Der Herr Michael vertrat die Pathenstelle des Kleinen. Er stand vor dem würdigen Gotteslehrer und versprach, treulich über die Pflichten des Klaus zu wachen, ihm in allen Nöthen beyzustehen, seine kleine Seele allmählig groß zu machen, mit Liebe ihm anzuhangen und wenn Gott seinem Leibe Gesundheit schenke, ein würdiges Glied der Gesellschaft daraus zu machen. Drauf ging Kunz der Lehrer [68] mit der Büchse herum, sammlete die Pfennige, that sie in seine Tasche und machte viele Reverenzen. Jetzt wurden Bratwürste, Sallat und Schinken gebracht. Man ging zu der Wöchnerin, wünschte ihr ein langes Leben, gratulirte ihr zum Seegen, der aus ihrer Ehe geworden und ermunterte sie im Gebete an Gott zu verharren, dann würde ihr Leben wie ein Brünnlein durch die Wiese des Glaubens hindurchfließen. Sie mußte sich auf Anrathen des würdigen Pfarrers zu Tische setzen, einige Schlucke Brantwein trinken und auf die Gesundheit [69] der werthen Gesellschaft ihre Mutterschaft feyern.

Die Bauern machten ihr mancherley Geschenke, die das sorgsame Weib kindisch freuten. Sie dankte gar artig, indem auch die Gemahlin des Magisters kam, ihr Söhnlein auf den Arm nahm und das gute Kind weinend an’s Herz nahm. O! es that ihr so wohl, daß sie das Kleine küssen, mit ihm spielen und sich nebst ihn freuen konnte, daß sie es oft in die Wiege legte und wieder heraus hohlte.

Aber was seh ich, rief das Weib, ist nicht Klauschen so natürlich, so [70] gleich meinem Manne, daß ich glauben sollte, er sey sein Vater! Wie blinzeln seine Aeuglein, wie geöffnet ist der Mund! Und seht einmal, gleicht nicht sogar die Stirn dem Pfärrchen! Das war ein Donnerschlag für den Magister. Zitternd griff er nach dem Glase, hob es zu den Lippen, zuckte ab, setzte an und als er es fassen wollte, fiel es in die Lehmen-Stube und ging in Stücken. Aller Augen waren auf den Gotteslehrer gerichtet. Gleichsam als wollte man das jüngste Gericht halten, so bang war dem Weibe unseres Nachtwächters. Es griff bald nach der Schürze, bald ging es um [71] Sallat zu hohlen, endlich stand es eingewurzelt und erblaßte.

Indeß die Tröpflein der Bäuerinnen thaten die beste Wirkung. Sowohl der Pfarrer, wie Frau Klausin, kamen in ihre alte Distanz und setzten das Gespräch fort. Es wurde über Erziehung, über Gottesfurcht, über Liebe zum Nächsten und Freundschaft geredet. Die Klausin sprach tapfer drein und dünkte sich nicht wenig, wenn ihr zuweilen Beyfall geklatscht wurde. Dann führte sie die Rede bis zur Herzgrube der Wahrheit hinab und verheimlichte nichts von den Gedanken, die sie gefaßt.

[72] Meister Klaus saß indeß hinter dem Ofen, rauchte sein Pfeifchen, schnitt den Kneller in Stücke und nahm keinen Theil an der Taufe. Er war dem Klaus, seinem Söhnlein gleich bey der Geburt aufgesessen. Er sprach mehrmals, daß er ihm seinen Namen nicht gebe, indem er von dem Leben des trefflichen Jungen nichts wisse. Seine Gattin schmeichelte ihm unaufhörlich, bat, sie nicht mit Schimpf zu bedecken, schützte ihre Redlichkeit vor und wollte nie hören, wenn der ehrliche Peter von Fuckeleien und Dummheit begann. Auch jetzt brachte sie ihm mehrere Küsse, aber er blieb trotzig, [73] saß vergleichbar dem Achill bey seinen Schiffen und flickte sich Hosen, nähte Zwickel und bebordete die schöne Mütze. Er hörte weder auf die Reden des Magisters, noch auf die Vorstellungen seiner Mitbauern, kurz er war tief gekränkt; sein Schandfleck klebte ihm an der Seele und er wollte denselben, kostete es auch alles, sobald wie möglich, abwaschen.

Er sann nach, wie er die Epopäe anfangen sollte und fand, da er einmal betrogen, nichts vortheilhafter, als alle zu hintergehen. –

[74] Er rückte seine Mütze hinter die Ohren, machte einen Diener, empfahl sich und indem er nach dem Nachtwächterstab suchte und solchen nehmen wollte, kam der Hund des Magisters und setzte dem Klaus so arg zu, daß er beynah alles im Stich gelassen und geflohen wäre.

Ehe wir weiter fortschreiten, müssen wir nach Art aller guter Schriftsteller, besonders eines Sterne und Milton die Geschichte des trefflichen Bullen erzählen. Wir bitten um ein geneigtes Ohr und fangen dergestalt an.


[75] Obgleich schon Homer und Tomson Hundehistorien beschrieben und wenn wir nicht irren, diese Schriftsteller mehr Ansehen, wie unser Ich hatten, sehen wir dennoch nicht ein, wie die Geschichte des Leo, ob der Darstellung eines Homer, hinter dem Glase der Erkenntniß sollte stehen bleiben. Der junge Klaus mag einstweilen schreien, wir können ihm nicht helfen. Er ist ja ohnedies unter einem bösen Omen gebohren und es dürfte ihm leicht wie uns gehen, wenn er nicht vorsichtiger als wir ist. Der löbliche Nachtwächter griff so eben nach dem Stabe und wollte weg – hier sind wir stehen geblieben [76] – da erschien unser Bullen – auch dies haben wir aktenmäßig referirt – und griff ihn an – nur dies blieb im Hinterhalte. Also was that Klaus, er wollte sich nicht foppen lassen, da er nun keine Knöpfe mehr anzunähen und keine Kappe zu bordiren hatte, mußte er wohl das Hundegefecht beginnen. Der Packan kam kneifend auf ihn. Erst wetzte er wie ein klopstockischer Adler seine Zähne, dann stellte er sich in Schlachtordnung und drang Schritt vor Schritt auf den Dorfwächter zu.

Dieser erhob den Stab und wollte ihm hinter die Ohren schlagen; allein [77] was geschah – Ehe wir weiter gehen, erst noch etwas. Packan hatte ein graues Fell, ein großes Ohren-Paar, einen langen Schwanz und starke Beine. Er stammte von einer englischen Docke und wie der Pfarrer aussagte, gerade von der, welche Sterne einmal anzuführen suchte. – Nun können wir schon weiter gehen und das Hundegefecht, wo nicht klassisch, doch erhaben und virgilianisch darstellen. Die Docke faßte den Klaus an seinem weiten Rocke und ehe er sichs versah, war ihm ein ganzes Stück vom Staatskleide entwandt. Da hätte man die Jammertöne hören sollen, die der [78] Nachtwächter ausstieß. Ich glaube die trojanischen Frauen haben nicht ärger geheult, als der göttliche Klaus. Seine Thränen rannen Stromweise von den Wimpern herab; er verfiel in ein Händeringen, in ein Winseln und Jammern, woraus ihn nur die Freude, daß ihn die Bauern zum Schulzen erhoben, ziehen konnte.

Jetzt war aller Groll, aller Streit, alle widrige Empfindung aus seiner Seele getilgt, vielmehr trat der Stolz, die Eitelkeit gleich einer griechischen Göttin an seine Seite, badete ihn mit Ambrosia und führte den schönen Helden odyssisch in die Zahl der Großen.

[79] Er ließ zum Zeichen seiner Ehrfurcht dem Hunde von Stund an, jedesmal Punkt vier Uhr ein Stück Brod geben und dachte dabey immer noch jubelnd an die Stunde, wo er statt mit einem Lindwurme, mit dem Bullen gekämpft. Die Taufe wurde nun erst solenn und je mehr Klaus sein Leben und künftiges Wirken beschaute, desto mehr schwoll ihm sein tragisches Herz. Ich glaube Sophokles hätte kein ewigeres Stück erfinden und schreiben können, als das Leben meines Klaus.

Wie voll von Szenen und Betrachtungen ist selbes. Giebt es wohl [80] ein Stück aus dem Alterthume, welches insofern ihm gleich käme? Ich wüßte nicht. Selbst Euripides, dieser zierliche, feine, solenne, schimmernde, klassische, herrlich polirte Dichter weiß nicht so viel Szenen aufzustellen, als in meinem Helden auftreten. Er scheint ein wahres Gotteskind. Und ich sehe nichts, was ihn abhalten sollte, die Rolle des Heilandes zu spielen, wenn er nur von einer Maria, einer Mutter Gottes erzeugt.

Peter Klaus saß jetzt traulicher als je bey seiner Ehehälfte, er schmunzelte ihr zuweilen etwas entgegen und hinterbrachte [81] dabey der Pfarrerin ein Mährchen, daß, weil es in seinem Haupte aufgewachsen, gar solid war. Die Bauern, benebst dem Herrn Schullehrer hörten nicht auf den edlen Klaus zu komplimentiren und ihm, durch Glückwünschungen seine Höhe fühlbar zu machen.

Selbst der Herr Pfarrer reichte ihm die Hand und nannte ihn einen Diener, von dem er viel erwarte und den er, wegen seiner Liebe zu allem Schönen, äußerst hochachte. Er ermunterte unsern Peter ja viel auf seinen Sohn zu halten, indem ein großes [82] Genie aus seinen Augen hervorleuchte. Mit nie gefühlter Innigkeit fuhr er fort, mehrere Exempel auszukramen, die ihm bereits bekannt geworden.

Er erzählte, daß der Sohn eines Schweinschneiders König worden und von einer Stufe des Glücks zur andern empor gestiegen. Welche Zukunft erschien da dem guten Peter, wie süß träumte er sich die künftige Zeit, wo er vielleicht noch in den alten Tagen jene Freude haben konnte, die so selten auf diesem Erdklümpchen ist. Auch die Ehehälfte des Klaus machte sich Hoffnung, [83] daß aus ihrem Söhnlein, wo nicht ein Kayser, doch gewiß ein König erwachsen werde. Sie erzählte, daß es ihr vor einigen Nächten geträumt, ihr Kind sey mit Strahlen umgeben, sitze auf einem herrlichen Throne, habe eine ganze Gesellschaft Bauern um sich und unterhalte sich mit der Ministerschaft vom Kühmelken. Das war ein großer Sprung und man sahe es der Phantasie unserer Klausin nur zu sehr an, daß nicht jener königliche Widerschein darin widerstrahlte, welcher zur Ausstaffirung eines solchen Glanzes nöthig sey.

[84] Weil es schon spät in der Nacht war, machte sich die Gesellschaft auf und wanderte zur Heimat. Das Pfarrhaus lag nur einen Flintenschuß von der wohlbekannten Hütte. Doch hatte der viele Schnapps und das anhaltende schöne Gespräch den empfindsamen Nerven und dem alten Magen des Pfarrers so zugesetzt, daß der Gatte und seine Ehehälfte den Weg verlohren und statt ins Dorf, nach dem Walde zugiengen.

Während der Pfarrer sich zu orientiren suchte, kam er immer weiter und stand endlich vor einem Verhacke, der um ein Tannengehölz gezogen war.

[85] Er fragte seine Geliebte, wie das käme, indem sie noch kein Haus sahen und wie diese aufblickte und vom Schlafe, in dem sie gewandelt, erwachte, erkannte sie Bäume und rief schreiend? Christian hat dich denn ein böser Geist berückt. Sieh doch, wir befinden uns ja im Holze. Was Teufels, schrie der Magister, wie geht das zu, so eben sah ich noch den Pfad.

Wir lassen die beyden Eheleute nach manchem Aechzen und Fluchen in die Wohnung gelangen, begeben uns zum Klaus und während wir diesen betrachten, werfen wir zugleich ein [86] Auge auf die Amme, die noch gutes Muths bey der Gesellin weilt.

Ihr Schicksal, in das sie gerathen, war vergessen, sie betrachtete es mit einer Gleichgültigkeit, die beynahe an Verachtung gränzte. Indeß bis in diesen Pfuhl dürfen wir sie unmöglich sinken lassen; es könnte uns und dem ganzen weiblichen Geschlechte sehr nachtheilig seyn.

Also ans Werk. Hilf uns gebenedeyetste Muse aus den Nöthen, worin wir stecken, komme herab von deiner olympischen Höh’ und schenke uns deinen [87] Seegen. Ein Christ betet wider die Versuchung der Teufel und da wir, Gott sey Dank, dies Privilegium in der Tasche tragen, wollen wir es nützen.

Die Frau Klausin hatte in der Nacht, als sich der Magister verirrte, einen bösen Traum. Der Pfarrer stand vor ihrem Bette, weinte und bat sie inständig, sich die Absolution und das heilige Abendmahl reichen zu lassen, weil im gegengesetzten Fall ihre Seele schnurstracks abreisen werde. Die gute Magd war in gräßlicher Furcht, sie nahm ihr Kindlein mehrmals [88] auf den Arm, reichte ihm die schönen, blühenden, heiligen Brüste und da der Knabe anstatt zu trinken, weinte, bey allem Schmeicheln nicht begütigt werden konnte, bangte sie für seine Seele und ließ einen Traumdeuter kommen, der folgende Erklärung machte.

Herr Tobias, der älteste Gerichtsschöpf des Dorfs wurde für den weisesten Mann gehalten. Er hatte von seinem Vater ein Traumbüchlein geerbt, in welchem er jede Kirchweih und alle Festtage, wenn die Kirche vorüber, las und sich einen solchen [89] Vorrath von geistigen Kenntnissen erwarb, daß er verklärt schien, wenn ihm ein Traumgesicht zur Entzifferung gegeben wurde.

Es war Mittag, da erschien der Traumdeuter. Er schlug seinen Taschenkalender auf, ließ sich von der ehrwürdigen Klausin, den Traum erzählen und sobald es geschehen, fieng er folgende Erklärung an.

Dein Sohn, gebenedeytes Weib, wird ein großer Riese werden, Löwen und Schlangen bändigen, Lindwürmer durchstechen und Kameele reiten. Nur [90] bedarf er eine gute Erziehung. Nimmst du ihm diese und läßt ihn wie eine Fichte wild und gesetzlos emporschießen, so krümmt er deinen eignen Nacken und betrübt dein flußhelles Leben. Also frisch ans Werk, gieb ihm noch heute einen Brey, entziehe ihn deinen milchvollen Brüsten, überlaß ihn dem Führer der Welt und bete für ihn, daß er nicht in die Stricke des Satans gerathe.

Ein altes Mütterchen, welches die Frau Klausin besuchte und nebst ihrem Söhnlein die glückliche Gattin begrüßte, ließ sich auch einen Traum [91] auslegen. Nach und nach wurde es im ganzen Dorfe ruchbar, daß Meister Tobias Träume deute und in wenig Stunden war Klausens Stube so mit Leuten gefüllt, daß man sich nicht setzen konnte. Tobias pflegte gewöhnlich nur alle halbe Jahre zu träumen und da anjetzt der Tag war, woran er sein Handwerk pflichtmäßig fortsetzte, wollte jedes seinen gesammelten Traumbeutel vor den Ohren des weisen Gerichtsschöpfens ausleeren.

Das Fragen dauerte von Mittag bis in die späte Nacht fort. Dem einen waren bey nächtlicher Weile Dörfer [92] erschienen, welche brennend den Himmel gefärbt und mit ihrem majestätischen Roth die Gegend erhellt hatten; dem andern war eine himmelblaue Ziege erschienen, die, weil der Träumer ein Narr, mit Schellen behangen war; dem dritten hatten böse Geister den Hals zugeschnürt; dem vierten war die heilige Gerechtigkeit erschienen, hatte sich seiner angenommen und ihn aus den Zwistigkeiten gerettet.

