Friedrich von Bodenstedt (Die Gartenlaube 1889/16)

Textdaten
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Autor: Rudolf Gottschall
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Titel: Friedrich von Bodenstedt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 269–270
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Friedrich von Bodenstedt.

Wer in deutschen Landen kennt nicht Mirza-Schaffy und seine Lieder? Volksthümlicher ist kein Lehrer östlicher Lebensweisheit geworden, keine Nachdichtung orientalischer Vorbilder, keine Neudichtung in ihrem Geiste. Und jetzt erst ist unser deutscher Mirza-Schaffy in jenes Alter eingetreten, dessen Weisheitslehren man mit Ehrfurcht und Andacht lauscht; denn er feiert am 22. April seinen siebzigsten Geburtstag. Doch er hat schon als junger Mann die Maske des Alters vorgenommen, und was er gepredigt im Namen, seines tatarischen Lehrers in Tiflis, das hat in allen deutschen Landen ein Echo gefunden.

Bodenstedt hat seinen Wanderstab selbst in den Orient gesetzt und dort an der Quelle gesessen. Weder Rückert, noch Hammer, noch die anderen westöstlichen Poeten und Gelehrten kannten den Orient aus eigener Anschauung. Unser Dichter war ein Wandervogel von Haus aus. Geboren am 22. April 1819 zu Peine im Königreich Hannover, war er von den Eltern für den Kaufmannsstand bestimmt. Doch, auf den Schulbänken der Handelslehranstalt gefiel es ihm ebenso wenig wie im Comptoir des Handelsherrn; er studierte und dichtete bei Tag und Nacht. Endlich gelang es ihm, sich von diesen unwillkommenen Fesseln freizumachen; er besuchte die Universitäten von Göttingen, München und Berlin, wo er Kollegien über alte und neue Sprachen, Geschichte und Philosophie hörte. Im Jahre 1840 wurde er Erzieher bei dem Fürsten Galitzin in Moskau, eine Stelle, die er drei Jahre lang einnahm; er hielt sich in dieser Zeit theils in der alten Russenstadt selbst, theils aus den Gütern des Fürsten auf. Dieser Aufenthalt war von großem Einfluß auf seine Bildung und Richtung; er erschloß ihm die Eigenart des europäischen Ostens, seiner Volkssitten, seines geistigen Lebens. Bodenstedt beschäftigte sich viel mit russischen Dichtern, und seine Muse schulte sich in freien Uebertragungen der Dichter Puschkin und Lermontow. Im Jahre 1844 wurde er als Leiter eines pädagogischen Instituts nach Tiflis berufen, wo er auch am Gymnasium lateinische und französische Unterrichtsstunden gab. Doch war die Stellung zu angreifend für seine Gesundheit; er gab sie bald wieder auf und kehrte nach Europa zurück, nachdem er vorher Armenien und die kaukasischen Länder bereist hatte.

Friedrich v. Bodenstedt.
Nach einer Photographie von Kauer u. Schröder in Wiesbaden.

Und von Tiflis brachte er das poetische Schatzkästlein mit, das für sein ganzes späteres Leben den erfreulichsten Glanz ausstrahlte. Er hatte dort den Dichter Mirza-Schaffy kennen gelernt, der ihn in den orientalischen Sprachen unterrichtete; der Umgang mit diesem schriftgelehrten Manne gab ihm Anregung und Veranlassung zu den „Liedern Mirza-Schaffys“, die zuerst in dem Buche „Tausend und Ein Tag im Orient“ (1850) erschienen, dann aber aus dieser Reisebeschreibung losgelöst wurden, etwa wie Heinrich Heines „Buch der Lieder“ aus seinen „Reisebildern“. Und diese „Lieder Mirza-Schaffys“ schlugen zündend ein; es war dem Dichter damit ein großer Wurf gelungen. Er wurde mit einem Schlage volksthümlich in Deutschland; bis zum heutigen Tag haben diese Lieder mehr als hundert Auflagen erlebt und sind in viele andere Sprachen übersetzt worden. Weder Rückerts „Weisheit des Brahmanen“, noch der „Hafis“ von Daumer konnten sich eines solchen Erfolges rühmen, und doch war die erstere Spruchsammlung ein unerschöpflicher Gedankenbronnen tiefsinniger Weisheit und der „Hafis“ der unmittelbare Vorgänger, des Mirza-Schaffy mit seinen Lehren heitern Lebensgenusses und seiner Polemik gegen die Satzungen engherziger Finsterlinge. Mirza-Schaffy ist der glänzende Mittelpunkt von Bodenstedts Werken geworden, um den sich in näheren oder entfernteren Kreisen sein übriges Schaffen bewegt.

