Textdaten
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Autor: Karl Heinemann
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Titel: Goethes letzte Liebe
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aus: Die Gartenlaube, Heft 8, S. 124–125
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Goethes letzte Liebe.

Eines der herrlichsten Goetheschen Gedichte, die sogenannte „Marienbader Elegie“, ist mit dem Namen Ulrike von Levetzow unauflöslich verbunden. Auch auf sie, die heute noch unter uns lebt und am 4. Februar dieses Jahres ihren neunzigsten Geburtstag gefeiert hat, ist ein Strahl der Dichtersonne gefallen; auch sie hat einen Antheil errungen an der Unsterblichkeit, die dem Namen Goethe anhaftet. Die neunzehnjährige, zu holder Schönheit und Anmuth emporgeblühte Jungfrau entflammte das ewig junge Herz des zweiundsiebzigjährigen Dichters zu leidenschaftlicher Liebe, die er zwar mannhaft niederkämpfte, aber nicht, ohne die schönen Stunden leidenvollen Glückes in seiner Dichtung zu verherrlichen. Man hat wohl über die Leidenschaft des Greises gespöttelt, aber von der Selbstlosigkeit und Reinheit seiner Liebe, von dem Adel seiner Gefühle zeugen am besten die wunderbaren Verse der „Elegie“, die wir hier folgen lassen:

„In unsers Busens Reine wogt ein Streben,
Sich einem Höhern, Reinern, Unbekannten
Aus Dankbarkeit freiwillig hinzugeben,
Enträthselnd sich den ewig Ungenannten;

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Wir heißen’s: fromm sein! – Solcher sel’gen Höhe

Fühl’ ich mich theilhaft, wenn ich vor ihr stehe.

Vor ihrem Blick wie vor der Sonne Walten
Vor ihrem Athem wie vor Frühlingslüften;
Zerschmilzt, so längst sich eisig starr gehalten,

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Der Selbstsinn in winterlichen Grüften;

Kein Eigennutz, kein Eigenwille dauert,
Vor ihrem Kommen sind sie weggeschauert.“

Schloß Triblitz in Böhmen, der Wohnsitz von Ulrike v. Levetzow.

Wer war nun das wunderbare Wesen, das dieses heilige Bekenntniß der Liebe und der Macht des Weibes dem Dichter entlockt hat?

Ulrike von Levetzow ward am 4. Februar 1804 in Leipzig geboren als Tochter eines mecklenburgischen Hofmarschalls. Ihre Mutter, eine geborene von Brösigke, der Goethe schon im Jahre 1806 in Karlsbad nähergetreten war, verheirathete sich nach Trennung der ersten Ehe mit dem Vetter ihres ersten Gemahls, ebenfalls einem Herrn von Levetzow, der in der Schlacht bei Belle-Alliance fiel. Die Witwe verlebte den Sommer mit ihren Töchtern oft bei ihrem Vater, der sich in Marienbad ein Haus gekauft hatte. In demselben Hause wohnte Goethe, der die böhmischen Bäder wiederholt zur Stärkung seiner Gesundheit aufsuchte, vom 12. Juni bis 4. Juli 1822 und kam dadurch mit der Familie und auch mit der achtzehnjährigen Ulrike in nahe Verbindung. Ob der tiefe und unauslöschliche Eindruck, den das an Geist und Körper vollkommene Mädchen auf das Herz des Dichters ausgeübt hat, schon aus dieser Zeit sich herschreibt, darüber fehlt es an genauerer Kunde, aber das gerade damals gedichtete Gespräch „Aeolsharfe“, in dem zwei Liebende beim Abschied Trost in der Erinnerung des genossenen Glückes finden wollen, läßt sich gar nicht anders erklären.

Die letzten Worte dieses Gedichtes:

„Ja, du bist wohl an Iris zu vergleichen,
Ein liebenswürdig Wunderzeichen!
So schmiegsam herrlich, bunt in Harmonie
Und immer neu und immer gleich wie sie.“

waren Goethe, wie er an Zelter schrieb, besonders ans Herz gewachsen.

Der Magnet zog ihn schon im nächsten Jahre wieder nach Marienbad. Am 2. Juli kam er dort an, am 11. Juli folgte Frau von Levetzow mit ihren Töchtern. Diesmal trafen sie dort eine hohe fürstliche Gesellschaft, darunter den Herzog Karl August, den

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Ulrike v. Levetzow mit Mutter und Schwestern im Jahre 1822.

Exkönig Ludwig Bonaparte von Holland, den Herzog von Leuchtenberg. Feste reihten sich an Feste, all denen der alternde Dichter nicht ohne Beschwerde teilnahm. Aber mehr noch als hier öffnete sich ihm Ulrikens schöne Seele auf den Spaziergängen „gegen die Mühle“, nach dem „Kreuzbrunnen“ und „auf dem Waldsitz“ und in dem täglichen Verkehr im Hause und in der Familie.

