George Sand (Die Gartenlaube 1861)

Textdaten
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Autor: Eduard Schmidt-Weißenfels
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Titel: George Sand
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 265–267
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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George Sand.

Eine Erinnerung von Schmidt-Weißenfels.

Keine sechs Poststunden von dem alten, düsteren Chateauroux, der Hauptstadt des Indredepartements, im ehemaligen Herzogthum Berry, liegt auf einer sanften Anhöhe das Schloß Nohant[WS 1]. Die Fenster des nicht allzualten, halb im Rococostyl erbauten Schlosses leuchten auf die schöne Chaussee, welche an einem kleinen, freundlichen, ausnehmend reinlichen Dorfe vorüberführt, hinter welchem sich dann sogleich Wiesen und Park und Garten bis hinauf nach dem Herrensitz ziehen.

Hier ist der Wohnsitz der bedeutendsten Schriftstellerin Frankreichs, ja der bedeutendsten Schriftstellerin überhaupt. Hier wohnt Madame Dudevant, berühmt unter dem Namen George Sand. Dies Schloß Nohant war der Schauplatz ihrer Kindheit gewesen; hier hatte sie bei der Großmutter, Madame Dupin von Francueil, die sonderbarste Erziehung erhalten, fechten, reiten und schießen gelernt und auf wilden Streifereien durch das Land ihre Phantasie mit den Bildern jener Burgen, Dörfer und Menschen erfüllt, denen man in so vielen ihrer Werke begegnet. Nach einigen Jahren Aufenthalt in einem Kloster, in dem sie etwas gebändigt werden sollte, ohne es zu werden, kam sie wieder auf Schloß Nohaut, um ihrer Großmutter die Augen zuzudrücken. Dann ward sie, kaum sechzehn Jahr alt, einem Capitain Dudevant verheirathet, der weder Marquis noch Edelmann überhaupt, nicht einmal von Geburt war, dagegen ein kalter Egoist mit sehr viel Schulden, dem das Vermögen seiner Frau und ihr Schloß mehr galt, als sie, die nicht mit Schönheit, aber mit Geist und mit einem liebedurstigen Herzen glänzen konnte. Lansac im Roman „Valentine“ halte ich durchaus für die Copie des Herrn Dudevant, der denn auch ganz so handelte, wie Lansac. Als seine Frau ihm ihr Leid gestand, lachte er sie aus; als sie unglücklich war, suchte er sein Vergnügen anderswo; als sie sich von ihm trennte, hatte er nichts dagegen, insofern sie ihm nur das Schloß und das Vermögen ließ. Er gab ihr 1200 Francs jährlich, und damit lebte Aurora Dudevant in Paris in einer Mansarde mit ihren zwei Kindern, bis sie seit Anfang der dreißiger Jahre durch die Schriftstellerei Geld und Ruhm erwarb.

Die Noth hatte sie, wie so Viele, zum Schriftsteller gemacht. Sie begann beim „Figaro“; Henri de Latouche, damals Redacteur des einflußreichen „Figaro“, selbst ein talentvoller Dichter und besonders als Mentor der literarischen Jugend von hohem Verdienst, führte das junge, verlassene Weib, damals 27 Jahr alt, in die literarische Carriere ein. Dieser Umstand ist wenig bekannt, ebenso, daß ihre ersten Versuche, die sie allein machte, kaum die Höhe der Mittelmäßigkeit erreichten.

Erst mit Jules Sandeau’s Hülfe eignete sich das junge Weib, dessen innerer Drang und zurückgehaltene Macht der Empfindungen noch nach keinem klaren Ziele steuerten, die nothwendige literarische Routine an. Sandeau war ihr Freund, um nicht zu sagen, ihr Geliebter; er begleitete sie auf ihren Spaziergängen, er suchte ihre Lage zu bessern, er lieh ihr seinen Griffel für ihr Talent. Aurora Dudevant gestand später, daß sie ihn nicht geliebt, aber als Freund geachtet; auch war sie undankbar gegen ihn, denn sie trennte sich von ihm, als sie oben auf der Staffel des Ruhmes stand, an die er sie geführt. Wie dem auch sei, mit Jules Sandeau zusammen schrieb die junge Frau den Roman „Rose und Blanche“, der 1832 zuerst erschien und für den beide Autoren, nicht ohne viel Mühe, 100 Francs vom Verleger erhielten. Der Roman trug den Autornamen „George Sand“, den Madame Dudevant von nun für sich adoptirte und zu einem Glanze erhob, der den Vater desselben, Jules Sandeau, gänzlich verdunkelte.

