Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluss des Humanismus

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Autor: Paul Joachimsen
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Titel: Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Deutschland unter dem Einfluss des Humanismus
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Erscheinungsdatum: 1910
Verlag: Teubner
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Neudruck der Ausgabe 1910, Scientia Verlag Aalen, 1968. Scans auf Commons
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[I] PAUL JOACHIMSEN

GESCHICHTSAUFFASSUNG UND GESCHICHTSCHREIBUNG

IN DEUTSCHLAND UNTER DEM EINFLUSS DES HUMANISMUS


ERSTER (EINZIGER) TEIL



NEUDRUCK DER AUSGABE LEIPZIG 1910
SCIENTIA VERLAG AALEN 1968


[III]
VORWORT.

Mit diesem Buch kehre ich zu Arbeiten zurück, die ich vor fünfzehn Jahren unfreiwillig unterbrochen habe, aber mit andern Ansichten und Absichten. Damals veröffentlichte ich eine Studie über Sigismund Meisterlin als erstes Heft einer Arbeit über „Die humanistische Geschichtschreibung in Deutschland“ und sprach den Vorsatz aus, die Hauptmomente dieser Geschichtschreibung in einzelnen in sich abgeschlossenen Monographien zu schildern.

Ich habe erkennen müssen, daß ich auf diesem Wege schwer oder gar nicht dazu gelangt wäre, eine Gesamtdarstellung der humanistischen Geschichtschreibung zu bieten, da die wiederholte Betrachtung von Einzelheiten den Einblick in den Zusammenhang gestört hätte und die größeren Gesichtspunkte der Betrachtung in jeder Monographie hätten wiederkehren müssen.

Ich wage also jetzt einen Wurf grade nach dem Ziele und versuche aus der Masse der humanistischen Geschichtschreibung Männer und Werke herauszugreifen, die mir für die einzelnen Richtungen kennzeichnend erscheinen, und diese Richtungen zu bestimmen.

Freilich scheint es, als ob heute noch vor solchem Unternehmen warnend die Worte stehen, mit denen Ranke 1824 im Vorwort seiner Abhandlung Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber die Behandlung von Fragen ablehnt, die den Fortgang der Historiographie, die zusammenstimmenden Prinzipien einzelner Schriftsteller betreffen. „Der Weg der leitenden Ideen in bedingten Forschungen ist ebenso gefährlich als reizend: wenn man einmal irrt, irrt man doppelt und dreifach; selbst das Wahre wird durch die Unterordnung unter einen Irrtum zur Unwahrheit.“

Sicherlich ist davon heute noch vieles gültig, und wer doch auf diesem Gebiete arbeitet, der muß eben den Mut des Irrtums haben. [IV] Er wird sich nicht vermessen, mehr zu bieten als eine Meinung, neben der es sehr wohl andere gleich und besser berechtigte geben kann. Er wird insbesondere gewärtig sein müssen, daß die Einzelforschung fast regelmäßig über ihn hinauskommt.

Aber vielleicht kann eine Arbeit, die mit diesem Bewußtsein unternommen ist, doch nützen, vielleicht kann sie der Forschung in etwas die Wege weisen und eine eifrigere Bearbeitung der Probleme veranlassen, die hier liegen. Sie sind zahlreich und noch kaum erkannt. Daß es für den historiographischen Wert eines Geschichtswerkes gleichgültig ist, ob es für seine Zeit oder eine frühere sonst unbekannte Nachrichten bietet, ja sogar ob es vom Standpunkt unsrer heutigen Kenntnis historisch Richtiges enthält, diese Auffassung ist noch weit von allgemeiner Geltung entfernt. Und doch scheint mir nur von ihr aus ein Weiterkommen möglich. Daß sie auch für das Mittelalter neben die Betrachtung der Geschichtswerke als Quellen treten muß, hat Ludwig Traube in der Vorrede zum neuesten Wattenbach nachdrücklich betont. Was auf diesem Wege zu gewinnen ist, zeigen die historiographischen Abschnitte in Albert Haucks Kirchengeschichte Deutschlands.