Und was hat diesem Mirza-Schaffy zu einem solchen durchgreifenden Erfolge, verholfen? Vor allem die lebendige Anschaulichkeit der Schilderungen; man fühlte heraus, das alles war selbst gesehen, selbst erlebt, und dabei nichts Weitschweifiges, nichts Ueberschwängliches. Die Form hat eine melodiöse Anmuth, und selbst die sonst schleppenden Ghaselen laufen in so schalkhafte Pointen aus, daß man ihnen ihren Reimüberfluß verzeiht. Den Tiefsinn des Rückertschen Brahmanen darf man in diesen Liedern nicht suchen; das hätte auch ihrer Volksthümlichkeit nur geschadet. Sie predigen eine sehr verständliche Lebensweisheit, mahnen zu maßvollem Genuß der irdischen Güter, wenden sich gegen den religiösen Fanatismus, preisen mit Begeisterung die Liebe und die Schönheit und lassen auch der satirischen Ader freien Lauf, indem sie gelegentlich dem Westen, seinen Dichtern und Gelehrten, seinen Sitten und Anschauungen den Spiegel des Ostens vorhalten. Das alles aber geschieht so leicht und gefällig, daß niemand daran Anstoß nimmt, und viele Verse sind so glücklich gefaßt, daß sie sich unwillkürlich dem Gedächtniß einprägen.

Einige zwanzig Jahre später gab Bodenstedt das Liederbuch: „Aus dem Nachlaß Mirza-Schaffys“ (1874) heraus. Wenn die frühere Weisheit des Lehrers von Tiflis noch etwas Jugendliches hatte, so predigt er jetzt nicht bloß Lebensgenuß, sondern spendet auch einen Reichthum wohlerwogener Gedanken und Sprüche, die sich allerdings nicht so leicht dem Gedächtniß einschmeicheln. Einige Jahre darauf, 1877, gab der Dichter hafisische Lieder unter dem Titel: „Der Sänger von Schiras“ heraus, die sich weit treuer an das Original hielten als Daumers Nachdichtungen, aber an Grazie und leichtem Fluß trotzdem nichts zu wünschen übrig ließen. Einzelne Gedichte wie das Trauerlied des Hafis beim Begräbniß seines Sohnes und der Gesang zum Preise des Weines haben so frische Ursprünglichkeit, daß man sie für vollständig selbständige Gedichte halten konnte. Ein anderer Perser, von größerem Tiefsinn, aber so witzig und schlagfertig wie der „Sänger von Schiras“, reizte später noch den unermüdlichen Vermittler zwischen Orient und Occident zu einer Uebertragung ins Deutsche. So erschienen 1881 „Die Lieder und Sprüche des Omar Chajjam“.

Wir haben hier vorgreifend alles zusammengefaßt, was Bodenstedt an Blüthen und Früchten aus der „östlichen Gartenheimath“ [270] für unseren deutschen Litteraturmarkt zusammentrug. Hier ist seine eigentliche Bedeutung zu suchen, und wie der alternde Goethe auf dem westöstlichen Divan ruhend, so hat er sich schon in jungen Jahren unserem Volke gezeigt und ist so einer seiner Lieblinge geworden. Doch ist damit seine dichterische Thätigkeit bei weitem nicht erschöpft, und namentlich auf dem Gebiete der Weltliteratur hat er, in den Fußstapfen Goethes, der Schlegel und Rückerts wandelnd, sich große Verdienste erworben als kunstsinniger Forscher und formgewandter Uebersetzer.

