Frauengestalten aus der Landeskirche

Textdaten
Autor: Hermann von Bezzel
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Titel: Frauengestalten aus der Landeskirche
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Erscheinungsdatum: 1912
Verlag: Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission
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Erscheinungsort: Nürnberg
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Quelle: Commons
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Frauengestalten
aus der Landeskirche



Vortrag
von


Oberkonsistorial-Präsident D. Dr. von Bezzel
gehalten am 16. Oktober 1912


im


Deutsch – Evangelischen Frauenbund
(Ortsgruppe Nürnberg).




1912.
Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission,
Nürnberg, Ebnersgasse 10.


|  Verehrte Anwesende, wenn ich die Grundanschauungen Ihres Verbandes recht verstehe, so will er für alle Fragen, die das Herz der deutschen Frau bewegen, innerliche Teilnahme erwecken und aus solcher Teilnahme die Freudigkeit, Verpflichtungen aufzunehmen. Denn es ist nicht deutsche Art, flüchtig zu interessieren, um dann andren neuen Erscheinungen nachzueilen, die, kaum begrüßt wieder andren Raum geben, so daß Zerstreuung an Stelle der innerlichen Sammlung und Anregung und Aufregung für wahre kraftvolle Erregung ein treten müßte. Die Gründlichkeit, die dem deutschen Charakter eignet und ihn den Vorwurf des Pedantismus eher tragen läßt als das Lob geistreichelnden Vielerlei’s und, in die Wahl zwischen Einer großen Aufgabe und der zersetzenden und zersplitternden Vielgeschäftigkeit gestellt, diese meiden und jene annehmen heißt, hat der deutschen Frau die biederen ernsten Züge gegeben, mit denen etwa Albrecht Dürer sein Marienleben schmückt und Ludwig Richter das schlichte Stilleben zeichnet und bereichert.
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 Evangelische Art aber ist es, das schöpfungsgemäß Gegebene zu vertiefen und zu verklären, nicht es zu verbergen oder zu verleugnen. Wahre Natürlichkeit ist der Zweck aller sittlichen Wiedergeburt, die in der Einzelseele ein ob auch noch so unscheinbares Ganzes erstehen lassen will. Man mag dieser evangelischen Art vorhalten, daß sie in all ihrem Werk und Wesen nur langsam vorrücke und nichts Blendendes noch Gewinnendes habe. Aber man wird ihr, die so treulich das Originale wahrt und vor allen Imitationen bewahrt, die jedem individuellen Leben das Recht zuspricht, aus höchster Kraft sein selbst zu sein, nie absprechen können, daß sie Echtes, den Stürmen und Andrängen Standhaltendes schafft und in gesunder Beharrlichkeit den wahren Fortschritt anhebt, zeitigt und vollbringt. Man wird, was man ist, nicht was man sein möchte, sondern was man sein soll und geht,| um dies zu werden, nicht in die Weite des unbesehenen Neuen, sondern in die Tiefe des erkannten Nieveraltenden. Weitschaft ist nicht selten der Schatten der Oberflächlichkeit und bewußte, willentliche Beschränkung die stille Geburtsstätte wahrhaftiger Bildung.

 Deutsch-evangelisch wäre eine falsche Synthese, wenn der weltumgestaltenden Kraft des Evangeliums nationale Schranken oder dem Deutschtum konfessionelle Bedingtheit ausschließlich zur Bedingung gestellt werden wollte, aber das soll uns freudige Gewißheit sein, daß nirgendswo der deutsche Sinn so sich wiederfindet als in der evangelischen Artung des Lebens und evangelische Lebensfülle kein besseres Gefäß in dieser Irdischkeit erlangen kann als eben im deutschen Herzen.