Tobias gebot mehrmals Stille, er konnte kaum nachschlagen, so überhäufte man ihn mit Hirnfäden und heiligen Drachen. Indeß wußte er ein [93] Mittel, wodurch er der Unterredung ein Ziel setzte. Er sagte, die meisten jener Träume, die ihm erzählt worden, dürften erst nach einem halben Jahre ausgelegt werden. Das war ein Pfiff, den wir um so mehr loben müssen, da ihn der wohlachtbare Gerichtsschöpf selber produzirte.

Die Gesellschaft fieng an sich zu zerstreuen. Die meisten giengen mit trübseeligen Gedanken weg und dachten an den Ausspruch, den ihnen Tobias gegeben hatte. Ihre Einbildung wurde von Tag zu Tag trüber und jemehr sie sich dem Augenblicke nahten, worin [94] das Räthsel aufgelößt werden sollte, desto ängstlicher pochte ihr Herz. Sie glichen also keineswegs dem Postulat, welches Cicero von einem Redner und gesetzten Manne annimmt. [2] Während sich die Gesellschaft zerstreute, näherte sich Tobias der Geburtshelferin und sagte ihr so viel Schmeicheleyen, solche schöne Worte, daß das gute Weib dem alten Manne ordentlich gewogen ward. Man konnte das allmählige Wachsen der gerichtsvorsteherischen Liebe ordentlich merken. Erst zappelten seine Arme und bewegten sich bald vor-, bald rückwärts; dann kam sein Leib in Thätigkeit, sein Mund [95] wurde dichterisch, seine Augen stralten, wie die des Monsegneur Catilina (der Herr war von guten Adel,) als er sich gegen das Pathos des ersten Consuls sicher zu stellen suchte.

Man mag es uns glauben oder nicht, kurz, Tobias war ganz jung geworden, als er die statliche Amme liebgewonnen. Seine ganze Natur bekam einen edlen, trefflichen Gang, er legte nach und nach das Gewand des bäuerischen Lebens ab und zog an die Sitten eines Städters.

Es mag ihn nun eine Triebfeder, welche immerhin will, dazu bewogen [96] haben, so müssen wir schon darum ein günstiges Licht über das Haupt des Alten werfen, daß er noch in seinen späten Tagen, in den Zeiten, wo Geist und Herz kühl wird, wo man den Scheitel mehr sinken, als sich heben sieht, ein neues, herrliches Leben begann. Von nun an wiederholte er die Besuche bey unserer Klausin immer mehr. Es vergieng kein Tag, an dem er nicht zu Liebe der Amme träumte und es schlau auslegte. Auch die Nachbarn erneuten jetzt ihre Freundschaft und Klaus war oft so umlagert, daß er stillschweigend seinen alten Zustand [97] und seine vorige Muße zurückwünschte.

Das, rief er aus, waren schöne Tage, da konnte ich für mich Besen binden, Löffel schnitzen und meine Mütze flicken. Jetzt ist mein Haus gelehrt, meine Zusammenkünfte athmen den Hauch der Harmonie, ich selbst bin erneut und nichts scheint mir an meinem Selbst geblieben, außer dieser leinene Rock. Er wieß schluchsend auf sein Kleid und fuhr fort.

Doch alles zu erzählen, würde dem Leser gar zu umständlich seyn. Ich [98] sehe ohnedies, wie man die Blätter überschlägt und dem Zeitpunkte entgegen eilt, wo der junge Klaus zu handeln anfängt. Ich schneide meinen Interessenten zu Gefallen ein halbes Duzend Thatsachen aus dem Manuscripte und führe diejenigen, welche sich für den Kleinen interessiren, schnurstracks zu seinem dritten Jahre. Zuvor aber ersuche ich alle Litteratoren und Rezensenten keinen Aerger an mir zu nehmen. Wer einmal den Lebensakt so weit als ich gebracht und sich so auf dem Jahrmarkte der Gelehrsamkeit herumgetrieben, dabey manchen Kreuz- und Quer-Stoß bekommen [99] und mit Wunden ist bedeckt worden, bleibt sich gewiß treu und wäre es auch nur im Kittel. Also lieben Patronen und hohen Gönner nehmen sie kein Aergerniß an dem kleinen Klaus, es könnte theils Ihnen, theils dem Lieblinge meiner Seele schaden. Und wie würde ich mich härmen, wenn Klaus irgend einem Menschen seine Verdauung stöhren und den Magensaft unrein machen sollte. Er ist so gut, so interessant, daß er vielmehr allenthalben Freude erwecken kann. Aber was merke ich, er sprüht Feuer, er wird sentimental. Welch ein Wunder! Woher kommt diese Erscheinung? [100] Etwa von einem Gott! Hat denn mein Söhnlein so viel Gaben, daß sich ein mitleidiger Olympier für ihn verwenden sollte.

Er liegt freudig in der Wiege und sprüht Flammen. Was für ein Wunder? Wir müssen’s philosophisch betrachten.

Ich weiß aus meiner Lebensgeschichte, daß es zuweilen Epochen giebt, wo wir uns über alle Menschen gehoben fühlen. Was sollte mich sonach abhalten dies bey meinem Klaus gelten zu lassen, von dessen Genie sich [101] so viel erhoffen läßt. Ein Schriftsteller von Genialität sollte ein solches Postulat immer bey sich führen und sich über die Menschen der Alltäglichkeit schwingen. Wie viel kostet es, wenn wir einen hohen Rang erlangen wollen? Und wie selten kommen wir zum Ziele, welches wir hofften?

Ich hatte mir in früher Jugend vorgesetzt der größte Mann zu werden. Alle meine Bemühungen zweckten darauf ab, aber indeß ich so rang, legte man mir Fesseln an, suchte meinen Riesengeist, der immer vorwärts eilte, zu beschneiden, und ehe ich mich [102] versah, hatte man ihn wirklich erhascht.


Der kleine Klaus, mit Namen Herrmann, wuchs von Tag zu Tag und nahm an Weisheit, Verstand und allen Gaben zu, die sowohl Natur als Gott aus dem Schätzlein des Lebens darbieten. Er war ein wahres Wunder von Gelehrsamkeit und der Pfarrer, benebst den Dorfbewohnern freuten sich nicht wenig, daß ihnen endlich ein lumen mundi gebohren. Mit den Zähnen bekam Herrmann zugleich [103] Begriffe, fieng schon im vierten Jahre an zu fragen und machte alle Kinder des Dorfs zu Schlafmützen. Schon in der Kindheit merkte man’s dem Jungen an, daß er zum Herrschen gebohren. Wenn er einen Stock nahm, so regierte er denselben wie der Groß-Mogul hochseeligen Andenkens. Er bließ in seine zarte, fleischigte Backen, drängte alle Nebenbuhler zurück und was nicht weichen wollte, mußte ihm dienen. So fand ihn der alte Vater hinter dem Dorfe, wo sich die gelehrte Jugend versammelt, um die kleinen Glieder in Fechten, Ringen und Springen zu üben.

[104] Herrmann saß auf einem Baume, hieng ein Bein herab und ritt auf einem Zweige. Einige Kommilitonen hielten die Augen zu, um während diesem Wagstücke keine Angst zu fühlen, andere munterten den Waghals auf, seine Künste noch höher zu treiben. Er hielt sich endlich blos mit der Hand und hieng schwebend an einem morschen, dünnen Aste. So brachte er eine kurze Zeit zu, endlich schwanden seine Kräfte, er wollte sich durch einen Sprung retten, fiel herab und zerbrach den Arm. Welch ein Winseln erscholl jetzt von der umstehenden Menge! Sie liefen nach Hause, [105] wollten nichts mit unserm Abentheurer zu thun haben; allein Klauschen sprach ihnen Muth zu und sagte, daß ein solches Unglück zu heilen sey.

Welche von meinen empfindelnden Leserinnen wird hier nicht ausrufen, das ist ein loser, böser Knabe. Aber gedulden sie sich meine lieben Närrchen, sie werden noch höhere Gallopps von dem Knäblein hören und sich darüber die glänzenden Aeuglein ausweinen.

Von dieser Stunde erschien Herrmann in Absicht der Leiden ein ächter [106] Stoiker, es fehlte ihm hierzu nichts, als die Methode dieser Philosophen, um auch insofern sich berühmt zu machen. Er legte in seinem Dorfe ein kleines Departement an, wobey er eine gewisse Klassifikation statt haben ließ. Ob und inwiefern er den der Regierungen folgte, können wir nicht deutlich genug angeben; denn das Original, woraus wir diese Geschichte gezogen, verläßt uns gerade an dieser wichtigen Stelle, es ist nemlich von den bösen Mäusen so derb zerschunden, daß uns der Verleger deswegen manchen Vorwurf gemacht hat. Er besorgte und das mit Recht, daß Sie, meine hochzuverehrenden [107] Leser, ihm darum sein Exemplar nicht so stark abkaufen würden. Thun sie uns liebste Gönner und Gönnerinnen nur den einzigen Gefallen und verzeihen sie einen Fehler, den wir, der Schriftsteller, um so weniger zu ahnden befugt sind, weil uns das Original selbst geschenkt.

Herrmann – wir fahren fort – hatte ein Departement angelegt und darin mehrere Kommilitonen untergebracht, die bisher durch Genie sich hervorgethan. Er richtete alles an, wenn jemand bezahlt werden sollte, machte er es so hübsch und zog jedes [108] mal vom Groschen einen Dreyer ab. Aber wir hören sie theure Leser fragen, in welcher Hinsicht ordnete Klauschen sein Departement. Nun da müssen wir weiter aushohlen.

Er hatte gesehen, daß an der Kammer, welche in der Gegend lag, mehrere Dinge fehlten und wie solche, eben weil die Herrn Theilnehmer zu viel Verstand hatten, hintan gesetzt wurden. Er machte daher mit den Kommilitonen eine Supplik, freylich fehlte manches daran, welches ein Fabrikant hart gerügt und mit Hohnlachen bestraft hatte, doch zum Glück merkten [109] die Kleinen solche Fehler nicht und übergaben das Schreiben dem fünf Stunden entfernten Regenten.

Er sah mit Wohlgefallen auf die heranwachsende Bürger seines Staats und gieng deswegen das Gesuch ein. Das Oberdepartement mußte referiren und weil es sich von fünfjährigen Kindern übermeistert sahe und in der Stille Klaglieder anstimmte, nahm es seine Dimission und übergab Herrmannen das Ganze.

Welch ein Wunder! Was für Aussichten! Ist es nicht seltsam ein Kind [110] von spannenlanger Geduld regieren zu sehen?

Herrmann benebst den Kommilitonen hatten das Departement so gut eingerichtet, daß schon nach einem halben Jahre, unter dem Vorsitze des Herrn Pfarrers und dem Beysitze des Traumdeuters Tobias ein großer Ueberschuß, der zuvor in den Beutel der Inhaber gefallen, vorhanden war.

Das Departement bestritt, um auch auf den Grund und Mittelsatz zu kommen, die Ausgaben für die Schloß- und Schooshunde. Der Fürst fand [111] es für nöthig sechs Bullenbeißer, fünfzehn Jagdhunde und drey Schooshündlein füttern zu lassen. Letztere pflegten sowohl ihm, als den Hofdienern die Stunden angenehm zu verkürzen. Die guten Leutchen spielten wechselseitig bald mit diesen, bald mit ihren Ideen, bald mit den Dirnen und brachten sich insofern manche Freude, welche unser einer entbehren muß.

Herrmann hatte die Liste über die Jagdhunde, der Herr Pfarrer besorgte die Schooshündlein und Tobias nebst den gelehrten Beysitzern standen den Bullenbeißern vor.

[112] Indeß fand es sich bald, daß die Zuneigung des Traumdeuters den grossen Hunden zu sehr angebunden war, weshalb auch der gute Mann in allen Gnaden seines Dienstes entlassen ward.

Er hatte den Hunden täglich ein Laib Brod zu viel gegeben; ob er aber blos für sich, oder auch für die Bullenbeißer gesorgt, ist unentschieden. Soviel ist gewiß, daß der schlaue Herrmann einst ein Brod unter dem Rocke des ehrsamen Tobias erblickte, es ihm heimlich wegstibitzte und bey näherer Beleuchtung fand, daß es eins der Hundebrode sey. Dies wollte der [113] Gerichtsschöpf heimlich seiner Frau zuschustern und dadurch bewirken, daß sie nicht so oft zu backen brauchte. Auch die Dorfjugend litt manchen Schabernack von dem feinen Herrmann, indem er jedesmal auskundschaftete, wenn sich die Kleinen, um ihren Hunger zu stillen, ein Stück Hundebrod abschnitten. So legte Klaus in früher Jugend schon den Grund zu einem haushältigen Leben und die Urkunde, welche wir von ihm haben, behauptet ausdrücklich, Herrmann hätte durch den Dienst, welchen er im Departement gehabt, den Grundstein seines künftigen Glücks gelegt. Dem sey wie ihm [114] wolle, so bleibt es gewiß, daß mit der Stunde, wo Tobias entsetzt wurde, die Zuchtruthe des guten Jungen immer dicker würde.

Also ist nach vielen mühseeligen Hin- und Herschreiben der Titel unsers gelehrten Werks gefunden und wir freuen uns nicht wenig, daß wir so leicht dazu gekommen sind.

Der kleine Herrmann hatte beynahe das Departement ganz allein. Er fütterte die Hunde, ließ das Brod backen, zählte es jedesmal vor dem Schlafengehen, stellte Mäusefallen, damit [115] ihm ja kein Krümchen möchte entwendet werden und war so redlich und geschäftig in seinem Amte, als es einer seyn kann. Nach einem Jahre wurde er ausdrücklich von dem Regenten eingeladen und erschien an einem Tage, wo die Generals und Minister zugegen waren. Schon an der Pforte des Pallastes wedelten ihm die Hunde freundlich entgegen und die Wache erstaunte, als sie diesen Auftritt sahe.


Ist dies das Hundedepartement, fragte der Fürst und Herrmann erwiederte [116] die Frage mit einem lauten Ja. Er mußte Rechnung ablegen und machte seine Sache so gut, daß die Generals den kleinen Klaus höflich ersuchten, ihnen auch in ihren Geschäften beyzuspringen.

Von nun an beginnt eine neue Laufbahn unsers Helden, die um so bemerkenswerther ist, weil sie über manche Handlung Aufschluß giebt, die im Leben nicht philosophisch betrachtet wird. Mein Klaus – wer hätte das gedacht – geräth in die Netze des Hochmuths; denn, nachdem er zu Mittag zwischen den alten ehrwürdigen [117] Lorbeern der Generals gesessen und sich verständig über dies und jenes erklärt hatte, wurde ihm alles zu klein, was der bey seiner Mutter fand. Er gieng auf ausdrücklichen Beruf des Fürsten zu den Prinzen, machte ihnen seine unterthänige Aufwartung, wobey er so viel Gnadenbezeugungen, so mannichfaltige Beweise von Hochachtung und Liebe erhielt, daß er sich nichts sehnlicher wünschte, als beständig am Hofe zu leben.

Er wanderte, da alles in Ordnung gebracht war, traurig nach Hause, doch hatte der Fürst versprochen, ihn [118] auf alle mögliche Art auszuzeichnen und weil er ein getreuer Hundehalter sey, ihn ehestens über viele Hunde zu setzen. Dies freute ihn in seiner Seele. Er jauchzte wie ein Mann, dem seine Wünsche erfüllt worden sind, sprang auf und nieder und griff nach seinem Stabe, um ein solches Glück auch den lieben Eltern mitzutheilen.

