Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Die Preissymphonie

Monument für Beethoven Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
Die Preissymphonie
Ouverture zur schönen Melusina


Die Preissymphonie.[1]


1.

Da mancher wache Traum in meinen Aufzeichnungen steht, was sollte ich mich lange besinnen, einen wirklichen nächtigen hinzuzufügen, und hier niederzulegen, daß ich diese Nacht den Preis zu verdienen meinte, den der Wiener Kunstverein auf die beste Symphonie gesetzt hatte.[H 2] Einig war ich mit mir selbst, daß die Wiener Herren Urtheiler diesesmal sich dem neuen in Frankreich blühenden Kunstgeschmacke, der auch hier und da schon in Deutschland zu spuken beginnt, hinneigen würden,[H 3] und daß ich mir desfalls nur diesen anzueignen habe. Im Traume geschieht dies noch viel leichter als im Wachen und nachdem ich geschwinder mich umgegossen als ein anderer nur das Hemde gewechselt, fuhr ich fort: Gluck, der Ritter, als er seine Iphigenia[H 4] schuf, setzte sich auf frischgrüne Wiesenmatten, unter deren Blüthendolden er seine Champagnerflaschen verborgen; Sarti[H 5] arbeitete in der Nachtstille und in öden Sälen eingesperrt, indeß Cimarosa im Saus und Brause eines fröhlichen Gesellenschwarmes die Gedanken zu seiner heimlichen Ehe auffaßte;[H 6] Sacchini[H 7] ließ sich zu seinen Werken durch die Gesellschaft seiner jungen Frau begeistern, während Traetta[H 8] sich in den Säulenwald der Dome schlich, dort sich seinen Gedanken zu überlassen; dem alten Paer[H 9] floß erst der Quell seiner unerschöpflichen Weisen, wenn er seinem Freunde gegenüber saß, und Vater Haydn mußte sich sein Perückchen zurecht kämmen und sich geschniegelt und gestriegelt an sein Clavier setzen, um in sein Tonreich einzugehen. Zingarelli[H 10] las die Kirchenväter, um sich für sein Romeo und Julie Gedanken zu schöpfen, wogegen Marcantonio Anfossi[H 11] sich die Tafel mit duftenden Gerichten belastete und Kapaunbraten und Spanferkel nach dem Tacte seiner Begeisterung verarbeitete. Mozart sammelte, eine Elfenseele in lichten Mondnächten, in Zauberhainen die strahlenden ewig thaufeuchten Blüthen seiner Kunst, indeß Rossini schrieb, wann, wo, wie und wofür man es nur haben wollte, und Paesiello[H 12] am liebsten auf der Gedankenjagd im Anstand lag, wo ich eben jetzt liege, im Bette. Keiner all dieser Künstler aber nebst den vielen ungenannten, nicht minder gefeierten, stand auf dem rechten Standpunkt, eine solche Symphonie zu setzen, wie die, welche mir jetzt im Kopfe summt, und wie sie unsere neusten Fortschritte erheischen. Dazu muß man den Rabenstein besuchen und auf das Hochgericht[H 13] steigen. Alle gewöhnlichen Beziehungen des Lebens sind längst so oft abgehaspelt, daß keiner sie mehr niederschreiben, geschweige lesen möchte, daher spinnen jetzt die Belustigungsschreiber Außerordentliches, und Paris liefert uns saubergeschriebene Pulververschwörungen, Höllenmaschinen und Schandpfähle, die auf einen ordentlichen Mann ihren Eindruck nicht verfehlen. Von der Tonkunst gilt dasselbe; und wir Deutschen sind alte Perücken, wenn wir glauben, daß es mit den Bardieten (das Wort scheint mir für Symphonie nicht unpassend)[H 14] unseres Haydn, Mozart und Beethoven rein abgeschlossen, daß überhaupt etwas Würziges an diesen Sachen sei, und daß sich die feingebildete Menge dafür geben könnte, so etwas anzuhören. Eingestehen laßt uns, daß uns der Franke Berlioz[H 15] eine neue Bahn gebrochen, und daß dieser erst recht ausgeführt hat, wonach der gute Vater Haydn in seiner Kindersymphonie tappte, wonach Beethoven in seiner Schlacht bei Vittoria spürte.[H 16]

