Seite:Hermann von Bezzel - Frauengestalten aus der Landeskirche.pdf/8

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Rehm († 11. März 1883), ist die erste Oberin der Diakonissenanstalt Neuendettelsau geworden, eine Frau von hohen Regentengaben, gefaßt, starkmutig, fernend, wo es sein mußte, ihrer Stellung bewußt und eingedenk, klug im Schweigen und gemessen im Reden, des großen Löhe würdige Gehilfin, ihm ganz ergeben und doch auch ihm gegenüber selbständig. Sie hat dem Hause in der Klarheit ihrer Amtsführung, in der Pünktlichkeit, die das Kleinste groß nahm, unvergängliche Dienste geleistet. Wer in ihre Rechnungen und Aufzeichnungen Einblick tat, mußte Gott preisen, der neben dem Hochflug des heiligen Idealismus die evangelische Nüchternheit stellt, jenem zur Probe auf ihre Echtheit, ihr zur Abwehr vor der frostigen Plattheit eben die Wärme des hohen Gedankens. Und, als wäre es gestern gewesen, denke ich an das Sterben einer frommen, feinen Diakonisse aus dem Pfarrhause, das Löhe’s Geist atmete und, ihm äußerlich verwandt, innerlich von seinem Erbe teilte. Es war der 3. November 1904, als ich dieser edlen Christin aus einem Leben voll schweren Leidens und harter Gebundenheit in das Land der seligen Gottesfreiheit habe nachsehen dürfen. Ihr Sterben war kindlich und sieghaft zumal, ein Träumen von hehrsten Wirklichkeiten. Sie war als Lehrerin und Erzieherin der Blöden bewährt, erfindsam, ihnen nahe zu kommen, mit reicher Phantasie heilige Einfachheit verbindend, von den Armen geliebt, in der Geschichte ihres Hauses treulich bewandert, für kirchliche Fragen von feinstem Verständnis. Mit hohen Gaben hat sie die eingehende Kritik verbunden, die in der Zucht des Gehorsams stand. Wie ein bescheidenes Leben viele reich machen und ein anscheinend bedürftiges alles haben kann, war an ihrem Leben zu preisen. Rechte Diakonie Jesu Christi liebt und lobt das Naturgemäße und will nicht außerordentlich sein, um nicht unordentlich sein zu müssen. Das ist der Segen des treuen Diakonissenwerkes, dieses Augentrostes der Kirche in düsterer Zeit, daß es das weibliche Gemüt nicht knickt noch überfordert, nicht ertötet, aber auch nicht überreizt, sondern in seiner Bedingtheit verwertet und aus ihr neue Lebensaufgaben erweckt, die sonst wohl unerfüllt geblieben wären.

.

 Kein stärkerer Rückhalt für das Pfarrhaus als das evangelische Bauern- und Bürgertum, das nicht zu Grabe

Empfohlene Zitierweise:
Hermann von Bezzel: Frauengestalten aus der Landeskirche. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1912, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Frauengestalten_aus_der_Landeskirche.pdf/8&oldid=- (Version vom 8.9.2016)