Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Passionskapitel 04

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4. Judä Vertrag.
Matth. 26, 1–16.
 AM Dienstag der Leidenswoche legte der HErr Sein Lehramt nieder. Wie Er vom Sonntag bis zum Dienstag geredet hatte, wie Er strafend zum Beschluß Seines Lehramtes wie vor Jahren zum Beginn desselben den Tempel gereinigt, wie Er segnend und erbarmend viele Kranke gesund gemacht hatte, das alles ist einem aufmerksamen Bibelleser bekannt. Eine jede Seiner letzten Reden war mit Schwertesgewalt in die Seelen gefahren; so, in der Weise, mit dem Ansehen, mit der alles überwindenden Macht hatte Er zuvor nie geredet. Und nun dazu das Andenken an die Geißel − und das Lob, der Dank aller der Geheilten! Die letzten Prophetentage des HErrn mußten in der That auf die bereits zum Osterfest versammelte Menge einen gewaltigen Eindruck gemacht haben. Die schon durch die Auferweckung Lazari und den herrlichen Einzug am Palmensonntag mächtig angefachte Verehrung des Volkes mußte durch die prophetischen, feierlichen, ernsten Reden JEsu und durch Sein wunderbares Walten auf den höchsten Gipfel gestiegen sein. Zwar war Er nun am Mittwoch nicht wieder gekommen; aber konnten die Hohenpriester wißen, ob Er nicht noch kam? Wenn Er so, wie an den ersten Tagen der Woche, fortlehrte und fortwirkte: stand für sie nicht alles auf dem Spiel? Er hatte es doch gar keinen Hehl, wie gar nicht Er es mit der herrschenden Partei hielt; Seine Reden waren oft gradezu gegen dieselbe gerichtet; im Tempel benahm Er Sich wie der Hausherr, auf die Einsprachen der Hohenpriester und Schriftgelehrten achtete Er nicht, und alles, was Er vor dem Volke zu und von ihnen sprach, war wie wenn nun all ihr Ansehen untergraben, all ihre Herrlichkeit in den Staub gelegt werden sollte. So konnte es nicht fortgehen. Gleiches mit Gleichem konnten sie Ihm nicht vergelten; sie waren keine Propheten, wo sollten sie Reden und Thaten hernehmen, welche den Seinigen glichen: da standen sie bettelarm. Und doch mußte etwas geschehen: es hilft nichts, sie müßen thun, was sie können, − und haben| sie keinen Geist, der gegen den Seinigen zu Felde ziehen konnte; so muß das Fleisch und die rohe Gewalt die Mittel liefern zu ihrem Ziele. Der HErr in Bethanien weiß es ganz wohl, was im Herzen der Hohenpriester kocht, − und Er weiß auch, Seine Zeit ist da, Er darf und will Sich nicht mehr entziehen; Er sagt es zu Seinen Freunden gerade heraus, was geschehen wird: „Ihr wißet, daß nach zween Tagen Ostern wird, und des Menschen Sohn wird überantwortet werden, daß Er gekreuzigt werde.“ Was Er in der Stille zu Bethanien sieht und sagt, das bahnt sich auch in Jerusalem ganz in der Stille an. Die Hohenpriester, die Schriftgelehrten, die Aeltesten kommen zusammen in Kaiphä Palast. Sie waren seit Lazari Auferweckung schon öfter beisammen gewesen zu gleichem Zwecke: daß JEsus sammt Seinem Lazarus sterben sollte, war längst beschloßen, und man lag schon eine gute Weile auf der Spähe, um herauszubringen, wie man Ihn fahen und tödten könnte. Bis jetzt kam man aber nicht zum Ziele und man kam auch diesmal nicht zum Ziele. Man beschloß zwar, man wolle Ihn mit List greifen und tödten und es um des Volks willen keines Falls am Feste thun, sondern lieber noch ein wenig zusehen; aber beide Beschlüsse waren nichts: nicht mit List, sondern mit öffentlicher Gewalt, und zwar grade am Feste sollte und mußte das Passahlamm gegriffen und getödtet werden, − und wenn sich niemand finden wollte, die Wege und Stege zu Ihm zu zeigen, so mußte ihnen Satan aus JEsu nächster Umgebung Rath und That schaffen. So sind Israels Hüter und Hirten ein Haufe von Mördern geworden, von Neid und Haß aus der Hölle entzündet und mit Satans Kräften ausgerüstet, zu vollbringen, was der HErr geweißagt hatte; denn die Weingärtner sollten sich an den Sohn wagen und Ihn tödten. − Welch eine Stille gegen dieses Thun der Hölle, gegen diesen Tumult der Hölle in den Herzen der Hohenpriester − war in Bethanien! Da wird JEsus gefeiert, ein Mahl wird zugerichtet, es ist Sein letztes außer dem Osterlamm, das Er nicht in Bethanien feiern kann, − nach Kräften dient man Ihm. Und als der HErr im Schooße der Liebe und Verehrung der Seinen friedlich ruht, da kommt ein Weib, ein herrliches Gefäß von Alabaster trägt sie, über Seinem Haupte zerbricht sie es und salbt mit dem reichen, kostbaren Inhalt ihrem tiefgeliebten, hochverehrten, angebeteten Seelenfreunde Haupt und Füße. Als der falsche Kaiphas bei einer früheren Rathsversammlung den Ausspruch that, es sei beßer, daß ein Mensch sterbe, denn das ganze Volk, wußte er nicht, was er redete, sondern der Geist des HErrn brachte aus seinem blutdürstigen Herzen eine geheimnisvolle, tiefe Wahrheit, denn Kaiphas war Hoherpriester. Und als das reinste Gegentheil des Hohenpriesters, dieß fromme Weib, die edle That am HErrn vollbrachte, wußte auch sie nicht, daß sie im Namen Gottes und Seiner Heiligen etwas that, wozu ihr der heilige Geist den Sinn und die Hand regierte. Der Rath der Hohenpriester soll dieß mal hinausgehen; sie wißen es selbst noch nicht, aber es soll geschehen, wonach sie dürstet; im Himmel wird ein hohes, geheimnisvolles Amen gesprochen, und auf Erden wird bereits das auserwählte Opfer zu Seinem Tode eingesegnet und zu Seinem Begräbnis gesalbt. Der HErr Selbst aber, der uns auf Seinen Leidenswegen der sicherste Erklärer Seiner Begegnisse ist, Der uns alles Sein Leiden verkündigt und erläutert hat, Der sagt dem Weib selbst und uns allen, welchen Sinn ihr frommes Thun, dieß Spiel der göttlichen Weisheit und himmlischen Einfalt unter den Menschenkindern, durch Gottes Willen hat. Welch ein Gegensatz, Jerusalem und Bethanien! Und doch, wie regt sich auch in Bethanien ein Geheimnis der Bosheit! Die Salbung, welche Gott im Himmel und Seinen Christus freute, der hochzurühmende Aufwand, die sündlose, preiswürdige Verschwendung des edlen Weibes wird ein Gegenstand des Zankes und der Misbilligung. Mehr als drei hundert Denare waren in Duft aufgegangen − und doch gab es so viele Arme, die nach Brot hungerten am Passahfeste. Die Jünger schmollen, Judas, der Geizige, der Dieb, fühlt sich tief im Herzen angegriffen über diesen „Unrath“, − und erst muß er noch hören, daß JEsus Selbst die feierlich schöne That nicht bloß entschuldigt, sondern rechtfertigt, rühmt und preist und ihr ein unvergängliches Gedächtnis verspricht. Es ist eine wunderliche, grauenhafte Gedankenverwandtschaft und Verbindung, welche es da gegeben hat. Der Meister sprach immer davon, daß Er an Ostern sterben werde, − die Juden trachteten Ihm nach, − nun sind dreihundert Denare verschwendet: − nun geht Judas und macht mit den blutdürstigen Pharisäern gemeinschaftliche Sache für dreißig Silberlinge! Was für eine Leiter von Gedanken;| was für eine höllische Verbindung zwischen ihnen, daß man sie kaum auszusprechen, kaum anzudeuten wagt. Was der Neid, der Haß, die verstockte Gereiztheit des hohen Rathes beschloßen hat, dazu findet sich die Ausführung durch − den Geiz eines Apostels, der Vermittler aber ist der Teufel. Nun ist der Knoten geschürzt; nun wird es vorwärts gehen. Was Kaiphas geweißagt, was der hohe Rath beschloßen: es ist nun vor der Thür: nun wird es bald ein Begräbnis geben, die Hand des Weibes und die Deutung des Mundes JEsu werden wahrhaftig erfunden werden!