Auß dem Wege begegnete ihm ein Reiter und fragte, wohin er, der Knabe, wolle. Stolz und auf seine Größe sich verlassend, antwortete er trotzig: ob er gleich die Schuhe des Kindes trage, habe er doch mehr Witz [119] und Geist, als mancher Alte. Der Reisende lachte, die Antwort des Kleinen schien ihm zu behagen, er bot ihm einen Sitz auf dem Pferde an und munterte ihn auf, mit nach F. zu gehen. Der trotzige Jüngling sagte nichts, sondern marschirte quer durch das Feld. Erst als er mitten in den Aeckern war, bedachte er, daß ihn sein Stolz vielleicht zu einem allzukühnen Schritte verleitet, er wollte umwenden; allein ehe er noch die Fahrstraße erreichte, erschien ein Trupp Bauern, die ihm so hart zusetzten, weshalb er sich gefangen gab. Man fragte ihn, wie er sich befugt halte, ihnen die [120] Frucht zu zertreten, drohte, schalt und als Herrmann immer in seiner stoischen, gefühllosen Gleichmuth beharrte, bekam er so derbe Stöße, daß er zu Boden sank.

Zum erstenmal rannen seine Thränen, wie Thautropfen von den blühenden Wangen, er ächzte tief in der Seele, schwur bey Gott und allen Heiligen, er habe nicht den Vorsatz zu schaden gehabt und indem die bösen Leute ihr Maneuvre unaufhörlich fortsetzten, raset er gleich einem Tyger auf dem sandigen Boden und drohte sich an ihnen zu rächen. Die Bauern [121] lachten laut, da sie diese Worte vernahmen, aber je mehr sie schrieen, desto grimmiger wurde die Wuth des kleinen Klaus. Endlich verschwanden die Unholde.

Herrmann fieng an nachzudenken, ob er nicht selbst an seinem Unglücke schuld gewesen. Nach vielem Hin- und Herfragen kam er auf die Klausel, warum ihn die Kerls geschlagen. Er philosophirte links, er steuerte rechts und immer wollte es ihm nicht beyfallen, daß Menschen von seinem Wesen, ohne Befugniß Erlaubniß hätten Gewalt gegen einen ihrer Mitbrüder [122] anzuwenden. Gesetzt, fuhr er fort, ich hätte den Acker in meinen Ideen durchlaufen und manchen Halm niedergetreten, welcher von Gott dazu bestimmt schien, Früchte zu tragen, hätte nicht auch ein Donnerwetter eben den Spuk anrichten können? Und ist es nicht möglich, daß ich einst als gräßliches Donnerwetter am Horizonte emporsteige und meine Brüder würge und brenne.

Er sprach diese Worte mit einem Enthusiasmus, mit einem Feuer, daß es uns ordentlich bange wird, länger von ihm zu erzählen. Gott rief Klaus, [123] hat durch diese Bauern die Menschheit verdammt. Von nun an soll nichts sehnlicher von mir betrieben werden, als einen jeden, er komme woher er wolle, er sey aus welcher Gattung er sey, zu betriegen, zu hintergehen, zu verführen. Wonne soll es mir seyn, die heuchlerische Menschheit auf Kohlen zu rösten, ihnen ihre Därmer zu nehmen und einst, wenn ich genug geraset habe, dieselbe zu schinden. Ha! dann will ich triumphiren, dann will ich jauchzen! Kann man einen Herrmann, einen Freund des Guten so schändlich behandeln, so darf ich, ich der künftige Koloß auch alles [124] anwenden, um mit Frohsinn mich an den Greueln anderer zu letzen. Rase nur immer fürchterliche Brut, satanische Menschheit, du sollst an mir einen Mann finden, der, weil er sich selbst bezähmt, jede Leidenschaft schafft und am Fädchen hat, deine Zähne zu zerbrechen vermag. Wie wird sich dieses Herz laben, wenn es einst die Feinde seines Wesens schändlich gebrandmarkt, an Scheiterhaufen winseln sieht, wenn es dann mit der Kälte eines wahren Philosophen sagen kann: sieh’ dies ward in meiner Kindheit beschlossen und im grauenden Alter vollführt.

[125]

Gleichwie Blätter im Walde, so sind die Geschlechter der Menschen;
Blätter verweht zur Erde der Wind nun, andere treibt dann
Wieder der knospende Wald, wenn neu auflebet der Frühling,
So das Menschengeschlecht, dies wächst und jenes verschwindet. [3]

Diese poetische Blume fiel dem jungen Herrmann ein, als sein Zorn genug gekocht und beynahe übergelaufen war, er zog schnell das Reisig hinweg und schlug den alten Weg ein, auf dem er gekommen.

[126] Manche Betrachtungen über Welt, Zeit, Glück, Wahrheit und Bestimmung giengen dem guten Jungen phantastisch und unregelmäßig vor seiner Einbildung hinweg. Er träumte sich die schönen Zeiten, welche er bisher verlebt, die kriegerischen, heldenmüthigen Thaten, welche er gethan hatte; aber als er an den Augenblick, worin er eben gelebt, kam, machte er die Augen zu und schlüpfte unversehens darüber hinweg.

Sein edler Eifer für Wahrheit hatte sich plötzlich in Verfolgung umgewandelt. Wenn deine Schritte, dachte [127] er, künftig eben so bedornt sind, wie sie es eben waren, kannst du sicher nicht viel von der Wahrheit hoffen. Bey diesem Gedanken wogten ihm die Qualen, die er den Bauern anthun wollte, wie ein Meer vor seiner Seele hinweg. Erstlich dachte er sich eine große Kenntniß einzusammeln, seinen Körper so gut wie möglich zu pflegen, dabey immer auf die Weiber zu sehen, ihnen die Manieren, die feinen Posituren abzulernen und wäre dieses geschehen, den Olymp schnell mit einer Schildwache zu besetzen und sich über alles hinweg zu heben. Dieser Plan so ausgeführt, hatte manches Gute, [128] welches unser Klaus selbst im Ideal noch nicht ahnden konnte. Aber wir müssen ihn schon im Voraus loben; denn er blieb seinem Vorsatz in allem treu, darbte lieber, um groß zu werden, schloß sich an jedes, was ihn heben konnte und da er fest hieng, gaukelten ihm selbst in der Kindheit schöne Wirklichkeiten vorm Auge.

Von jetzt an sehen wir ihn äußerst thätig und geschäftig. Seine vorige Ausgelassenheit geht in Ruhe, in eine Kälte über, die darum zu loben ist, weil sie seinem Charakter Festigkeit und Bestimmtheit gab.

[129] Zu Hause schritt er zu einem neuen Leben. Er übernahm die Rechnung des Pfarrers, welche derselbe über die Kirche hatte. Oft saß er ganze Abende, zählte die Einnahme, summirte die Schulden und gieng um sich schon jetzt auszuzeichnen, selten unter die Kammeraden. Er that fremd mit ihnen und da sie ihn einmal darüber aufzogen, ihm seinen Hochmuth vorrückten und baten zurück zu denken und das Horn seines Vaters in die Einbildung zu rufen, lachte er spöttisch und rief: in kurzem sollt ihr mich als eure Zuchtruthe sehen. Die Jungen wußten nicht, was sie sagen sollten. [130] Es gieng von neuem die Sage, Herrmann sey verrückt, er spreche von nichts als hohen Dingen, belache den Pflug, gaudire sich über die Röckchen der Bauerstöchter, bitte sie, sich lange zu machen u. s. w.

Er zog sich immer mehr von seinen Kammeraden zurück und wenn ihn bisweilen die Noth zwang, einige Stunden unter ihnen zu weilen, machte er ihnen Vorschläge, wie sie sich erheben, auf was Art und Weise sie ihren Zustand verbessern könnten. Er besuchte sehr fleisig die Lehrstunden des alten Pastors, unterhielt sich oft mehrere [131] Tage über einen und denselben Gegenstand mit ihm und erquickte das Herz des redlichen Lehrers. Nur wollte ihm sein Vortrag, seine logische Bündigkeit und die Wurzeln des Deskartes, benebst dem Nepos keineswegs gefallen. Er stritt, machte Glossen, bat sich Erklärungen aus und setzte den Pfarrer nicht selten in Verlegenheit, aus der er sich nur mit vieler Anstrengung herauswinden konnte.

Der Magister liebte die Logik wie sein Leben. O! wenn er aus diesem Bettgestelle neue Schlüsse, fremde Ansichten und Gegenstände, wie Strohhalmen [132] zog und die Pfeife seines Verstandes reinigte, wurde ihm wohl! Besonders aber war er ein Freund von dogmatischen Grübeleyen, in die auch Herrmann tief eindrang. Der Pfarrer fand zu seinem Vergnügen einen großen Philosophen in unserm Klaus und wir werden nicht übel thun, wenn wir ihn künftig so nennen. Von dieser Stunde an erwachte die Liebe in unserm Helden. Kaum zählte er dreyzehn Jahr, so schlich sich unsere Pandora als schmeichelndes Mädel in sein Herzchen und wich nicht aus demselben, bevor er die Augen schloß.

[133] Ein Mädchen, Barbara genannt, wohnte ihm gegenüber. Da er sie nun alle Tage sahe, so war wohl nichts natürlicher, als daß er sich in sie vergaffte; zumalen da er, wie alle Romanenschmiede, gerade nichts Besseres zu thun wußte. Er hieng ihr an wie eine Klette und bekam darüber manchen Stoß. Doch wir würden schrecklich langweilig werden, wenn wir, in der Manier einiger unserer Herrn Kollexe, alle Verwickelungen auffassen und lösen wollten, die sich bey Klausens Liebe schlungen. Er hieng der Bärbel so an, daß man allgemein [134] sagte; er habe sein Leben für sie gelassen, wofern sie in Noth gerathen.


Die ehr- und tugendsame Jungfer Barbara trug von Stund an, da sie Herrmann zu lieben begann, einen langen Rock, ein schönes, nettes, feines, allerliebstes Wämschen, köstliche, römisch-antike Schuhe und was sonst noch zu einem solchen ansehnlichen Anzuge gehört. O! wie freute sich Klaus, wenn sie so geputzt vor ihm stand, wie umarmte er sie da züchtiglich; denn eine solche Huldin war ihm doch [135] in seinem ganzen Leben noch nicht erschienen. Er nannte sie nur seines Heilige, vertraute ihr alle Geheimnisse und, wenn wir nicht irren, (was freylich bey einem Autor eben so wenig, als bey dem heiligen Vater in Rom, der Fall ist,) fieng ein neues Leben an. Er glich jetzt ganz den abgeschliffenen Theaterhelden; webend und athmend wie sie, hatten er Sir Richardsonische Grazie und Schönheit. Hätte dieser Britte unsern jungen Helden gekannt, wahrhaft er hätte ein Seraphsköpfchen aus ihm gedrechselt, daß jedes deutsche Mutterkind seine Freude an dem lieben Jungen gesehen. [136] Aber so ist er uns, einem Manne, ein die Hände gefallen, der am Menschen das sieht, was an ihm ist; der fern von kühnen, transcendenten Idealen, nur die lumpige Wirklichkeit unserer sublunarischen Welt, als im Spiegel zeigt.

O! wir hätten selbst gewünscht, daß unser Held eine Grandisonische Monas, das ist eine Darstellung der feinsten, tiefsten Wesenheit, der heiligen, gränzenlosen Wahrheit, die nur der entfesselte Geist umfaßt, gewesen wäre.

[137] Doch, nach dem Gesetz der Identität, ist er einmal – wie er ist; (ein tiefgelahrter Satz!) wir fahren also dergestalt fort. Herrmann und Barbara liebten sich wie zwey für einander geschaffne Wesen. Sie saßen in Mondenschein, tränmten zusammen, ezählten sich, wie lieb sie sich hätten, gaben einander Kußhändchen und vertändelten so manche Nacht, die sie hätten veschlafen können. Die Bullenbeißer wurden nun hintangesetzt; er erhielt daher oft Briefe, sich einen Kompagnon anzunehmen, der das arme Vieh für ihn besorgte; aber [138] wer dies aus wohlweisen Gründen nicht that, war Herrmann Klaus.

Mäusefallen wurden jetzt nicht mehr gestellt; ja die Hunde bekamen nicht einmal die Brosaamen, die von der Mäuse Tische fielen. Dies gieng einige Zeit so hin, doch lange konnte es unmöglich dauern. Er bekam ein Rescript, worin ihm Vorwürfe wegen seiner Nachlässigkeit gemacht wurden. Dies weckte ihn allmählig aus dem Schlummer der Liebe und brachte ihn zum Nachdenken.

Nun erschien ihm die Welt nicht mehr im Rosenlicht der Liebe; er wurde [139] bedächtiger und dachte mehr auf die Zukunft, als auf das jetzige Leben.

Forthin wurden die Hunde sehr ordentlich von ihm besorgt und das Departement kam in sein altes Geleis. Er und der Herr Pfarrer schlossen jeden Monat die Rechnung, schickten die übrigen Brode in das Armenhaus und erwarben sich so die Liebe der Elenden. Mit Inbrunst beteten diese für den Klaus und seinen ehrwürdigen Gehülfen, wünschten beyden ein langes, ruhiges und glückliches Leben, worüber sich die Frau Magisterin oft in der Seele freute und den Sonntag darauf ihre Nase noch höher trug.

[140] Da wir einmal an dem guten Weibe sind, wird es unsern Lesern nicht ungelegen seyn, ihre Geschichte von der Wurzel an zu hören. Die löbliche Pfarrerin stammte drey Stunden vom Dorfe, von einem Kaufmann, welcher sie, um ihren Charakter zu bilden, nach N. in ein weibliches Institut gethan. Hier hatte sie Spinnen, Stricken, Nähen und Putzmachen so gut erlernt, daß sie sich in der Gegend für eine Meisterin ausgeben durfte. Der Vater, ein Mann von gewöhnlichem Schlage, voll Kaufmannsgenie und Spekulationen, rieth seiner Tochter, sich in die Welt zu schicken, [141] einen feinen Ton anzunehmen, und pfiffig zu werden.

Er wußte, wie gut diese Mittel wirken, wenn man sie in gehöriger Mischung zu brauchen versteht. Sein Geschlecht gieng nur zwey Spannen hoch hinauf und ohngefähr drey hinunter.

Er war der Sohn eines Leinewebers, der ihn freylich nur in seinem Gewerbe hatte unterweisen können; Heinrich aber dachte höher. Nachdem er bis in das vierzehnte Jahr bey seinem Vater gewesen, gieng er zu einem [142] wohlhabenden Kaufmanne, wurde Laufjunge und da er sich bey seinem Herrn beliebt machte, so nahm ihn dieser nach etlichen Jahren als Kopisten auf’s Komptoir und machte ihn endlich zum Diener.

Hier hatte er sich durch Fleis und Geschicklichkeit eine schöne Summe erworben. Er heirathete nun die Tochter seines Prinzipals und stieg plötzlich zu einer glänzenden Höhe. Wir können sonach voraussetzen, daß seiner Tochter etwas von dem Stande anklebte, aus dem er getreten. Dies sollte mit Hülfe der Louisdore und [143] mancher Komplimente von ihrem Charakter hinweggerieben werden. Es gelang; die edle Kaufmannstochter ward so fein und artig, als nur möglich.

