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Autor: Franz Dochow
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Titel: Gesundheitspolizei
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aus: Handbuch der Politik Dritter Band: Die Aufgaben der Politik, Sechzehntes Hauptstück: Polizei und Sicherheitsreformen, 88. Abschnitt, S. 183−188
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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[183]
88. Abschnitt.


Gesundheitspolizei.
Von
Dr. Franz Dochow,
Privatdozent an der Universität Heidelberg.


Die polizeilichen Massregeln zur Durchführung der öffentlichen Gesundheitspflege[1] bezeichnet man als Gesundheitspolizei. Das gesamte Verwaltungsgebiet ist von derartigen Bestimmungen durchdrungen, und mit Recht bemerkt Laband, dass ihre Zusammenstellung nur eine bunte, unübersichtliche Masse ohne inneren juristischen Zusammenhang ergeben würde.[2] Eine scharfe Trennung der Gesundheitspolizei von den anderen Polizeigebieten, insbesondere der Sicherheits- und Sittenpolizei ist nicht durchzuführen. In der nachfolgenden Darstellung werden daher nur die Massregeln berücksichtigt, die nahezu ausschliesslich als gesundheitspolizeiliche zu bezeichnen sind. Dies sind die seuchen- und die nahrungsmittelpolizeilichen Massregeln. Seuchenpolizeiliche Massregeln bezwecken die Bekämpfung ansteckender Krankheiten, sie suchen ihrem Entstehen oder ihrer Weiterverbreitung nach Möglichkeit vorzubeugen. Die Polizei greift da ein, wo der Einzelne nicht mehr imstande ist, sich gegen die Beeinträchtigung seiner Gesundheit selbst genügenden Schutz zu verschaffen. Nahrungsmittelpolizeiliche Massregeln sollen dafür sorgen, dass dem Konsumenten die Nahrungsmittel in einer Beschaffenheit angeboten werden, die seine Gesundheit nach Möglichkeit vor Schäden bewahrt. Sie üben einen Druck auf die Produzenten aus, zwingen sie zur Vermeidung gewisser gesundheitsschädlicher Fabrikationsmethoden und halten sie zur Sauberkeit an. Ferner sorgt die Gesundheitspolizei für einwandfreie Herstellung gewisser Gebrauchsgegenstände.

Da die Massregeln zur Bekämpfung der ansteckenden Krankheiten der Tiere gleichzeitig der menschlichen Gesundheit zugute kommen, fallen sie mit in das Gebiet der Gesundheitspolizei. Dasselbe gilt von der Leichenbestattung und der Vernichtung der Tierkadaver, durch deren vorschriftsmässige Beseitigung einer Gefährdung der Gesundheit vorgebeugt werden soll.

I. Bekämpfung übertragbarer Krankheiten der Menschen. Der Verkehr innerhalb der Grenzen und über die Grenzen hinaus begünstigt die Ausbreitung übertragbarer Krankheiten unter den Menschen (Seuchen, Epidemien oder Infektionskrankheiten).[3] Aufgabe des Staates ist es daher, den Verkehr zu regeln, Aufgabe der Gesundheitspolizei (Medizinalseuchenpolizei), die staatlichen Massregeln durchzuführen. Der einzelne Staat ist machtlos, deshalb bedarf es des Zusammenschlusses, des Abschlusses von Staatsverträgen, deren Bestimmungen über gemeinsames oder gleichartiges Vorgehen der Vertragsschliessenden entsprechend dann das geltende Recht der Staaten abzuändern ist.[4]

[184] Die reichsrechtliche Grundlage für die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten bildet das Gesetz vom 30. Juni 1900, das durch zahlreiche reichs- und landesrechtliche Gesetze und Verordnungen ausgeführt und erweitert ist.[5]

Das Reichsgesetz sieht eine Anzeigepflicht vor für jede Erkrankung und jeden Todesfall an Aussatz (Lepra), Cholera (asiatische), Fleckfieber (Flecktyphus), Gelbfieber, Pest (orientalischer Beulenpest), Pocken (Blattern). Ausserdem muss jeder verdächtige Fall unverzüglich angezeigt werden. Der Bundesrat kann die Anzeigepflicht auf andere Krankheiten ausdehnen, dasselbe können und haben die deutschen Einzelstaaten getan. So verlangen z. B. alle Staaten die Anzeige von Diphtheriefällen, einzelne die von Masern-, Lungentuberkulose-, Kindbettfieberfällen usw.[6]

