Textdaten
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Autor: Albert Fränkel
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Titel: Ernst Keil’s Begräbniß
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aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 238
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1878
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[238] Ernst Keil’s Begräbniß. In den Vormittagsstunden des 26. März haben wir unseren unvergeßlichen Ernst Keil zu seiner ewigen Ruhestätte geleitet, und unzählige treue Leser seiner „Gartenlaube“ erwarten von uns nun Bericht und Rechenschaft über die Vorgänge des erschütternden Actes, dem sie aus der Ferne, wie wir das aus einer fast erdrückenden Menge von Zuschriften ersehen, so viele stille Grüße inniger Theilnahme gewidmet haben. Was nur Liebe und schmerzlichste Bewegung einem Hingeschiedenen auf seinem letzten Wege noch zu spenden, was Ehrfurcht vor seiner Mannestugend und seinem unbestrittenen Verdienst in eifervollem Drange ihm noch darzubieten vermag, das hatte sich von den verschiedensten Seiten her vereinigt, um die Feier der Bestattung Ernst Keil’s nicht blos in hohem Grade imposant zu gestalten, sondern auch mit dem Glanze einer Weihe zu durchwärmen, wie ihn conventionelle Beileidsbezeigungen und blos äußerliches Gepränge einem solchen Traueracte nicht zu geben vermögen. Es war das Bezeichnende und Denkwürdige an diesem Glanze, daß er zweifellos aus der innersten Tiefe der ergriffenen Seelen kam, daß er so überwältigend aus allen Worten und Aeußerungen, aus den gebeugten Mienen und umflorten Blicken, aus vielen Hunderten von Männer- und Frauenaugen geleuchtet hat. Niemals haben wir ein so mannigfaches und erschütterndes Bild aufrichtigen und heiß ausströmenden Männerschmerzes gesehen, als an dem Sarge und Grabe Ernst Keil’s. Und welch eine Versammlung hervorragender, durch Geist, Charakter und Verdienst ausgezeichneter Männer war es, die sich da eingefunden hatte!

Als die unerwartete Todesnachricht am 23. März plötzlich in der Stadt sich verbreitet hatte, bemächtigte sich eine wehmuthsvolle Bestürzung der weitesten Kreise, und es erfolgte natürlich in den nächsten Tagen ein Herbeiströmen zahlreicher Personen, um den tiefgebeugten, von herbstem Schmerze erfaßten Angehörigen die Hand drücken und dem so schnell hinweggerissenen Freund einen letzten Gruß der Liebe widmen zu können. Der Verewigte bot einen Anblick, der dem Bilde des Todes seine Schrecken nahm. In einem Walde von hohen Palmen und sonstigen Blattpflanzen, umgeben von einem wahrhaft strahlenden Blumenfrühling, lag die stattliche Gestalt im Sarge, aufrecht das Antlitz, eine stolze und doch unendlich milde Hoheit in den verklärten Zügen, wahrlich ein jäh dahingestreckter Held, ein schlafender Kämpfer, der zum ersten Male die Ruhe gefunden nach Lebenstagen voll erfolgreicher zwar, aber unablässig sturm- und drangvoller Arbeit.

Schon am Morgen des Begräbnisses füllten sich die Straßen in der Nähe des Trauerhauses mit dichten Menschenmassen. Wer sich da bewegte, konnte herzliche Aeußerungen der Trauer und des Lobes über den Verewigten aus dem Munde schlichter Leute hören. Es waren da Viele, denen er freundlich gewesen, die er reichlich unterstützt hatte, denen er ein Wohlthäter, vielfach ein Retter war mit seinem weichen und großen Erbarmen für alle menschliche Noth. In den hohen und weiten Räumen der Keil’schen Familienwohnung hatte pünktlich neun Uhr das außerordentlich zahlreiche Trauergefolge aus allen Schichten der Bevölkerung sich zusammengefunden; vom Arbeiter der Druckerei bis zu den höchsten Spitzen der städtischen Behörden waren hier alle bürgerlichen Stände durch namhafte Repräsentanten vertreten. An der Seite des Sarges saß die gebeugte Gattin mit den trauernden Töchtern, im engeren und weiteren Kreise umgeben von den Schwiegersöhnen, den sonstigen Verwandten und näheren Freunden des Hauses. Auf dem weiten Corridor vor der geöffneten Thür des betreffenden Saales drängte sich Alles, was in demselben einen Platz nicht mehr hatte finden können.