Ihr Vater nahm sie freudig in die Arme, da sie aus dem Institute zurückkam; doch schien dem lieben Töchterchen eine gewisse Eitelkeit eingepflanzt, worüber der sorgsame Alte oft seine Glossen machte. Er kramte eine Menge rhetorischer Blümlein und Metaphern aus, um ihr dadurch zu verstehen zu geben, daß er die Eitelkeit hinwegwünsche. Seine Tochter verstand ihn anfangs, indeß dauerte [144] es nicht lang, so wollte sie auch dem guten Vater befehlen. Der Mann brachte öfters eine schlaflose Nacht darüber hin und weinte sich im Dunkeln die Augen roth, da er aber sah, wie wenig dies half und auch sein Beten keine Frucht trug, faßte er im geheim den Entschluß, die Hälfte seiner Leiden, sobald als es seyn könnte, zu verheirathen.

An einem Balle lernte sie unser Pastor kennen, bewunderte die Grazie, die Anmuth und Würde seiner Geliebten, worauf denn sein Blut in eine solche Wallung gerieth, daß er noch [145] den nemlichen Abend um das Mädchen anhielt.


Vielleicht sehen meine Leser in ihrer feurigen Einbildung, wie der edle Magister, während dem Balle, worauf er zum Unglücke nicht tanzen und dabey die liebe Kaufmannstochter sprechen darf, hinter dem Ofen sitzt und starr auf seine Geliebte schaut. Seine Augen sind während dem schnalzenden Walzen unverrückt auf die schöne Jungfrau gerichtet. Wie fliegt sie, wie wirft sie ihren gepuderten Kopf empor, [146] wie trägt sie das Füßlein, das mit glänzenden Schuhen belegt ist. Welch ein Zauber! o! dürfte doch unser Pfarrer mit walzen, wie betrauren wir seinen jetzigen Zustand. Gleich einem Gefangenen sitzt er da und niemand erscheint zu seiner Befreyung. Ach! des unglücklichen Lebens, ruft er jetzt, wie geplagt bin ich? Die Lichter brennen ihn in die Augen, es blendet ihn der Glanz der jungfräulichen Welt und wenn er nun gar das Roth sieht, welches eine glückliche Erde auf die Wangen gezaubert, wenn er bedenkt, wie viele Pinselstriche geschahen, bis der Karmin so leuchtend erschien, o! da [147] möchte er platzen. Die Petit-Maitres, die artigen Stutzer reizen seinen Zorn noch mehr, er gleicht einem grimmigen Löwen, wenn ihm die Jungen geraubt sind.

In dieser Exstase nahte ihm seine Dulcinea und machte einen tiefen Knix. Ach! wie plötzlich hat sich da sein Daseyn geändert, er lebt von neuem auf und sieht nichts als Himmelslicht und olympischen Nektar.

Es ist nun weiter zu berichten, wie der Pfarrer die Gattin erhält, wie er sie heimführt und mit ihr lebt. Hierauf [148] können wir das Blatt umwenden und zum Klaus hinüberspringen. –

Nachdem der Ball zu Ende und alle Rendezvous vollbracht waren, gieng der Magister zum Kaufmann und als er ihn in großen Geschäften erblickte, empfahl er sich und marschirte zu seiner Dame. Diese und die Tochter nahmen ihn so gut auf, daß er plötzlich aus seinem Elemente sprang und sich an die Frauen hieng. Er stotterte einige Töne; allein da es die Damen nicht verstanden, sondern bald seine schöne Parücke, bald seinen ehrwürdigen Rock begafften, so erholte er [149] sich und hielt eine solche Lobrede auf die Damen, wie sie noch nicht gehört worden. Der Anstand des Pfarrers, seine Schmeicheley, sein reines, dichterisches Wesen gefiel der Gattin des Kaufmanns recht wohl. Sie ließ, wie unser Mann bemerkt haben will, ihre Aeuglein mehr als die Tochter spielen und da diese in Abwesenheit des Magisters die Vorzüge desselben herausstrich, konnte sie gar nicht aufhören den Liebling ihres Herzens zu verehren.

Der Geistliche mußte zu Mittag bey dem Kaufmanne speisen und hierauf [150] wurde man des Handels einig. Der Handelsmann versprach zur Mitgabe seiner Tochter 1000 Thaler, einen Bettüberzug, zwey Duzend gepolsterte Stühle und allerhand Hausgeräthe. Dem Pfarrer, welcher in der Oekonomie wenig oder nicht bewandert war, schien dies sehr viel, er gieng den Handel ein und nahm die Schöne mit sich.

Da die Oekonomie des Magisters berührt worden, muß kürzlich gesagt werden, daß er in Leipzig drey Jahre den Freytisch genoß, daselbst auf Kosten der Handelsleute studirte und nun [151] unter der Botmäßigkeit seiner Mutter stand, welche die 300 Gulden Besoldung in Empfang nahm, alle zwey Jahre ein schwarzes Kleid kaufte und den Schnupf- und Rauchtabak des Religionslehrers Lothweise besorgte. Um das übrige bekümmerte sich der Pfarrer wenig, oder nicht, bekam er einen Braten, so wurde er verzehrt; erhielt er eine Erbssuppe, so aß er sie mit stoischem Gleichmuth, der gewissermaßen in Lebensverachtung übergeht.

Er übernahm die Tochter des Kaufmanns ohne vieles Fragen nach ihrem vorherigen Lebenswandel. Nach [152] der Hochzeit, auf der er sehr lustig war, bat er seine Schwiegereltern um die Erlaubniß, sein Weib mit nach Hause führen zu dürfen. Ohne Widerstand folgte sie ihm. Da die Mutter des Predigers die junge Frau sah und merkte, daß ihr Söhnlein alles nach eigenem Belieben gethan, schnitt sie ein gar lustiges Gesicht.

Indeß nach einem halben Jahre machte sie ihrem Lieblinge Platz, wurde krank, lag einige Wochen und gieng in die Ewigkeit. Klaus nahm – um nun zu ihm überzugehen – von Tag zu Tag an Verstand, Weisheit und [153] Gnade zu. Es hieß einigemal, daß ihn der Fürst auf Universitäten schicken wollte; allein hierzu schien der liebe Herrmann noch keinen Appetit zu haben. Er fühlte sich mit jeder Stunde glücklicher und brachte ganze Wochen bey seiner Barbara hin.

Die Mutter, welche diese Liebe bemerkte und sie nicht gern zu sehen schien, zankte zwar oft mit ihrem Sohne, doch Herrmann kümmerte sich so wenig drum, daß er vielmehr die Barbara öffentlich umarmte und seine Gute nannte. Darüber ergrimmte Klausin und jagte ihren Sohn fort. [154] Hierauf kam die Sache vor den Regenten, dieser machte dem Kleinen Vorwürfe, Herrmann erörterte dann die Sache, trug sie so schön wie möglich vor und da der Fürst merkte, daß die Mutter unsers Helden mehr Unrecht als Recht hatte, gab er ihm freye Hand.

Wir eilen jetzt einer merkwürdigen Epoche entgegen und bitten die Leser ja aufmerksam darauf zu seyn, weil sich aus ihr der Faden jenes Glücks entspinnt, welches dem Klaus, wie eine Sonne, entgegenstrahlt. Es war Morgen und Herrmann lag noch in [155] den Federn, da erschien seine Mutter, hatte eine Stange und schrie fürchterlich, Verführer, Taugenichts, jetzt will ich dir helfen. Gleich einer Furie und ganz ähnlich jenen Gestalten, welche wir unter diesem Schema noch auf Gefäßen, Urnen und Steinen finden, sprang sie zum Bette, riß die Decke hinweg und hieb auf den Klaus so nachdrücklich, daß sich dieser genöthigt sah, seine theure Mutter an den schönen Haaren zu packen und jammernd und schreyend sie zur Erde zu werfen. Da haben wir nun den Spas. Was nützen gute Lehren, wenn man sich nicht darnach richtet? [156] Was fruchtet alle Information, wenn nicht die Liebe zum Schönen und Wahren den Menschen beseelt.

In dieser Minute vergaß Herrmann seinen lutherischen Kathechismus, seine Bibel, seinen Nepos, dachte weder an die Vokabeln, noch ans Stehlen, sondern ward so fürchterlich, daß er die liebe Mutter ein und das anderemal, – wir sagen es mit Schaudern – eine Hexe nannte.

Sagen Sie theure Leser, ist das Recht, darf ein Sohn zur Züchtigung greifen, wenn er mißhandelt wird [157] und würde nicht jede heilige Lehre verhallen, wenn der Sohn erst so weit gehen könnte. Sie entgegnen: der Vater und die Mutter dürfen ihr Kind züchtigen und gesetzt sie hätten auch nicht allemal recht, so giebt dies dem Kleinen keine Befugniß, selbst Hand anzulegen. Die gelehrte, tiefgedachte und mit aller Logik ausgestattete Rede hat ganz den Beyfall des Pfarrers. Aber in dieser Minute fragte Klaus weder nach dem Herrn Pfarrer, noch sonst nach jemanden. Er thut was er will und glaubt mit Recht. Seine Mutter lag noch immer auf dem Boden, winselte und schrie, fluchte und [158] betete, doch der böse, lose Knabe hatte sie fest gepackt. Er wollte sie nicht eher loslassen, als bis sie ihm verspräche, sich künftig nicht in seine Händel zu mischen, sein Departement ruhig zu betrachten und ohne Sorge zu seyn, indem er mit der Barbara noch keinen übeln Streich vollbracht habe.

Du noch keinen bösen Streich vollbracht? rief die erzürnte Mutter. Gehst du nicht alle Tage zu ihr? Und was thust du dort? Liesest du ihr Moral, oder die Gebote aus dem Katechismus vor? Schweig sag ich, begann der erzürnte Herrmann, kurz ich habe noch [159] keinen, schlechten Streich vollführt. Man soll seinen Nächsten lieben, gleich sich selbst, so heißt es in der Bibel und thue ich Unrecht, sofern ich diesen Spruch bey meiner Barbara in Erfüllung bringe.

O! wie lieb’ ich dieses Kind, mit welcher wahren Innigkeit hänge ich ihm an! Wie treu befolge ich die Lehre: thue Gutes dein Lebelang. Jeder Arme empfängt von den Brosaamen der Jagdhunde, jedem Unglücklichen geb’ ich ein Allmosen aus der Kasse, welche für die Bullenbeißer errichtet war.

[160] Sieh Mutterchen so bin ich und so will ich ewig bleiben. Er fiel zur Erde und sah nicht, wie die listige Klausin in dem Augenblicke aufsprang und ihn am Rücken packte. Als er noch so da lag, regnete schon eine Tracht Schläge und er fühlte sich so genirt, daß er in ein Brüllen, ein fürchterliches Toben ausbrach.

So schrie Hektor, als er um Trojas Mauern geschleift wurde und Homer hätte eine Drachme gegeben, wenn er zu seinem großen Helden zugleich das Ideal des Herrmanns gewußt.

[161] Der ganze Hof war mit Bauern erfüllt. Einige bedauerten den heldenmüthigen Knaben, indem er so viel Herzeleid zu dulden habe, andere nannten ihn einen Bösewicht, weil er nach der Mutter geschlagen, ihr die kindliche Ehrfurcht versagt und sie geschimpft hatte, mehrere hielten ihn für eine außerordentliche Seele und sahen einen Mann in demselben, der künftig allem Schicksale Trotz bietet.

Man rann ins Haus, man bat, man flehte, den schönen Herrmann gehen zu lassen und da alle Schmeicheleyen umsonst verschwendet wurden, [162] lief Barbara hin und half ihrem Geliebten. Sie trieb die Mutter in eine Ecke, hob den schönen Liebhaber empor und streichelte seine entstellten Wangen. Auch ihr Vater kam, nahm Herrmann auf die Seite und suchte ihn zu begütigen. Indeß als er genug gewüthet, griff er nach seinen Effekten, welche er in die Wohnung der Dulcinea schaffte.

Auf der Straße wünschte er der Mutter alles Böse, was nur zu erdenken war. Wenn ich, schrie er, ein Mann bin und mit Kraft gestählt in diesem Lumpenneste erscheine, will ich [163] dich züchtigen für deine Schelmerey. Noch nie habe ich einen argen Gedanken gegen dich gehegt, aber jetzt erwacht mein Grimm. Ich möchte diese Lumpenwaare in den Tartarus stoßen, die Hölle in Brausen setzen und alle Kinder der Nacht hervor und ans Licht rufen. Aber noch ist die Stunde nicht, wo ich handeln soll. Noch bin ich ein schwacher Knabe, der nicht die Wege kennt, worauf Muth und Klugheit einhergeht. Nur ein Kind scheine ich gegen euch grauen, unvollendeten Menschen. Doch! er hob die Hände zum Himmel, hier sey es gelobt, ich will mich durch euch erheben und auf [164] eurem Grabe ein Hosianna singen. Seele fasse Kraft! Geist waffne dich zum Kampfe! Zwar sind es nur Katzen, mit denen du zu streiten hast; allein auch diese muß man beobachten. Also gehabt euch wohl. –




[165]
Zweytes Buch.


[166] [167] Klaus saß bey seiner Barbara und erzählte ihr, daß er nunmehr, so viel sein Verstand nachzurechnen vermöge, 20 Jahre alt sey. Denn jetzt zählte man 1773, er aber sey 1753 gebohren. Seine Geliebte wollte diesem Gespräche kein großes Gehör geben, sondern wandte sich zu der Katze, die in einer Ecke des Zimmers saß und erstaunlich maute. Da sie solche gestrichen, [168] traten zwey Gesande ins Zimmer, welche den kleinen Galgenvogel im Namen seiner Eltern ersuchten, wieder nach Hause rückzukehren und ihrem Hausfrieden beyzuwohnen. Es sollte ihm alles verziehen seyn und wenn er in Zukunft nicht mehr sündige, wollten sie ihn als reuigen, bußfertigen Sohn betrachten.

Die Barbara streichelte die Katze an einem fort, indeß stieg Herrmann auf und redete die Amme und die Magd des Herrn Pfarrers folgendergestalt an:

[169] Glaubt ihr denn, daß der Vater Befugniß habe mit Füßen über sein Kind zu schreiten? Was that ich der Mutter, warum erboßte sie über mich und zupfte mein Herz so abscheulich? Nein, nie folge ich euch und wandle in ein Haus, wo nichts als Wirrwarr herrschte! Hier am Busen meines Mädchens, in den sanften Armen ihrer Liebe will ich ruhen und indeß die Menschen mich belachen, fröhlich ein Glück genießen, das so selten den Menschen ward.

Mit diesem Pathos sprang Herrmann auf, riß seiner Barbara die [170] Katze aus den Händen und drückte ihr solche feurige Küsse auf den Mund, daß die Abgesandten verstummt dastanden und nicht wußten, was sie über die Freyheit des Klaus sagen sollten.

Die Magd des Herrn Pfarrers, benebst der Amme giengen wehmüthig von dannen. Sie beneideten die tückische Katze und die seelige Barbara, welche ungetheilt die Liebe des guten Herrmanns hatten. Im Vorbeygehen müssen wir gestehen, die Amme war eben so verliebt in den losen Jüngling, that eben so viele Liebesblicke nach seinen braunen Augen, wie Bärbchen.

[171] Indeß der kalte Stoiker, der Aufseher der Bullenbeißer sah es nicht. Im Weggehen wollte sie sich das Herz nehmen und ihm ihre inneren Wünsche enthüllen; allein in dem nemlichen Augenblicke, worin es geschehen sollte, fiel Klaus mit den warmen Betheurungen seiner Liebe ihr in den Weg und sie mußte daher leer abziehen.

Noch vor der Thür der Barbara, sagte sie sich die süßesten Worte, wiederhohlte sie so oft und ward zuletzt der Meinung, solche bey einer künftigen Unterredung an den Mann zu bringen.