Die Ermittlung der Krankheit erfolgt durch den beamteten Arzt. Es kann auch angeordnet werden, dass alle Leichen vor der Bestattung einer amtlichen Besichtigung unterworfen werden. Die zu ergreifenden Schutzmassregeln bestehen vorwiegend in einer mehr oder weniger weitgehenden Beschränkung des Verkehrs (z. B. Einschränkung der Freizügigkeit, Beobachtung oder Absonderung kranker oder ansteckungsverdächtiger Personen, Beschränkung der Wassernutzung, Einschränkung des Schulunterrichts, Anordnung von Desinfektionen usw.). Eine besondere Stellung nehmen die Geschlechtskrankheiten ein. Eine Anzeigepflicht besteht nicht, dagegen kann ein Behandlungszwang eintreten.[7]

II. Impfung. 1. Geltendes Recht. Das Impfgesetz für das Deutsche Reich vom 8. April 1874 schreibt vor, dass der Impfung[8] mit Schutzpocken unterzogen werden soll jedes Kind vor dem Ablauf des auf sein Geburtsjahr folgenden Kalenderjahres, sofern es nicht nach ärztlichem Zeugnis die natürlichen Blattern überstanden hat, ferner jeder Zögling einer öffentlichen Lehranstalt oder einer Privatschule, innerhalb des Jahres, in dem er das zwölfte Lebensjahr zurücklegt, sofern er nicht nach ärztlichem Zeugnis in den letzten fünf Jahren die natürlichen Blattern überstanden hat oder mit Erfolg geimpft worden ist. Der zuständige Impfarzt entscheidet endgültig darüber, ob der Impfpflichtige ohne Gefahr für sein Leben oder für seine Gesundheit geimpft werden kann. Blieb eine Impfung erfolglos, so muss sie spätestens im nächsten Jahre, und falls sie auch dann erfolglos blieb, im dritten Jahre wiederholt werden. Jeder Impfling muss frühestens am sechsten, spätestens am achten Tage nach der Impfung dem impfenden Arzte vorgestellt werden. Über jede Impfung wird vom Arzte ein Impfschein ausgestellt, worin bescheinigt wird, dass durch die Impfung der gesetzlichen Pflicht genügt ist oder dass die Impfung im nächsten Jahre wiederholt werden muss. Ist die Impfung nicht erfolgt, so muss durch ärztliches Zeugnis bescheinigt werden, aus welchem Grunde und auf wie lange Zeit sie unterbleiben darf. Eltern, Pflegeeltern und Vormünder haben den Nachweis zu führen, dass die Impfung ihrer Kinder und Pflegebefohlenen erfolgt oder aus einem gesetzlichen Grunde unterblieben ist. Die Vorsteher der Schulanstalten, deren Zöglinge dem Impfzwang unterliegen, haben dafür zu sorgen, dass die gesetzliche Impfung rechtzeitig erfolgt. Bestraft werden die Eltern, Pflegeeltern und Vormünder, welche den ihnen obliegenden Nachweis nicht führen, mit einer Geldstrafe bis zu zwanzig Mark, wenn ihre Kinder und Pflegebefohlenen ohne gesetzlichen [185] Grund und trotz amtlicher Aufforderung der Impfung oder der ihr folgenden Vorstellung entzogen geblieben sind; mit Geldstrafe bis zu fünfzig Mark oder mit Haft bis zu drei Tagen. Ärzte und Schulvorsteher werden bestraft, wenn sie den ihnen auferlegten Verpflichtungen nicht nachkommen. Die Impfung darf nur durch Ärzte vorgenommen werden.

Dies sind die wesentlichen Bestimmungen des im ganzen Reichsgebiet geltenden Impfgesetzes. Die Friedenssanitätsordnung vom 16. Mai 1891 bestimmt noch, dass alle militärpflichtigen Personen nach ihrer Einstellung in das Heer oder die Marine geimpft werden. Die Impfung ausländischer Arbeiter kann auch verlangt werden.

