Fleiß und Faulheit. Achtes Blatt
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In demselben Grade, wie Tom Idle tiefer sinkt, wird Goodchild zu Ehren und Würden stets höher erhoben. Er hat die City-Ehren erlangt, ist zum Sheriff von London ernannt worden, wie man aus einem an der Thür abgegebenen Briefe sieht, und empfängt nebst seinen Liverymen (seinen Genossen in der Corporation Londons) die Ehre, auf Kosten der City mit Seiner Herrlichkeit dem Lord-Mayor zu speisen.
Man sieht hier nämlich den Ruhm Alt-England’s, a hearty dinner (ein herzhaftes Mittagessen), ohne welches bekanntlich selten eine Angelegenheit von Wichtigkeit jenseits des Kanals besprochen und ohne welches noch viel weniger eine Feierlichkeit begangen werden kann, und zwar den Gipfelpunkt dieses Ruhmes, ein Mittagessen der Corporation von London in dem Rathhause (Guildhall) auf Kosten der [564] Stadt[1]. Das Mittagessen ist von derjenigen Art, welche den Charakter eines ehrwürdigen Rathsherrn (Alderman) überall in Großbritannien zum Typus des Fressers gemacht hat, und welche das Verfahren des berüchtigten Demagogen John Wilkes, als Kämmerer der Stadt London (Chamberlain of the city), vollkommen rechtfertigt, als derselbe den Umstand, daß sich zwei Aldermen anstatt der Schildkrötensuppe und anderer Delikatessen, Bohnen mit geräuchertem Schweinfleisch geben ließen, in die offizielle Geschichte (Records) der City eintragen ließ. Beim Anschauen der auf diesem Blatte tafelnden Gesellschaft denkt man an eine andere in Byron’s Don Juan, wovon der Dichter sagt:
Sie war durch Stoff allda
So grob handgreiflich materialisirt,
Daß man erstaunt wohl fragte sich beinah,
Ob solche Leiber Seelen hätten gar,
Ob Seele je in solchem Leibe war.
Die Scene dieser Schlemmerei ist die Halle der Fischhändler (fishmonger’s hall) in dem berühmten Rathhause der City, in Guildhall. Man erkennt sie an der Statue des Lord-Mayors, Sir William Walworth, welcher den bedrängten König Richard II., als dieser bei der großen Empörung des Wat Tyler zu einer persönlichen Zusammenkunft mit jenem Haupte der empörten Bauern in der Noth sich herablassen mußte, durch die kühne That rettete, daß er Tyler, der auf übermüthige Weise bereits den Herrn spielte, mit dem Dolche niederstieß. Den Dolch hält die Statue in der Hand. Unter derselben befindet sich der bloße Name auf der Platte; seit Hogarth’s Zeiten hat man die alte Inschrift wieder hergesetzt; sie lautet:
[565]
Der tapfre Walworth, Ritter und Lord-Mayor,
Der den Rebellen Tyler kühn erlegt.
Der König gab daher der Stadt als Wehr
Den Dolch, den sie seitdem im Wappen trägt,
Brave Walworth, Knigt, Lord-Mayor, that slew
Rebellious Tyler an his alarms,
The King therefore did give in lieu
The dagger to the City arms.
Die beiden anderen dort befindlichen Bilder sind nur wegen der Festlichkeit aufgehängt, und gehören in das Museum von Guildhall; das eine ist das Porträt eines Lord Oberrichters, an der Perücke und dem Hermeline kennbar, welcher sich vielleicht unter den Anwesenden befindet, denn bei der Festlichkeit nach der Sheriff-Wahl sind häufig Mitglieder der Richterbank gegenwärtig, weil der Sheriff die ausübende Gewalt nach dem Richterspruche repräsentirt. Das andere Bildniß, welches an der Wand hängt, ist König Wilhelm III., der Befestiger der englischen Freiheit. Auf der Gallerie befindet sich die Tafelmusik, ein nothwendiges Erforderniß bei einer solchen Festlichkeit, von welchem ein mit Hogarth gleichzeitiger Dichter sagt:
Musik bezaubert selbst das rohe Vieh,
Drum fehlt sie auch beim Mahl der Rathsherrn nie.
Wahrscheinlich bläst sie einen Tusch, denn unter der Gallerie hat sich ein Redner mit emporgehaltenem Glase erhoben, und nach geendeter Rede, wie es scheint, einen Toast auf den Sheriff Goodchild ausgebracht. Die übrige Gesellschaft scheint auch aufzumerken, nur nicht die im Vordergrunde vereinigten Herren, welche sich zu sehr in die wichtigen Geschäfte der Tafel vertieft haben.
