Florenz (Meyer’s Universum)
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Die Campagna um Florenz hat nicht das finstere, schwermüthige Ansehen, das Oede und Unheimliche der mit Ruinen und Denkmalen vergangener Jahrtausende übersäeten, menschenleeren Römischen. Milde, balsamische Lüfte, eine lachende, reizende Natur, thätige, lebensfrohe, schöngestaltete Menschen bewillkommnen dort den Reisenden und versetzen ihn in eine höhere, freudigere Stimmung.
So vorbereitet naht er der Hauptstadt Toskana’s. Noch entzieht sie der letzte Hügel seinem Auge, bald ist dieser erstiegen und in einem reizenden Thale, zu beiden Seiten des Arno, zwischen Olivenhainen, Weinbergen und Orangengärten gebettet, liegt das an großen Erinnerungen so reiche Florenz in zauberischer Anmuth zu seinen Füßen.
Florenz, (ITAL. FIRENZE) jetzt in 10,000 Häusern etwa 85,000 Einwohner enthaltend, war einst, nächst Rom, die volkreichste Stadt Italiens. In den Zeiten des Mittelalters, unter dem Bürger- und Gemeinsinn aufregenden, zu [41] Anstrengung und Wagniß anspornenden Einfluß republikanischer Institutionen, schwang sich die Stadt zu einer großen politischen Macht empor, und zahllos sind die Heldenthaten, wozu die Freiheit ihre Bürger, die Gesammtheit wie die Einzelnen, begeisterte, durch welche sich ihre Geschichte so sehr verherrlicht. An dem langen Kampfe der Guelfen und Ghibellinen, welcher die Freistaaten Italiens zerfleischte, nahm auch das kriegerische Florenz den lebhaftesten Antheil; ja oft waren seine Marktplätze und Straßen den streitenden, unversöhnlichen Partheien das blutgetränkte Schlachtfeld. Aber nicht innere noch äußere Kriege waren vermögend es zu entkräftigen, und an der Hand der Freiheit schritt es Jahrhunderte lang unausgesetzt weiter auf der Bahn des Ruhms, des Reichthums und der politischen Größe. Der Unternehmungsgeist seiner Einwohner baute Häfen und Schiffswerfte am entlegenen Gestade, ihre Handelsgeschwader beschifften alle damals bekannten Küsten und Meere und beuteten friedlich erworbene Schätze aus den fernsten Ländern. Die Kriegsflotte des kleinen Staats war gefürchtet; sie schlug häufige Schlachten, oft siegreich, gegen das neidische zur See herrschende Pisa und gegen Venedig. Seine Kaufleute waren reicher als Fürsten und stolz wie Könige; Florenz beschickte mit seinen Gesandten alle europäischen Höfe, und auf die Beschlüsse der mächtigsten Herrscher blieb der Rath der kleinen Republik selten ohne Einfluß – nie ohne Gehör. – Zu Anfang des 15. Jahrhunderts zählte Florenz achtzigtausend Bürger mit Wehr und Waffen und die Gesammtzahl seiner Einwohner überstieg 400,000.
Dies war der Gipfel seiner Größe. Die Entdeckung von Amerika, die Auffindung des Weges um Afrika nach Ostindien, dieselben Ursachen, welche Venedig, Pisa, Genua die Quelle ihres Reichthums und ihrer Macht, – den Welthandel – entzogen, brachen auch die des stolzen Florenz. Die überreichen Kaufleute, welche bald keine Befriedigung ihrer Thätigkeit, keine Anwendung ihrer Kapitale mehr auf dem gewohnten Handelspfade fanden, suchten nun Sättigung ihres Ehrgeizes durch Erhebung über ihre Mitbürger, ihr Reichthum und ihre Schätze aber wendeten sich mit Prachtliebe und Geschmack der Kunst und der Wissenschaft zu. Die Massen der Bürger, sie wurden in eben dem Grade abhängiger, als die Quellen ihres Erwerbs im Auslande versiegten und sie wegen Arbeit und Verdienst nur auf reichere Mitbürger hingewiesen waren. Aus diesen, die Florentinische Bürgeroligarchie bildenden, sich einander oft in blutigen Kämpfen entgegenstehenden Geschlechtern, erhob sich endlich das Haus der Mediceer unter dem staatsklugen, durch seine Liebe für Wissenschaft und Kunst eben so, wie durch unermeßlichen Reichthum ausgezeichneten Cosmo zur einflußreichsten, und durch den seines großen Vaters würdigen Lorenzo, nach dem Sturze des rivalisirenden Hauses Pazzi, zur herrschenden Familie. Unter der Regierung seiner Nachfolger ging denn auch bald die Scheinfreiheit (für ein halbes Jahrhundert länger bestanden die republikanischen Formen) der Florentiner unter, und Pabst Clemens VII. ernannte 1531 Allessandro von Medicis, seinen natürlichen [42] Sohn, zum ersten Herzog von Florenz. Dessen zweiter Nachfolger, Lorenzo der Prächtige – unter dessen Schirm Kunst und Wissen in Florenz zur höchsten Blüthe gelangten, war der erste Großherzog von Toskana.
