Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Passionskapitel 05
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5. Das Testament.
Matth. 26, 17–29.
AM Mittwoch, während der HErr im Kreiße Seiner Freunde zu Bethanien ruhte, war in Jerusalem der fluchwürdige Vertrag zu Seinem Verrathe geschloßen worden. Am Donnerstag machte der HErr im Vollgefühle der Todesnähe Sein Testament, − und das ist es, was wir hier hervorzuheben haben. Nicht was das heilige Abendmahl sei − an und für sich selbst und in der Führung der Kirche Gottes auf Erden, sondern seine Stellung in der Leidensgeschichte betrachten wir hier. Was ist es aber in der Geschichte Seiner Leiden, wenn nicht des scheidenden JEsus Testament? − Am 10. Nisan wurden die Passahlämmer eingestellt, also in jenem Jahre am Palmensonntag. Am 14. Nisan, das war nun grade am Donnerstag, von welchem wir reden, mußte es geschlachtet werden, um am Abend desselben Tages, mit welchem aber nach jüdischer Rechnung der 15. Nisan begann, mit süßen Broten und bittern Salsen gegeßen zu werden. Es war also ganz an der Zeit, daß die Jünger zu JEsu traten und sprachen: „Wo willst Du, daß wir Dir bereiten das Osterlamm zu eßen?“ Der HErr aber war keineswegs unvorbereitet auf diese Frage: auch war Ihm die Passahmahlzeit nicht etwa hinter die Ihm bevorstehenden, Ihm wohlbekannten Ereignisse zurückgetreten. Im Gegentheil, Er hatte auf die Frage der Jünger gewartet, alles war bereits vorgesehen, um der Frage genügen zu können. Bei dem Passahmahle will Er Sein Testament eröffnen, dieß Passahmahl ist Ihm daher wichtig und werth, Er versäumt und übergeht es nicht. Zu einem Einwohner von Jerusalem, der Ihm ohne Zweifel bekannt gewesen war, schickt Er die Jünger, die ihn selbst nicht kennen, aber an der Handleitung untrüglicher Zeichen leicht und sicher finden. Er zeigt und überläßt ihnen für JEsu letzte Passahfeier einen anständigen gepflasterten Saal. Da bereiten sie alles und am Abend, zur bestimmten Zeit, findet Sich JEsus ein. Das Passahmahl wird eröffnet und an dem stillen, verborgenen Orte geschieht nun vor auserwählten Zeugen die wichtigste Verhandlung: das alte Testament sammt dem alttestamentlichen Passah kommt zum Abschluß, das neue Testament sammt der neutestamentlichen Passahmahlzeit beginnt. Beide Handlungen, der Abschluß des alten und die Eröffnung des neuen Testamentes stehen in der innigsten Beziehung| zum Tode des HErrn, und ohne diesen war weder die eine, noch die andre möglich. Wenn Er nun aufgeopfert wurde, fiel Sinn und Bedeutung des alten Passahs und Passahmahles von selbst dahin, denn das alttestamentliche Passah und Passahmahl waren nur Vorbild Seiner Aufopferung und der seligen Folgen derselben: Er Selbst war das rechte Passahlamm, für uns geopfert. Und eben so, wenn Er nun starb, so begann damit ein Neues, eine neue Zeit, neue Freude, neue Feier; Alles lag an Seinem Tode, doch war es nicht der Wille Gottes, den Schluß des alten und den Beginn des Neuen Testamentes erst nach dem Tode JEsu zu verkünden. Hinter dem Tode JEsu liegt eine andre Welt; Altes und Neues Testament aber gehören diesem Leben an, die Wendung zwischen beiden gehört gleichfalls diesem Leben, daher wird sie auch von dem HErrn noch vor Seinem Scheiden bekannt gemacht und vollzogen. War doch Sein Abschied gewis, Seine Todesstunde ganz in der Nähe, Er Selbst voll tiefen Bewußtseins, daß Er am Ziele stand; Er konnte, bevor Er starb, die Folgen Seines Todes sehen und handeln, als wäre er vorüber. Aber freilich, wenn Er von den Jüngern verstanden