 Nun ist meine feste Überzeugung, daß keine Arbeit das evangelische Frauenleben so verinnerlicht und vor Zerteiltheit schützt als das liebevolle und lebenswarme Studium der Geschichte, nicht trockner Tatsachen, die man sich mühsam einprägt noch toter Zahlen, mit deren Kenntnis man prunkt, sondern gelassene Ruhe zu den Füßen einer heiligen Lehrmeisterin, der aus Gott geborenen, untrüglichen Wahrheit, zu der und aus welcher der heilige Geist, der eigentliche Geist der Geschichte, leitet und ladet. Die Kenntnis der Geschichte gibt der Seele die stille Ruhe, daß nach ewigen, wandellosen Gesetzen ein treuer Gott das Bleibende, Echte und Wahre zu dem Siege erhebt, der es nicht bestätigt, aber erweist. Die Seele wird, wenn ihr Freude und Mut entsinken will, ganz geruhig, weil sie Glied um Glied der Liebeskette sich aneinanderschließen sieht, die, vom Himmel auf die Erde seit Weihnachten reichend, trotz aller Gegenwehr die Erde zum Himmel erhebt. Weltgeschichte predigt Welterlösung und verheißt Weltvollendung, weil die Welt auf den angelegt ist, von dem sie ausging; der Gottesgedanke kehrt, mit dem, was er ausgerichtet hat, bereichert zu seinem Ursprung zurück. Im Gegensatz zu den feuilletonistischen Aufmachungen, welche das Ungewöhnliche und Unerlebte anpreisen, zeigt die Geschichte auf, wie im folgeklaren Hergang der Dinge die Ewigkeit zur Zeit und diese zu jener sich schickt.

 Der Rückblick auf hundert Jahre bayerischer Kirchengeschichte hat den reichen Trost, daß Sein Weg, ob auch durch| Wasser und Wellen, doch zum Frieden gehe und stärkt den Menschen an der Wende der Tage, in der Kraft des Gedächtnisses und in Treue des Danks die Persönlichkeiten zu halten, die ihm Leben aus Gott vorgelebt und nahegebracht haben. Denn nur am Leben erwacht und stärkt sich das Leben. Theorie ist es Lebensbilder zu betrachten, ihnen nachzufolgen ist praktisches Christentum. Geschichte treiben heißt Geschehenes in die Gegenwart übersetzen und mit dem Ertrag die Zukunft bauen. Geschichtlich denken ist die einzige Kraft gegen den seichten Optimismus, der die Gegenwart genießt und gegen den dumpfen Pessimismus, der die Zukunft versäumt und verliert.

 Lassen Sie mich, verehrte Anwesende, nun einige Bilder, wie sie meiner Betrachtung sich darboten, Ihnen geben. Jede mag dann in dem weiten Rahmen Züge von Menschen einzeichnen, die ihrer Seele von großem Gewinn waren. Namen, die im Himmel angeschrieben sind, mögen auf Erden erbleichen, wenn nur ein und der andre Zug an das Bleibende gemahnt.

