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Diverse: Handbuch der Politik – Band 3

Die Nahrungsmittelindustrie hat seit dem Erlass des Gesetzes vom Jahre 1879 eine ungeahnte Entwicklung genommen, der die Spezialgesetzgebung Rechnung zu tragen versucht hat.[1]

1. Das Gesetz vom 25. Juni 1887 verbietet bei der Anfertigung bestimmter blei- und zinkhaltiger Gebrauchsgegenstände die Verwendung gewisser Metallegierungen, Emaillen und Glasuren. Es handelt sich hier vorwiegend um Ess-, Trink-, Kochgeschirre und Spielsachen.

2. Das Gesetz vom 5. Juli 1887 verbietet die Verwendung gesundheitsschädlicher Farben bei der Herstellung von Nahrungs-, Genuss- und Gebrauchsgegenständen. Zu den geschützten Gegenständen gehören u. a. Umhüllungen von Nahrungs- und Genussmitteln, kosmetische Mittel, Spielwaren, künstliche Blumen. Als gesundheitsgefährliche Farben gelten Farbstoffe aus Antimon, Arsen, Blei, Kupfer, Quecksilber, Zink, Zinn u. a.

3. Das Gesetz vom 15. Juni 1897 regelt den Verkehr mit Butter, Käse, Schmalz und deren Ersatzmitteln (erweitertes Margarinegesetz vom 12. Juni 1887). Herstellung und Verkauf von Margarine, Margarinekäse und Kunstspeisefett unterliegen weitgehenden Beschränkungen. Die Geschäftsräume und Verkaufsräume müssen nach Möglichkeit getrennt gehalten werden und durch in die Augen fallende Aufschriften gekennzeichnet sein; letzteres gilt auch von den Fässern, Umhüllungen und der Ware, die im Einzelverkauf abgesetzt wird.

4. Das Gesetz vom 3. Juni 1900 regelt die Schlachtvieh- und Fleischbeschau. Schlachttiere, deren Fleisch für Menschen verwendet werden soll, unterliegen vor und nach der Schlachtung einer amtlichen Untersuchung. Bei Notschlachtungen kann die Untersuchung vor der Schlachtung unterbleiben. Soll das Fleisch nur im eigenen Haushalt verwendet werden, so können beide Untersuchungen unterbleiben, wenn sich vor und nach der Schlachtung keine Merkmale einer die Genussfähigkeit des Fleisches ausschliessenden Erkrankung zeigen. (Diese Bestimmung gilt nicht für Kasernen, Krankenhäuser, Speiseanstalten, Haushaltungen der Schlächter, Gastwirte usw.) Zur Durchführung der Untersuchung sind Schaubezirke gebildet, zu Beschauern werden approbierte Tierärzte oder andere Personen bestellt, die genügende Kenntnisse nachweisen. Der Beschauer erklärt das Fleisch für tauglich, untauglich oder nur bedingt tauglich. Fleisch, das für nur bedingt tauglich erkannt ist, kann nach Anordnung der Polizeibehörde zum Genusse für Menschen brauchbar gemacht werden. Wer die Genehmigung erhält, derartiges Fleisch zu vertreiben, muss deutlich auf dessen Beschaffenheit hinweisen. Fleischhändler haben es in getrennten Räumen feilzuhalten. Wo eine besondere Verkaufsstelle (Freibank) für beanstandetes Fleisch besteht, erfolgt der Verkauf nur zum Verbrauch, nicht zum Vertrieb. Die Einfuhr von Fleisch erfolgt nur über vom Bundesrat bestimmte Zollämter, es unterliegt bei der Einfuhr einer amtlichen Untersuchung. Zur Schlachtung bestimmte Pferde dürfen nur durch approbierte Tierärzte untersucht werden. Für den Vertrieb und die Verwendung von Pferdefleisch gelten die gleichen Bestimmungen wie für beanstandetes Fleisch anderer Schlachttiere, es bedarf einer Genehmigung der Polizeibehörde. Der Bundesrat kann diese Bestimmungen auf Esel, Maulesel, Hunde und sonstige, seltener zur Schlachtung gelangende Tiere ausdehnen.

