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uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden. Der Ernst der Todesbereitschaft wirkt der Lebensfreude nicht entgegen. Alle bedeutsame und wahrhaft bedeutende Geschichte, Musik, Sang und Dichtung werden in dem Hause gepflegt, aus dem drei besonders markante Persönlichkeiten hervorgingen, die Schwestern Minna, Dorothea und Maria Regina. Wenn die erste in Bad Boll bei dem alten Blumhardt schwäbisches Wesen in seiner Weitschaft und gesunden Subjektivität erfuhr und erfaßte, schriftkundig und schriftgewandt, auch den Wunderlichkeiten ihres Meisters mit liebender Kritik zugetan, so haben die beiden anderen (gestorben 10. August 1880 und 3. Febr. 1898) sich eng an Löhe angeschlossen, nicht Nachahmerinnen, die auf das Recht der Persönlichkeit in unevangelischem Kultus verzichten, sondern Nachfolgerinnen eines Großen zum Größten hin. Im Leben der Frau von Bunsen, dieser Welt von Reichtum und Glanz, welche evangelischer Sinn und seine Lebenshaltung erwerben, ist der Schwester Doris gedacht, die Bunsens jüngster Tochter Mathilde die kleine, arme, tränenreiche Welt bei den geringsten Blöden begehrenswert zu machen wußte. Poetisch verstand sie die gemeine Deutlichkeit der Dinge zu verklären und Steine reden zu lassen, wo andere eben nur Steine sahen. All die trefflichen Unterweisungsmittel, welche besonders den Religionsunterricht für die Blöden so treu und faßbar machen können, gehen auf diese Diakonisse zurück, welche es verstand, allen etwas zu sein, weil sie den Mut hatte, sich selbst und ihre Eigenart in Heiligung zu bewahren.

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 Neben ihr, vielleicht nicht so glänzend begabt, aber weit über ihre Umgebung hinausragend, von schroffem und doch innerlich weichem Wesen war ihre Schwester Regina, durch Jahrzehnte Löhe’s Schreibhilfe und Sekretärin, dem Haushalte und Garten ebenso treu zugewandt als den Fragen der Kirche und der Diakonie. Die reiche durch Jahrzehnte geführte Chronik wird in späteren Jahren wie ein kulturgeschichtliches Dokument von hohem Wert sein können, zeigt sie doch, wie im engen Raum seine Beurteilung der weiten Verhältnisse und treffendes Urteil sich bilden und erhalten kann. Eine Menschenkennerin in fast unbestechlichem Wahrheitssinn, in kurzen Aussprüchen meist das Rechte treffend, hat sie sich bis

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Hermann von Bezzel: Frauengestalten aus der Landeskirche. Verlag der Buchhandlung des Vereins für innere Mission, Nürnberg 1912, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Hermann_von_Bezzel_-_Frauengestalten_aus_der_Landeskirche.pdf/12&oldid=- (Version vom 8.9.2016)