Trotz des geringen Ersolges von „Rose und Blanche“ ermunterte sie Latouche dennoch, ihr schriftstellerisches Wirken fortzusetzen. George Sand schrieb darauf den Roman „Indiana“, welcher zuerst in der „Revue des deux Mondes“ 1832 erschien. Indiana machte George Sand berühmt.

Aber fast mehr noch erfüllte ihr Name die literarischen und gesellschaftlichen Kreise wegen des Processes, den sie gegen ihren Gatten führte. Dieser Proceß hatte in socialer Beziehung fast dieselbe Bedeutung, wie ihn der Beaumarchais’ gegen den Parlamentsrath Götzmann in politischer Beziehung hatte. Hinter Beaumarchais wie hinter Madame Dudevant stand ein großes Princip. Man denke nur daran, daß zu der Zeit, als dies unglückliche und noch dazu geistreiche Weib von ihrem unwürdigen Gatten das Vermögen zurückverlangte, die socialen Kreise, die Literatur und namentlich die gesammte Frauenwelt von den saint-simonistischen Lehren, von der Emancipationsidee und den Gedanken einer Reform der bürgerlichen Gesellschaft, besonders der Ehe, erfüllt waren. Der Papst Enfantin spukte noch in den Köpfen, der Saint-Simonismus predigte seine Theorien, das Weib und seine Stellung waren Gegenstand tiefer socialer Untersuchungen, Emancipationsclubs entstanden, das junge Deutschland – Gutzkow’s[WS 2] „Wally“, Mundt’s „Madonna“, die Schriften von Wienbarg, Laube und Kühne plaidirten für dieselben Grundsätze und erschreckten sogar den deutschen Bundestag in Frankfurt. Und nun trat ein Weib auf, eine Schriftstellerin, welche alle diese Theorien in Wirklichkeit anwandte, das Recht der Frauen muthvoll gegen die angebliche Uebermacht des Mannes verfocht! George Sand gewann ihren Proceß, und die Gesellschaft beruhigte sich dadurch. Sie ward geschieden, erhielt ihr Vermögen und ihr Erbschloß Nohaut zurück und setzte nun ihrerseits ihrem ehemaligen Gatten eine Pension aus.

So zog sie denn wieder als Schloßherrin auf Nohaut. Sie war als eine flüchtige Ehefrau daraus geschieden; sie betrat es wieder als ein siegreiches Weib, als eine gefeierte Schriftstellerin, deren Romane in ganz Europa Erstaunen und Bewunderung erregten und sie in Wahrheit bei lebendigem Leibe zu einer Mythe machten. George Sand! Das war der Inbegriff eines kühnen Weibes geworden, welches sich gegen die Gesetze der Gesellschaft gebäumt, die Sitten verachtet, das Ideal einer emancipirten Frau präsentirte. Was erzählte man nicht Alles von ihr! Sie ritt, sie focht, sie schoß mit Pistolen wie ein Capitain vom Genie; sie war in Paris in Mannskleidung auf den Boulevards spazieren gegangen, den blauen Dampf ihrer Cigarrette keck den jungen Damen unter die Nase blasend, Arm in Arm mit ihren Freunden flanirend, die Reitgerte durch die Luft pfeifen lassend, lachend so laut und herausfordernd wie ein preußischer Gardelieuteuant, ausgelassen in Allem, ein Art Abnormität, weiblichen Monstres!

Hundert Anekdoten erzählte man von ihr, um dieses tolle Weib zu kennzeichnen, die Phantastik dieses Genies zu illustriren. Mäuse wurden Elephanten, und Lüge, Verleumdung, Klatsch und das menschliche Vergnügen, Seltsames noch seltsamer zumachen, schufen zuletzt eine George Sand, die gar nicht existirte, die eine Fabel war. In Paris, dem scandalsüchtigen Paris, trieb man förmlichen Cultus mit dem Romantisiren der berühmten Schriftstellerin, und das Ausland betete Alles nach, machte die Pariser Quincaillerie sogar noch zu plumpen Fabrikartikeln. Wundern konnte man sich darüber nicht, denn über Schriftsteller und [266] bedeutende Menschen urtheilt man gemeinhin am meisten nach dem Hörensagen. Man hat nicht Zeit und ist auch zu träge, sich über die Personen und Dinge, die uns so warm interessiren, gründlich zu unterrichten. Wenn nur eine äußerlich annehmbare Version gefunden wird, ist Alles zufrieden, und wer’s etwa besser weiß, der nimmt sich nicht die Mühe, das Publicum von den liebgewordenen Irrthümern zu befreien.