Der ausgezeichnete Gesangverein „Typographia“ hatte sich die ihm gern gewährte Ehre erbeten, die Ausführung der Trauergesänge übernehmen zu dürfen. Mit dem herrlich ausgeführten Liede Kreutzer’s: „Ich suche Dich, o Unerforschlicher!“ wurde die ernste Feier eröffnet, und Professor Riedel, der gefeierte Tonmeister, sprach zuerst als Schwager des Heimgegangenen in tiefempfundenen Worten den gewaltigen Schmerz der Familie aus über die unausfüllbare Lücke, welche der Tod eines solchen Hauptes in diesen liebevollen Kreis gerissen hat; hierauf feierte der Buchhändler Stadtrath Wagner im Namen des deutschen Buchhandels das Andenken des großen Berufsgenossen; die eigentliche Trauerrede im Namen der Presse und des deutschen Volkes hielt sodann Albert Traeger, der von Berlin herbeigeeilt war, wo er als Mitglied des Reichstages weilt, um beredtes Zeugniß abzulegen für den langjährigen väterlichen Freund. In kurzen Zügen und in meisterhafter, von hohem Schwunge der Rede und des geschmack- und poesievollen Ausdrucks beseelter Schilderung entwarf Traeger ein dem tiefsten Herzen entströmtes, durch überzeugende Wahrheit packendes Charakterbild Keil’s als Schriftsteller und Redacteur, als Mensch, Bürger und unentwegter Mann des Volkes. Unbeschreiblich war der Ausdruck der Ergriffenheit und Erhebung, welche bei und nach diesen Worten durch die Gemüther der Anwesenden zogen, und rings umher sah man Thränen fließen, als die Klänge eines lieblichen Schlußliedes „Lebe wohl in schön’rer Welt“ mit sanfter Tröstung in diese bewegte Stimmung fielen. Mit diesem Liede hat es eine eigene Bewandtniß, die so ganz der Gemüthsart Keil’s entsprechend war, als ob er die Wahl des Textes selber getroffen hätte. Wohl in einer Anwandlung von Todesahnung hatte der wenige Tage vorher gleichfalls schnell verstorbene Gustav von Meyern, ein Freund Keil’s (auch Verfasser der schönen Erzählung „Teuerdank’s Brautfahrt“ im letzten Jahrgang der „Gartenlaube“), den herrlichen Abschiedsgruß vom Leben auf seinem Krankenlager verfaßt. Beim Begräbniß des Dichters ist das Lied nach der Melodie Mendelssohn’s zu „Wer hat dich, du schöner Wald“ zum ersten und am Sarge Keil’s zum zweiten Male gesungen worden.

Zwischen den stark angesammelten Massen der herbeigeströmten Zuschauer bewegte sich der großartige Leichenzug durch die nach dem Friedhof führenden Straßen. Bis in die obersten Etagen waren die Fenster vieler Häuser geöffnet und mit Zuschauern besetzt. Dem Zuge voran schritten Turner mit ihrer Fahne. Dicht hinter dem Leichenwagen, zu dessen beiden Seiten die zahlreichen Markthelfer Keil’s hohe Palmen trugen, kamen zunächst die Mitglieder der Redaction der „Gartenlaube“, zum Theil seine langjährigen, mit ihm ergrauten Freunde. An diese schlossen sich die ihrem Chef gleichfalls sehr treu anhängenden Comptoirbeamten des Hauses, fast lauter gereifte Männer, von denen sich Einige schon zwanzig und dreißig Jahre im Dienste desselben befinden. Es folgten nun die bei der „Gartenlaube“ und dem Keil’schen Verlag beschäftigten Schriftsetzer, Drucker, Buchbinder etc. Ein großes Gefolge von Deputationen und privatim erschienenen Freunden, sowie eine kaum übersehbare Reihe von Wagen, in deren ersten die nähern und entfernteren Leidtragenden Platz genommen hatten, beschloß das Ganze.