 Wie gerne würde ich in dieser Abendstunde bei den frommen, sinnigen Frauengestalten verweilen, die einst durch Nürnberg gegangen sind, bei dem frommen Schwesternpaare Margarete und Christine Ebner, der Nonne von Maria Medingens und Freundin Suso’s und Taulers, der Äbtissin des Klosters Engelthal, möchte mich mit ihnen in den Brieswechsel des geheimnisvollen Wanderpredigers Heinrich von Nördlingen mit Margarete versenken, dessen Grundton der echt evangelische ist: „ich habe es gewagt aus Christum und auf alle, die ihm angehören“, oder an Agnes Frey, Dürers Gattin, und an Kunigunde Harscherin, die echte evangelische Bürgersfrau, Sie erinnern! Wir denken an die Briefe des Stadtpfarrers bei St. Lorenz Schöner (1809), die er mit der Stuttgarter Pfarrfrau Maria Dann gewechselt hat, um sie und sich in schwerem Leid zu trösten. Die Dichterin Maria Klara Silberrad soll nicht vergessen werden noch die beiden Schwestern Maria und Helene von Meyer, die Enkelinnen des bekannten Bibelforschers und Mystikers Friedrich von Meyer, Töchter einer aus Nürnberger Patriziate stammenden trefflichen Mutter, von dem damaligen Katecheten Bauer beeinflußt, hier ein Werk der Liebe gründeten und| pflegten, das lange in enger Armut sich behaupten mußte. Wie aber könnte ich jener durch die Bekanntschaft und Verwandtschaft mit dem Helferich’schen Hause (am Webersplatze) dem sel. Löhe näher getretenen Jungfrau vergessen, deren Bild und sonnige Frömmigkeit auf das einsame Leben des großen Pfarrers verklärenden Schein warf. Helene Andreä kam im Januar 1835 mit ihrer Mutter nach Nürnberg, nach dem Pfingstsonntag des Jahres hat, der sie als Pfarrverweser von Egydien unterrichtet hatte, sie in Behringersdorf konfirmiert. Am 25. Juli 1837 wurden beide in der Katharinenkirche zu Frankfurt am Main getraut. Und am 24. November 1843 ist sie mit 24 Jahren aus einem Leben geschieden, das sie so hell zu machen gewußt hatte, und das ihr so reich und groß geworden war. Löhe’s letzte Lieder: „Ich will dich suchen gehen, die ich so lang vermißt“ und das gewaltige „O Gottessohn, voll ewiger Gewalt“ verdanken dem Weh um das frühe Scheiden der Lebensgefährtin und der Gewißheit wahrer Einigkeit ihre Entstehung. Sie hat, obwohl ihm geistig nicht ebenbürtig, vielmehr von schlichten Gaben, durch die echte Weiblichkeit eines in Christo geheiligten Lebens und Denkens, durch die lautere Einfalt, die Fehler auch am geliebtesten Menschen sieht, Löhe das Glück gegönnt, von einem Menschen intuitiv erfaßt zu sein. Was er ihr nachgetrauert, klang an und verklang. Aber das Bild einer Pfarrfrau, nicht auf dem Goldglanz verschönernder Erinnerung, sondern aus dem stetigen Dank für die Reinheit eines stillen Frauenlebens gezeichnet, ist durch eine Meisterhand uns überliefert worden, deren Wahrhaftigkeit die Liebe des Gemahls nicht beeinträchtigen durfte. Die eigentümliche Tragik eines in Arbeit und Mühe sich verzehrenden Lebens, das den treuen Knecht seines himmlischen Herrn fortan beschäftigte, war der größte Dank für ein unvergessenes Gottesgeschenk, dessen reiner Glanz dem evangelischen Pfarrhause vorleuchten mag. Daß eine Pfarrfrau, diese edle, von der Reformation zurückeroberte Gabe an das Haus, an das Volk – je mehr wirkt, je mehr sie sich beschränkt, in wortlosem Wandel die Predigt des Eheherrn zu erläutern und zu begleiten, daß sie nicht vielseitig sein, sondern in bewährter und gewollter Einseitigkeit ihr Haus für ihre Welt ansehen soll, aus deren Bemächtigung und Beschäftigung sie der Gemeinde| dient, mag das Beispiel von Helene Löhe lehren, die vielen viel werden durfte, weil Einer ihr Alles geworden war.

 Lassen Sie mich, verehrte Anwesende, mit dem Preise des Pfarrhauses unserer Landeskirche anheben, nicht weil es so sein müßte, sondern weil es so sein darf. In der Einfachheit und Anspruchslosigkeit, mit der – oft bei bescheidenster Lebenshaltung – das in seinem Innenleben so reiche Haus sich und andere erbaut, in der nach Innen gewandten Beschaulichkeit und dem tränenlosen Verzicht auf Dinge, die Tränen nicht verdienen, mit dem Gebetsernste, der das Leid teilt und heilt, steht es wie eine Friedensstätte mitten in all dem bewegenden und beengenden Streit. Daß in keinem Hause so dem Gemüte wohl geschieht, dem dies rastlose Treiben des Tages den Atem benimmt, nirgend so die Freude am Kleinen gepflegt und als Großmacht des Lebens gehegt, nirgend auch die Treue im Kleinen so geehrt werden will, wissen die, die unter dem Schatten des Pfarrhauses gelebt haben und an Gräbern frommer Pfarrfrauen gestanden sind. Eindrücke der Jugendjahre haften am tiefsten. Edle, lichte Gestalten treten näher, deren die Welt nicht wert war, groß in der Unscheinbarkeit, frei in der Bedürfnislosigkeit, durch die Dörfer mit Mildigkeit schreitend, heimisch in den Armenstuben, stets zu vermitteln bereit, dem feinen Beispiel gleich, das einst Fischart, der größte deutsche Charakterzeichner, von der Frau entworfen hat. Es hat mich tief bewegt, als ich auf einem Dorfe aus dem Munde eines älteren Mannes das Lob seiner längst verstorbenen Pfarrfrau bezeugen hörte, die niemanden ungetröstet gelassen habe! Wer betet um fromme Pfarrfrauen, Beterinnen für die Männerarbeit, Bekennerinnen ohne viele Reden, Heldinnen in Leid und Angst?