Eine zusammenhängende Darstellung des von mir gewählten Themas hat in neuerer Zeit nur Wegele in seiner Geschichte der deutschen Historiographie gegeben. Es ist heute leicht, die Fehler dieses Werkes aufzuzeigen. Ich habe das nicht als meine Aufgabe betrachtet, und da ich mich auch sonst wenig mit dem Buche berühre, so wird auf den folgenden Blättern kaum hie und da von ihm die Rede sein. Um so mehr muß ich hier betonen, daß auch ich, wie so viele, Wegele die erste Übersicht über einen weit verstreuten und mühselig zu sammelnden Stoff verdanke. Auch er konnte, wie einer der ersten humanistischen Geschichtschreiber, von sich sagen: Aggregator ante me nullus.

In der Angabe von Literatur bin ich sparsam gewesen, ich zitiere nur, was mich gefördert hat. Dagegen habe ich die Belegstellen zum Teil ausgeschrieben, da ein großer Teil der von mir benutzten Quellen nicht überall zugänglich sein dürfte und es mir auch wünschenswert schien, die Schriftsteller häufiger reden zu lassen als es die Ökonomie des Textes gestattete. Dem gleichen Zweck soll eine kleine Sammlung [V] von Vorreden humanistischer Geschichtswerke dienen, die ich mit dem zweiten Teil dieser Arbeit verölfentlichen werde. Hier wird auch ein Register über beide Teile folgen.

Die ersten vier Kapitel dieses Buches sind schon 1908 als Habilitationsschrift gedruckt worden, ein paar Nachträge finden sich in den Anmerkungen.

Für freundliche Ratschläge bin ich vielen, für aufopfernde Beihilfe bei der Korrektur Karl Hudezeck verpflichtet.

München, Ostern 1910.

[VI]
INHALT.
Seite
I. Das Alte und die neuen Probleme 03–14
Die Geschichtschreibung der Bettelorden: Vinzenz v. Beauvais. Martin v. Troppau. – Die ritterliche Geschichtschreibung: Kaiserchronik. Braunschweigische Reimchronik. Fürstenspiegel. – Die städtische Geschichtschreibung: Magdeburger Schöppenchronik.
II. Vorläufer und Vorbilder 15–36
Petrarka. – Die Geschichtschreibung unter Karl IV. von Böhmen. – Lionardo Bruni. – Flavio Biondo. – Lorenzo Valla. – Enea Silvio.
III. Scholastischer Humanismus 37–79
Die Vaganten: Peter Luder. Matthias von Kemnat. – Die reformierten Orden: Sigismund Meisterlin. Felix Fabri. Johannes Trithemius. – Die Elsässer: Sebastian Brant. Jakob Wimpfeling.
IV. Humanistische Weltchroniken 080–104
Die italienischen Vorbilder: Antoninus von Florenz. Jakobus von Bergamo. – Die deutschen Nachahmungen: Hartmann Schedel. Johannes Nauklerus.
V. Entdecker und Kritiker 105–154
Erasmus. Hutten. Celtis. – Die literarischen Sodalitäten. – Die neuen Funde: Schriftsteller. Inschriften. Urkunden und Rechtsquellen. – Die literarische Diskussion. – Beatus Rhenanus und seine Nachahmer.
VI. Germania illustrata 155–195
Die Schicksale des Plans bis zum Tode des Celtis: Norimberga. Verbindung mit Maximilian. Ladislaus Suntheim. Konrad Peutinger. – Die Germania im Pirckheimerkreise: Johannes Cochläus. Franziskus Irenikus. – Johannes Boemus. – Die Germania im Kreise des Matthäus Lang: Sebastian von Rotenhan. Willibald Pirckheimer. Johannes Aventinus. – Sebastian Münster.
VII. Die humanistische Hofgeschichtschreibung unter Kaiser Maximilian 196–219
Maximilian und der Humanismus. – Die Genealogien: Jakob Mennel. – Das Kaiserbuch: Konrad Peutinger. Johannes Cuspinianus.
Anmerkungen 220–299


[1] Wie entsteht eine neue Geschichtsauffassung? – Wäre die Geschichte eine Naturwissenschaft, so müßte man antworten: durch die Auffindung neuer Tatsachen in dem behandelten Gebiet, welche sich in das bisherige System nicht einfügen lassen. So entstand aus der Beobachtung der Brechung und Polarisation des Lichts die Undulationstheorie, aus der Beobachtung der Hertzschen Wellen eine neue Auffassung vom Wesen der Elektrizität.