Der Eindruck, den das holde Mädchen in ihrer kindlichen Natürlichkeit und Reinheit des Herzens aus ihn machte, nahm bald sein Denken und Fühlen gefangen. Schien ihm zuerst das Verhältnis das eines Vaters, dann eines Oheims zu einer „allzusehr geliebten Nichte“, so wurde es ihm bald klar, daß ihn eine leidenschaftliche Liebe erfaßt habe, der er energisch Halt gebieten müsse. Den Schmerz der Entsagung linderte das herrliche Spiel der russischen Musikkünstlerin von Szymanowska, das ihn manchmal zu Thränen rührte und dem er dankbar das schöne Gedicht „Aussöhnung“ gewidmet hat:

„Da schwebt hervor Musik mit Engelschwingen,
Verflicht zu Millionen Tön’ und Töne,
Des Menschen Wesen durch und durch zu dringen
Zu überfüllen ihn mit ew’ger Schöne:

5
Das Auge netzt sich, fühlt im höhern Sehnen

Den Götterwerth der Töne wie der Thränen.

Und so das Herz erleichtert merkt behende,
Daß es noch lebt und schlägt und möchte schlagen,
Zum reinsten Dank der überreichen Spende

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Sich selbst erwidernd willig darzutragen.

Da fühlte sich - o, daß es ewig bliebe! -
Das Doppelglück der Tolle wie der Liebe.“

Am 18. August 1823 begaben sich die Levetzowschen Damen nach Karlsbad, der Dichter folgte ihnen am 5. August; er wohnte auch hier mit ihnen in demselben Hause Es kamen zwölf Tage gemeinsamen Lebens, die Goethe in seiner Elegie dichterisch verherrlicht hat. Oft war er den ganzen Tag an Ulrikens Seite, meist von ihrer Schwester Amalie, deren lustige Ungeduld von Ulrikens ruhig ernstem, sicherm Benehmen abstach, oder der Stiefschwester Bertha begleitet. Spaziergänge bei dem herrlichen Wetter, Promenaden um Brunnen wechselten ab mit Fahrten in die Umgebung und kleinen dramatischen Festlichkeiten. Bis tief in die Nacht saß er nicht selten mit Frau von Levetzow und Ulriken, las ihnen aus seinen Gedichten vor, erklärte ihnen den prächtigen Sternenhimmel und unterhielt sie aus dem reichen Schatz seinem Geistes und Gemüths. Manchmal hörte er auch freundlich die Erzählung der Mädchen aus ihrer Kinderzeit an

Das letzte Porträt von Ulrike v. Levetzow.

oder lauschte, wenn die Geliebte aus Walter Scotts „Schwarzem Zwerg“ vorlas, oder lachte über die Scherze der mutwilligen Schwester. Den Geburtstag des Dichters verlebten die Damen mit ihm allein in Elbogen bei Karlsbad. Er hatte gewünscht, daß der Geburtstag als Geheimniß behandelt werden sollte; selbst die Damen wagten mir in ihren Mienen ihre Gefühle für ihn auszudrücken.

Aus den Jahren dieser Liebe stammt auch das Bild der Familie Levetzow, das wir hier zu veröffentlichen in der glücklichen Lage sind. Es ist 1822 in Marienbad gemalt worden und zeigt die kraftvolle schöne Gestalt der Mutter, umgeben von ihren liebreizenden Töchtern. Links steht Bertha, das Kind aus zweiter Ehe, damals etwa 15 Jahre alt, während das reizende Köpfchen der 1808 geborenen Amalie uns schalkhaft von der rechten Seite entgegenschaut. Ulrike steht aufrecht mit der Laute in der Hand. Der innige Verkehr Goethes mit Ulrike erregte natürlich in Karlsbad große Aufregung. Man erzählt sogar, daß Karl August eine Heirath beider betrieben habe. Selbstverständlich war das nur ein Scherz des Herzogs. Am 5. September schlug die Abschiedsstunde, in Goethes Gedicht „An Werther“ mit den Worten bezeichnet: „Das Scheiden endlich – Scheiden ist der Tod.“ Aber noch an demselben Tage „gab ihm ein Gott zu sagen, was er leide“. Schon auf der ersten Station der Heimreise begann er die „Elegie“ und auf der Reise wurde sie vollendet. Es ist ein herrliches Denkmal und zugleich der Dank für die seligen Stunden. Indem er tiefgerührt für immer Abschied vom der Geliebten nahm, faßte er ihr innerstes Wesen in die ihr selbst in den Mund gelegten Worte zusammen:

„Nur wo du bist, sei alles, immer kindlich, So bist du alles, bist unüberwindlich.“

Frau von Levetzow verheiratete sich 1848 in dritter Ehe mit dem Grafen Klebelsberg auf Schloß Triblitz bei Teplitz. Amalie, die 1827 den preußischen Major Leopold von Rauch geheiratet hatte, ist früh gestorben. Bertha folgte ihr als Gattin des Barons Mladota von Solopist zu Netlück bei Teplitz im Jahre 1885. Ulrike ist unvermählt geblieben. Nach dem Tode der Mutter im Jahre 1868 wurde sie alleinige Besitzerin des Schlosses Triblitz. Ihr nebenstehendes Bildniß ist nach der letzten Photographie angefertigt, die wir von ihr haben, und zeigt eine wunderbare Aehnlichkeit mit dem Marienbader Jugendporträt. Ulrike hat ihr schönes und wohltätiges Wirken in ihrem Kreise selbst am besten bezeichnet, indem sie auf einem Medaillon, das ihr Bild enthält, dem Goetheschen Worte „liebreizend“ hinzufügte: „jetzt liebespendend“

K. Heinemann.