[172] Auch der Magd sah man es an, daß sie allmählig in die Fußstapfen der liebetrunkenen Dido gerieth. Alle Symptome waren dazu da. Erstlich hörte sie nicht auf, das Mädchen glücklich zu preisen, welches einst so glücklich wäre, den schönen, jungen Herrmann in das Ehebette zu begleiten. Zweytens lobte sie seine rothen glühenden Wangen, seine funkelnden Augen, seine schneeweiße Brust und das schöngeringelte Haar. Drittens suchte sie alle Verschen herbey, welche auf den Klaus zu passen schienen.

Welch eine Eroberung für einen zwanzigjährigen Mann, welche Hoffnung [173] künftiger Fülle und Größe! Wenn man so dem andern Geschlecht und ohne Ausnahme gefällt; dann ist man ein glückseeliger Erdensohn. Es ist zu bedauern, daß der gute Jüngling nicht im griechischen Zeitalter geliebt, gewiß würden ihn die Dichter desselben bis zum Himmel erhoben haben.

Die beyden Liebenden saßen immer beyeinander, machten Plane, drehten Ideen wegen ihrem künftigen Leben, sahen schon Kinder, sagten sich, wie sie solche erziehen und da sie genug gesprochen, hat Klaus sich die Erlaubniß [174] aus, nach Hof reisen und da seine Lage vortragen zu dürfen.

Die Eltern der Barbara wollten es nicht zugeben, sie sahen im Voraus, welche Stricke dort auf den Herrmann warteten, indeß er bestand darauf und als das rosige Licht der Sonne am Himmel heraufsprang, ergriff Herrmann den Wanderstab und reisete ab.

Als er durchs Dorf gieng, begegnete ihm der Pastor und schaute ihm ins Gesicht. Gleichsam, als kenne er ihn nicht, eilte Herrmann vorüber [175] und war noch nicht weit gekommen, so erblickte er den Lehrer des Dorfs, wie er mit einigen Bauern, worunter auch Klausens Vater war, dem ehrlichen Jüngling nacheilte und eine Peitsche hob, um ihn tüchtig durchzuwickeln.

Der Kleine blieb stehen und ließ den Zug näher rücken. In seiner Seele war es heller Tag, er ahndete nicht, daß ein Magister, ohngeachtet er alle Sonntage aus der Bibel lehrt, so unmenschlich seyn könne, einen unglücklichen Liebhaber mit seinem ganzen Zorne zu verfolgen. Indeß, was [176] geschah; der Pfarrer schwang die Peitsche und hieb auf den guten Herrmann so derb los, daß dieser aus Noth seinen Stab emporstreckte und die Pudelmütze des Dorfpfarrers so zerlederte, als es gehen konnte.

Der Magister rief die Bauern, bat sie ihm beyzustehen und den gottesvergessenen Jungen zur Raison zu bringen, doch niemand hörte, keiner wollte sich der Gefahr aussetzen, Prügel zu bekommen. Dabey fuhr der Gotteslehrer fort, die Unredlichkeit des Herrmanns, seine Gewissenlosigkeit und alles zu besudeln, was an ihm [177] nicht makellos war. Seine Wuth war ohne Gränzen.

Er nannte den Kleinen einen Bösewicht und schwur ihn beym nächsten Konsistorio zu verklagen. Der Reisende hielt alles ab, indem er versteinert dastand und nur zuweilen ein Wort, von Massivigkeit sagte. Da er genug geredet, fielen ihm Thränen aus den Augen. Er schluchsete und begann so: Wenn ich Unrecht handelte, so habt ihr es zu verantworten, ihr Unseeligen. Er wollte ulyssisch reden, doch seine Worte giengen plötzlich in den Jammerton der hekubischen Sprache über.

[178] Denkt ihr, fuhr er fort, daß ich mir sollte alles gefallen lassen? Hab’ ich nicht genug erduldet? Wer trug die Last der Kirchenrechnung, wie ich? Wer stand dem Armenkasten vor, als meine Person? Hab’ ich was erhalten? Mußte mir nicht mein Vater die Kleider schaffen?

Und dieser Herr Pfarrer, welchem ich alles zu Liebe gethan, dem ich die Gänse gehütet, die Kälber an die Weide getrieben, sucht mich noch zu schlagen! Welch ein Frevel! Ich habe gern alles gethan, um des Friedens Willen und was thut man nicht darum?

[179] Demohngeachtet sind sie geistlicher Herr so böse, handeln nicht blos wider die Schrift, sondern auch den lutherischen Kathechismus und zwingen mich, ihnen auf den Leib zu kommen. Herrmann vergoß neue, heiße Thränen und wurde roth und weiß.

Die Gemeinde sah dies als Zeichen seiner Reue und Demüthigung an, weswegen sie ihn bald mit dem ungerathenen Sohne, bald mit dem Kind Gottes und andern verwandten Dingen verglich, welche freylich ihrer Seltenheit wegen in dem Kopfe des Klausleins solchen Schaden anrichteten, wie [180] er nur erhofft werden durfte. Herrmann nahm sich einer Sache sehr heftig an. So stritt er einstens über die Logik, nannte die Aristotelische eine Verstandesverwirrung und machte solchen Spektakel, daß die Frau Pfarrerin Friedens halber sich in’s Mittel schlug.

Auch jetzt fiel der Pastor ihm in die Rede und vermahnte die Bauern, sich an einen solchen Schelmen nicht zu hängen.

Doch Herrman gewann ihre Liebe. Er that so weinerlich, beklagte sein [181] Schicksal so rührend, erwähnte so viel von den guten Handlungen seiner Bauern, daß ihm selbige, gleich einer desertirenden Armee, auf die Seite sprangen.

Nur sein Vater, benebst dem Schullehrer, konnten es nicht über das Herz bringen, einem Sünder Gnade wiederfahren zu lassen.

Der alte Klaus und der wohlbeleibte Dorflehrer, standen bey dem trefflichen Herrn Magister, welcher, um ihnen seinen Dank zu erkennen zu geben, nicht aufhörte Sprüchlein auf [182] dem Gesangbuche zu wiederhohlen, die so anmuthig und herzlich klangen, als man je welche gehört.

Auch die Bauern schienen der Meinung zu seyn, ihrem erfahrnen Lehrer beyzuspringen und jene Sünden abzubüßen, die sie durch den Ungehorsam gegen seine Empfehlungen begangen. Sie erinnerten sich mit süßer Empfindung an jene Tage, wo sie den alten Gottesgelehrten mitten im Pathos vor sich stehen und seinen Katechismus dergestalt abbeten gehört, daß ihnen warme Thränen von den Backen flossen.

[183] Als der Kleine die Szene wankend und die Zuschauer traurig erblickte, suchte er sie durch mancherley Künste wieder auf seine Seite zu bringen. Er stellte den Nachbarn vor, wie gut sie miteinander lebten, wie wenig er seine Kammeraden beleidigt, welche Absichten er gehabt und daß der Geistliche ganz gegen die Philosophie und seine Dogmatik gehandelt, indem er ihm auf das Fell gekommen und sein unschuldiges Haupt, theils mit Flüchen, theils mit Stößen entehrt habe. Er möchte, fuhr er dann fort, einmal wissen, was er gethan. Daß er aus [184] dem elterlichen Hause geflohen und sich zur Barbara begeben, sey recht.

Seine Mutter wurde jetzt von ihm in allen Entwickelungen dargestellt. Er sagte, daß dieses Weib von seiner Jugend auf, ihm nicht gefallen, weil sie wenig oder keine Liebe zu seinem guten Vater gehegt und was wäre das Leben, wenn man es an der Hand eines unredlichen Wesens hinbrächte, das nur für sich sorgte, alle Bemühungen hintansetzte, welche ihm als solchen oblägen und am Ende wohl gar noch sündigte.

[185] Er schwieg und sein Vater kam herbey, um den ehrlichen Sohn in die Arme zu fassen. So ist das menschliche Handeln; am Morgen Flamme, am Mittag Glut und gegen Abend eine verglimmende Kohle.

Ueberhaupt hatten sich die Gesichter der Versammlung umgewandelt. Der Gerichtsschöpf, den wir einst als Traumdeuter gefunden, stand wie verpflöckt im Kreis und wußte nicht, wohin er schnell mit seinen Gedanken springen sollte. Er liebte die Frau Klausin mit wahrer, inniger Zärtlichkeit und da ihm der Himmel und [186] das hinkende Schicksal, ein häßliches, liebeloses Weib zur Frau geschenkt, so glaubte er kein größeres Werk zu thun, als wenn er sich zu der gefühlvollen Klausin wendete, die sich sowohl in die Freude, wie in das Leid schicken und sehr gut sympathisiren konnte. Dies merkte der kleine Herrmann und schien anjetzt darauf hinzuweisen. Er allegirte auch einige Stellen aus den Metamorphosen, aus dem Virgil, sprang dann zum edlen, sinnreichen Gellert, dem er in allem anzuhängen schien.

Also – der Traumdeuter stand einfältig da, legte die Hände ineinander, [187] schob die große Mütze in die Augen, fühlte nach seinen Armen und nachdem er so eine Zeitlang getiftelt, erblaßte er, schwieg, fieng an zu reden, verstummte von neuem, nannte den Herrmann einen einsichtsvollen Jüngling und überhäufte unsern Helden dergestalt mit Lob, wickelte ihn so in Satyre und Liebe, daß es diesem ordentlich warm wurde. Dabey stand der Herr Pfarrer und verlohr sich aus seinem schreyenden Tone in dem der Wehmuth. Auch Veltin, der Gelehrte, kam aus dem Kontext.

Als der kluge Jüngling solche Veränderung unter den Feinden erblickte [188] und bemerkte, wie sie sich nach der Flucht umsahen, entschloß er sich, ihnen in die Flanke zu fallen, wodurch der Sieg, wo nicht herbeygezogen, doch beschleunigt, ein neuer Schaden herbeygeführt und die Menge in Unordnung gebracht werde.

Eben erschien seine Mutter, was ihn in dem vorgefaßten Entschluße bestärkte. Sie war in vollem Schmuz und schluchsete so laut, daß man ihr Gewimmer aus der Ferne hören konnte.

Was mag das zu bedeuten haben? dachte der kluge Klaus. Ist sie durch [189] ihre Sünde dahin gekommen, mir beyzuspringen, oder was hat sie bewogen, ein solch Lamentabile zu erheben?

Dadurch wurde die ehrwürdige Versammlung der Bauern noch gespannter. Einige waren mit voller Aufmerksamkeit auf den Ort gerichtet, allwo die Klausin erschien, andere, zogen ihre Gesichter davon weg und wendeten sie auf die kahle Erde, welche, da sie vom Winter mit Eis bedeckt, keine Idee vom Schönen und Wahren erzeugte.

[190] Dem Anscheine nach waren unsere Bauern auch nie so abgeneigt, sich mit abgezogenen Ideen zu beschäftigen, wie jetzt. Da beynahe drey Minuten verflossen, ohne daß ein Wort hervorkam, welches die ehrwürdigen Ackerleute sprachen, so wurde Herrmann nach und nach so neugierig, die Leute über die Begebenheit zu befragen.

Aber es begab sich, daß sie alle schwiegen und in einer gewissen Angst erschienen.

Endlich faßte sich der Geistliche ein Herz. Er bewieß mit aller seiner [191] selbstgeschaffenen Gelehrsamkeit, daß man sich auch im Unglücke und wenn die Aussichten nicht gut wären, mäßigen müsse, man müsse seinen inwohnenden bösen Geist an eine Kette legen und frey seine Gedanken bewegen.

Wie viel, rief er, haben die Heyden insofern vor uns voraus? Hat nicht Sokrates, dieser böse Heydenpriester, seinen Leib so gezähmt, daß er ohne Murren den Todesbecher nahm und trank.

Die Bauern verstanden von dieser gelehrten Distinktion auch nicht ein [192] Wort. Sie bewunderten die tiefe Einsicht ihres Magisters, wodurch ihnen Dinge offenbar wurden, die sie weder geträumt, noch gedacht hatten.


Unterdeß daß Klausin erscheint und ihr Elend beschreibt, soll eine andere Floskel in dies schöne Werk einfließen.

Wir haben nicht selten die Bemerkung gemacht, wie das lesende Publikum einem weisen, genievollen Schriftsteller jenes Lob vorenthält, das ihm gebührt. Einst, wo wir noch auf der [193] Bühne standen und mit gelassenem Blicke dem Thun und Treiben der Menschen entgegenschauten, erkannten wir ihre Unzuverlässigkeit. Nun da unser Handeln verflossen und wie der Wind verweht ist, glauben wir nicht unrecht zu thun, sofern wir einige Gedanken darüber niederschreiben.

Derjenige Mensch, welcher hienieden nicht flattiren und unter satyrischen Anspielungen Schmeicheleyen sagen kann, ist verlohren. Mit welchem Feuer brannte unsere Phantasie, wie hell suchte sich das Zimmer des Geistes zu gestalten! Aber Raubthiere, [194] schwarz und giftig, stellten uns nach und die reine, unverfälschte Liebe zum Wahren entfloh, wie der Rauch nach dem flammenden Feuer. Die Schriftstellerwelt ist – mit Schaudern gestehen wir es Wezel – eine satanische Welt.

Diese dichterische Ader wurde nach und nach von ihr zerschnitten und an dem schönen Herzen nagte der Geyer des Sysiphus. Aber ich will alle meine Wuth zusammenfassen, um diese zertrümmerte Scheibe noch zu rächen. Sieh’! und sollten wir den Bogen um 10 Pfennige verkaufen, so wollen wir schreiben.

[195] Doch warum wüthet man in diesem Narrenhause, wo nur Dummheit gebietet. Ja! schon heben sich die Aeffchen, schon lachen sie über die witzigen Einfälle des großen Wezels. Aber unser einer sieht nunmehr alles kalt und mit Verachtung an. Hättet ihr ihn, den guten Mann, nicht eher achten sollen? Was habe ich euch Fratzengesichtern gethan? Warum lehntet ihr euch auf gegen den lieblichen Komiker? Nicht wahr mein Salz war euch zu scharf, ich sprang euch zu hart an’s Leben?

Allein weshalb rede ich mit Menschen, die sich eben so wenig kennen, [196] wie das Wasser seine Fische. He! lacht einmal recht! Wir wollen weinen, indeß ihr ha, ha! macht. O! guter Wezel, wie weit bist du gekommen, wie haben sie dich gelohnt! Doch die Nachwelt wird dir sicher einen Kranz für dein Märtyrerthum darbieten.

Fort! – Hinweg vom Gesindel!

Die Frau Klausin brachte die Nachricht, daß ihre beste Kuh so eben an einer Feder, die sie verschluckt, gestorben wäre. Sie habe, sagte sie, alle Mittel angewendet, um die vier Karolin [197] zu retten, welche sie ehedem, an einem zahlreichen Viehmarkt, für dieses gute Stück gegeben; allein ohngeachtet ihrer Sorge und wiewohl sie die Praktikabelsten angerufen, sey ihre Meys um 9¼ Uhr verschieden.

Sie weinte eine Menge Thränen und konnte nicht aufhören, die Schönheiten, die fette Milch, den guten Rahm und die wohlschmeckenden Käse zu loben, die sie seit zwey Jahren von der Muh bekommen.

Die ganze Schaar der anwesenden Bauern stimmte mit ein in das hohe [198] Lamentabile und man war einstimmig der Meinung, der stolzen Meys, die alle Kindern nachgelaufen, eine Parentation zu halten.


Parentation der Muh Meys.