Nach seiner Rückkehr aus Asien führte der Dichter eine Zeit lang ein Wanderleben in Deutschland, Oesterreich, Italien; wir finden ihn auch einmal in Paris als Vertreter der preußischen Freihandelspartei. Er redigirte Zeitschriften verschiedenster Art: im Jahre 1848 den „Oesterreichischen Lloyd“ in Triest, 1850 die „Weserzeitung“ in Bremen. Eine Zeit lang hatte er ist München gelebt; dann hielt er sich auf den Gütern des mit Geibel so befreundeten Herrn von der Malsburg auf; später, 1853, lud ihn der kunstsinnige Herzog von Coburg-Gotha nach Gotha ein. Festen Anhalt und feste Stellung für längere Zeit fand er im Jahre 1854 in München, wo ihn König Max an die Universität zog und in den Kreis seiner künstlerisch-wissenschaftlichen Tafelrunde aufnahm. Seine Vorlesungen umfaßten die slavischen Litteraturen und später die ältere englische. Seine Shakespearestudien führten ihn dem Theater näher, und so folgte er einer Berufung als Intendant nach Meiningen 1866, wo der Herzog bereits auf Hebung der Bühne bedacht war. Im Jahre 1867 geadelt, trat Bodenstedt 1869 von seiner Stellung zurück, lebte in Meiningen als Pensionär des Herzogs, dann bei seinem Schwiegersohn auf Schloß Dornau bei Altona, später in Hannover, Berlin und zuletzt in Wiesbaden.

Ungemein rege und vielseitig war sein dichterisches Schaffen, nachdem ihm der große Wurf mit Mirza-Schaffy gelungen. Unabhängig von den erwähnten orientalischen Nachdichtungen trat seine Muse vielfach selbständig auf, zunächst mit einem Epos „Ada, die Lesghierin“ (1853), reich an malerischen Schilderungen von Land und Leuten, Volkssitten und Kämpfen aus der Zeit Schamyls, dann in verschiedenen Sammlungen eigener Gedichte. Was Bodenstedt außerdem als Uebersetzer und Erklärer Shakespeares, als Dramatiker, als Erzähler und Schilderer fremder Länder und Menschen geleistet, wir können es hier nicht alles einzeln aufführen. Und noch ist ja auch der Kreis dessen, was er zu schaffen berufen ist, offenbar nicht abgeschlossen; das beweist uns die noch vor kurzem (1887) erschienene Dichtung „Sakuntala“, in welcher er die anmuthige Lotosblumensage in eine neue poetische Gewandung kleidete.

Die Summe von Bodenstedts schriftstellerischem Wirken bildet einen bedeutsamen Faktor für das Geistesleben unserer Nation; die mannigfachsten Anregungen sind aus ihm hervorgegangen. Bodenstedts weltweiter Blick hat neue geistige Horizonte erschlossen, seine meisterhafte Formgebung die poetischen Schätze anderer Völker für das unserige gemünzt. Hafis und Kalidasa, Puschkin und Lermontow, Shakespeare und seine Zeitgenossen, sie alle blicken uns aus den Arabesken entgegen, welche das Bild unseres Dichters umrahmen. Dies Bild aber zeigt den heiter lächelnden Mirza-Schaffy, den anmuthigen Hohenpriester der Lebensweisheit, der ihre Lehren wie Blumen aus reichem Füllhorn streut, und dem die Nation an seinem Ehrentage dankt für die unvergänglichen Lieder seiner Jugend wie für das unermüdliche Schaffen seiner reiferen Jahre. Rudolf v. Gottschall.