Aus den eben geschilderten, in Bezug auf das öffentliche Leben so bewegungs- und wechselreichen Zeiten schreibt sich auch die heutige Gestalt der Stadt her, deren Gebäude großentheils zu Schutz und Trutz angelegt sind, wie es die damaligen Fehden und Kämpfe der Partheien nothwendig machten. Aber wenn der Architektur auch jene heitere Eleganz griechischer Formen abgeht, wie sie Palladio in Venedig und andern italischen Städten hervorrief, so besitzt sie dafür alles Edle, Wahre und Gediegene des männlichen Etruskischen Styls. Von dieser Art sind der Pallast Pitti (jetzt vom Großherzoge bewohnt, wo die herrliche Antiken- und Gemälde-Gallerie) die Palläste Strozzi und Riccardi (ehemals Medici) der alte Rathspallast am großen Stadtplatze und Andere mehr. Unter den Kirchen sind manche unvollendet geblieben. Die merkwürdigsten sind der Dom, ein riesenhaftes Gebäude mit seiner herrlichen Kuppel (auf unsern Bilde die hervorragendste) von innen und außen ganz mit köstlichem weißen und schwarzen Marmor bekleidet. Der Thurm ihr zur Seite ist der Glockenthurm, ein nach Giotto’s Zeichnung aufgeführtes treffliches Werk. Die Kirche San Lorenzo, eine der prächtigsten Italiens, enthält die Gruft und die Monumente der ausgezeichnetsten Medici und die weltberühmten Statuen des Tages, der Nacht, der Dämmerung und der Morgenröthe von Michel Angelo. In dem dazu gehörigen Kloster befindet sich die Laurentinische Bibliothek, an alten Handschriften der classischen Literatur den reichsten Schatz auf der Erde enthaltend. Die vaterländischen Mausoleen des Galilei, Alfieri, Michel Angelo und Machiavell, dieser Riesen unter den Geistern, der Stolz der Florentiner für alle Zeiten, schmücken die Kirche des heiligen Kreuzes. Alle diese Tempel – nicht weniger wie die von S. Marco, Annunciata, S. Maria Novella, S. Spiritu, S. Trinita und die der Carmeliter sind wahre Museen der Kunst, in denen sich Pinsel und Meisel der ersten Meister Italiens verewigt haben. Von den zahlreichen Schätzen, welche die bereits erwähnte Gallerie im großherzogl. Pallaste enthält, führen wir hier nur die Madonna della Sedia und das Bild der Bäckerin (Fornarina) von Raphael und die Titiansche Venus unter den Gemälden, unter den antiken Statuen die Mediceische Venus, die Gruppe der Niobe, die beiden Ringer, der Schleifer, Amor und Psyche als ihre Hauptzierden an. Weltberühmt sind unter den hier blühenden wissenschaftlichen und Kunstanstalten die Akademie der schönen Künste, in deren Direktoren Benvenuti und den kürzlich verstorbenen Raphael Morghen wir die ersten Maler und Kupferstecher der Gegenwart würdigen. Das großherzogliche Museum für Naturgeschichte, in 40 Sälen, eines der reichsten der Erde, verdient Bewunderung. Die Theater, deren es mehre gibt, sind sämmtlich mit Pracht und Geschmack ausgestattet und bei dem allgemein verbreiteten Sinn für höhere Genüsse immer stark besucht. Wirklich haben Bildung, Kunstsinn und Geschmack, so früh genährt unter den Florentinern, hier so tiefe tiefe Wurzeln geschlagen, daß sie, obschon die Herrlichkeit des [43] Mediceischen Zeitalters längst untergegangen ist, und jetzt und damals wie Schatten und Wirklichkeit sich verhalten, unauslöschliche Spuren unter allen Classen, die untersten nicht ausgenommen, zurückließen. Am auffallendsten wird dieß dem Fremden in der Unterhaltung. Selbst des gemeinen Mannes Sprache ist rein und zierlich, an feinen und witzigen Wendungen reich. Das Volk ist heiter, lebensfroh und gefällig, wie in Italien überall; aber vor allen andern Stämmen zeichnet es sich aus durch Fleiß und Liebe für Industrie und Gewerbe. Die Florentiner Manufakturen in Seide, Metall, Alabaster und Mosaik; die hiesigen Kutschen, Strohgeflechte und musikalischen Instrumente werden von keinen in der Welt übertroffen; überhaupt werden alle zu den feinen Genüssen des Lebens dienenden Gegenstände hier und in der Gegend von berühmter Vortrefflichkeit gemacht. Diesem industriellen Sinn und Streben dankt Florenz die Bewahrung vor dem Schicksal mancher ehedem nicht weniger prachtvollen Städte Italiens, die menschenleer und öde, ihrem Verfall zueilen.
Eine Meierei dicht an der Stadt, das Casino genannt, von einem schönen Parke umgeben, ist der Lieblingsspaziergang der Florentiner. Von diesem Standpunkte aufgenommen hat sich der Leser die Ansicht zu denken, welche unsere Beschreibung begleitet. –