Da wir anjetzt hier versammelt sind und eine Kuh vor uns haben, welche ihren Vorgängern treulich nachlebte, brav Milch gab und Schmand die Fülle machte, dabey aber wissen, warum diese gute Meys nicht länger gelebt, wollen wir ihr die letzte Ehre [199] erweisen. Zwar befiehlt uns kein Gesetz, daß wir die Kuh mit Liebe bestatten sollen; zwar sagt nicht das Pflichtgebot: dehne deine innere Verehrung bis zur Muh aus; doch ein geheimer, rührender Antrieb, der in der ganzen, hochgeehrten Versammlung waltet, beweis’t, daß die ruhig Verblichene nicht unwerth sey, sie mit allen Ehren zur Gruft zu bringen. Mancher Mensch hat in seinem ganzen langen Leben nicht so viel Gutes geschafft, als unsre theure Meys. Sie gab jeden Tag ihre acht Schoppen Milch, welche der betrübten Klausin manchen schönen Thaler einbrachte.

[200] Die ehrliche Frau hörte dieses Lob mit innigem Wohlbehagen und da nun der Magister plötzlich einen Panegyrikus über ihre Fütterung, die Reinlichkeit des Stalles, die Einfalt, womit sie alles behandelte, nachfolgen ließ, wurde sie ihm so gut, daß sie beynahe um seinen elfenen Hals gefallen wäre und den Schweiß von seiner edlen Stirn abgeküßt hätte. Doch sie erinnerte sich bey Zeiten, wie sich so etwas bey dem Ehegemahl nicht schicke und blieb in der kalten Ruhe, worin sie bisher verharrte. Der Herr Magister erzählte jetzt, daß die ruhende Meys aus sehr edlem, saftvollem Geblüte [201] herstamme. Der Herr Gerichtsschöpf besitze noch die Mutter, welche so gesund sey, als man es wünschen könne. Die zarte, junge Muh, die von der alten Kuh entsprossen, fuhr er fort, wäre schon in der ersten Kindheit äußerst zärtlich gebaut gewesen, darum habe sie auch der brave Traumdeuter an die Klausin verkauft und dieser empfohlen, ja säuberlich mit dem Schößlinge zu verfahren, weil ansonst zu befürchten, sie sterbe, bevor sie ihre Milch gegeben.

Die redliche Viehmutter habe darauf durch ihr Söhnlein die Kalbin [202] fleisig auf die Weide führen und sie oft am Brunnen tränken lassen, weshalb das Thier bis auf diese Stunde sein Leben erhalten.

Da der Magister mitten in der Parentation stand und eben nach dem introitu des zweytens Theils suchte, erschien ein Wagen, worin mehrere Damen saßen. Die fuhren gerade bey dem Wasen, worauf die entseelte Kuh gekommen, vorbey und da sie den großen Tumult erblickten, hielten sie still, fragten ob nicht ein Wirthshaus im Dorfe zu finden sey und als es verneint wurde, baten sie den schwarzen [203] Rock, ihnen doch ein Nachtquartier zu geben. Er winkte einige Zeit stille zu seyn und fuhr so fort.

Nachdem, ich die jugendlichen Sprünge der Meys berührt und die treffliche Vorsorge Herrmanns ans Licht gezogen, will ich anjetzt zu den Tugenden der Muh übergehen.

Jedesmal, wenn sie auf fette Weide kam, gieng sie einen Tag lang ohne zu brüllen und sich nach Futter unzusehen. Dann flechtete der Herrmann Körbchen, machte sich Spielzeug und fieng, wenn ihm die Zeit [204] lang wurde, Fische, die ich nicht selten mit seiner lieben Mutter verzehrt habe.

O! wie lieblich! wie stolz kam die Meys von der Weide, sofern Herrmann Fische brachte. Dies war mir ein Zeichen von dem guten Futter, welches sie gefressen. Doch eines Tages, als ich spaziren gieng, fand ich sie in meinem Wieschen und sah mich genöthigt, derb auf sie los zu hauen. Dies geschah aus lauter Liebe und Gnade. Ich wollte ihr durch meine Schläge, die vielen Stöße ersparen, [205] welche ihr beym Besuche einer fremden Wiese zu Dienste standen.

Das Thier nahm willig die Tracht dahin und gieng stolz, als verabscheue sie den Raub von meinem Theile, besuchte schweigend den ihrigen und kam nicht wieder.

Eine solche vernünftige, kathegorische Handlungsweise freute mich tief in der Seele. Ich sah die Meys mitleidig an und sie blickte mir schuldlos ins Auge. Dann fieng sie ein entsetzliches Brüllen an, worauf ich ihr Haupt streichelte, ihren Hals mit den [206] Händen kratzte und das gute Vieh so kirre machte, daß es mich dergestalt beschmunzelte, wie es nur zu hoffen.

Von Stund an kam ich jeden Mittag, wenn die Frau Klausin fütterte und that allemal meinem Herzen was rechts zu Gute, wenn ich die wohlgebohrne Kuh betrachten konnte.

Bey diesem sonderbaren parentiren fieng eine von den Damen ein lautes Gelächter an. Der Herr Pfarrer fragte, wo es fehle und die gute Jungfrau erwiederte, um nur unterzukommen, daß sie so eben einen Hacht gesehen, [207] welchen der Wind hin- und hergesagt.

Die Schönheit der jungen, liebenswürdigen Dame, ihr einnehmendes Point, die Röthe ihrer Wangen und die holde Sympathie ihrer trefflichen Augen, hatten den Parentator ein wenig aus der Fassung gebracht.

Dieser Streich kürzte sein Thema um vieles ab und als er zu Hause nachsah, hatte er ein ganzes Viertel der zweyten und letzte Hälfte rein vergessen. Dies war ein Zufall, der unserm Redner noch nie begegnet war. [208] Sein gutes Gedächtniß und die lange Zeit, welche er auf seine Predigten verwandte, machten, daß er jederzeit alles richtig hersagte.

Oft gestand er sich schmeichelnd, daß er auch nicht ein Wörtchen, ja nicht einmal eine Syllabe ausgelassen. Welch ein Gedächtniß, welche Beharrlichkeit im Memoriren und Selbstdenken!

Nachdem die Rede geschlossen, bewillkommte der gastfreundliche Pastor die Fremden als seine Gäste und nahm sie mit in die Wohnung.


[209] Wir tragen eine große Furcht für unsern geistlichen Lehrer. Wie wird er sich verhalten, wenn er in der Gesellschaft solcher Mädchen lebt.

Die Gesellschaft bestand aus drey Damen und einem bejahrten Manne. Es schien, als wären die Mädchen seine Töchter; allein nach vielen Hin- und Herfragen des Pfarrers, hörte er, es wären seine Gesellschafterinnen, welche er auf der Reise, worauf er begriffen, mitgenommen. Der Magister hatte dies eben herausgebracht, als er sich auch um die Schönen herummachte, selbigen die naivsten und [210] artigsten Schmeicheleyen sagte, sie mit Lob überhäufte und zuweilen gar streichelte. Seine Gattin sahe es nicht gern, allein was wollte sie machen.

Unsere jungen Schönen zogen sich vom Dorflehrer zurück und verschüchterten, wenn er ihnen eine schöne Rede sagte, sie steckten ihre lieblichen Augen hinter den Fächer und konnten sich nicht satt lachen, über den alten Liebhaber.

Auch waren die jungen Damen gar nicht für einen so abgespannten, ungelenken Mann, als unser Magister [211] geeignet. Sie lebten in dem Alter, wo die Knospe der Schönheit erst nach und nach aufbricht, wo das liebenswürdige Mädchen so gerne erröthet und sich nicht überzeugen kann, wie eine Rose, die schon verblüht und den Lenz ihres Lebens dahingebracht hat, noch einmal nach demselben dürsten und ihn herbeywünschen könne. Was war also natürlicher, als daß diese Naturtöchter über ihren seltsamen Wirth erstaunten.

Doch der Magister wurde immer zutraulicher. Jemehr die Damen seine Versuchungen abwiesen und ihn mit [212] Gelassenheit, von seinem geistlichen Stande, von seinen Pflichten überzeugten, desto seltsamer schien ihm diese Lebensweise.

Eines Morgens, wo alle Floren ihren Liebreiz über die Jungfrauen ausgegossen hatten, kam der theure Lehrer des Dorfs und erkundigte sich nach dem Wohlbefinden unsrer Schönen. Sie hatten gerade einige Beschäftigungen an der Toilette, kräuselten sich ihre Haare und enthüllten den sanftwallenden Busen, um ihn in Nektar zu baden.

[213] Der Magister stand wie eingekeult an der Thür und wußte nicht, was er sagen, mit welchen Reden er zuerst beginnen und seine Töchter begrüßen sollte. Endlich schien’s ihm am besten einige Zeit Halt zu machen und indeß er sich gesammelt, an einen wortreichen Blumenstrauß zu denken, den er den Gästen vor die elfene Brust steckte.

Er griff bald in die Gedanken des liebenswürdigen Pindar, bald in die Ideen des logischen Aristotel, bald in die Einbildung des weisen, sanften Horaz.

[214] So ausgestattet mußte er Interesse erwecken und sollte es auch noch so hart wiedergehen.

Er stellte sich vor die reizenden Damen und ward so verliebt, so idealisch, so anbetungswürdig, daß sie ihn aufmunterten, näher zu treten. Jetzt glaubte er seines Sieges gewiß zu seyn, ließ alle Mühlen seines Verstandes an und als er so das Krachen vernahm, glühte er wie ein Frühlingsmorgen, der seine Schönheit allenthalben verbreitet, dabey zugleich die sanftesten Genüsse erweckt und indeß er befriedigt, wieder neue Empfindungen [215] rege macht. Ach! wie liebenswürdig, wie voll von Grazie war der gute Alte. Sein Gesicht schien alle neun Musen abzubilden und nachdem sein Mund zwey, seine Augen drey, seine Nase eine und die Wangen die übrigen abbildeten, spiegelte sein Herz nichts denn einen blauen Adour.

Wie geistreich, wie edel stand der Pastor am Thürgewände. Wir müssen selbst in Exstase ausbrechen, sofern wir seinen jetzigen Lebensakt betrachten.

Die Damen standen in aller ihrer Liebenswürdigkeit vor dem guten Prediger. [216] Die eine knüpfte gerade die Haare ihrer Freundin zusammen und schlang die seidene Welle um ihre Hand, ach! da seufzte der Magister tief in seinem Herzen, indem er sich nicht satt sehen konnte an der vor ihm sitzenden Blondine. Er griff nach der Dose, holte das Schnupftuch aus der Tasche, räusperte sich, hielt ein Riechfläschchen vor die Nase und machte alle jene Gänge, die nur dem Petit-Maitre zukommen.

Indeß fuhren die Mädchen ruhig in ihrem Wesen fort. Sie konnten nicht begreifen, wie ein Mann noch [217] Liebenswerth und angenehm sey, der anjetzt seine zwey und sechzig Jahre zurückgelegt und mehr dem Grabe, wie der frohen Zukunft entgegen gehe.

Doch ließ sich’s Herr Metzger – wir entsinnen uns erst jetzt auf seinen Namen und bitten die Leser, diesen Fehler zu verzeihen, weil so mancher Romanenschreiber nur während dem Schreiben darauf hingeleitet wird, seinen Helden zu taufen.

Es soll nicht lange dauern und wir werden auch die Damen benamsen; [218] denn dadurch entlauft man der Nothwendigkeit, immer das Wort Mädchen – Damen und Töchter der Natur zu gebrauchen – und wie inhonett ist es, eine schöne, angebetete Dame, blos schlechtweg Dame zu nennen, ein Ausdruck, den nur die feine Aussprache des Franzosen, keineswegs ein ungebildeter Deutscher zugiebt. Nun oben fort – sehr angelegen seyn mit Louisen und ihrer Schwester bekannt zu werden.

Als die Toilette vorüber, neigte er sich zweymal und schritt in seinem Amtsgange hinauf zum Fenster, an welchem seine Gäste standen. Der [219] alte Freund, ein feiner und äußerst gesprächiger Mann, lag noch zu Bette, es war sieben Uhr und er pflegte vor zehn nicht aufzusteigen.

Seine Begleiterinnen brachten ihm den Kaffee ins Bette, wenn er diesen getrunken, rauchte er ein Pfeifchen, las die Zeitung, sah was neues darin stand und wenn die Redakteurs davon nichts gewußt, als einen König krank zu machen, oder einen Grafen auf Reisen zu schicken, hat er sich sein französisches Gebetbuch, oder Rabelai’s Schriften aus, um sich so die Zeit zu kürzen.

[220] Der Mann hatte von Jugend auf eine so große Vorliebe für die französische und deutsche Sprache, daß er nichts hören wollte, was nicht in beyden geschrieben. Die Zeitung war sein Leben. Er konnte sich damit ganze Tage amusiren und wenn er Lügen genug geschnappst, gieng er in die frische Luft, setzte sich den Sommer in kühle, schattigte Lauben, an steile Abhänge, hohlte hierauf den Rabelai’s aus der Tasche und las so lang, bis er einen Ueberdruß, oder ein Unbehagen am Lesen fand.

Der Alte war sehr reich und aus der Schweiz gebürtig. Wegen mancherley [221] Streitigkeiten hatte er sich aus diesem Erdwinkel entfernt und das Reisen und Lesen zum Hauptgeschäfte gemacht, weshalb er auch selten einer Feyer oder Ceremonie beywohnte. Er war außerdem ächt religiös und konnte solche gut leiden, die ihm von der göttlichen Leitung, von der Fürsorge und von den Folgen der Tugend und des Lasters erzählten. In dieser Rücksicht liebte er Louisen.

Dieses Mädchen hatte sich so in den Gedankengang unsers Alten studirt, daß es ihm an den Augen sah, was er dachte und wie er gesonnen [222] sey. Es sprach unaufhörlich von Gott, dem Vater der Menschen, welcher jedem seinen Theil zugemessen. Sobald der Alte, dieses Gespräch vernahm, klopfte er seiner Gefährdin auf die Schultern und ersuchte sie inständig, ja dem Rechten zu folgen – denn, fuhr er fort, – solche haben immer ihren Lohn für sich.

Er kam manchmal so tief in die Theologie, daß ihm der Pfarrer, bey welchem er sich aufhielt, beysprang, ihn ermahnte, nicht zu weit vorzurücken und wenn das Bitten fruchtlos [223] blieb, seinem Gaste rühmlich unter die Arme griff.

Doch schien der Geistliche keineswegs mit dem Schweizer einig zu seyn. Letzterer zog die Herzenstheologie, ersterer die Kopftheologie jeder andern vor. Der Magister wollte bey allem in die Wurzel greifen; der Reisende liebte eine gewisse Passivität, die ihm rieth, jedesmal abzubrechen, wenn er glaubte etwas zu tief gekommen zu seyn und aufmunterte, lieber im Glauben, als im Schauen auszuharren.


[224] Als Louise und der Magister in einem Streit über das Wesen Gottes begriffen waren und der Reisende behauptete, daß er keine Leiter kenne, auf der man so hoch steigen könne, um mit Grund zu behaupten, wie der Vater der Welt gestaltet sey, kam Herrmann von seiner Fahrt zurück, worauf er sich begeben hatte, als die Bauern vom Wasen hinweggegangen und die Parentation des guten Pfarrherrn zum Lob der Gemeinde, bemerkt war. Am Hofe zu W. war er sehr gut aufgenommen und von seinen Bullenbeißern und Jagdhunden schmunzelnd und wedelnd empfangen worden.

[225] Er bat um seine Entlassung, legte Rechnung ab, sagte, daß er in kurzem zu heirathen gedenke und wurde dadurch von seinem Vorsatze abgebracht, indem man ihm, seiner treugeleisteten Dienste wegen, in der Zukunft eine sehr einträgliche Stelle versprach. Er solle, hieß es, sich nur noch gedulden, denn jetzt sey eben keine vakant.