Was vor Allem zu beachten, ist dies, daß ein gutgewähltes Schild immer den Gasthof und den Laden füllt, und daß die Menge sich nicht allein mit Broten sondern auch mit Worten abspeisen läßt; Ueberschriften sind uns also für unser Werk nöthig, und wahrlich tüchtige; statt aber nun meinen Bardiethelden im Opium sich übernehmen zu lassen, statt ihn auf die Galeere zu liefern oder nach dem Blutgerüste zu fahren, statt überhaupt einen solchen mir zu suchen, wähle ich blos sinnreich einen Namen, der für die ganze Handlung schon Vollgültigkeit und Deutung hat.

Lamennais[H 17] werde ich meinen Einleitungssatz, meinen langgehaltenen, oft kraus unterbrochenen überschreiben und drinnen so toll drauf los setzen, daß ich dem wunderlichen Heiligen, der mein Schirmvogt, keinen Aerger mache. Balzac dann sei der Fluß, in den diese erste Auftauchung übergeht. Da mengt sich schon lustiger das Leben, und der Teufel und ein bischen Tollheit mischt sich drein, was die gute Wirkung nicht verfehlen kann; besonders da ich im nun folgenden Satz, im langsamen, Victor Hugo dagegen stelle, und unter seinem Banner einen Todtentanz beginnen lasse, wie ihn noch kein Holbein gemalt hat. Mein Menuett wird nicht vergessen, und damit ich ihn recht lüderlich setzen kann, widme ich ihn der Frau Dudevant,[H 18] jener geistigen Dodekamechana, jener Bajadere[H 19] des Tages, die mit ihrem sinnbildlichen Beinaufheben die feingebildete hohe Welt entzückt, bis ich in meinem Schlußsatze Sue heraufbeschwöre, Eugen Sue, — bis ich den Strom meiner Weisen steigere bis zu dem Flibustier-Gelag,[H 20] das ich mit den Ausbrüchen ihrer viehischen Wuth und Grausamkeit würze, und mit den Flammen von Lima wie mit einer bengalischen[H 21] der Bühne beleuchte. Hölle und Teufel, das wird ein Meisterstück werden! Mozart und Beethoven liegen schon unter mir wie stille, himmelspiegelnde Alpenseen und Haydn wie eine Sennenhütte, vor mir Lauwinendonnernden Gletscher. Drauf los gearbeitet! Sauer darf ich es mir nicht werden lassen! Ja ich fühl’ es ordentlich, wie leicht diejenigen arbeiten, die sich die Ueberflieger zu nennen belieben, wie schöpfungskräftige Geister über alle Gesetze und Satzungen wegsehen, an denen die gewöhnlichen matt anlehnen, und abreiben. Nein, alles so obenweg nur hingeworfen, wie mit dem Besen zusammengekehrt, um daß es nur um so neuer,so großgedachter klingt, — und Satzfehler, Quinten und Octavengänge nur frisch stehen lassen, wie Unkraut in der üppigen Saat! Denn niemand weiß noch, was ein gutes Ohr sich alles gefallen lassen kann. Die altflorentinischen Maler[H 22] der angeblich verdorbenen Schule malten in Kellern, um alle Lichtwirkung so kräftiger und vorherrschender zu machen; Tonsetzer unseres Schlages sollen in Stampfmühlen und Eisenhämmern schreiben, damit nach dem Gepolter sie die Süßigkeit einer Weise schätzen lernen und lehren. Bisher hat es immer schwache Seelen gegeben, die den Fluß, den Strom eines Satzes für etwas Rechtes hielten, und gerade übersahen, daß Geistiges, statt zu fließen, in tausend Richtungen auf zum Himmel spritzet, — wie welche, die ihre Geistesarmuth unter einer gewissen Einheit versteckten, die mir äußerst vertrackt vorkommen will. Ich wie jeder Mann des Tages will sich erlustiren und Neues ist sein Begehr, und wenn so in meinem Bardiet eine Weise nach der andern aufthaut, wie weiland die eingefrornen in Münchhausens Posthorn,[H 23] so wird mir die schöne Welt Dank wissen. Was kann lästiger sein für Manche, als wenn sie im Kreise von ein paar Gedanken, die freilich oft tüchtig aus- und durchgeführt werden, herumschweben müssen; indeß sich auf unsre neue Weise wie an einer Festtafel alles von der Suppe bis zum Nachtische zu, mit immer neuem Reize genießen läßt. Geist ist die Hauptsache und den zu zeigen, muß man nicht faul sein. Ist man aber einmal im Arbeiten, muß man auch denken, was man vor sich hat, darf man die bunte Menge der Tonzeuge[H 24] nicht unbenutzt lassen, und wie ein Sturm, so durch den Paukenwirbeler, wie durch den Geiger durchfahren. Neue Tonzeuge für die Tonbühne[H 25] zu erfinden, möchte schwer halten, wie nöthig sie auch unser einem werden, seiner Gedankenwirbel sich alle zu entladen; aber gewissermaßen kann man doch zum Ergänzen kommen, wenn man bemerkt, daß jedes Tonzeug, über Gebühr angestrengt, außer seiner Bahn getrieben, wieder frisch als etwas Neues dastehen, für eine neue Erfindung gelten kann, was mancher Schwachkopf, der kopfschüttelnd in eine unserer Partituren (Allstimmen und Stimmenall) blicket, schwer verdauen kann. So mache ich die Trompete zur Clarinette, Clarinette zur Flöte, Horn zur Oboe, Baß zur Geige und umgekehrt, und schaffe mir derart durch Stimmenverwechselung die Menge zur tausendstimmigen um, und so muß mir der Preis werden selbst vor denen, die vom Seineufer aus den Leuten Sand in die Augen streuen. –