 Die Pfarrfrau aus dem Dorfe mag es in manchen Stücken leichter haben als ihre Schwester in der Stadt, aber in dem Einen wollen sich beide begegnen, daß sie Gehilfinnen im Amte seien, auf die des Mannes Herz sich verlassen kann, nicht Herrinnen in Fragen, die ihnen ferne liegen, noch Sklavinnen, die zum rechten Wort nicht den Mut haben, sondern Meisterinnen in den gezogenen Grenzen und Vorbilder über sie hinaus.

 Dem Pfarrhause soll das Diakonissenwerk seine edelsten Kräfte verdanken, denn es dient dem Pfarramte am nächsten. Die Tochter des schwäbischen Pfarrhauses, Amalie | Rehm († 11. März 1883), ist die erste Oberin der Diakonissenanstalt Neuendettelsau geworden, eine Frau von hohen Regentengaben, gefaßt, starkmutig, fernend, wo es sein mußte, ihrer Stellung bewußt und eingedenk, klug im Schweigen und gemessen im Reden, des großen Löhe würdige Gehilfin, ihm ganz ergeben und doch auch ihm gegenüber selbständig. Sie hat dem Hause in der Klarheit ihrer Amtsführung, in der Pünktlichkeit, die das Kleinste groß nahm, unvergängliche Dienste geleistet. Wer in ihre Rechnungen und Aufzeichnungen Einblick tat, mußte Gott preisen, der neben dem Hochflug des heiligen Idealismus die evangelische Nüchternheit stellt, jenem zur Probe auf ihre Echtheit, ihr zur Abwehr vor der frostigen Plattheit eben die Wärme des hohen Gedankens. Und, als wäre es gestern gewesen, denke ich an das Sterben einer frommen, feinen Diakonisse aus dem Pfarrhause, das Löhe’s Geist atmete und, ihm äußerlich verwandt, innerlich von seinem Erbe teilte. Es war der 3. November 1904, als ich dieser edlen Christin aus einem Leben voll schweren Leidens und harter Gebundenheit in das Land der seligen Gottesfreiheit habe nachsehen dürfen. Ihr Sterben war kindlich und sieghaft zumal, ein Träumen von hehrsten Wirklichkeiten. Sie war als Lehrerin und Erzieherin der Blöden bewährt, erfindsam, ihnen nahe zu kommen, mit reicher Phantasie heilige Einfachheit verbindend, von den Armen geliebt, in der Geschichte ihres Hauses treulich bewandert, für kirchliche Fragen von feinstem Verständnis. Mit hohen Gaben hat sie die eingehende Kritik verbunden, die in der Zucht des Gehorsams stand. Wie ein bescheidenes Leben viele reich machen und ein anscheinend bedürftiges alles haben kann, war an ihrem Leben zu preisen. Rechte Diakonie Jesu Christi liebt und lobt das Naturgemäße und will nicht außerordentlich sein, um nicht unordentlich sein zu müssen. Das ist der Segen des treuen Diakonissenwerkes, dieses Augentrostes der Kirche in düsterer Zeit, daß es das weibliche Gemüt nicht knickt noch überfordert, nicht ertötet, aber auch nicht überreizt, sondern in seiner Bedingtheit verwertet und aus ihr neue Lebensaufgaben erweckt, die sonst wohl unerfüllt geblieben wären.
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 Kein stärkerer Rückhalt für das Pfarrhaus als das evangelische Bauern- und Bürgertum, das nicht zu Grabe| gehen soll, wenn nicht die Kirche in einen großen weiten Schauplatz von Leid und Kampf sich verwandeln will. Welche Segensquellen von den tiefgründigen, kernhaften Glaubensleben des Landvolks ausgehen können, weiß, der an diesen Quellen trotz aller schwerer Mißerfahrung dankend steht. Auf dem stillen Gottesacker zu Frankenheim, zu Füßen des stolzen Schlosses der Fürsten von Hohenlohe, schläft Maria Hörner, eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, die ich kannte († 5. Aug. 1898), voll Geistes und der Gabe, das rasch Erkannte mit dem treffendsten Worte zu bezeichnen. Ohne liebenswürdig zu sein war sie anziehend für alle, die ein scharfes Wort ertragen konnten, das aus der Begierde zu besseren geboren war. Jugendgespielin des Reichskanzlers Chlodwig Hohenlohe und seines Bruders Gustav, des Kardinals, ward sie von den Fürsten besucht und geehrt, von der edlen Prinzessin Elise als Freundin geschätzt und hat diese Ehre mit feinem Takte getragen. Sie ist fast nie aus ihrem