2. Rechtsentwicklung. Eingeführt in England durch Jenner im letzten Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts verbreitete sich die Schutzpockenimpfung auch nach Deutschland. Der Impfzwang wurde zunächst in Süddeutschland eingeführt (Bayern 1807, Baden 1815, Württemberg 1818) Das preussische Regulativ vom 18. August 1835 empfahl dringend die Impfung der Kinder und ordnete die Zwangsimpfung beim Ausbruch der Pocken an.

Das Reichsgesetz sollte ursprünglich den Titel „Gesetz über den Impfzwang“ führen. Der Abg. Löwe bemerkte dazu aber in der Reichstagssitzung vom 9. März 1874: Der Impfzwang war nur ein Teil desjenigen, was das Gesetz regeln wollte. Das Gesetz ordnet in der Tat das ganze Impfwesen in der Bevölkerung, und indem es das tut, glaubten wir, der zweckmässigste und kürzeste Ausdruck würde sein „Impfgesetz“.

Wenn nun auch das Impfgesetz nicht ausdrücklich als Impfzwangsgesetz bezeichnet wurde, so nimmt es doch nicht die Möglichkeit, zwangsweise Impfungen vorzunehmen, denn bei fortgesetztem Ungehorsam kann fortgesetzte Bestrafung[9] und schliesslich, wo es die landesgesetzlichen Bestimmungen, die durch das Reichsgesetz nicht aufgehoben sind, zulassen, zwangsweise Vorführung des Impflings erfolgen.[10]

Die Anhänger der Schutzpockenimpfung sind mit dem Gesetz zufrieden, der Abg. Mugdan erklärte sogar in der Sitzung des Reichstags vom 3. Dez. 1911, das Impfgesetz sei eines der besten Gesetze, die überhaupt im Reichstag gemacht worden sind. Die Impfgegner verlangen die Beseitigung des Gesetzes oder wenigstens die Einführung der sog. Gewissensklausel nach englischem Muster. In England kann seit dem Jahre 1898 die Impfung unterbleiben, wenn der gesetzliche Vertreter des Impflings erklärt, er glaube, dass die Impfung „prejudicial to the health of the child sei“.[11] Die Impfgegner behaupten, dass die Impfung nicht vor den Pocken schütze, dass sie schwere Nachteile für die Gesundheit mit sich bringe, und dass man sich auf andere Weise gegen die Pocken schützen und sie auch ausheilen könne. Die Gesundheitspolizei hat sich an das Gesetz zu halten, wobei es sich von selbst versteht, dass unnötige Härten vermieden werden.[12] Hätten die Impfgegner darin Recht, dass sich die Pocken durch verständige Gesundheitspflege vermeiden und auch ausheilen lassen, so dürfte doch ein grosser Teil der Leute, die nach Einführung der Gewissensklausel oder nach Abschaffung des Gesetzes ihre Kinder nicht mehr impfen lassen, hierzu [186] vermöge ihrer ungünstigen Lebenshaltung auch bei gutem Willen nicht in der Lage sein. Absonderung und Desinfektion, die bei anderen übertragbaren Krankheiten mit Erfolg angewendet werden können, genügen hier nicht, da man den Erreger nicht kennt. Auf die Impfung kann demnach zunächst nicht verzichtet werden.

(Anmerkung WS: Fußnote nicht zuordenbar:[13])

III. Leichenbestattung. Unbestattete Leichen gefährden die menschliche Gesundheit, auch wenn der Tod nicht infolge einer übertragbaren Krankheit erfolgt ist. Deshalb hat die Gesundheitspolizei für eine zweckentsprechende Bestattung Sorge zu tragen. Die Beisetzung hat im allgemeinen auf Friedhöfen, ausnahmsweise in Familiengrüften, in Kirchen oder an anderen Plätzen zu erfolgen. Die Begräbnisplätze müssen so angelegt sein, dass den Umwohnern und den Besuchern der Friedhöfe kein gesundheitlicher Nachteil aus der Verwesung der Leichen erwachsen kann. Die Friedhöfe dürfen erst nach einiger Zeit wieder neu angelegt oder anderweit verwendet werden. Die obligatorische Leichenschau ist bisher nur in einigen deutschen Staaten eingeführt. Bei der Regelung der Feuerbestattung handelt es sich vorwiegend um die Berücksichtigung sicherheitspolizeilicher Massregeln.