werden wollte, so mußte auch ihnen der Gedanke Seines Abschieds und Todes geläufig werden, sie mußten eine unabweisbare Belehrung und eine hinlängliche Ueberzeugung von der Nähe Seiner Aufopferung bekommen. Dazu dient nun die Verkündigung des bevorstehenden Verraths Judä, welche der HErr, Selbst erschüttert von dem grausenhaften Gedanken, daß ein Apostel Ihn verrathen sollte, zur Erschütterung der andern Apostel nun unverweilt folgen ließ. Ein Apostel, der Sein Brot aß, Sein Freund und täglicher Gefährte wird Ihn in die Mörderhände Seiner Feinde überliefern: und was wird denn sein Lohn sein? Er wird eher, als der Verrathene in die Ewigkeit kommen − durch eigene Mörderhände: und was wird sein Lohn sein? „Des Menschen Sohn geht hin, sagt der HErr, wie es von Ihm geschrieben steht, aber wehe dem Menschen, durch welchen Er verrathen wird; es wäre ihm beßer, wenn er nicht geboren wäre.“ Ernste, aber fruchtlose Warnung! Alle Jünger, voll peinigenden Mistrauens gegen das eigene Herz, suchen Gewisheit und Ruhe in der Versicherung JEsu, daß nicht sie es wären, welche diese furchtbare Verschuldung auf sich laden würden. Von Mund zu Mund geht die Frage: „HErr, bin ichs?“ Auch Judas kann nicht anders, sein heuchlerischer Stolz läßt ihm keine Ruhe, er muß auch noch scheinen, er darf noch nicht hervortreten. „Bin ichs?“ fragt auch er. „Du sagst es,“ ist die Antwort. Er ist erkannt, entlarvt und kund gegeben, − aber er wird nicht los aus des Teufels Strick, bevor er die That vollbracht hat. Der Teufel, die alte Schlange, deren Stunde nun kommen ist, den Weibessamen in die Ferse zu stechen, hat den Apostel, wie einst Eva, bezwungen, ja gar beseßen. Je größere Liebe der HErr an ihn verschwendet, desto härter macht der Satan seine Seele, desto tauber sein Ohr: er muß Den, des Brot er aß, mit Füßen treten und mit schnödem, mörderischem Undank Den bezahlen, der ihn je und je geliebt und aus Liebe zu Sich gezogen hatte. Desto unabweisbarer tritt die Versicherung des HErrn von Seinem nahen Tode hervor, desto weniger können sich die Jünger ferner gegen dieselbe wehren, der Gedanke vom Tode JEsu mußte ihnen eindringlich und geläufig werden, − und so waren sie denn zubereitet, den HErrn zu verstehen, wenn Er nun vorwärts gieng und Sein heiliges Testament einsetzte. Er stirbt, Sein Leib wird angeheftet, Sein Blut vergoßen werden, es ist nichts anders: nun wird es haften und behalten, wenn auch nicht verstanden noch begriffen werden, wenn Er sagt: „Das ist Mein Leib, der für euch gegeben, − das ist Mein Blut, das für euch vergoßen wird.“ Und siehe, nun, nach dieser Vorbereitung schreitet der HErr auch wirklich zur Einsetzung des heiligen Abendmahls. Da steht Er, das Brot in Seinen heiligen, unbefleckten, allmächtigen Händen und hernach den Kelch, Er betet und segnet und reicht zum ersten Male den heiligen Nachlaß, Seinen wahren Leib, Sein theures Blut, denen, welche damals Seine Kirche auf Erden ausmachten. Die Menschen werden dem Armen vollends alles nehmen, in nackter Blöße werden sie Ihn an ein Kreuz hängen; Pilatus wird am Ende über Seinen blutigen Leichnam verfügen. Aber den Leib vermag kein Wächter inne zu halten; dieß Blut muß die Erde, welche ihr Maul aufthat, es zu empfangen, der himmlischen Stadt Jerusalem abtreten: dieser Leib, dieses Blut sind Sein Testament, sind die größten Schätze der Kirche; niemand hat Macht über sie, Er verfügt allmächtig, daß sie bis ans Ende der Seinigen selige Lebenskost sein und bleiben sollen. Dieß Testament, nicht in verblümten, sondern in