Heimatsdorfe herausgekommen, hat ihm aber durch fast fünfzig Jahre in Wort und Wandel gedient, eine Diakonisse nach Löhes Herzen, der zur Gründung des Mutterhauses mehr genötigt als innerlich gewonnen war und es lieber gesehen hätte, wenn die von ihm ausgebildeten Jungfrauen wieder in die Heimat zurückgekehrt wären, statt daß auf dem Lande der Raubbau einsetzte, der ihm seine besten Kräfte entzog, die selten erstattet wurden. – Und wieder gedenke ich des Abends am Pfingstmontag (8. Juni 1908), wo ich an dem Sterbebette einer jungen Diakonisse stand, Susanne Steinbauer aus Schlauersbach. Die innere Feinheit des frühe gereiften Christenstandes ließ sie, die Sterbende, der schwerkranken Mutter treueste Dienste tun und das eigne Leid über dem fremden ganz vergessen, der Mutter ins Grab sehen und ruhig den Gedanken an das eigene, nahe erwägen. Mit der schlichtenden Gabe begabt hat sie in schwierigen Verhältnissen das Rechte zu finden gewußt und gezeigt, wie nur die geeignete Persönlichkeit kommen muß, um Dinge zu entwirren und Aufgaben zu lösen, die vergeblich viel Mühe verursacht hatten. Die bedeutendste Persönlichkeit aus dem Bauernstande, aus Neuendettelsau selbst gebürtig, war Schwester Margarete Herbst († 27. April 1900). Sie hat nur die Dorfschule ihrer Heimat durchlaufen,| den ganzen Unterricht freilich eines gottbegnadeten Lehrers und Seelsorgers, auch in der Schule, genossen und dank ihrer scharfen Beobachtung und durch treues, unbeeinflußtes Gedächtnis sich eine seltene Würze und Bestimmtheit des Ausdrucks angeeignet. Löhe, der Meister des Stils, den Sprachkenner keinem geringeren als Goethe vergleichen, rühmte die Briefe und Bücher dieser einfachen Diakonisse als die besten und anschaulichsten. Sie hat vom Kriegsschauplatz 1870 bedeutsame Briefe geschrieben, ein Tagebuch geführt, das man nicht ohne Rührung lesen konnte. – Es liegt in unserem Landvolk noch eine Menge unverbrauchten und ungenutzten Salzes, eine Fülle von wirklich gesunder Lebensanschauung in treffender Realistik und unverbildeter Deutlichkeit. Menschen, die alle ihre Bildungsfermente aus der Lutherbibel, diesem Werke eines Bauernsohnes an sein Kirchenvolk, holen, sind wahrhaft gebildet, auch wenn sie weder ein Fremdwort richtig aussprechen noch die neuesten Literaturerzeugnisse, die heute blühen und morgen in den Ofen geworfen werden, gelesen haben. Die Frau auf dem Lande führt leicht ein helotenhaftes Dasein. – In die dumpfe schwere Alltäglichkeit des Lebens und seine oft krasse Deutlichkeit eingebannt, zu schwerer Arbeit verurteilt und selten auf Höhentage geführt, lernt sie mehr erleben als ihre Geschlechtsgenossin im zerstreuenden Stadtleben, über welche die Ereignisse, ohne merklichen Eindruck zu hinterlassen, hinstürmen. Aber in der großen schweigenden Einsamkeit des dörflichen Lebens bilden sich Charaktere, die im Strom der Welt leicht verschliffen werden, Menschen mit starken, festen Grundanschauungen, die von Wirklichkeiten leben, sinnige Innenleute, denen das knappe Wort, das herbe Bild, der bezeichnende Eindruck sich zu Gebot stellen. Es entstehen die Leute des treuen Gedächtnisses und des ernsten Gebetes, die, wie es im Volksmund heißt, „in der Freien“ zu Gott schreien. In sonderlichen Zeiten treten dann diese Unerkannten und Ungenannten auf mit einer Fülle von Gewordenem und Gelittenem, dem die Ursprünglichkeit das Gepräge der Wahrheit gibt.
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 Wie oft denkt man über die Grundfrage nach, wer eigentlich gebildet sei, um sich antworten zu müssen, daß der Mensch, der seine Schranken kennt und seine Gaben erweckt, die Dinge an sich herankommen läßt und sie aus seiner| Überzeugtheit formt, wahrhaft Bildung besitzt. Reichtum an Kenntnissen, die nicht harmonisch in ein Gesamtbild sich fügen, verbildet, aber der kleine Besitz, der wirklich Eigentum geworden ist, hebt über die Armut der Durchschnittlichkeit hinaus.