IV. Übertragbare Krankheiten der Tiere. Was oben (unter I) über die übertragbaren Krankheiten der Menschen gesagt ist, gilt auch im wesentlichen von denen der Tiere (Viehseuchen).[14] Die Gesundheitspolizei (Veterinärpolizei) muss einer Verschleppung der Seuchen über die Grenzen vorbeugen und die staatlichen Massregeln zur Bekämpfung im Inlande durchführen. Die reichsrechtliche Grundlage für die Bekämpfung der Viehseuchen bildet neben dem Rinderpestgesetz vom 7. April 1869 das Viehseuchengesetz vom 26. Juni 1909.[15]

1. Gegen die Einschleppung kommen Einfuhrverbote, Beschränkungen im Grenzverkehr, Revisionen und Kontrollen zur Anwendung.[16]Es ist verboten, Tiere einzuführen, die an einer übertragbaren Seuche leiden und verdächtige Tiere, sowie Erzeugnisse solcher Tiere. Ebenso ist es untersagt, Kadaver und Teile von Tieren einzuführen, die an einer übertragbaren Seuche gefallen sind oder zur Zeit des Todes an einer solchen gelitten haben oder seuchenverdächtig gewesen sind; ebenso dürfen Gegenstände jeder Art nicht eingeführt werden, von denen nach den Umständen des Falles anzunehmen ist, dass sie Träger des Ansteckungsstoffes sind.[17] Die Einfuhr lebender oder toter Tiere, tierischer Erzeugnisse oder Rohstoffe sowie der Gegenstände, die Träger des Ansteckungsstoffes sein können, kann allgemein oder für bestimmte Grenzstrecken verboten oder beschränkt werden. Ferner kann im Grenzbezirk der Verkehr mit Tieren Bestimmungen unterworfen werden, die geeignet sind, im Falle der Einschleppung einer Weiterverbreitung der Seuche vorzubeugen. Auch diese Bestimmungen können auf tierische Erzeugnisse und Rohstoffe, sowie auf Gegenstände ausgedehnt werden, die Träger von Ansteckungsstoffen sein können. In den Grenzbezirken kann auch eine Revision des vorhandenen Viehbestandes und eine regelmässige Kontrolle über den Ab- und Zugang von Vieh angeordnet werden.[18]

Diese Bestimmungen des neuen Viehseuchengesetzes gestatten im Vergleich mit dem bisher geltenden Recht einen ziemlich weitgehenden Schutz gegenüber dem Auslande. Es versteht sich von selbst, dass die zuständigen Verwaltungsbehörden sich bei der Regelung des Grenzverkehrs nur von gesundheitspolizeilichen Gesichtspunkten leiten lassen.

[187] 2. Das Verfahren zur Bekämpfung der Seuchen im Inlande entspricht im wesentlichen dem (oben unter I) erwähnten. Durch Gesetz sind die Seuchen bestimmt, für die eine Anzeigepflicht besteht, es sind dies u. a. Milzbrand, Tollwut, Rotz, Maul- und Klauenseuche, Lungenseuche des Rindviehs. Die Anzeigepflicht kann auf andere Seuchen ausgedehnt werden. Die Ermittelung der Seuche erfolgt durch den beamteten Tierarzt, der verdächtige Tiere einsperren und absondern lässt, sie impft, Blutproben entnimmt oder, wenn es ihm nötig erscheint, die Tiere tötet und zerlegt, um das Vorhandensein der Seuche feststellen zu können.[19] An Schutzmassregeln sind allgemeine gegen die Seuchengefahr überhaupt und solche gegen besondere Seuchen zu treffen. Im wesentlichen handelt es sich auch hier um eine Einschränkung des Verkehrs. Von allgemeinen Massregeln seien nur folgende erwähnt: Einschränkung des Verkehrs auf öffentlichen Wegen, Überwachung von Molkereien, Viehmärkten, Schlachthöfen, Abdeckereien, Gerbereien, Fell- und Häutehandlungen. Zum Schutze gegen einzelne Seuchen dienen ausserdem u. a. noch: polizeiliche Überwachung der erkrankten, verdächtigen oder für die Seuche empfänglichen Tiere, Beschränkung des Personenverkehrs in den Stallungen, Verbot oder Beschränkung des Handels mit Tieren, Einschränkung des gemeinsamen Weideganges, Sperre der Ställe, Gehöfte, Ortschaften und Gemarkungen, Impfung der für die Seuche empfänglichen Tiere, unschädliche Beseitigung der Kadaver,[20] der Streu und der Abfälle, Reinigung und Desinfektion, Einstellung oder Beschränkung der Viehmärkte, öffentliche Bekanntmachung des Ausbruchs und des Erlöschens der Seuche.

