Erinnerungen an einen großen Todten

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Autor: Dr. Max Schasler
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Titel: Erinnerungen an einen großen Todten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 263–266
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf auf den Maler Peter von Cornelius
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[263]
Erinnerungen an einen großen Todten.
Von Dr. Max Schasler.
I.


Es war etwa ein Jahr, nachdem der große Meister der neuern deutschen Malerei, Peter von Cornelius, Rom – sein künstlerisches Mekka, wohin er immer pilgerte, sobald neue und große Ideen in ihm auf Gestaltung drangen – zum letzten Male verlassen hatte, um mit seiner jugendlichen Gattin für immer nach Berlin überzusiedeln, d. h. im Frühjahr des Jahres 1862, als ich zum ersten Mal mit ihm zusammentraf. Ich hatte längere Zeit in den Parterreräumen seines Hauses neben dem Raczynski’schen Palais am Exercirplatz verweilt, um den in denselben aufgestellten Cartons zum Campo Santo eine freie Stunde ruhigen Studiums zu widmen, als er plötzlich hereintrat. Ich hatte ihn früher noch nicht gesehen, erkannte ihn aber auf den ersten Blick: eine kaum mittelgroße Gestalt, aber trotz seiner vierundsiebenzig Jahre ungebeugt, wenn auch schon etwas langsam in den Bewegungen; auf dem etwas kurzen Halse ein seltsamer, wie aus Granit gehauener Kopf; die schlichten und noch völlig schwarzen Haare zu Seiten einer Stirn fallend, die, ohne gerade sehr hoch zu sein, durch ihre mächtige Breite und Wölbung die Welt von Gedanken ahnen ließ, die sich dahinter verbarg; eine entschieden vorspringende Nase von kraftvoller Bildung; ein Mund, dessen Unterlippe ein wenig vorstand, während rings Falten von charakteristischer Modellirung herumlagen: so schritt er langsam, in einen langen, mit Pelz gefütterten Oberrock gehüllt, auf mich zu und erwiderte mit gewinnender Freundlichkeit meinen ehrfurchtsvollen Gruß.

Wir standen vor dem ‚Sturz Babels‘, jener gewaltigen Schöpfung des Meisters, der größten vielleicht nächst den ‚Apokalyptischen Reitern‘. Ich hatte ihm meine Karte hinaufgeschickt, hielt es jedoch für passend, ihm mich persönlich vorzustellen. – Jene erste Begegnung und die wenigen Worte, welche wir wechselten, werden mir immer unvergeßlich bleiben. Wir haben später viele und lange Gespräche gehabt, da ich das hohe Glück genoß, in seine Häuslichkeit Zutritt zu erlangen; aber jene erste kurze Begegnung steht mir lebhafter als alles Andere vor der Erinnerung.

„Also, Sie sind Herausgeber einer Kunstzeitung, d. h. Kritiker,“ bemerkte er nach einiger Zeit. „Eine vortreffliche Sache die Kritik, wenn sie richtig gehandhabt wird. Aber das ist heutzutage selten. Das Geschlecht der Winckelmanns und Lessings scheint ausgestorben, selbst hier in dem kritischen Berlin.“ – Er schien eine Entgegnung zu erwarten und fragte dann, als ich schwieg, mit einer gewissen Schärfe, indem er auf den Carton wies: „Nun, sagen Sie mir einmal Ihre Meinung darüber; geniren Sie sich nicht, ich habe gelernt, den Tadel zu ertragen und das Lob zu verachten.“

Ich gestehe, daß ich mich einigermaßen in Verlegenheit befand, eine Frage dieser Art so kurzweg zu beantworten, erwiderte daher, daß ich zu hohe Achtung vor seinem Künstlergeiste hegte, um voraussetzen zu dürfen, daß er nur allgemeine Phrasen von ‚Großartigkeit‘, ‚gewaltiger Composition‘, ‚Ideenreichthum‘ und dergleichen erwarte; er werde wohl am besten wissen, daß ein solches Werk nicht als Einzelproduct zu beurtheilen, sondern nur im Zusammenhange mit der ganzen Ideenfolge, der es angehöre, zu verstehen sei und daß diese ganze Ideenfolge ihrerseits wieder nur auf Grund einer tieferen Charakteristik seiner, des Meisters, künstlerischen Anschauungsweise gewürdigt und begriffen werden könne. Was aber das Loben und das Tadeln beträfe, die er als Alternative für die Kritik hingestellt habe, so handele es sich darum meiner Ansicht nach gar nicht, sondern um ganz andere Dinge, zunächst um ein objectives Begreifen des Werkes nach Inhalt und Form und sodann um eine ebenso objective Charakteristik desselben, woraus allein das Publicum ein richtiges Verständniß schöpfen könne. Ob in dieser Charakteristik nebenher ein Lob oder ein Tadel oder, was bei einer wahrhaften Kritik [264] meistens der Fall sein werde, beides enthalten sei, das wäre weder die Hauptsache noch der Zweck der Kritik.