 So ist auch in dem guten würdigen Bürgerstand, der seinen Kirchenplatz in Ehre und Zucht bewahrt und zu dem wohlgeordneten Hausrat die alte Familienbibel zählt, in der Geschlechter mit sorgsamer Treue die bescheidenen Erlebnisse verzeichnet haben, eine tragende, haltende Kraft. Diese ehrsamen Gestalten, die auch in der Großstadt das starke Gepräge der überkommenen Eigenart mit Bewußtheit und festem Willen durchretten, die in trefflichen häuslichen Ordnungen ein Stilleben führen, das wie Vergangenheit anmutet und doch Kraft genug für die Zukunft hat, haben der Kirche viel gegeben. Es gehört ein sittlicher Mut, die klare Entschlossenheit, die das Wissen um Vollberechtigtes verleiht, zu solchem Eigenleben. Aber aus Originalen, die es je mehr sind, je weniger sie es sein wollen, baut Gott Sein Haus, nicht aus geglätteten Fabriksteinen, bei denen die Kunst den Mangel an Bodenbeständigkeit nicht ersetzt.

 Wieder denke ich an Gestalten, wie ich sie allsonntäglich in Regensburg unter der Kanzel eines der größten und bedeutendsten Prediger sah, bei dem jede Predigt ein Ereignis war. Das waren die wehrhaften Frauen, die nicht nur in, sondern nach der Schrift lebten, arbeitsame Gestalten auch am Feiertage, für alles Große zu gewinnen, sobald sie es als groß erkannt hatten, mit dem Mute des Zeugnisses vom Erlebten, daß es sich nie überlebe, vom Erfahrenen, daß es der Erfahrung wert sei. Bilderreiche, fast feierliche Rede, gebildet aus unverblichenen Eindrücken, klares, scharfes, aber nie flaches Urteil, betender Ernst, der die Enge nicht mit Gewohnheit vertauschen ließ, hat diese Frauen zu kirchlichen Größen werden lassen, die, weil sie nicht ihre Stimme auf die Gasse sandten, von dem Hause aus bestimmend wirkten.

 Aus solchem bürgerlichen Hause, das reiche Bildung schmückt, sind Persönlichkeiten hervorgegangen, die klassisches Gepräge trugen. Ich denke an das einfache Haus im mittelfränkischen Landstädtchen, hart an dem Ufer der Altmühl. Unter dem Geranke des Laubwerkes, das an der Hauswand hinanläuft, liest man das uralte Moseswort: Lehre| uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Der Ernst der Todesbereitschaft wirkt der Lebensfreude nicht entgegen. Alle bedeutsame und wahrhaft bedeutende Geschichte, Musik, Sang und Dichtung werden in dem Hause gepflegt, aus dem drei besonders markante Persönlichkeiten hervorgingen, die Schwestern Minna, Dorothea und Maria Regina. Wenn die erste in Bad Boll bei dem alten Blumhardt schwäbisches Wesen in seiner Weitschaft und gesunden Subjektivität erfuhr und erfaßte, schriftkundig und schriftgewandt, auch den Wunderlichkeiten ihres Meisters mit liebender Kritik zugetan, so haben die beiden anderen (gestorben 10. August 1880 und 3. Febr. 1898) sich eng an Löhe angeschlossen, nicht Nachahmerinnen, die auf das Recht der Persönlichkeit in unevangelischem Kultus verzichten, sondern Nachfolgerinnen eines Großen zum Größten hin. Im Leben der Frau von Bunsen, dieser Welt von Reichtum und Glanz, welche evangelischer Sinn und seine Lebenshaltung erwerben, ist der Schwester Doris gedacht, die Bunsens jüngster Tochter Mathilde die kleine, arme, tränenreiche Welt bei den geringsten Blöden begehrenswert zu machen wußte. Poetisch verstand sie die gemeine Deutlichkeit der Dinge zu verklären und Steine reden zu lassen, wo andere eben nur Steine sahen. All die trefflichen Unterweisungsmittel, welche besonders den Religionsunterricht für die Blöden so treu und faßbar machen können, gehen auf diese Diakonisse zurück, welche es verstand, allen etwas zu sein, weil sie den Mut hatte, sich selbst und ihre Eigenart in Heiligung zu bewahren.
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 Neben ihr, vielleicht nicht so glänzend begabt, aber weit über ihre Umgebung hinausragend, von schroffem und doch innerlich weichem Wesen war ihre Schwester Regina, durch Jahrzehnte Löhe’s Schreibhilfe und Sekretärin, dem Haushalte und Garten ebenso treu zugewandt als den Fragen der Kirche und der Diakonie. Die reiche durch Jahrzehnte geführte Chronik wird in späteren Jahren wie ein kulturgeschichtliches Dokument von hohem Wert sein können, zeigt sie doch, wie im engen Raum seine Beurteilung der weiten Verhältnisse und treffendes Urteil sich bilden und erhalten kann. Eine Menschenkennerin in fast unbestechlichem Wahrheitssinn, in kurzen Aussprüchen meist das Rechte treffend, hat sie sich bis| ins höhere Alter jung erhalten und Kraft und Frische der Jugend um sich zu verbreiten gewußt.