Die Zahl der zu ergreifenden Massregeln ist gross, Aufgabe der Verwaltungsbehörden ist es, sie so durchzuführen, dass unnötige Härten, die den gesamten Wirtschaftsbetrieb stark beeinträchtigen können, vermieden werden.

V. Nahrungsmittel, Genussmittel und Gebrauchsgegenstände. Im Interesse des Verbrauches beaufsichtigt die Polizei den Verkehr mit Nahrungsmitteln, Genussmitteln und Gebrauchsgegenständen.[21] Die reichsrechtliche Grundlage für ihre Tätigkeit bildet das Gesetz vom 14. Mai 1879, dazu kommen einige unwesentliche kaiserliche Verordnungen[22] und mehrere wichtige Spezialgesetze.

Die Polizei[23] ist befugt, während der üblichen Geschäftsstunden in die Räumlichkeiten einzutreten, in denen Nahrungsmittel, Genussmittel und Gebrauchsgegenstände (Spielwaren, Tapeten, Farben, Ess-, Trink- und Kochgeschirre und Petroleum) feilgehalten werden. Sie kann von diesen Gegenständen dort, wo sie feilgehalten werden, also auch auf Märkten, Plätzen, Strassen oder im Umherziehen, nach ihrer Wahl Proben zur Untersuchung gegen Empfangsbescheinigung und gegen Entschädigung entnehmen. Revisionen darf die Polizei nur bei solchen Personen vornehmen, die bereits auf Grund des Gesetzes von 1879 zu einer Freiheitsstrafe verurteilt sind, und zwar bis zum Ablauf von drei Jahren von dem Tage an gerechnet, an dem die Freiheitsstrafe verbüsst, verjährt oder erlassen ist.

[188] Die Nahrungsmittelindustrie hat seit dem Erlass des Gesetzes vom Jahre 1879 eine ungeahnte Entwicklung genommen, der die Spezialgesetzgebung Rechnung zu tragen versucht hat.[24]

1. Das Gesetz vom 25. Juni 1887 verbietet bei der Anfertigung bestimmter blei- und zinkhaltiger Gebrauchsgegenstände die Verwendung gewisser Metallegierungen, Emaillen und Glasuren. Es handelt sich hier vorwiegend um Ess-, Trink-, Kochgeschirre und Spielsachen.

2. Das Gesetz vom 5. Juli 1887 verbietet die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungs-, Genuss- und Gebrauchsgegenständen. Zu den geschützten Gegenständen gehören u. a. Umhüllungen von Nahrungs- und Genussmitteln, kosmetische Mittel, Spielwaren, künstliche Blumen. Als gesundheitsgefährliche Farben gelten Farbstoffe aus Antimon, Arsen, Blei, Kupfer, Quecksilber, Zink, Zinn u. a.

3. Das Gesetz vom 15. Juni 1897 regelt den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln (erweitertes Margarinegesetz vom 12. Juni 1887). Herstellung und Verkauf von Margarine, Margarinekäse und Kunstspeisefett unterliegen weitgehenden Beschränkungen. Die Geschäftsräume und Verkaufsräume müssen nach Möglichkeit getrennt gehalten werden und durch in die Augen fallende Aufschriften gekennzeichnet sein; letzteres gilt auch von den Fässern, Umhüllungen und der Ware, die im Einzelverkauf abgesetzt wird.