So beschäftigte George Sand die Pamphletisten und Lebensbeschreiber weidlich. Sie galt für ein phantastisches Wesen, schlimmer noch als Bettina, für ein Mannweib, welches die neugierigste Verfolgung herausforderte. Kein Mittel galt den Unbescheidenen für zu schlecht, in ihre Nähe zu kommen, und wäre es auch nur für einen Augenblick. Man nahm zu Verkleidungen jeder Art Zuflucht, ja Einer, der’s nicht lassen konnte, schlich sich einmal sogar als Kaminfeger bei George Sand ein. Da die Schloßherrin von Nohant kein Verlangen danach zeigte, sich wie eine Miß Pastrana allerhand verdrehten Engländern, schriftstellernden Touristen und Naseweisen zu präsentiren, so zog sie sich in den Kreis vertrauter Freunde zurück, und es war nicht leicht, ohne gute Empfehlung als Fremder vor sie gelassen zu werden. Die Zudringlichkeit der Neugierigen, wurde sie gar zu arg, wurde denn auch zuweilen durch Mystification gestraft. So stellte man einem Advocaten, der um jeden Preis die Bekanntschaft von George Sand machen wollte, deren Kammerfrau vor, während Mutter und Tochter in einem Alkoven verborgen das komische Quiproquo mit ansahen. Der Advocat erzählte einige Tage später entzückt von der geistreichen Unterhaltung mit der berühmten Dichterin und hätte sich beinahe ein Duell zugezogen, weil er die bedauernde Bemerkung ausgesprochen, daß George Sand keine Zähne mehr habe. Ein ander Mal zog ihr Sohn Maurice die Kleider seiner Mutter an und ging an einer reisenden Familie von Engländern vorüber, welche auf der Terrasse eines benachbarten Gasthauses der Eigenthümerin des Schlosses von Nohant auflauerten. – So ging es denn oft sehr natürlich zu, daß man die sonderbarsten Geschichten vom Leben George Sand’s hörte und las.

Und wie ganz anders, ja wie viel weniger interessant ist das Original im Vergleich zu den Portraits, die man von ihr entworfen! Ich erinnere mich noch sehr genau, daß ich mit einem fix und fertigen Bilde von ihr sie besuchte und daß dieses Amazonenbild, dieses Portrait eines überspannten Wesens durchaus nicht und in Nichts Ähnlichkeit mit dem Original hatte. George Sand erschien wie eine schlichte bürgerliche Hausfrau. Alles an ihr und um sie war einfach, von gutem Geschmack und ohne jede Manierirtheit. Sie nähte emsig, auch während der Unterhaltung, die doch von sechs, sieben Personen lebhaft geführt wurde, und erzählte mit freundlichster Unbefangenheit, daß sie und ihre Tochter, die auch einmal sichtbar wurde, – die Costüme für ihr kleines Haustheater im Schlosse selber nähten, „das gehöre mit zum Genuß“. George Sand hat nämlich die Liebhaberei, ihre eigenen Stücke, die wenig Glück auf der Bühne gemacht, in Gemeinschaft mit den Bauern des Dörfchens, dessen Besitzerin sie ist, aufzuführen. Das ist ihr Privatvergnügen und dient zugleich zur Prüfung des Stücks; denn ehe es nicht in Nohant gespielt worden, kam es auf keiner Bühne zur Aufführung.

So war der erste und nachfolgende Eindruck durchaus fraulich. Ein Anderer fand sie ebenfalls emsig ein Kleid zuschneidend, und als er darüber verwundert dreinschaute, rief sie mit komischer Ernsthaftigkeit aus: „Oui, c’est moi, cela vous étonne?“ Ich glaube in der That, diese Schriftstellerin George Sand ist eine bessere Hauswirthin, als so viele andere, die zu gar nichts Anderem berufen sind. Sie näht nicht allein und stickt und strickt; sie kocht auch zuweilen selbst, bereitet Confitüren und einen vorzüglichen Kaffee, wenn nicht einer ihrer Freunde ihr dies Amt abnimmt. Gewöhnlich weist sie ihren Freunden das Kaffeebrauen auf der Maschine zu – vom Abbé Lamennais, Alfred de Musset ist’s bestimmt, und Franz Lißt wird ihn wohl ebensogut haben kochen müssen wie Chopin[WS 3], die Alle nach der Reihe ihre Freunde waren, ihre Begleiter. Daß sie als Schloßherrin nicht minder ihre Verdienste hat, konnte man schon in dem Dorfe hören, das zu ihrem Besitz gehört. Sie wird von Allen verehrt wie eine Mutter, und ihre Wohlthätigkeit ist fast übertrieben. Sie hat auf ihrer Herrschaft Ackerbau und Gartenbau zu einem so hohen Flor gebracht, wie sie in ihren socialistischen Romanen darüber als von der Wirkung der neuen Lehren spricht. Bettler und Armuth kennt man hier nicht, und Niemand, keine Magd, deren Namen sie nicht wüßte und die sich nicht wie ein Glied ihrer Familie betrachtete. Da wird keine Hochzeit gefeiert, ehe sie nicht auf dem Schlosse lebt, und wenn sie in Nohant ist, findet keine Taufe und kein Begräbniß statt, dem sie nicht beiwohnte.