unmisverständlichen, klaren Worten ausgedrückt, kann die Jünger| einen Augenblick befremden, aber in Empfang genommen und der gesammten Kirche überliefert haben sie es redlich. Pünktlich folgten sie hernachmals aller Orten dem Befehl des HErrn: „Solches thut“ − und ihr Eifer zum Sacramente bewies, wie tief die Einsetzung in der Nacht, da Er verrathen ward, sich in ihre Seele gesenkt hatte. Unbegreiflich, über alles erhaben, eine Mutter anbetender, wonniger Gedanken ist das Testament JEsu! Aber welch ein Abschied von den Seinen ist es! Vergleichen wir dieses Annahen zu den Seinen, diese Vereinigung mit ihnen durch Seinen Leib und Sein theures Blut mit Seinen letzten donnernden, fernenden Reden im Tempel. Im Tempel welche Schrecken Seiner Majestät: hier welche Schauer Seiner Liebe! Wenn Er nur gesprochen hätte: „Mein Leib wird für euch gegeben, Mein Blut wird für euch vergoßen“: so wären diese Worte schon eine Erklärung Seiner Leiden, Seiner Aufopferung, Seines stellvertretenden Verdienstes, welche uns mit seliger Erkenntnis füllen konnte. Nun aber siehe, nicht bloß erklärende Worte gibt Er hier, nicht bloß gelehrt wird Seines Leibes Tod und Seines Blutes versöhnende Hingabe, sondern Sein Leib, Sein Blut werden zum Genuß gegeben, auf daß in Seinem heiligen Mahle ein Zeugnis nicht nur Seines Todes, sondern auch des unsterblichen Lebens Seiner Leiblichkeit wäre. Dadurch wird Sein heiliges Mahl zu einem Sitz und zu einer Mutter der heilsamen und seligmachenden Lehre von unserer allein durch Sein stellvertretendes Sterben gestifteten Erlösung und zum Gedächtnis nicht allein Seines Todes, sondern einer immer währenden Versöhnung und gnädigen Gottesnähe. – – Es ist nicht unsre Absicht, weiter etwas von dem heiligen Abendmahle zu sagen: der sterbende Heiland hat uns darin, als in Seinem Testamente, in der Nacht, da Er verrathen ward, Seinen Leib und Sein Blut zu einem bleibenden Opfermahle vermacht, − das ist alles, was wir dieß Mal sagen wollten, − und ist genug. Nun Er das alte Testament durch Seine letzte Passamahlzeit geschloßen und das neue eröffnet hat, geht Er schnell und befriedigt dahin. Er trinkt keinen Becher Weins mehr, so lang Er noch lebt, das gesegnete Gewächs des Weinstocks kommt nicht mehr über Seine Lippen, bevor sie erblaßen: es ist nur eine kurze Frist noch, bevor Er stirbt. Das Testament ist gemacht, nun muß Er eilends sterben; aber nicht um im Tod zu bleiben, ergibt Er Sich zu sterben, bald kommt Er wieder in Seiner Auferstehung und mit Ihm des Vaters Reich, dann ißt und trinkt Er aufs Neue mit Seinen Jüngern, dann wird ihre Freude vollkommen werden. O dieser wunderbaren Handlung, bei welcher man im Zweifel sein kann, ob mehr die Gewisheit des Todes oder eines unauflöslichen und ewigen Lebens sich ausspricht! Bei welcher der HErr schier nicht mehr im Leibe zu leben scheint, weil Er darreicht, was man nicht scheint reichen zu können, so lang man lebendigen Leibes unter den Menschen steht! O diese Größe, diese Hoheit unsers HErrn, über diese Leiden, dieses Sterben, diesen ganzen Ihm bewußten Kampf hinweggehoben zu werden und freudig über den Tod hinüber in das Reich des Vaters zu schauen, das mit Seiner Auferstehung kam, das Ihm heimathliche, süße Freuden und wonnige Ruhe unter den Seinen brachte! − O meine armen, kleinen Worte, mein Stümpern an Deinem Testamente, o HErr! Sei meiner armen Seele gnädig und segne sie und alle miterlösten Seelen mit dem reichen Segen Deines heiligen Sacramentes! Amen.
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