Feierliche Posaunentöne begrüßten den Zug, als er auf dem Friedhofe sich dem Grabe näherte, das dem Verstorbenen dicht neben der Gruft des geliebten einzigen Sohnes bereitet war. Schreiber dieser Zeilen hatte noch vor nicht viel mehr als drei Wochen fast um dieselbe Tagesstunde mit dem rüstigen Manne an demselben gestanden. Die Feier war hier kurz und schlicht, aber eindrucksvoll. In Vertretung der Redaction legte Dr. Ernst Ziel einen Lorbeerkranz mit einigen herzlichen Worten ehrenden Angedenkens auf den Sarg. Dann pries Dr. Goetz von Lindenau im Namen der deutschen Turnerschaft in frischer, kerniger und scharf zugespitzter Turnerrede noch einmal das Wirken und die großen Verdienste Keil’s als schlichten Bürgers, als treu, mannhaft und unerschütterlich für die Grundsätze des Volksrechts und Volkswohls, für die Sache des deutschen Vaterlandes kämpfenden Patrioten. Noch mehrere Redner wünschten zu sprechen, aber die Rücksicht auf das unfreundlich gewordene Wetter gebot den Schluß. Lange aber dauerte es, ehe nach den nächsten Angehörigen und Freunden die letzten der Anwesenden sich herbeigedrängt und ihre Handvoll Blumen in das Grab gestreut hatten. Fassen wir aber den Sinn und Eindruck aller Einzelnheiten dieser ganzen Trauerfeier zusammen, so war sie eine nicht künstlich gemachte, sondern einmüthig, warm und unmittelbar dem Drange der Ueberzeugung entsprossene Demonstration, ein glanzvolles und hochermuthigendes Anerkennungszeugniß für die große volksthümliche Mission der liberalen Presse, für den entschieden freisinnigen und humanen, aus edelster Sittlichkeit und Idealität erwachsenen Geist, der das Wesen Ernst Keil’s in so ausgeprägter Weise bestimmt und bezeichnet hatte. – Aus der Nähe und Ferne waren dem Verewigten im Ganzen gewidmet worden: hundertsechs Kränze und dreiundzwanzig Lorbeerkränze, sechsundsechszig Palmenzweige und vierzehn große Fächerpalmen, darunter auch eine von Marlitt, nebst einem Kranze von derselben Hand, aus dessen Band in rührenden Worten der Schmerz und das unauslöschliche Dankgefühl der Dichterin ausgesprochen waren. Aus Langensalza, dem Geburtsorte Keil’s, war der Bürgermeister nebst einer Deputation des Gemeinderaths beim Begräbniß erschienen. Der Gemeinderath der Stadt Ilmenau sandte für den Ehrenbürger derselben einen Lorbeerkranz mit herzlichem Beileidsschreiben. Unübersehbar bis jetzt ist die Zahl der Zuschriften und Gedichte, welche aus allen Gegenden Deutschlands und des Auslandes bei der Familie und Redaction eingegangen sind.

Wir schließen unsere traurige Mittheilung mit dem Bemerken, daß die „Gartenlaube“ im Laufe der nächsten Zeit ein ausführlicheres Lebens- und Charakterbild Ernst Keil’s nebst dem Portrait desselben ihren Lesern vorführen wird.
A. Fr.