Gott weiß, was ich zusammengesetzt, wenn ich nicht aufgewacht wäre. Mein erster Blick aus dem Bette fiel gerade auf die Zeitung, die mir sagte: daß meine Anstrengung zu spät, und daß wirklich der Preis durch einen Landsmann, durch Lachner[H 26] in München, gewonnen sei. Herzlichen Handschlag meinem deutschen Bruder, obschon sein Kunstwerk, das mir noch unbekannt, in einem andern Geschmack gesetzt ist, als das von mir entworfene. Auch ist mit dem Erwachen meine Nebenbuhlerschaft so stark nicht mehr, und gerne will ich mich mit ihm von den Tagesgötzen wegwenden, zu den alten Lichtern, unter denen die Wolken nur wegziehen können. Schön und rühmlich ist es, mit ihnen die Kunst, einen erhabenen Hain Wingolf,[H 27] von den Verirrungen des Lebens, von allen Anklängen eine Geistessprache rein zu halten, statt sie hinunter zu ziehen in die Kothbefleckte Bahn und sie zur Magd der niedren Leidenschaften zu machen.[H 28]


Wie unser sanfter Gottschalkischer Wedel ordentlich in Wuth gerathen ist über den Franken Berlioz. So fromme Dorfküster, als du, sind wir freilich nicht Alle in der Kunst und die Völker beten die Gottheit verschieden, ja jeder Mensch sie anders an. Berlioz, wenn er noch oft Menschen schlachtet am Altar oder sich toll gebehrdet wie ein indischer Fakir, meint es eben so aufrichtig, als etwa Haydn, wenn er eine Kirschblüthe darbringt mit demüthigem Blick. Gewaltsam wollen wir aber Niemandem unsern Glauben aufdringen.