Bei der Geschichte scheint das anders zu sein. Die kleindeutsche Geschichtsauffassung, die Sybel 1860 gegen Ficker zu Ehren zu bringen sucht, hat ihre Ursache nicht in dem Bekanntwerden neuer Geschichtsquellen für das Mittelalter, sondern in der Frankfurter Kaiserwahl von 1849 und Österreichs Niederlage von 1859, die Suche nach Sozialismus und Kommunismus im Altertum nicht in dem Erscheinen neuer Bände des Corpus Inscriptionum, sondern in dem Auftauchen dieser Strömungen in unsrer Zeit.

Es sind also auch hier neue Tatsachen, die die neue Auffassung bewirken, aber nicht solche aus dem Umkreis des behandelten Stoffes, sondern aus dem Lebenskreis des Geschichtschreibers, Tatsachen des politischen Lebens oder geistige Strömungen von anderen Gebieten her, die schließlich auch eine Revision der Meinungen über unser Verhältnis zur Vergangenheit fordern. Erst dann, wenn eine solche neue Auffassung gewonnen ist, scheint sich der Blick für bisher unbeachtete und verborgen liegende Erscheinungen dieser Vergangenheit zu schärfen; was nützte es sonst auch, Neuland zu entdecken, wenn keine Sehnsucht über das alte hinausstrebt?

Wenn dem so ist, so wird eine Geschichte der Historiographie eine besondere Aufgabe haben: sie wird die Veränderungen des geistigen Lebens wie in einem Spiegel sehen lassen können und müssen. Seit Hegel pflegen wir diese Aufgabe zunächst der Geschichte der Philosophie zuzuweisen, und gewiß wird man z. B. die Wendung der Deutschen vom Weltbürgertum zum Nationalismus ebenso gut und besser an der Entwicklung Kant, Fichte, Hegel, als etwa an der Schiller, Johannes v. Müller, Niebuhr verfolgen. Aber [2] es gibt Zeiten, wo dieser philosophische Niederschlag fehlt, und da kann die Betrachtung des Wandels der geschichtlichen Auffassung ergänzend eintreten.

Nirgendwo scheint mir das mehr der Fall gewesen zu sein, als im Zeitalter des Humanismus.

Und hier kommt noch etwas anderes dazu. Die Rede und Verskultur der Humanisten ist klanglos vergangen, niemand als der Gelehrte beschäftigt sich mit ihr, aber in der Geschichtschreibung haben sie Dauerndes geleistet. Macchiavelli, Commines, Aventin sind Namen, die ihr Zeitalter heute noch charakterisieren, an die sich Haß und Liebe noch heute knüpft. Ich will versuchen, diese Entwicklung für Deutschland zu zeichnen.



[299]
Berichtigungen.

S. 39 Z. 13 l. Regensburger Domherrn.

S. 60 Z. 13 v. u. fehlt Anm. 62.

S. 65 Z. 2 v. n. l. Anm. 89 a.

S. 66 Z. 3 l. in Colmar.

S. 66 Z. 18 l. Anm. 92.

S. 69 Z. 3 l. aufstacheln wollte.

S. 71 gehört Anm. 110 zu Z. 6.

S. 76 Z. 21 l. auf die superbia der Deutschen.

S. 89 Z. 16 v. u. l. Giustiniani.

S. 91 Z. 15 v. u. l. 1510.

S. 117 Z. 14 v. u. l. von Gordian d. J. bis Justin III.

S. 117 Z. 8 v. u. ist der Satz: Es wird doch ... zu streichen.

S. 252 Anm. 60 fehlt am Schluß: (Die Äußerung des Zasius) ist hier irrtümlich hergezogen.