4. Das Gesetz vom 3. Juni 1900 regelt die Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Schlachttiere, deren Fleisch für Menschen verwendet werden soll, unterliegen vor und nach der Schlachtung einer amtlichen Untersuchung. Bei Notschlachtungen kann die Untersuchung vor der Schlachtung unterbleiben. Soll das Fleisch nur im eigenen Haushalt verwendet werden, so können beide Untersuchungen unterbleiben, wenn sich vor und nach der Schlachtung keine Merkmale einer die Genussfähigkeit des Fleisches ausschliessenden Erkrankung zeigen. (Diese Bestimmung gilt nicht für Kasernen, Krankenhäuser, Speiseanstalten, Haushaltungen der Schlächter, Gastwirte usw.) Zur Durchführung der Untersuchung sind Schaubezirke gebildet, zu Beschauern werden approbierte Tierärzte oder andere Personen bestellt, die genügende Kenntnisse nachweisen. Der Beschauer erklärt das Fleisch für tauglich, untauglich oder nur bedingt tauglich. Fleisch, das für nur bedingt tauglich erkannt ist, kann nach Anordnung der Polizeibehörde zum Genusse für Menschen brauchbar gemacht werden. Wer die Genehmigung erhält, derartiges Fleisch zu vertreiben, muss deutlich auf dessen Beschaffenheit hinweisen. Fleischhändler haben es in getrennten Räumen feilzuhalten. Wo eine besondere Verkaufsstelle (Freibank) für beanstandetes Fleisch besteht, erfolgt der Verkauf nur zum Verbrauch, nicht zum Vertrieb. Die Einfuhr von Fleisch erfolgt nur über vom Bundesrat bestimmte Zollämter, es unterliegt bei der Einfuhr einer amtlichen Untersuchung. Zur Schlachtung bestimmte Pferde dürfen nur durch approbierte Tierärzte untersucht werden. Für den Vertrieb und die Verwendung von Pferdefleisch gelten die gleichen Bestimmungen wie für beanstandetes Fleisch anderer Schlachttiere, es bedarf einer Genehmigung der Polizeibehörde. Der Bundesrat kann diese Bestimmungen auf Esel, Maulesel, Hunde und sonstige, seltener zur Schlachtung gelangende Tiere ausdehnen.

Bei der gewerbsmässigen Zubereitung von Fleisch dürfen Stoffe nicht verwandt werden, die der Ware eine gesundheitsschädliche Beschaffenheit verleihen können oder geeignet sind, eine gesundheitsschädliche oder minderwertige Beschaffenheit der Ware zu verdecken.

5. Das Gesetz vom 6. Juli 1902 (Süssstoffgesetz) bezeichnet als Süssstoffe, die unter dieses Gesetz fallen, alle auf künstlichem Wege gewonnenen Stoffe, die als Süssmittel dienen können und eine höhere Süsskraft als raffinierter Roh- und Rübenzucker, aber nicht entsprechenden Nährwert besitzen. Zur Herstellung des Süssstoffes ist unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zurzeit nur eine Sacharinfabrik ermächtigt, deren Geschäftsbetrieb dauernd amtlich überwacht wird. Die Abgabe des Fabrikates erfolgt nur an Apotheken und Personen, die eine amtliche Erlaubnis zum Bezüge von Süssstoffen haben, (zu wissenschaftlichen Zwecken, an bestimmte Gewerbetreibende, zur Anfertigung von Waren, bei deren Herstellung Zucker nicht zu verwenden ist, an die Leiter von Kranken-, Kur- und Pflegeanstalten, und an Inhaber von Gast- und Schankwirtschaften in Kurorten für die Personen, denen der Genuss von Zucker ärztlich untersagt ist). Sonst ist es verboten, Süssstoffe herzustellen oder Nahrungs- und Genussmitteln bei deren gewerblicher Herstellung zuzusetzen, Süssstoffe oder Nahrungs- oder Genussmittel aus dem Auslande einzuführen, feilzuhalten oder zu verkaufen.