Was nun den Messias, den du in der Symphonie von Lachner anzukündigen hofftest, anlangt, so irrtest du leider und könntest sie nur darum lieben, weil von V. Hugo’schem oder Lamennais’schem Geist, der dir ein solcher Gräuel, in ihr allerdings nichts anzutreffen ist, wenn ich sie auch in etwas den Meyerbeer’schen Halbgeschöpfen beizählen möchte, jener Gattung, wohin z. B. Seejungfern, fliegende Fische etc. gerechnet werden, die ihrer Gestaltung halber die Menge wohl eine Weile erstaunen kann, die in der That aber nur die unschönen Uebergänge der Schöpfung bilden. Mit klarerem Worte, die Symphonie ist styllos, aus Deutsch, Italiänisch und Französisch zusammengesetzt, der romanischen Sprache vergleichbar. Von deutscher Weise benutzt Lachner zu den Anfängen, zu canonischen Nachahmungen, von italiänischer zur Cantilene, von französischer zu den Verbindungssätzen und Schlüssen. Wo dies mit so viel Geschick, oft Schlag auf Schlag, wie bei Meyerbeer, compilirt ist, mag man es bei milder Stimmung noch anhören; wo man sich dies aber bis zur Langeweile bewußt wird, wie es auf dem Gesicht des Leipziger Publicums zu lesen war, so kann nur die nachsichtsvollste Kritik nicht geradezu verwerfen. Und diese nach allen Seiten hin getriebene Breite ist es, weshalb sich die Symphonie auch nicht einmal beim Publicum einschmeicheln wird, selbst wenn Kenner und Künstler das Auge zudrücken wollten. In einem anderen Sinn, als Jemand sagte, daß er während des zwanzig Systeme großen Adagios eines Es dur-Quartetts[H 30] von Beethoven ein ganzes Jahr lang geschwelgt zu haben glaubte, glaubt man in der Symphonie eine ganze endlose Ewigkeit hinzubringen. Zu dieser unnöthigen äußerlichen Ausdehnung (die letzte große Symphonie von Beethoven hat 226 Seiten, die Preissymphonie aber 304) kömmt aber vollends niederschlagend eine Einförmigkeit an Rhythmus, wie man es selten finden wird. So bewegt sich der erste und zweite Satz durchgehends in dem bekannten mit drei Achteln Auftact anfangenden Rhythmus, dem freilich (wie man sich vielleicht aus einer Bemerkung im Triocyklus dieses Bandes entsinnen wird)[H 31] schon viele Componisten als Opfer zugefallen sind. Wäre er etwa wie in der C moll-Symphonie von Beethoven durchgeführt, so wäre kein Grund da, warum man dem Componisten dafür nicht zu Füßen fallen sollte. Hier aber dürfen wir der Wahrheit gemäß nicht verschweigen, daß der Gehalt der Gedanken überhaupt von so wenig Schwere, daß er, in der Verarbeitung sich immer mehr verdünnend, endlich zur gänzlichen Oede und Leere verschwindet. Dies namentlich im Adagio, dessen Sinn z. B. in dem ersten Theil des Schubert’schen Sehnsuchtswalzers hundertmal kürzer ausgedrückt ist, als in dem hundertmal längern Satz, der auf jeder Seite endet und nirgends enden will. Gäbe es grobe Schnitzer, Formenschwächen, Extravaganzen, so ließe sich darüber sprechen, bessern, aufmuntern; hier aber kann man nichts sagen als etwa „es ist langweilig“, oder „recht gut,“ oder seufzen, oder an etwas Anderes denken.