„Das läßt sich hören,“ meinte Cornelius mit größerer Freundlichkeit im Ton, „ich freue mich, daß Sie die Kritik so ernst auffassen.“

„Ich fasse sie als eine Wissenschaft auf, und die Wissenschaft ist ernst,“ bemerkte ich.

„Richtig,“ fiel er mit einer gewissen Ironie ein, „die Wissenschaft ist ernst, das Leben auch, blos die Kunst soll ja heiter sein. – Aber ich sage Ihnen,“ fuhr er plötzlich mit starker Stimme fort, „die Kunst ist das Allerernsteste von den Dreien; freilich nicht, wie sie heutzutage getrieben wird, als ein Cultus der Materie, sondern wie sie von den alten großen Meistern und, Gott sei Dank, auch noch von einigen tüchtigen Kerlen heutiger Zeit getrieben wird … Doch, kommen Sie mit herauf; hier ist’s kalt, ich kann Rom immer noch nicht vergessen und den warmen italienischen Himmel, mich friert’s hier in Berlin …“ Leider konnte ich seiner freundlichen Einladung nicht Folge leisten, und so forderte er mich in liebenswürdigster Weise auf, ihn recht bald zu besuchen.

Dies war mein erstes, unvergeßliches Zusammentreffen mit Cornelius. Der Eindruck, den er damals auf mich machte, war um so tiefer, als mir der Grund davon erst später, nachdem ich oft bei ihm gewesen und Manches mit ihm gesprochen, ganz klar wurde: es war die kindliche Einfachheit, die wahrhaft menschliche Natürlichkeit seines persönlichen Wesens, in Verbindung mit dem tiefen männlichen Ernst seines Charakters und der zwar von allem Fanatismus freien, aber doch leidenschaftlichen Wärme seiner Ueberzeugung. Er war ein ganzer Mann, milde in der Form, nachsichtig gegen Andersdenkende, aber strenge, wenn auch zurückhaltend, in seiner Verdammung alles Scheinwesens und unerbittlich gegen das, was er die ‚Sünde gegen den heiligen Geist der Kunst‘ zu nennen pflegte.

Ich glaube, seinem Andenken keine bessere Huldigung darbringen zu können, als durch Mittheilung einiger seiner Aussprüche, die noch in meiner Erinnerung geblieben sind. Im Allgemeinen lebte Cornelius sehr zurückgezogen, doch liebte er es, Sonntags einen kleinen Kreis von Freunden an seinem Mittagstische zu sehen. Außer seinem Schwager, dem Geheimerath Brüggemann, und dessen Frau (Cornelius’ Schwester), welche der jungen Gattin des Meisters, die damals noch wenig Deutsch sprach, mütterlich zur Seite stand, war es besonders der langjährige Freund von Cornelius, der Professor Xeller, den ich, wenn mir die Ehre einer Einladung zu Theil wurde, dort gewöhnlich antraf. Hier, bei einem guten Glase Wein, entwickelte der sonst so ernste Künstler in seinen Gesprächen eine ruhige Heiterkeit und, besonders in seinen Erzählungen aus früherer Zeit, eine drastische und oft humoristisch gefärbte Lebhaftigkeit, welche ebenso rührend wie anziehend war und jeden Zwang verbannte.