6. Das Gesetz vom 10. Mai 1903 verbietet die Verwendung von weissem und gelben Phosphor zur Herstellung von Zündhölzern und anderen Zündwaren. Fabrikate, die unter Verwendung von Phosphor hergestellt sind, dürfen nicht gewerbsmässig feilgehalten, verkauft oder sonst in den Verkehr gebracht, auch zu diesem Zweck in das Zollinland nicht eingeführt werden. Eine Ausnahme besteht für Zündbänder zur Entzündung von Grubenlampen.

7. Das Gesetz vom 7. April 1909 verbietet, Wein nachzumachen. Wein ist das durch alkoholische Gärung aus dem Safte der frischen Weintrauben hergestellte Getränk. Das Gesetz gestattet, Wein aus Erzeugnissen verschiedener Herkunft oder Jahre herzustellen (Verschnitt), verbietet jedoch die Verwendung von Dessertwein (Süd-, Süsswein) zum Verschneiden von weissem Wein anderer Art. Was durch das Gesetz oder die Ausführungsbestimmungen für die Herstellung und den Verkauf von Wein (einschliesslich Schaumwein, Trinkbranntwein, Kognak) nicht ausdrücklich gestattet wird, ist verboten. Das Gesetz verpflichtet zur eingehenden Buchführung; zur Unterstützung der Kontrollbehörden sind Sachverständige im Hauptberufe zu bestellen.

Mit dem Erlass dieser Gesetze ist nur ein vorläufiger Abschluss erreicht.