Das Beste, das Frischeste enthält der erste Satz der Symphonie; in ihm spricht sich doch eine Art Leidenschaft aus, wenn sie vielleicht auch nicht auf den poetischsten Hebeln ruht. Es meinte sogar Jemand „der Anfang drücke offenbar das Ringen nach dem Preis aus, während im Adagio leise Zweifel, im Scherzo jedoch wieder ein Schimmer von Hoffnung aufsteige, die sich im letzten Satz zur fröhlichsten Zuversicht verwandele.“ Die prosaische Bemerkung bei Seite gesetzt, so scheint es auch wirklich natürlich, daß unter ähnlichen Umständen hervorgerufene Werke immer etwas Befangenes, Aengstliches an sich haben werden, und daß viele der Bewerber ganz andere Symphonieen erfunden hätten ohne den köstlichen Nebengedanken an den Kranz. Wollte man künftighin einen Preis auf schon vollendete einzusendende Werke setzen, so wäre dadurch vielleicht mehr gefördert. Wie dem sei, so müßte man sich wahrhaft betrüben, wenn sich, was jetzt freilich nur unter Schwierigkeiten zu ermitteln wäre, nicht wenigstens im Einzelnen Originelleres, Vorzüglicheres unter der großen Zahl der Arbeiten gefunden haben sollte, — schon der edeln Absicht halber, die doch die Preisaussteller unleugbar hatten und die auf diese Weise, wenn auch nicht gerade zum Schaden der Kunst, gewiß auch nicht zu ihrer Verherrlichung ausgeschlagen ist. Glaube Niemand, daß wir die Symphonie einem strengern Maßstabe unterworfen, weil sie selbst eine so vielen andern vorgezogene, oder daß wir sie vielleicht auch mit gespannterer Erwartung, als wie jede andere Composition, angehört und durchgelesen hätten. Jede Anzeige einer neuen Symphonie ist ein Fest für uns und nur mit günstigstem Vorurtheil nehmen wir jedes Werk solchen Umfangs in die Hand. Der erste Satz, voll schöner Einzelnheiten (wie z. B. einige Crescendo’s, die imposante Melodie der Baßinstrumente, die aber, unbegreiflich, bei der Wiederholung von den höchsten beantwortet wird), aber auch voller langweiliger Schwächen (wie die ewige Wiederkehr gewisser harmonischer Perioden, gewöhnlichste Nachahmungen, sogenannte Rosalien) machte unsre Hoffnung schon etwas schwankend, zumal wir sahen, daß, was äußeren Kraftaufwand anlangt, in den künftigen Sätzen nicht leicht weiter gegangen werden konnte. Im Adagio fielen aber alle Hoffnungen in Trümmer. Da die beiden ersten Sätze fast keinen einzigen lebendigen Staccatogedanken brachten, so sahen wir wenigstens im Scherzo (dessen Tempobezeichnung beiläufig gesagt ein Druckfehler ist) auf einen Gegensatz auf. Aber auch ihm fehlt aller Humor, dem Trio sogar aller Geist. Im letzten Satze endlich erscheinen zwei hübsche Hauptmotive, die gut in einander verwebt und nach hergebrachter Art fugatoartig verarbeitet werden. Die Empfänglichkeit des Publicums hatte aber bereits so sehr abgenommen, daß selbst die stärksten Massen jeden Eindruck auf Ohr und Herz verleugneten. Und so klatschten Einige, was wohl auch der übrigens tadellosen Aufführung galt: bei weitem die Meisten aber waren der endlichen Erlösung froh.




  1. Des Verständnisses der Recension Nr. 2. halber war es nöthig auch obige von Gottschalk Wedel (A. v. Zuccalmaglio) hier abzudrucken.[H 1]

Anmerkungen (H)