 Brüder, es geht weit in die Anfänge der christlichen Zeiten zurück, daß man am Mittwoch jeder Woche zur Kirche geht und ihn als einen wöchentlichen Bußtag hält. Die Kirche thut − seit wie vielen Jahrhunderten? − Buße dafür, daß an einem Mittwoch ein solcher Vertrag, nämlich der zwischen Judas und dem hohen Rath, zu Stande kam. Und wahrlich, diese Sünde ist einer Buße bis ans Ende der Welt vollkommen würdig und bedürftig. Laßt uns an jedem Mittwoch, wenn wir zur Kirche gehen, darüber trauern, daß sich nicht bloß ein Mensch, sondern gar ein Apostel zu dem fluchwürdigen Vertrage willig finden laßen konnte! Laßt uns aber auch nicht des edlen Weibes und ihrer Salbe vergeßen: auch sie und ihre schöne Mittwochsthat sei unter unsern Mittwochsgedanken mit oben an; hat sie doch auch in unserm Namen gehandelt! Und von ihr laßt uns auch lernen, daß JEsum ehren, zu Seinem Ruhme Geld und Güter opfern der Barmherzigkeit gleich steht, − daß was man in frommer Einfalt Ihm Selber opfert nicht minder gut angewendet sein kann, als was man Seinen Stellvertretern, den Armen, thut.




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