Wie von ihrem Wesen ganz falsche Vorstellungen bestehen, so auch von ihrer persönlichen Erscheinung. Es ist nichts Phantastisches, nichts Literarisches an ihr; im Gegentheil, ihre Physiognomie macht einen so simplen Eindruck, daß man über dieselbe, die gar keinen bedeutenden Geist verräth, erstaunt. Eine geniale Schriftstellerin, ein Weib herrlichster Phantasie, das sieht man ihr von dem Gesicht nicht ab, welches so gutmüthig bürgerlich, so sehr nüchtern ist, daß man ihr oft gesagt hat, sie sehe aus wie ein Schaf, worüber sie selbst die meisten Scherze zu machen pflegte. Sie imponirt gar nicht, man gesteht sich dies nach dem ersten Anblick unverhohlen. Ihre Figur ist mittelgroß, dabei – ganz gegen alle poetische Art – wohlbeleibt. Das schwarze, einfach und glatt gescheitelte Haar giebt dem Kopfe ebensowenig genialen Ausdruck. Die Nase ist groß und stark, fast störend für das Gesicht, dessen feine, weiche Linien von der unendlichsten Sanftmuth und Gutmüthigkeit zeugen. Auch der Mund hat denselben männlichen Ausdruck wie die Nase, und die Lippe wie das Kinn mahnen an eine etwas sinnliche Natur. Aber die schöne, glatte, hohe Stirn, welche dieses runde Gesicht überwölbt, läßt den Kenner ahnen, daß hinter ihr das Spiel der Gedanken ein gewaltiges sein kann, trotzdem das Antlitz wenig davon verräth. Ebenso der Blick, der aus den feingeschnittenen Augen sanft und ernst hervorleuchtet: es zittert eine Melancholie in ihm, die aus tiefem Grunde entstiegen sein muß, und ein melancholisches Gemüth – welche Fülle von Poesie bettet es nicht, wie oft ist es nicht den höchstbegabten Naturen als Born ihres Geistes zu eigen!

Und in der That, je länger man in dieses tiefgründige Auge blickt, je mehr fühlt man, daß man einem Genius gegenüber sich befindet, über dessen schlichte äußere Erscheinung man sich nicht täuschen darf. Und nun erst, wenn diese Lippen sich öffnen, die vollen frischen Töne hervorquellen, und Alles Form in Worten erhält, was diese Figur belebt: dann sieht man durch die Augenfenster die Lichter in ihrem Kopf anstecken; das Feuer der Gedanken blitzt und funkelt im Blick; die Hausfrau verschwindet uns vor den Augen, unmerkbar wandelt sie sich in eine Gestalt der Poesie, in George Sand. Was sonst Mattes, Weiches, zu Weiches in ihren Zügen lag, erstarkt während der Unterhaltung; das Antlitz verliert seinen Charakter, und Grazie thront dort anstatt schlichter Gutmüthigkeit, Geist, heller, zündender Geist anstatt der Nüchternheit – die Züge, die Linien laufen in einander und alle passen jetzt zusammen, die feinen zu den starken, die weichen zu den harten – ein mild-ernstes, geisteshohes Wesen strahlt dann von dem Gesicht.