Darauf mußte er den Prinzessinnen seine Aufwartung machen, welche ihn sehr gnädig empfiengen, reichlich beschenkten und noch ersuchten, sie zuweilen zu besuchen. Herrmann war, [226] wir müssen es zu seinem Lobe gestehen, ein ächter Hofmann. Seine öftern Unterredungen mit den Dienern des Fürsten, die Schmeicheleyen, welche sie ihm gesagt und sein ganz feines Air hatten ihn dahingebracht, sich in die Lagen der Hofleute zu schicken, ihre Reden zu behorchen, sie sich anzueignen und dadurch einen Schwung zu erhalten, welcher freylich zu seiner ehemaligen Lage gar nicht zu passen schien.

Er wurde von Tag zu Tag höfischer und brachte es endlich in dieser Lebensart zu einem solchen Grade, als [227] man es von dem Nachtwächterssohne gar nicht hätte erwarten sollen. Auch Barbara wurde darin unterrichtet. Sie sollte künftig als großes Gestirn am politischen Himmel glänzen und ein solches Glück wollte ihr der Jüngling bereiten, den sie unaussprechlich liebte. Herrmann gieng, als er einmal bey den Prinzessinnen gewesen, bey den Hofkavalliers seine Aufwartung gemacht und den Damen der Fürstin manche Schmeicheley gesagt hatte, nicht mehr mit den Bauern um. Es ekelte ihn eine Lebensart, die ihm von der ersten Stunde an nicht gefallen hatte.

[228] Der junge Klaus trat eben zur Stube des Magisters herein, als dieser mit Louisen über Unsterblichkeit sprach. Herrmann hatte schon oft darüber nachgedacht und da ihm keine Gelegenheit schicklicher zu seyn schien, seine Gedanken an’s Licht zu fördern, mischte er sich auch in das Gespräch. So war man nun bis auf den Grund der Sache gekommen und obgleich der Pfarrer alle logische Formeln aufbot seine schöne Sprecherin zu übermannen und ihm bekannt war, daß sie hierinne Blösen gab, so blieb doch der Streit lange unentschieden.

[229] Mit der tieftringenden Idee unsers Klaus bekam er wieder neues Leben. Dieser machte, auf Anreiz der Dame, seinem Lehrer so warm, führte ihn so in die logischen Schlupfwinkel und Ecken, daß dieser erschöpft, gestand, er habe verlohren. Jetzt gieng der Streit erst an. Als Herrman seine Sache so gut gemacht hatte, lächelte ihn Louise an und spornte ihn wie einen Hahn, der ein Gefecht um seine stattliche Braut beginnt.


[230]

Wohl, wohl dem Manne für und für,
Der bald sein Liebchen findet!
Er findet großes Gut in ihr,
Wie Salomon verkündet.
Sie tröstet ihn mit Rath und That,
Und streut ihn Rosen auf den Pfad.

Sie sucht des Mannes, wie sie kann,
Zu pflegen und zu warten.
Sie spinnt und näht für ihren Mann;
Bestellt ihm Haus und Garten

[231]

Und scheuet weder Frost noch Glut,
Beständig flink und wohlgemuth.

Sie sinnt und weiß, was Männchen liebt,
Und macht es ihm noch lieber;
Kommt auch einmal, was ihn betrübt,
Sie schwatzt es bald vorüber;
Nicht lange bleibt die Stirn ihm kraus,
Das Liebchen sieht so freundlich aus.

Auch ungeschmückt ist Liebchen schön,

[232]

Des Mannes Augenweide;
Doch läßt sich Liebchen gerne sehn
Im wohlgewählten Kleide
Und naht sich dann mit holdem Gruß
Und bringt ihm einen warmen Kuß.

Er dehnt sich nach des Tages Mühn
In Liebchens weichem Bette;
Und Liebchen kommt und schmiegt an ihn
Sich fest wie eine Klette
Und wünscht ihm küssend gute Nacht

[233]

Und fragt oft leis, ob Männchen wacht.

Wenn noch so wild der Sturmwind sauß’t,
Vom Dach der Regen prasselt,
Der Schornstein heult, die Woge brauß’t
Und Schnee und Hagel rasselt;
An Liebchens Busen ruht er warm
Und lauscht dem Sturm in Liebchens Arm.

Auch stöhnt das Liebchen wohl zur Zeit
Und nichts will ihr behagen;

[234]

Doch lacht sie ihrer Aengstlichkeit
Und schämt sich es zu sagen:
Sie wanket, ach! so müd und schwer,
Auf ihren Mann gestützt, einher.

Bald legt sich Liebchen ganz vergnügt
Und läßt ihr Kindlein saugen;
Der Vater ehrbar sitzt und wiegt,
Bekuckt ihm Nas’ und Augen,
Und freut sich, daß der kleine Christ
Mama und ihm (?) so ähnlich ist.

Wohl dir, o Mann! wohl Liebchen dir!

[235]

Ihr seyd euch schon begegnet!
Euch seegne Gott vom Himmel hier,
Bis er euch droben segnet!
Klingt an ihr Freund’ und singet laut:
Es lebe Bräutigam und Braut.


Blickt auf, wie hehr das lichte Blau
Hoch über uns sich wölbet!
Wie fern den grünen Glanz der Au
Die Butterblume gelbet!

[236]

Um uns im Sonnenscheine wehn
Der Buchen zarte Blätter;
Aus tausend Kehlen schallt, wie schön!
Vielstimmiges Geschmetter!

Ringsum an Bäumen und Gebüsch
Entschwellen junge Triebe!
Hier schattets kühl! Hier athmets frisch,
Und trinkt den Geist der Liebe!
Wir leben dir, der Liebe Geist,
In dieser Auferstehung,
Wie wenn du einst vom Tod erneust
Zu seeliger Erhöhung.

Aus allen Völkern rauschen dann
Verklärte Millionen,

[237]

Die brüderlich gesellt fortan
Den neuen Stern bewohnen!
Durch Farb’ und Glauben nicht getrennt,
An Sinn und Thaten höher,
Sind Ihm, den selbst kein Jubel nennt,
Die Brudervölker näher!

Schon hier vereint in Lieb’ und Recht
Sey aller Welt Gewimmel!
Wir sind ja eines Staubs Geschlecht,
Bedeckt von einem Himmel!
Wir spielen all im Sonnenschein,
Vergnügt gemeiner Gabe;

[238]

Wir ruhn und steigen – groß und klein,
Gestärkt aus unsrem Grabe.

Aus allen Völkern schall’ empor
Gesang zum Ungenannten!
Wie jedes sich den Dienst erkohr,
Wie seinen Gottgesandten.
Gern hört der Vater aller so
Sich vielfach angelallet,
Wie sie im jungen Laube froh,
Der Waldgesang erschallet!

NB. Der Herausgeber fand auch diese Gedichte hierher passend und zog sie daher heraus, um solche mit den Wezelischen Gedanken zu verweben. –

[239] Herrmann setzte den logischen Streit über Unsterblichkeit so gut als möglich fort. Louise neckte unaufhörlich den Magister, um ihn auf unrechte Wege zu führen und seinen Glauben, der ohnedem nicht größer als ein Gerstenkorn war, wo nicht ganz wankend, doch so baufällig zu machen, daß er beym nächsten Sturm, wie ein morsches Haus übereinander burzelte. Ihre Schönheit und Wohlanständigkeit, die sie von unserm ehrlichen Gellert entlehnt hatte, kamen ihr bey diesem Unternehmen trefflich zu Statten.

[240] Aus Liebe zu der schönen Dame gab der Pastor so manches zu, was er seiner wolfisch-mathematischen Schlußkette gemäß nicht durfte. Der Philosoph Herrmann wußte dies und sammelte alle Sprünge seines Präceptors, um bey Gelegenheit sich ihrer zu bedienen und sie gleich einem Hagel auf sein ehrwürdiges Haupt zu schleudern.

Nachdem nun die Wohlgewogenheit und Liebe des Magisters den höchsten Grad von Konsistenz erreicht und er wohl einsah, wie ungefällig er dem liebeathmenden Blick der Louise erscheinen werde, wenn er länger disputirte, [241] gab er alles zu, sagte freywillig und aus Zuneigung zur Wahrheit, daß er Unrecht gehabt und warf sich in die Arme der guten Dame.

Diese, die nicht geglaubt, wie ein so alter Prediger einem Jüngling das Feld räumen könne, den er erzogen und sich äußerst beleidigt fand, indem sie ihren Gast in den Dreck geschoben, hob ihn mit dem blühenden Arme der Geduld sanft aus dem Graben des Unglücks, weinte stille Thränen an seiner Seite und flüsterte ihm heimlich zu, daß er der Ehre wegen nichts unterlassen müsse, seinen Pflegling aus der Kontenanze zu bringen.

[242] Die Weiber wollen nicht gerne, daß jemand auf Kosten ihrer Anbetung in den Koth fällt. Sie suchen daher alles herbey, um ihn sobald als möglich wieder zu heben.

Eben als Herrmann und sein Erzieher am Postulat der Unsterblichkeit standen und gegenseitig aus ihm mehrere Postuläterchen zogen, trat Herr Hinderlich, ein praktischer Jurist, in das Zimmer.

Dieser guter Mann, den wir zum Unglücke bis auf diese Stunde noch nicht haben kennen lernen, war ein [243] alter Freund des Pfarrers, hatte mit ihm studirt und oft ein pereat und vivat gebracht. –

Mit einer seeligen Empfindung erinnerte sich Hinderlich an die Jahre seiner Burschikosität. Da floß noch Honig, da lebten die Musen und wenn sie auch nicht so höfisch gebildet, wie sie der Vater Horaz beschreibt, konnten sie doch mit den Bilderchen wetteifern, die in seinem Zeitalter von den gelehrten Sängern und Dichtern, benützt wurden.

[244] Mit einem süßen Gefühle erkundigte sich der praktische Jurist nach dem Wohlbefinden seines Freundes, machte benebst der Parücke und seinem langen Rocke ein tiefes Kompliment, erbat sich den werthgeschätzten Namen der jungen Dame und als diese mit einer gewissen höhnischen Miene ausrief, daß sie reise, Louise heiße, einen alten Vetter begleite und der Herzensgüte des Magisters wegen, von diesem aufgenommen worden, legte Herr Hinderlich seine Hemdkrausen schön und fein ineinander, entfaltete sein jugendlich Antlitz und küßte der Schönen die Hand.

[245] Anfangs wollte es sich die herrliche Dame nicht gefallen lassen, dankte gar sehr für die edle Zuneigung und versicherte, daß sie schon daraus den sanften, edlen Charakter des praktizirenden Juristen erkenne; allein Herr Hinderlich wollte die Sache bis auf den Grund führen, weil er ein gar solider Mann war, bat, beschwor die Louise, drang in sie und brachte es zuletzt so weit seinen Wunsch erfüllt zu sehen.

Er durfte ihre Hand küssen. Welch’ eine Götterwonne war dies für einen Mann, dem die Weiber bisher ihre [246] Liebe versagt, der nicht einen Strohhalm breit Land gewinnen konnte, wenn er auf die Freierey gieng und sich müd und erschöpft zu Bette legte, sofern er eine Streiferey unternommen.

Und doch war Herr Hinderlich mit allen Gaben von der Natur begabt, die einem Freier dienlich sind. Er hatte schöne, schneeweiße Hände, einen langen angenehmen Tannenwuchs, zwey kolossalische Beine, eine lächelnde immer heitere Miene und Augen, die zum Mahlen schön waren.

[247] Was hätte also noch gefehlt, sich in Achtung und Liebe zu setzen.

Dabey gieng Herrn Hinderlich die Gabe der Beredsamkeit ab. Eine Gabe, welche ihm entsetzlichen Abbruch that und seine Praxis von Tag zu Tag so schmälerte, daß er befürchten mußte, künftig noch ein ander Metier zu lernen.

Wie Herr Hinderlich von seiner Mutter erfuhr, hatte ihn seine Amme einst fallen lassen, wobey er, der praktische Jurist, so erschrocken, daß er von Stund an ins Stammeln gerathen [248] und diesen Fehler nicht habe ablegen können, ohngeachtet man alles angewendet, ihn zu kuriren.

Dadurch wurde ihm das Reden vor Gericht und die mancherley Liebesanträge, die er seither gemacht, außerordentlich erschwert. Er hatte es vermöge der Methode, welche Herr Demosthen angewandt, so weit gebracht, wenigstens drey Worte unverstümmelt an den Tag zu geben.

Aber wenn das dritte heraus war, kam das vierte zerhackt und zerstückelt an das Licht der Welt. Einst gerieth [249] er so in Alarm darüber, daß das Gericht, wobey er geposaunt, glaubte, er spreche Hebräisch und Chaldäisch.

Außerdem war Hinderlich ein guter, alles ertragender Mann. Er fand sich in seine Leiden, war demüthig in Freuden, lobte die Wahrheit, schalt auf die Lüge und wenn er unglücklicher Weise selbst darauf ertappt wurde, schrie er Mordio und wußte seine Worte so gut zu stellen, daß man glaubte, er habe die Evidenz selbst vorgeführt.

Mit bewundernswürdiger Leichtigkeit fand er sich in die Meinung eines [250] andern. Nur dem Herrmann wollte er nie beypflichten und darüber zog er sich zuweilen einen außerordentlichen Verdruß zu. Denn dieser kleine Mann hielt an seiner Ueberzeugung so fest, hieng seinen Ideen so männlich an, daß man ein großer Denker seyn mußte, wenn man ihm selbige entreißen wollte.

Einst war der praktische Jurist und der Herr Magister in Zweifel, ob man im fünf und zwanzigsten Jahre alles wisse.

Hinderlich, welcher eben nicht sonderlich in den Abgrund der Dinge gekuckt, [251] behauptete: die aufgeworfene Frage, befände sich außer allem Zweifel.

Der Magister räumte ihm zwar ein, daß man im fünf und zwanzigsten Jahre viel wissen könne, daß man indeß auch manchmal so dumm, so unerfahren sey, als ein Ochse.

Er kenne, fuhr er fort, einen Wolf, einen Deskartes, einen Leibnitz, einen Bako, einen Lessing, einen Gellert, einen Rabener, einen Hemsterhuis, einen Platner, einen Moliere, einen Voltaire, einen u. s. w., die im fünf und zwanzigsten Jahre mehr [252] gewußt, als er jetzt im 65 wisse. Er sagte dies mit so viel Gutmüthigkeit, mit einer so edlen, naiven Einfalt, daß ihm Louise um den Hals fiel und ausrief: so gefällt er mir, so möchte ich mein Pfärrchen todt küssen.

Jedeß, dem Herrn Hinderlich wollte dies nicht in den Kopf. Jetzt setzte ihm Herrmann mit Leib und Seele zu, diesem Metaphysiker gab er eine Behauptung nach der andern zu; leugnete sogar, er habe seine Frage nur unter manchen Einschränkungen geltend gemacht und da ihm auch diese von dem spitzfindigen, scharfen Klaus, wie [253] eine Seifenblase vor der Nase hinweggeblasen, stand er stotternd und erröthend da.

Hierauf rezitirte der Pfarrer zum Lobe seines Schülers folgendes Lied aus dem Kleist.