  1. [WS] D.h. die Rezension Paragraph 1 ist von Anton Wilhelm Florentin von Zuccalmaglio. [MK] (S. 140, o.). Schumann hat den Aufsatz Zuccalmaglios nur mit Zögern aufgenommen. Am 18.10. 36 (N. F. S. 80) schreibt er an diesen: „Der Traum über die Preissinfonie ist es, der noch ungedruckt daliegt. Mit einer wahren Trauer sehe ich ihn oft an, so sehr mir vieles darin gefällt, so wünschte ich ihn lieber in ein anderes Blatt, als…" Als er ihn dann aber doch zum Abdruck brachte, hielt er es für nötig, selbst noch dazuzuschreiben. Bezeichnend führte er diesen außerdem noch durch das Goethesche Motto ein: „Ein Kranz ist gar viel leichter binden, Als ihm ein würdig Haupt zu finden.“ II.390.
  2. [GJ] Als im Januar 1835 das Wiener Preisausschreiben erlassen war (Schiedsrichter sollten Eybler, Weigl, Gänsbacher, Gyrowetz, Kreutzer, Seyfried und Umlauf sein) schrieb Mendelssohn an Spohr (8. März): „Die Ankündigung aus Wien war mir interessant; ich hatte noch nichts davon gehört. Sie machte mir wieder das Gefühl recht lebhaft, wie unmöglich es mir sein würde, irgend etwas mit dem Gedanken an eine Preisbewerbung zu componiren — ich käme nicht bis zum Anfange, und wenn man zum Musiker sich müßte examiniren lassen, so bin ich überzeugt, ich wäre von vornherein abgewiesen worden, denn ich hätte nichts halb so gut gemacht, als ich könnte. Der Gedanke an einen Preis oder eine Entscheidung macht mich zerstreut, und dennoch kann ich mich nicht so darüber hinweg setzen, daß ich ihn ganz vergäße. Aber wenn Sie irgend die Stimmung dazu finden, sollten Sie es doch ja nicht unterlassen, eine Symphonie bis dahin zu componiren und einzuschicken, denn ich wüßte nicht, wer Ihnen den Preis unter den Lebenden streitig machen könnte (zweiter Grund), und wir bekämen dann wieder eine neue Symphonie von Ihnen (erster Grund). Ueber die Zusammensetzung des richtenden Ausschusses in Wien habe ich meine Gedanken, die aber nicht recht legitim sind sondern ein wenig rebellisch. Wäre ich die Richter, so bekäme das ganze Comité keinen Preis, wenn sich’s darum bewürbe“. Gegen Hauser sprach Mendelssohn sich noch unverhohlener aus: „In Wien haben sie für die beste Symphonie einen Preis von 50 Dukaten ausgesetzt, und Seyfried, Umlauf und Conradin Kreutzer und Consorten sollen’s entscheiden, lauter Kerls, die keine Symphonie zusammenbringen können, und wenn sie sich drei Jahre kasteiten. Wär’ es ein Comité von den besten Componisten der ganzen Welt, so möcht’ ich auch um keinen Preis concurriren; der bloße Gedanke, daß ich eine Preismusik componirte, machte mich so unmusikalisch wie Umlauf und Seyfried zusammengenommen. Und hätte ich eine Symphonie fertig liegen, so würde ich mich hüten, die hinzuschicken, denn da können die andern Leute drüber urtheilen, und am Ende findet sich’s doch, ob sie was taugt oder nicht. Das ist so eine Art Treibhauscultur, und die 50 Ducaten sind das Mistbeet; ob aber eine Cactus-Symphonie herauskommt, ist die große Frage“. Hanslick „Suite“ S. 33. GJ.I.345.
  3. [GJ] Der ausgesetzte Preis wurde keinem „Neuromantiker“, wie Wedel befürchtete, sondern Fr. Lachner zuerkannt für seine Sinfonia passionata (später als Werk 52 gedruckt).
  4. [WS] Christoph Willibald Ritter von Gluck, deutscher Komponist 1714–1784, Iphigénie en Tauride, seine dramatische Oper in vier Akten von 1779.
  5. [WS] Giuseppe Sarti (1729–1802), italienischer Komponist.
  6. [WS] Domenico Cimarosa (1749–1801), italienischer Komponist; seine Oper Il matrimonio segreto (Die heimliche Ehe) von 1792.
  7. [WS] Antonio Sacchini (1730–1786), italinischer Komponist.
  8. [WS] Tommaso Traetta (1727–1779), italienischer Komponist.
  9. [WS] Ferdinando Paër, (1771–1839), italienischer Komponist.
  10. [WS] Niccolò Antonio Zingarelli (1752-1837) italienischer Komponist; die Oper Romeo e Giulietta (1796) wurde sein berühmtestes Werk.