Nichts, durchaus nichts zeigt aber auch jetzt einen excentrischen Geist, der sich im Kampf mit den Gesetzen der Gesellschaft befinde, Grimm oder Groll austöne, nur im Geringsten gegen echteste hochgebildete Weiblichkeit verstoße. George Sand spricht nicht gern von sich, nicht einmal von der Literatur. Zu ihrem Wesen ist keine Spur jener unausstehlichen Geistreichigkeit, die uns so oft in den Schriftstellerinnen entgegentritt, die nicht genug durch äußere Sonderlichkeiten und verletzendes Benehmen darthun können, daß sie unter die „Literaten“ gegangen sind und einen Verleger für ihre Romane haben. George Sand, in ihren Romanen das feinfühlendste und zugleich das aufreizendste, revolutionssüchtigste Weib, ist im Leben ohne jegliche Ungebundenheit, im Wesen glättend, versöhnend, von Leidenschaftlichkeit, die in der Schriftstellerei oft die Zügel verliert, frei. Ihre Unterhaltung ist nicht prätentiös, sondern fast bescheiden; sie läßt Alles an sich ankommen und nimmt nur hin und wieder eine Partie der Unterhaltung auf, um sie in ruhiger, wohlwollender, aber sehr bestimmter Sprache zu erledigen. So gut wie sie zu schreiben und zu sprechen weiß, ebenso gut auch zu hören und zu schweigen. Sie debattirt nicht gern, nur um eine Frage zu forciren, sondern sie erklärt sich in wenig Worten für eine ausgesprochene Ansicht, oder macht eine von allen andern abweichende geltend. Drängt man ihr eine andere Meinung auf oder bekämpft das, was sie für richtig hält, so hört sie ernsthaft und schweigend hin, unterbricht selten mit einem Worte und erklärt zumeist am Ende der Entgegnung, daß sie diese Ansicht nicht theilen könne. Klar und bestimmt motivirt sie die ihrige dagegen, ohne [267] im Hin- und Herstreiten einer Wahrheit nachzugehen. Die Resultate scheinen ihr sicherer und wichtiger zu sein, als die dialektische Bewegung derselben.

Madame Dudevant und George Sand sind in der That sehr verschiedene Charaktere. Die Frau ist ganz anders als die Schriftstellerin in ihren Grundsätzen und Empfindungen. Madame Dudevant ist eine musterhafte Hausfrau und Mutter, George Sand eine dämonische Natur, die eine wildlohende Fackel in die Gesellschaft geworfen. Es ist trivial, von der Morallosigkeit der George Sand’schen Romane zu sprechen. Aber Niemand wird leugnen, daß diese Romane von einem aufreizenden, gegen die bestehenden Gesellschaftsgesetze scharf polemisirenden Geiste getragen sind.

Die Hauptwerke dieser Frau: Indiana, Valentine, Jacques und Lelia, bilden gewissermaßen Beiträge zur Pathologie der Ehe; es sind Schmerzensrufe selbstgefühlter Leiden. Interessant sind die Selbstbekenntnisse, welche die Schriftstellerin mit Hinblick auf sie macht. Sie kam traurig von einer Reise nach Italien zurück. „Warum hab’ ich mich an die menschliche Familie gebunden? das sollte mein Loos nicht sein. Gott hatte mir einen schweigsamen und unbändigen Stolz gegeben, einen tiefen Haß gegen alles Ungerechte, eine unbesiegbare Hingebung an die Unterdrückten! Meine Sinne verlockten mich nicht zur Liebe, mein Herz wußte nicht, was dies sei. Wozu unauflösliche Fesseln für mich, o mein Gott? Und doch, wie wohlthuend wären sie für mich gewesen, wenn ein Herz, ähnlich dem meinigen, sie mitgetragen hätte! Nein, nein, ich war nicht geschaffen, um Poet zu sein, ich war geschaffen, um zu lieben. Dies ist das Unglück meines Loses, daß ich zum Künstler gemacht worden bin! Menschlich leben wollt’ ich, ich hatte ein Herz: man hat es mir aus der Brust gerissen. Man hat mir nur einen Kopf gelassen, einen Kopf voller Lärm und Schmerzen, voll abscheulicher Erinnerungen und Trauerbilder. Und weil ich Erzählungen schrieb, um das Brod zu verdienen, das man mir versagte, und weil ich mich dabei erinnerte, unglücklich gewesen zu sein, und weil ich zu sagen gewagt habe, es gäbe erbärmliche Wesen in der Ehe, in Folge der Schwäche, welche der Frau anbefohlen, und der Rohheit, welche dem Manne erlaubt wird; weil ich die Schmählichkeiten aufgedeckt, welche die Gesellschaft verhüllt und mit dem Mantel des Mißbrauchs verhüllt: deshalb hat man mich für unmoralisch erklärt und mich behandelt, als ob ich ein Feind des Menschengeschlechts sei.“ –

Ueber die socialen Romane und dramatischen Werke der George Sand später ein Mehreres.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage mehrfach: Nohaut
  2. Vorlage: Gutzow’s
  3. Vorlage: Chapin