Weh dir, daß du geboren bist!
Das große Narrenhaus, die Welt,
Erwartet dich zu deiner Qual.
Nicht Wissenschaft, nicht Tugend ist

[254]

Ein Bollwerk vor der Bosheit Wuth,
Die dich bestürmen wird. Verdienst
Beleidiget die Majestät
Der Dummheit und wird dir gewiß
(Im Fall du dir’s einmal erwirbst)
Ein kerkerwerth Verbrechen seyn.
Der Schatten eines Fehlers wird,
Bey hundert deiner Tugenden,
Der Läst’rung greuliches Geschrey
Oft hinter dir erwecken. Wenn,
Voll edlen Zorn, du kühn die Stirn

[255]

Zum Läst’rer kehrst, ist alles Ruh’.
Ein Zeigefinger, der schon sinkt,
Ein Nickkopf weis’t dir kaum, was man
Begonnen. – Schnell tönt hinter dir
Des Unsinns Stimme wiederum.
Wenn du nicht wie der Sturmwind sprichst,
Nicht seufzst, wie da die Erde seufzt,
Wo sich das Meer im Strudel dreht;
Wenn kein Erdbeben deinen Leib
Zu rütteln scheint, indem du zürnst,

[256]

So mangelts dir an Heldenmuth.
Und tanzest du den Phrynen nicht
Von weitem einen Reverenz,
So mangelts die an großer Welt.
Wenn du nicht spielst und viel gewinnst.
Bis der mit dem du spiel’st, erwacht;
Wenn Wollust unter Rosen nicht
Dich in die geilen Arme schlingt,
So fehlt dir Witz! o so fehlt dir Witz! –!!!
Nichts, nichts als Thorheit wirst du sehn

[257]

Und Unglück. Ganze Länder fliehn
Gejagt vom Feuermeer des Kriegs,
Vom bleichen Hunger und der Pest,
Des Kriegs Gesellen; und die See
Ergießt sich wild, Verderben schwimmt,
Auf ihren Wogen und der Tod,
Ein unterirrd’scher Donner brüllt,
Die Erd’ eröffnet ihren Schlund,
Begräbt in Flammen Feld und Wald
Und was im Feld und Walde wohnt. –

[258]

Und fast kein tugendhafter Mann
Lebt ohne Milzsucht, lahmen Fuß
Und ohne Buckel oder Staar,
Ihn foltert Schwermuth, weil er lebt. –
Dies alles wirst du sehn und mehr.
Allein du wirst auch die Natur
Voll sanfter Schönheit sehn. Das Meer,
Der Morgenröthe Spiegel, wird
Mit rothem Lichte dich erfreun
Und rauschen die Entzückung zu.
Verborgen, wenn die Sonne brennt,

[259]

In grüner Nacht, beschattet dich
Der Birken hangend Haar. Du wirst
In blühenden Hecken eines Thals
Voll Ruh’ einhergehen, athmen Lust
Und sehen einen Schmetterling
Auf jeder Blüth’, in bunter Pracht;
Und den Fasan im Klee, der dir
Denselben Hals, bald roth, bald braun,
Bald grün, im Glanz der Sonne zeigt.
Auch Wiesen werden dich erfreun
Mit Regenbogen ausgeschmückt;

[260]

Und in der Fluth ein Labyrinth
Von Blumen und manch bunter Kranz,
Aus dessen Mitte Phöbus Bild,
Voll Strahlen, blitzt und über dem
In holden Düften Zephyr schwärmt,
Die Lerche, die in Augen nicht,
Doch immer in den Ohren ist,
Singt aus den Wolken Freud’ herab,
Dir in die Brust. – Auch Tugend ist
Noch nicht verschwunden aus der Welt

[261]

Und Friedrich lebt, der sie belohnt:
Auch ist sie selbst ihr reicher Lohn.
Mitleiden, Großmuth, Dankbarkeit
Und Menschenlieb’ und Edelmuth
Wirkt Freud’ und Freude nur ist Glück.
Fühl’ Tugenden, so fühlst du Glück! –
Und mancher Freund wird dich durch Witz
Und Liebe (wie mein Lange mich)
Beseeligen und seyn dein Trost,
Wenn Falschheit dein Verderben sucht.

[262]

Laß Neid und niedre Raben schreyn
Und trinke du der Sonne Glut,
Gleich einem Adler. Hülle dich
In deine Tugend, wenn es stürmt. –
Doch öfter lacht der Himmel dir,
Das Leben ist mehr Lust als Schmerz,
Wohl dir daß du geboren bist.


Als der Magister das letzte Wort gesprochen, gieng Herr Hinderlich wieder gravitätisch auf den jungen Herrmann</poem> [263] los und bestritt die Wahrheiten, welche letzterer vorgetragen.

Der Klaus behauptete, es gäbe Menschen, die nur wie ein Rad von dem Wasser der Trübsal könnten fortgetrieben werden, die wie ein Igel immer in ihren Stacheln wohnten und gleich dem Faulthiere den Tag oft nur zehn, manchmal 12 Schritte fortgiengen. Diese Jünger der seeligmachendem Lehre, müßten nothwendig erst ausgeschlossen und als Nullen betrachtet werden, wenn man den Grundsatz aufzustellen gedächte, daß der Mensch in seinem fünf und zwanzigsten Jahre [264] das Meiste gelernt. Zweytens kenne er eine Art Geschöpfe, denen der Stolz am Herzen säße, die wie Sysiphus lebten und denen der Geyer des Wahns unaufhörlich das Bischen Verstand nähme, welches sie sich gesammelt. Diese Leute hätten freylich zu ihrem Schaden gewöhnlich im zehnten Jahre ausgelernt. Drittens gäbe es eine gewisse Art Kreaturen, welche sich träumen ließen, die Wissenschaften wären am Ende vernagelt, es dürfe niemand darüber hinausschreiten und wer es wage, müsse fallen und den Kopf brechen. Diese Menschlein, sprach Herrmann, meinten den Stein der Weisen zu besitzen, [265] belegten alles mit dem Namen Ketzerey, mit dem Worte albernes Zeug und griffen ihre Gegner so hastig an, daß diese, wenn sie nicht fest stünden, fielen und den Hals brächen.

Man konnte aus allen Sprüngen sehen, wie der Klaus hiemit auf den Hinderlich hinwieß. Er mischte in seine Rede so vieles von der Lebensweise dieses praktischen Juristen, wieß so oft auf seine Sprünge, daß unser Männlein ordentlich blaß dastand. Wen haben sie da auf dem Korne, rief Hinderlich? Doch nicht meine Person?!

[266] Ich sage es ihnen im Guten, nehmen sie sich in Acht, oder, oder wir bleiben keine Freunde. Der Philosoph betheuerte steif und fest, daß er nie die ehrwürdige Person, die edle Parücke und den aufgeschlagenen Krempenhut in Kontribution gesetzt, sondern, daß es ihm vielmehr Ernst sey, den beliebten Juristen auf alle mögliche Weise zu begünstigen.

Die schadenfrohe Louise konnte sich kaum des Lachens enthalten, da der Hinderlich in Sprache kam. Sie erfreute sich über die Gewandtheit ihres [267] Liebhabers und gewann seinen Umgang. Er wurde ihr stets interessanter. Ach! wie umarmte sie ihn mit ihren Gedanken! Wie schloß sie ihn an ihr Herz! Er war ihr Alles, ihr einziger Gegenstand der Betrachtung!

Herr Hinderlich wollte sich nicht besiegen lassen. Da er sah, daß die Bomben seiner Kenntnisse beym denkenden Herrmann nichts ausrichteten, griff er mit verstohlnen Blicken in den Schubladen seines Witzes, aus dem er auch zur Freude des Herrn Pfarrers eine gute Torte hervorbrachte, womit [268] Monsieur Klaus traktirt werden sollte. Doch unser Dialektikus war fein; da er den Tisch decken und das Essen auftragen sahe, bat er die Gesellschaft um Erlaubniß, erst nach Hause zu gehen; kam nach einigen Stunden zurück und weil Doktor Hinderlich geglaubt, er hätte seinen Feind in Ruhe hinweggeschafft, deshalb die Torte unter die übrigen Gäste vertheilt; sah er sich gefangen und gestand, er habe das Ziel verfehlt.

Das Gespräch wurde nach und nach lebhafter und der Jurist zog von nun [269] an seine Gedanken mehr in’s logische Feld, um hier sein Heil zu versuchen. Man kam auf die Frage, ob es eine Wahrheit gäbe und inwiefern diese real sey. Der lose Herrmann sagte ohne Hehl: die Wahrheit habe eben so viel Realität, als ein Ding, das man nicht mit den Händen greifen kann. (Welche solide Philosophität!!!)

Dem Magister schien diese Behauptung doch ein wenig gewagt; aber der Philosoph argumentirte ruhig fort, wie folget.

Hätte die Wahrheit Realität, so müßte jeder Wahrheitianer dieselbe [270] haben; denn jeder spricht ja von Ihr und thut Sie, (das Gedankending,) ein philosophischer Ixion, zärtlich umarmen. Und doch kennt keiner ihr Grundwesen; man will es erst durch Denken suchen; das ist aber absurd, sagen wir Herrmann, kraft philosophischer Auktorität; denn wer sucht und nicht weiß was, der sucht – nichts, W. Z. B. Außerdem macht sich der Mensch immerhin eine Idee und hält diese, weil sie ihm die höchste scheint, auch für Realität, das jedoch nicht ist, weil wir alle Tage aufgeklärter werden, höhere Ideen bekommen. Wenn [271] also die Wahrheit Realität d. h. Wirklichkeit hat, so muß sie auch eine Existenz haben, existiren und ein Ding seyn, begreifbar für alle Evenskinder. Nun aber sehe und höre ich keine Wahrheit, ergo ist sie ein Nichts, ein Gespenst, das die Menschen verführt.

D. Hinderlich stampfte mit den Füßen, schob seine Weste von einer Seite zur andern, schnallte seine schönen Hosen fester zusammen, strich sich mürrisch seine Wangen und griff nach dem Hute, um so bald als möglich eine Gesellschaft zu verlassen, wozu er nicht geeignet war.

[272] Herrmann fragte den Rechtsgelehrten, was ihm von seinen Disputen dünke; erhielt aber nicht die mindeste Antwort. Er gieng nun zu Louisen; aber auch dieser dünkten sie, die tiefgelahrten Disputen nämlich, nicht die besten. Sie schätzte die Wahrheit über alles und rieth unserm Pyrrhonianer, ja den Schlagbaum des gemeinen Menschenverstandes nicht zu überspringen, das Leben werde sonst ein Traum, eine Absurdität.

Sie heftete nun mitleidige Blicke auf den geliebten Juristen, sie kettete [273] sich mit jedem Pulsschlage fester an ihn und nach einer Minute haßte sie den, welchen sie vorher so sehr liebte.

O! schändliches Geschlecht! O! du Würgengel des guten Namens! Hat man’s dir nicht auch so gemacht! O! wie viel hast du gelitten, armer Wezel! welchen Schrecknissen warst du ausgesetzt! Gräßlich! noch jetzt verfolgt man dich. Sogar in deiner Einöde will man dich foltern!

Aber wie wäre es, wenn du ein Plänchen machtest und die Leutchen [274] sammt und sonders in den Tartarus sprengtest. Geist der Wirksamkeit, genialischer Muth, kehre noch einmal in dieses Herz! gieb dich meinem Wesen dahin und Wezel thut Wunder!

Ich wollte durch meine Schriften seine cisrhenanische Revolution bewirken und die albernen Sudler belehren; aber da verfolgt man den guten Wezel, sucht ihn auf alle Weise zu schikaniren, wirft ihm Albernheiten vor und will ihn morden.

O! wie gieng es mir, da ich noch in Leipzig war, haben sie mir nicht allenthalben aufgepaßt und was mußte [275] nicht Joseph thun, um mein Genie aufrechtzuhalten! Er allein wußte mich zu schätzen und hätte kein Bedenken getragen, mich an seine Seite zu setzen, wenn nicht die Pfaffenbrut ihn berückt hätte.

Satanischer Pöbel! du hast schon oft mit Wezeln gespielt; allein von nun an will ich dich peitschen, daß dir der Schweiß auf der Stirn steht. O! könnte ich nur ein Feuer machen, dich dabey jagen und ein Glied nach dem andern von deinem Leibe brennen, welch Gaudium sollte es mir seyn. [276] Aber ich werde noch was großes – und im Vorbeygehn sey es gesagt – ein König, wo ich dann meine Grausamkeit spielen lassen will. Dieses Werk, das eigentlich ein Bindemittel zwischen dem Knaut und Belphegor ist, wird die Unsterblichkeit sehen; doch soll es nie gedruckt werden; denn die Buchhändler bezahlen zu wenig und lassen einem keinen Willen. Nur als Manuscript mag es die Nachwelt sehen und die hohen Ideen loben, die in ihm zerstreut sind.

Da Herr Hinderlich die Wahrheit nicht zu retten wußte, so suchte er [277] wenigstens das Recht den Klauen des bösen Skeptikers zu entreißen. Giebt es gleich keine Wahrheit, sagte er, – das dialektische Hokus Pokus seines Gegners hatte ihm den Kopf so verwirrt, daß er sich überzeugt hielt, es gebe keine Wahrheit, – so giebt es doch ein Naturrecht und das, das, das wirst du mir nicht in Zweifel, Zweifel, Zweifel ziehen.

Herrmann stellte seine Schlüsse in Reih’ und Glied und fiel dem Feinde in die Flanken. Er griff die natürliche Freyheit an und behauptete, sie [278] sey ein Gespenst, das noch kein Auge gesehen. Denn hub er an, giebt es eine natürliche Freyheit, so liegt sie in uns oder außer uns. Liegt sie in uns, so hat sie Wesenheit; nun aber zeigt jeder eine andere Freyheit, (es giebt sonach Freyheiten,) also ist sie verschieden, welches zu der Frage führt, wie kann eine veränderliche Freyheit Realität haben? und weil dies in’s unendliche geht, (sofern unendliche Freyheiten existiren), so hat keine Wesenheit statt; (aus Herrmannischer Auktorität!!) So ist es auch mit der außerunsigen Freyheit und jeder [279] Vernünftige sieht, was von der (einer sollte es heißen) natürlichen Freyheit zu halten.

Was? Was? Wa W. Was! lief Hinderlich durch die Stube, blieb stehen, stampfte mit den Füßen, schrie alle Hag. Ha Hagel, wie w., wenn ein jeder so spricht, was soll daraus werden? Nun schob er seine Parücke von einem Ohre zum andern, fieng von neuem an: sonach alles verloh. verl. verlohren. Was fang’ ich an? Mit diesem An stand er still, kratzte sich den Schmuz von den Stiefeln und [280] brach plötzlich aus: Sag’ er einmal Herrmann, wo glaubt er hinzukommen, in den Hi. Him. Himmel, ist er toll!


Anmerkungen

  1. ΜΗ͂ΝΙΝ ἄειδε, Θεὰ, Πηληϊάδεω Ἀχιλῆος,
    Οὐλομένην, ἣ μυρί᾽ Ἀχαιοῖς ἄλγε᾽ ἔθηκε
    Πολλὰς δ᾽ ἰφθίμους Ψυχὰς ἄϊδι προΐαψεν
    Ἡρώων, αὐτοὺς δὲ ἑλώρια τεῦχε κύνεσσιν κ. τ. λ.
    Euripides dixit v. 3.
    Ψυχὰς δὲ πολλὰς κ. τ. λ.
    Um unsre große Gelehrsamkeit an den Tag zu legen, haben wir das Griechische aus dem Homer selbst zitirt.
    Wezel.
  2. Cic. de Oratore lib. pr. cap. 12. not. 54.
  3. Οἵη περ Φύλλων γενεή, τοίηδὲ καὶ ἀνδρῶν
    Φύλλα τὰ μέν τ᾿ ἄνεμος χαμάδις χέει, ἄλλα δέ ὕλη
    Τηλεθόωσα Φύει, ἔαρος δ᾿ ἐπιγίγνεται ὥρη.
    Ὣς ἀνδρῶν γενεὴ, ἡ μὲν Φύει ἡ δ᾿ ἀπολήγει.
    Vide Pindarus, Pythior. Od VIII. Sophocles in Aiace vers. 125. Euripides apud Plutarchum De Consolatione. Aristophanes in avibus vers. 686. Horatius in arte Poetica etc.

Anmerkungen (Wikisource)