XVII. Taj-Mahal in Agra Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band (1833) von Joseph Meyer
XVIII. Der Sybillentempel in Tivoli
XIX. Florenz
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SYBILLEN-TEMPEL, TIVOLI

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XVIII. Der Sybillentempel in Tivoli.




Tivoli, auf einem Hügel am Teverone, Hauptort eines Distrikts in der Campagna, achtzehn Miglien von Rom, ist merkwürdig durch seine herrliche Natur, seine gesunde Luft; – weltberühmt aber durch seine klassischen Erinnerungen. – Hier sind die Trümmer des alten Tibur mit seinen Tempeln und Pallästen, hier die Ruinen jener prachtvollen Villen, in welchen die Fürsten und Großen der weltbeherrschenden Roma die Sorgen der Staatsgeschäfte vergaßen und Alles vereinigten, was den Genuß des Lebens erheitern, verschönern und erhöhen konnte. In dieser entzückenden Gegend hatte Mäcen seine gepriesene Villa, in der er Roms größte Helden und Dichter der Augustäischen Zeit um sich versammelte; – hier hatte Horaz sein Landhaus und dichtete der erhabenen Natur, der Liebe und der Freundschaft ewige Lieder. Hier baute Kaiser Hadrian sein weltberühmtes Landhaus, ein eine Area von einer halben Stunde Umfang deckender Pallast, der Cirkus, Amphitheater, Naumachien, mehre Tempel und unzählige Säle, Grotten, Bäder in sich schloß, und in dem was die Kunst Herrlichstes, Schönstes in Griechenland, Asien, Afrika und Italien hervorgebracht, wie in einem Brennpunkte von dem kunstliebenden Kaiser zusammengestellt wurde. – Hier endlich ist der Ort, wo seit Jahrhunderten und jetzt noch die schönsten Bildwerke des Alterthums gefunden werden, welche die Museen Europa’s füllen – jene unter der Aegide der Civilisation nun für immer vor Verlust bewahrten Schätze, der neuern Kunst Lehrer und Vorbilder zugleich. –

Unter all den Ueberbleibseln des alten Tiburs, von denen kaum eine ist, an die sich nicht kultur-, literär-, kunst- oder weltgeschichtliche Erinnerungen knüpfen, ist eins, welches durch seine herrliche Lage, – hoch oben auf der Spitze eines steilen Felsens, gegenüber den Caskaden des Anio (jetzt Teverone) und durch seine reizende, alle Verhältnisse im schönsten Ebenmaaße zeigende Formen Aller Augen anzieht und fesselt. Es ist der Gegenstand unseres Bildes, – ein kleiner runder Tempel von weißem Marmor, der Sybilla, nach Andern der Vesta geheiligt. Er ist unstreitig eines der schönsten Bauwerke der Augustäischen Zeit, an Reiz und Anmuth der Verhältnisse von keinem auf der Erde übertroffen. Noch im vorigen Jahrhunderte stand er unversehrt; es schien als ob die alles [40] zerstörende Zeit das liebliche Werk geflissentlich geschont hätte. Da kam ein reicher Britte, Lord Bristol, auf den wunderlichen Gedanken, aus seinem Parke in England sich ein Tivoli zu schaffen und, um die Täuschung, so zu sagen, selbst zu täuschen, die schönsten Bautrümmer des alten Tibur ihrem mütterlichen Boden zu entreißen und in sein Pseudo-Tibur zu versetzen. – Der Sybillentempel sollte zuerst auswandern. Gedacht, gethan. Er erkaufte denselben von einem Tibutiner Gastwirthe, auf dessem Boden er stand. Eine Schaar gedungener Steinmetzen fing an, den Tempel aus einander zu nehmen, – schon waren sechs der achtzehn korinthischen Säulen von ihren Fußgestellen entfernt, – schon das Dach und ein Dritttheil der Cella abgebrochen und fortgeschafft, als ein Bote aus Rom kam und die Fortsetzung des Zerstörungswerkes untersagte. Für die Wiederherstellung des herrlichen Denkmals geschah aber nichts. – Der langsam wirkenden Zeit bleibt zu vollenden überlassen, was die unverständige Kunstliebe des Britten begonnen hat.

Tibur’s imposante Naturscenen, die weltberühmten Wasserstürze des Anio, überragt von den Trümmern der Mäcenischen Villa, werden wir, als Gegenstand eines besondern Bildes, später beschreiben.