 Einer Diakonisse aber möchte ich gerade in dieser Versammlung gedenken, die mit der feinsten äußerlichen Bildung den frommen, jungfräulichen Sinn und das sehnende Verlangen nach dem wahrhaft Reinen, Edlen und Schönen verband, – sie hat ihre zarte Kraft an hiesigen Werken aufgezehrt, – der Schwester Eugenie Schultheß. Die Tochter des durch seine geschichtlichen Arbeiten bekannten Herausgebers des europäischen Geschichtskalenders, trat sie im Herbst 1891 in die Diakonissenschule ein, der alten Wahrheit, die ihr eine neue immer wieder war, mit lebhafter Treue sich erschließend, einfach bei allem Wissen, demütig und schlicht, lichten und lauteren Wesens. Wie man sich gerne eines Frühlingstages erinnert, dessen milder Schein die Last der späteren Tage übersehen läßt, so danke ich Gott für diese reine, große Gabe, die auf der Anfangsarbeit zu einem schweren Beruf mir beschieden war. Aus dem Gottesacker zu Würzburg ruht, was sterblich an ihr war. Weil sie tat, was sie konnte, hat sie ein großes Werk getan und ihr ist geworden, was Recht war, weil sie geben wollte und leisten mochte, was man von ihr erwartete.

 Sie sehen, verehrte Anwesende, daß ich Frauenbilder zumeist aus der Umgebung hernehme, die mir durch fast zwanzig Jahre beruflich sich auftat. Es liegt das nahe aus persönlichen Gründen, es läßt sich aber auch aus sachlichen rechtfertigen. Denn in den Diakonissenhäusern, wenn sie nicht einseitig ein Element des Kirchenvolks pflegen und beherbergen, fassen sich alle die Kirchenkreise zusammen, aus denen unsere kirchlichen, höher gesprochen, die heiligsten Dinge gepflegt und gestärkt werden. Wer ein Diakonissenhaus kennt, hat tiefe Einblicke in die Fragen getan, die unsere Frauenkreise bewegen müssen, wenn sie für die wichtigsten Fragen in Anspruch genommen werden wollen.