  1. Meyer-Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht 4 (1913) § 40 S. 179. – Eine Übersicht über das umfangreiche Gebiet der öffentlichen Gesundheitspflege gibt Flesch im Handwörterbuch der Staatswissenschaften 3 4, 743.
  2. Laband, Staatsrecht des Deutschen Reiches 4 3, 251.
  3. Fränkel, Art. Übertragbare Krankheiten, Handwörterbuch der Staatswissenschaften 3 8, 9: Übertragbare Infektionskrankheiten sind Leiden der Menschen und Tiere mit der Fähigkeit ihren Übertragung von einem erkrankten auf ein oder mehrere bisher von dem gleichen Übel noch nicht ergriffenen Wesen der nämlichen, bezw. anderer Arten.
  4. Diese internationalen Abmachungen beziehen sich auf den Verkehr mit den Nachbarstaaten an den Landesgrenzen und an den Küsten und auf die Bekämpfung der übertragbaren Krankheiten in ihren Ursprungsländern.
  5. Kirchner, Die gesetzlichen Grundlagen der Seuchenbekämpfung im Deutschen Reiche unter besonderer Berücksichtigung Preussens. 1907; Joachim Korn, Deutsches Ärzterecht (1911) 1, 154. – Übersicht über die Materialien und Literatur bei Galli in Stengleins Nebengesetzen 4 (1911) 1, 672; Laband, Staatsrecht 4 3, 254; Meyer-Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht 4 § 41 S. 182.
  6. Vgl. Kirchner, Seuchenbekämpfung S. 36 (Tabelle); Meyer-Dochow 4 § 41 S. 183.
  7. Meyer-Dochow 4 § 38 S. 175. Vgl. auch die vorstehenden Ausführungen von v. Lilienthal über Sittlichkeitspolizei. – Preuss. G. vom 28. August 1905 § 9.
  8. Auf die Frage: Worin besteht das Wesen der Impfung? antwortet C. Fränkel, Art. Impfung und Impfrecht, Handwörterb. d. Staatsw. 3 5, 584: Wir können diese lange umstrittene Frage heute mit Bestimmtheit dahin beantworten, dass der höchst wahrscheinlich durch einen niederen tierischen Schmarotzer gebildete Infektionsstoff der echten Pocken bei der absichtlichen oder unabsichtlichen Übertragung auf den zwar empfänglichen, aber doch weniger geeigneten Körper des Tieres, des Rindes, eine sog. Abschwächung erfährt, und dass das in seiner ursprünglichen Kraft geschädigte Material nun bei neuen Individuen doch noch ebenso einen Impfschutz, eine Immunität erzeugt, wie dies Pasteur später beim Schweinerotlauf, beim Milzbrand usw. in unwiderleglicher Weise zu zeigen vermocht hat.
  9. Dies wird zugegeben u. a. von Laband, Staatsrecht 4 3, 253; Loening, Deutsches Verwaltungsrecht S. 309, 3; Meyer-Dochow 4 § 42 S. 186 10; Kirchner, Schutzpockenimpfung S. 34; Joachim Korn, Deutsches Ärzterecht (1911) 1, 229; Galli in Stengleins Nebengesetzen 4 1, 623, 7. Zurzeit stehen auch die meisten Oberlandesgerichte auf diesem Standpunkt.
  10. So u. a. auch Laband 4 3, 253; Meyer-Dochow 4 § 42 S. 187 11; Fleiner, Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts 2 (1912) S. 196 14. Auch das preussische Oberverwaltungsgericht vertritt (schon am 1. März 1895) diesen Standpunkt, „da die Polizei befugt ist, zur Durchführung gesundheitspolizeilicher Massnahmen auch Zwangsmittel anzuwenden und diese Befugnis durch das Impfgesetz nicht gemindert oder ausgeschlossen ist.“ – Dagegen Entschliessung des Gr. bad. Minist, d. J. vom 26. Jan. 1911: „Mit Rücksicht darauf, dass die Zulässigkeit der zwangsweisen Durchführung der Impfung nach der Entstehungsgeschichte des Impfgesetzes immerhin zweifelhaft ist, sehen wir auch davon ab, den Bezirksämtern neuerdings Weisungen dahin zu erteilen, gegebenenfalls eine solche zwangsweise Durchführung der Impfung anzuordnen.“
  11. Über die nachteilige Wirkung des englischen Gesetzes von 1898 und der Novelle von 1907 vgl. Kirchner, Schutzpockenimpfung und Impfgesetz 1911 S. 92.
  12. Preuss. Min.-Erl., betr. die Anwendung physischen Zwanges bei der Impfung, vom 23. Januar 1911. Medizinalarchiv 2, 123.
  13. Vgl. Meyer-Dochow 4 § 43 S. 188.
  14. Vgl. Anm. 2.
  15. Übersicht über die Materialien und Literatur bei Ebermayer in Stengleins Strafr. Nebengesetzen 4 (1911) 1, 842, 845 u. 849; Laband, Staatsrecht 4 3, 258, Meyer-Dochow 4 § 44 S. 190. Zum Viehseuchengesetz sind umfangreiche Ausführungsbestimmungen vom 25. Dezember 1911 erlassen.
  16. Viehseuchengesetz §§ 6–8.
  17. Bisher bezog sich das Verbot nur auf die Einfuhr von Tieren, die von einer übertragbaren Seuche befallen waren.
  18. Diese Massregeln hatten bisher den bedrohlichen Ausbruch einer Seuche im Auslande zur Voraussetzung.
  19. Für Tiere, die auf polizeiliche Anordnung getötet oder nach dieser Anordnung an derjenigen Krankheit gefallen sind, die zu der Anordnung Veranlassung gegeben hat, ist eine Entschädigung zu gewähren. Viehseuchengesetz § 66.
  20. Vgl. hierzu Bestimmungen des Reichsgesetzes über die Beseitigung von Tierkadavern vom 17. Juni 1911. – Meyer-Dochow 4 § 44 S. 197 38.
  21. Übersicht über die Materialien und Literatur bei Galli in Stengleins strafr. Nebengesetzen 4 (1911) 1, 624; Laband 4 3, 256; Meyer-Dochow 4 § 45 S. 197.
  22. Einen weitgehenden Gebrauch hat der Kaiser von diesem Verordnungsrecht nicht gemacht, die ergangenen Verordnungen beziehen sich auf den Verkauf von Petroleum, den Verkehr mit Essigsäure und auf die Herstellung künstlicher Kaffeebohnen.
  23. Über die Organisation der Nahrungsmittelpolizei vgl. Fränkel, Art. Nahrungsmittelpolizei, Handwörterb. d. Staatsw. 3 6, 869 – Landesrechtliche Bestimmungen, die der Polizei weitergehende Befugnisse einräumen, als die §§ 2 u. 3 des R.G. von 1879, haben Geltung.
  24. Materialien und Literatur zu diesen 7 Gesetzen bei Galli in Stengleins strafrechtlichen Nebengesetzen 4 (1911) 1, 640. – Meyer-Dochow 4 § 45 S. 200 17.