Bei der gewerbsmässigen Zubereitung von Fleisch dürfen Stoffe nicht verwandt werden, die der Ware eine gesundheitsschädliche Beschaffenheit verleihen können oder geeignet sind, eine gesundheitsschädliche oder minderwertige Beschaffenheit der Ware zu verdecken.

5. Das Gesetz vom 6. Juli 1902 (Süssstoffgesetz) bezeichnet als Süssstoffe, die unter dieses Gesetz fallen, alle auf künstlichem Wege gewonnenen Stoffe, die als Süssmittel dienen können und eine höhere Süsskraft als raffinierter Roh- und Rübenzucker, aber nicht entsprechenden Nährwert besitzen. Zur Herstellung des Süssstoffes ist unter Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zurzeit nur eine Sacharinfabrik ermächtigt, deren Geschäftsbetrieb dauernd amtlich überwacht wird. Die Abgabe des Fabrikates erfolgt nur an Apotheken und Personen, die eine amtliche Erlaubnis zum Bezüge von Süssstoffen haben, (zu wissenschaftlichen Zwecken, an bestimmte Gewerbetreibende, zur Anfertigung von Waren, bei deren Herstellung Zucker nicht zu verwenden ist, an die Leiter von Kranken-, Kur- und Pflegeanstalten, und an Inhaber von Gast- und Schankwirtschaften in Kurorten für die Personen, denen der Genuss von Zucker ärztlich untersagt ist). Sonst ist es verboten, Süssstoffe herzustellen oder Nahrungs- und Genussmitteln bei deren gewerblicher Herstellung zuzusetzen, Süssstoffe oder Nahrungs- oder Genussmittel aus dem Auslande einzuführen, feilzuhalten oder zu verkaufen.

6. Das Gesetz vom 10. Mai 1903 verbietet die Verwendung von weissem und gelben Phosphor zur Herstellung von Zündhölzern und anderen Zündwaren. Fabrikate, die unter Verwendung von Phosphor hergestellt sind, dürfen nicht gewerbsmässig feilgehalten, verkauft oder sonst in den Verkehr gebracht, auch zu diesem Zweck in das Zollinland nicht eingeführt werden. Eine Ausnahme besteht für Zündbänder zur Entzündung von Grubenlampen.

7. Das Gesetz vom 7. April 1909 verbietet, Wein nachzumachen. Wein ist das durch alkoholische Gärung aus dem Safte der frischen Weintrauben hergestellte Getränk. Das Gesetz gestattet, Wein aus Erzeugnissen verschiedener Herkunft oder Jahre herzustellen (Verschnitt), verbietet jedoch die Verwendung von Dessertwein (Süd-, Süsswein) zum Verschneiden von weissem Wein anderer Art. Was durch das Gesetz oder die Ausführungsbestimmungen für die Herstellung und den Verkauf von Wein (einschliesslich Schaumwein, Trinkbranntwein, Kognak) nicht ausdrücklich gestattet wird, ist verboten. Das Gesetz verpflichtet zur eingehenden Buchführung; zur Unterstützung der Kontrollbehörden sind Sachverständige im Hauptberufe zu bestellen.

Mit dem Erlass dieser Gesetze ist nur ein vorläufiger Abschluss erreicht.



Empfohlene Zitierweise:
Diverse: Handbuch der Politik – Band 3. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 188. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_3.pdf/204&oldid=- (Version vom 4.12.2021)
  1. Materialien und Literatur zu diesen 7 Gesetzen bei Galli in Stengleins strafrechtlichen Nebengesetzen 4 (1911) 1, 640. – Meyer-Dochow 4 § 45 S. 200 17.