  11. [WS] Ein „Marcantonio Anfossi“ ist nicht nachweisbar, vermutlich gemeint ist: Pasquale Anfossi (1727–1797), italienischer Komponist.
  12. [WS] Giovanni Paisiello (1740–1816), italienischer Komponist.
  13. [WS]„Rabenstein“, Synonym für Schafott, eine mittelalterliche, volkstümliche Bezeichnung für eine aufgemauerte Richtstätte; „Hochgericht“, Synonym für Blutgerichtsbarkeit, Begriff für „blutige Strafen“ bis hin zur Todesstrafe, symbolischer Ort dafür wurde der Galgen.
  14. [WS] siehe dazu Gotthold Wedel’s Verdeutschungsvorschlägen.
  15. [WS] Hector Berlioz (1803–1869), seine Symphonie fantastique – Episode de la vie d’un artiste („Episoden aus dem Leben eines Künstlers“) (op. 14, 1830) führte zum Paradigmenwechsel der Ästhetik des 19. Jhdts.
  16. [WS] Wellingtons Sieg oder die Schlacht bei Vittoria op. 91 (1813), ein Orchesterwerk von Ludwig van Beethoven ist ein einschlägiges Beispiel von Programmmusik.
  17. [WS] Zuccalmaglio parodiert hier und im folgenden die programmatischen Satzbezeichnungen von Berlioz. Lamennais: Félicité de Lamennais (1782–1854), französischer Priester, Philosoph und Verfasser politischer Schriften; Balzac: Honoré de Balzac (1799–1850), französischer Schriftsteller; Victor Hugo (1802–1885), französischer Schriftsteller; Holbein: Hans Holbein der Jüngere (1498–1543), deutscher Maler, dessen Graphikzyklus Der Totentanz (1526); Eugène Sue (1804–1857), französischer Schriftsteller.
  18. [GJ] George Sand. [WS] George Sand (1804-1876), französische Schriftstellerin; Geliebte von Frederic Chopin
  19. [WS] Dodekamechana: „Zwölftechnikerin”, nach Agrippa von Nettesheim eine mythologische Dirne in Kyrene die zwölf Arten der vollständigen Befriedigung ihrer Liebhaber beherrschte; Bajadere, indische Tänzerinnen, in der Romantik Sinnbild für „leichte Mädchen“.
  20. [WS] Filibuster, europäische Piraten seit dem Mittelalter.
  21. [WS] Bengalisches Feuer, ein Feuerwerksmittel; Flammen von Lima: unklare Anspielung
  22. [WS] Die italienische Schule des 13. bis Mitte 15. Jahrhunderts.
  23. [WS] Eine Episode aus den Geschichten des Baron Münchhausen: An einem kalten Wintertag gefrieren die Töne im Posthorn eines Kutschers. Später taut das Horn in der Schenke auf und gibt die Musik von sich.
  24. [WS] Instrumente.
  25. [WS] Orchester.
  26. [WS] Franz Lachner (1803–1890), ein deutscher Komponist und Dirigent: Sinfonie Nr. 5 c-Moll op. 52, Preis-Symphonie, auch Sinfonia passionata (1835).
  27. [WS] Tempel von Göttinen aus der Germanischen Schöpfungsgeschichte.
  28. [GJ] Zuccalmaglios Eigenheit, alle fremdsprachlichen Ausdrücke durch deutsche zu ersetzen, tritt auch in diesem Aufsatze hervor. Es wird die Billigung des Lesers finden, daß ich die überall gebräuchlichen Bezeichnungen „Symphonie, Instrument, Orchester“ etc. in ihr altes Recht wieder eingesetzt habe. Ebenso habe ich einige stilistische Unebenheiten ausgeglichen, die Zuccalmaglio so leicht aus der Feder flossen, weil er rasch schrieb und es nicht liebte, hinterher viel zu feilen. — Es sei noch erwähnt, daß Zuccalmaglio sich in der günstigen Meinung von Lachners Symphonie doch enttäuscht fand, nachdem er sie kennen gelernt hatte. Er nannte sie (1837, VII, 2 MDZ München) ein „Enakswerk“ und meinte, daß die über alles Maß lange Preissymphonie doch nur „den Preis über die Geduld der Zuhörer“ davongetragen habe. I.346. [WS] Hier ist der originale Wortlaut der Vorlage gegeben.
  29. [GJ] Dieser Aufsatz war mit dem Goetheschen Motto eingeführt:

    „Ein Kranz ist gar viel leichter binden,
    Als ihm ein würdig Haupt zu finden.“

  30. [GJ] Des sog. Harfenquartetts, Werk 74. [WS] Ludwig van Beethoven, Streichquartett Nr. 10 Es-Dur op. 74, genannt Harfenquartett (1809).
  31. [WS] Siehe S. 288, es geht um den Rhythmus des „Schicksalsmotivs“ vom Beginn von Beethovens 5. Sinfonie c-Moll op. 67 (1804–1808).
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