Obgleich Sheriff Goodchild im Hintergrunde sitzt, bemerken wir vorn an der Thüre eine neue ihm zuertheilte Ehrenbezeigung. Die ehrsamen Einwohner Londons, welche nicht die Ehre haben, wirkliche Bürger (Liverymen) zu sein, Lehrlinge, Taglöhner, Schiffer u. s. w., kurzum die swinish multitude (die schweinische Menge) hat ihm eine [566] Glückwünschungs-Adresse votirt, die ein junger Mann von bescheidenem Aussehen, wahrscheinlich ein Lehrling, vielleicht selbst ein angehender Weber, also aus Goodchild’s früherem Stande, dem Repräsentanten der ausübenden Gewalt, und somit des Königs, überreichen soll. Dieser hat die Adresse, wahrscheinlich um Einlaß zu erhalten, vorerst dem Büttel überreicht, der sie im hohen Gefühl seiner Amtswürde, dem sogenannten Pöbel (Mob) gegenüber, mit aufgestülpter Nase in der Aufschrift mustert. Die Anderen aus der Mob sind aber nicht so bescheiden, wie der demüthige Lehrling, sondern suchen in dem Gesuch um Einlaß den Tusch der Musik zu überschreien. Wenden wir uns jedoch zu der Gesellschaft im Vordergrunde, denn diese bildet den interessantesten Theil der Versammlung.
Die Herren erweisen dem Diner die höchste Ehre, denn der Eine benagt sogar einen Knochen, während er einen schielenden Blick auf die Gans wirft, die sein Nachbar zerschneidet. Dieser erscheint als das wahre Muster eines Alderman; sein Umfang gibt genügendes Zeugniß, daß eine ungeheure Masse von Schildkrötensuppe (Turtlesoup) auf die Bildung desselben verwandt ist. Seinen Beruf als Alderman erfüllt er vollkommen, denn er feiert nicht einmal während des unangenehmen Tranchirens, und hält einen halbhervorragenden Bissen im Munde. Der Dritte hat sich an der Turtlesuppe den Mund verbrannt, und betrachtet dieselbe mit melancholischen Zügen. Der Vierte ist mit den starken alkoholhaltigen Zuthaten derselben noch nicht zufrieden, und stürzt mit Wohlgefallen einen Becher Wein hinunter, so daß man an eine Anecdote von Swift erinnert wird[2]. Der Fünfte, wie Ireland sagt, ist der Pfarrer einer französisch-reformirten Gemeinde in London, Platelle de Barnet, der mit wohlgefälliger Miene die Turtlesuppe [567] Alt-Englands versucht. Hogarth trieb bekanntlich seinen Franzosenhaß so weit, daß er sogar die armen reformirten Ausgewanderten nicht verschonte; man denke nur an sein Blatt: der Mittag. Vielleicht hat Hogarth bei diesem Blatt gedacht: der Kerl (that fellow) ist froh, daß er in England lebt, und keine Frösche zu essen braucht. Am entgegengesetzten Ende des Tisches fallen zwei Figuren in die Augen, welche riesenhafte Stücke von Fleisch in den Mund schieben. Der Eine schaut mit wahrhaft grimmigem, der Andere schielt mit schlauem Blicke auf die Gans. Neben Letzterem liegt ein Hut auf einem besetzten Platze, und zwar der eines Officiers, an der Kokarde kennbar. Auch hier hat Hogarth seine Bosheit gegen den Militärstand nicht unterdrücken können, die übrigens zu seiner Zeit in England eben so allgemein war, wie von 1815 bis ungefähr 1825. Der Eigenthümer des Hutes hat sich wahrscheinlich entfernt, um das bekannte Experiment seines großen Vorgängers im Handwerk, Julius Cäsar, bei Gastmählern zu wiederholen, und dadurch neue Kräfte zum ferneren Genusse bei der Tafel zu sammeln.
Gegen die Damen ist Hogarth übrigens hier galant gewesen, er hat sie in den Hintergrund gestellt, oder dem Beschauer des Blattes ihren Rücken zugekehrt, um dem schönen Geschlecht keine Gier beim Essen zu ertheilen, eine Versuchung, der er wahrscheinlich nicht hätte widerstehen können. Eine Dame von denjenigen, welche dem Beschauer den Rücken zukehren, ist übrigens durch die Breite am hinteren Theile ihres Körpers bemerkenswerth. Sie ist sicherlich die würdige Ehehälfte eines Alderman, die dem Stande ihres Gatten Ehre macht. –
- ↑ Man wird hiebei an Byron’s Don Juan erinnert. Gesang XVI. Stanze 78.
Die Tafel zeigte jene Füll’ am Essen,
Die Englands Stolz, vermag ihm Ruhm zu spenden
Ein gierig und ein unerschöpflich Fressen. - ↑ Swift saß einst in einem Kaffeehause bei einem Alderman, der ihn nicht kannte, welcher zu der mit Madera und Portwein bereits gekochten Turtlesuppe noch Cayenne-Pfeffer und Cognac hinzufügte. Swift unterbrach den Essenden mit den Worten: Herr, erlaubt mir eine Frage. – Was wollt Ihr? – Werdet Ihr nicht Eure Beinkleider durch Winde entzünden.