 Aber eben darum sei mit den Persönlichkeiten aus dem einen Diakonissenhause diese Darlegung nicht erschöpft. Auf dem baum- und blumenreichen evangelischen Gottesacker zu Augsburg ruhen unter dem großen Kreuze die Diakonissen des durch viele Not und Anfechtung hindurchgeretteten Hauses und Werkes, dem in den letzten Jahren seine Führer und| durch Jahrzehnte erprobten Freunde, die Verkörperung seiner Geschichte weggenommen wurden. Am 31. Oktober 1911 starb hochbetagt die zweite (eigentlich erste) Oberin Schwester Pauline Fischer. Aus vornehmem Hause entsprossen und in vornehmer Umgebung herangewachsen, hat sie gerne zu den Niedrigen sich gehalten, nicht in spürbarer Herablassung, der das zur Schau getragene Opfer dessen Wert und Weihe nimmt, sondern in der gewinnenden Freundlichkeit und Leutseligkeit, die ihr Leben für viele gewinnbringend machte. Klug und bedächtig, still und gemessen, herzlich, wenn sie es sein wollte, hat sie Freundschaft und Verbindung mit den hohen Kreisen nicht gesucht, aber in ihnen eine Freundin gefunden, die ihr alles anvertraute, weil sie in Schwester Pauline sich geborgen wußte. Ihr, die von innen heraus das Haus baute und ihm durch fast vierzig Jahre das Gepräge der ruhigen Besonnenheit und heiligen Solidität gab, trat die edle Gönnerin, Gräfin Stephanie du Ponteil, geb. von Froelich zur Seite, um reiche Mittel zur äußeren Festigung des Augsburger Werkes darzubieten. Als sie 1886 starb (11. Dezember) hatte ihr letzter Wille neben anderen Arbeiten der inneren Mission das Diakonissenhaus reichlich bedacht. Sie hatte in ihm den köstlichen Schatz gefunden und gab um seinetwillen gerne hin, was sie an Schätzen besaß.

 Nur einzelne kurze Bilder konnte und wollte ich bieten, aber vielleicht reizt ein und die andere Hörerin des Vortrags dieser und jener Zug zu dem Versprechen, etwas Ganzes auf altem unwandelbaren Grund sein zu wollen. Ein längst Verstorbener, der gewohnt war, mit erquicklicher Nüchternheit die Dinge zu betrachten, hat auf die Frage, warum die Reformbewegung, welche im Jahre 1870 in der katholischen Kirche einsetzte, geringen Erfolg habe, die Antwort gegeben, es fehle ihr an Frauen und an Bauern.

 Beides hat unsere Kirche, den konservativen Bauernstand, dessen tiefste Wurzeln im Kirchenboden ruhen, so wenig ich idealisieren und schönfärben will. Und an Frauen, die den im Gedächtnis behalten, der ihrem Geschlechte höhste Ehre erzeigte – „geboren von einem Weibe“, – möge es dieser entscheidungsreichen Zeit nie gebrechen, weil ohne sie die Zeit zerfällt.

|  Der evangelische Frauenbund hat unter dem Kreuze seine Kraft gefunden und ihm die Treue zu halten sich gelobt. So wird er für unsre Landeskirche ein treuer, dankbarer Bund, nicht Gesinnungsgemeinschaft, sondern Glaubensgenossenschaft sein, die dem alten Evangelium die Kraft zutraut, neue Schäden zu heilen und dem Einzelchristen die Pflicht zuruft, sich zu heiligen und etwas zum Preise der Gnade zu werden, damit sie andern heilig und licht werden möge.

 In dankbarem Gedächtnis an die heimgegangene Vorsteherin ihres Vereins und an alles, was sie gesonnen und gefördert hat, an ihre Schlichtheit und fromme Klugheit, wünsche und erbitte ich Ihnen und unsrer Kirche viele Nachfolge.

 Unser Glaube, aus und in dem wir uns dankbar mit der lichten Wolke von Zeugen, die über Alt-Nürnberg hinzieht, zusammenschließen, der Glaube an das unvergängliche Heilsgut in Christo, unserm Herrn und an seine arme und unbedeutende Gestalt ist nicht ein Sieg gewesen, der nimmer gelten noch kommen könnte, sondern ist der Sieg über eine Welt von Zweifeln, Sorgen und Sünden. Luthers Doktorat am 18. Oktober, die Großtat vom 31. Oktober werden nicht damit geehrt, daß wir welken Lorbeer um die morsche Stirn winden und das Grab des Propheten der Deutschen schmücken, sondern in der Treue, die als das Größte der Herr von seinen Knechten erwartet und erfordert. Das ist die Treue des Kinderglaubens, mit dem Luther die Heilstatsache erfaßte und des Mannesmutes, der diesen Glauben bewahrt und vertritt.

 Möge die bekennende Treue unter uns bleiben und uns bleiben lassen, was wir sein sollen und werden wollen, echte Kinder der Reformation, Lebensbilder zum Preis ihres Meisters. Gott schenke es aus freundlicher Gnade.




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