Er regte nicht nur seine Gäste zu heiteren Mittheilungen an, sondern ging ihnen auch oft mit gutem Beispiel voran. Dabei besaß er ein ganz eigenthümliches Talent der Darstellung. Ohne seine gewöhnlich ruhige und bestimmte Weise des Sprechens zu ändern, nur mit Beimischung einer gewissen treuherzigen Jovialität im Ton, erzählte er zuweilen kleine humoristische Scenen aus seinem Leben, die ungemein erheiternd waren. So erinnere ich mich einer Mittheilung aus seinem früheren römischen Aufenthalt, worin er schilderte, wie einer der Gebrüder Riepenhausen einmal in der Campagna von einem der dort ziemlich wild umherschweifenden Stiere verfolgt worden war. Dergleichen brachte er mit einem gewissen trocknen Humor vor, welcher wahrhaft drastisch wirkte, und bewies dadurch, daß er, weit davon entfernt ein asketischer Grübler zu sein und trotzdem daß sein großer Geist sich mit den erhabensten Ideen trug, auch wie andere Menschen heiter und unbefangen fühlte. Wo die Gelegenheit sich darbot, mischte er gern einen unschuldigen Scherz ein. So erinnere ich mich, daß, als ich das erste Mal bei ihm zu Mittag geladen war, er nach Vollendung des Mahles bemerkte: „Nun, Kinder, müßt Ihr mir eine halbe Stunde Zeit zum Kaffeekochen geben. Dabei darf mich Keiner stören. Nachher plaudern wir weiter.“ Verwundert fragte ich, als wir das Zimmer verließen, Xeller, warum Cornelius denn selbst Kaffee koche? – „Ach,“ erwiderte dieser, „das ist nur eine Redensart von ihm; so sagt er immer, wenn er ein kleines Nachmittagsschläfchen halten will.“ Als wir nach der halben Stunde dann wieder zusammen kamen, machte ich in scherzhafter Weise die Bemerkung, man merke wohl, daß er den Kaffee gekocht; denn er sei ausgezeichnet. „Nicht wahr?“ erwiderte er ernsthaft, „ja, das versteht keiner besser als ich, außer dem Xeller vielleicht noch.“ Denn er merkte wohl, daß Xeller mir die Lösung des Räthsels gegeben, und dafür strafte er ihn auf diese ironisch-gemüthliche Weise.

Er zeichnete damals an dem Carton zu dem Altarbilde „die Todten begraben“ u. s. f. und ich folgte mit lebhaftem Interesse der Ausbildung der Composition, in der er eine bei ihm seltene Weichheit der Empfindung offenbarte. In dem großen Eckzimmer der Nordwestseite seiner Wohnung hatte er seine Künstlerwerkstatt aufgeschlagen, da ihm das Treppensteigen – die Ateliers waren in den unteren Räumen belegen – zu beschwerlich war. Er zeichnete gewöhnlich bis nach elf Uhr und machte dann, wenn es das Wetter irgend zuließ, einen einsamen Spaziergang entweder auf dem großen Platz, an welchem sein Haus lag, in der Richtung nach dem Kroll’schen Etablissement hin, oder in den anstoßenden Gängen des Parks. Zuweilen suchte ich ihn dort auf und wanderte mit ihm auf und ab. Er sprach dann nicht viel, außer wenn ihn etwas tiefer bewegte, aber dann in seiner ruhigen und energischen Weise und mit großer Bestimmtheit.

So kamen wir einmal, ich weiß nicht mehr durch welche Gedankenverbindung, auf die verschiedene Stellung des Katholicismus und des Protestantismus zur Kunst zu sprechen, und ich fragte ihn, ob es wahr sei, wie Manche glaubten, daß die bekannte Figur in dem Predigertalar unter den Verdammten des „Jüngsten Gerichts“ in der Ludwigskirche zu München Luther darstellen solle.

„Und was wäre Ihre Ansicht darüber, wenn es sich so verhielte?“ fragte Cornelius dagegen.

„Aufrichtig gesagt, ich würde es nicht billigen.“

„Natürlich, Sie sind ja Protestant,“ bemerkte er.

„Nicht deshalb, sondern weil bei einem Werke von dieser tiefreligiösen, allgemein-christlichen und zugleich allgemein-menschlichen Bedeutung eine confessionelle Opposition der Art, namentlich von Ihrem Standpunkt aus, kleinlich erscheinen würde.“

„Von meinem Standpunkt aus! Was wissen Sie, was weiß die Welt von meinem Standpunkt? Ich bin Katholik, und aus voller Ueberzeugung.“

„Ja, aber, wie ich denke, mehr aus künstlerischen als aus religiösen Gründen,“ warf ich ein.

Cornelius sah mich einen Augenblick an, sein Auge leuchtete. Dann sagte er einfach:

„Die Kunst, wie ich sie verstehe, ist von der Religion nicht zu trennen, sie ist selbst eine Religion. Was hat die sogenannte Reformation für die Kunst gethan? Sie hat den Glauben ernüchtert, die Empfindung erkältet, die Kraft der Ueberzeugung gebrochen. Die Bilderstürmerei war nicht das Schlimmste. Aber sehen Sie sich heute um in der Kunst. Was bedeutet das heutige Kunststreben, was bedeutet die moderne Cultur überhaupt? Prosaische Aufklärerei, verständige Berechnung, schlaue Speculation und, was das Schlimmste ist, die Anbetung des goldenen Kalbes in den verschiedenen Formen. Daß der Materialismus zur Herrschaft gekommen ist, verdanken wir der Reformation und den Reformatoren, besonders Ihrem Luther. Das Geschäft der Bilderstürmerei, d. h. der Entwürdigung und Erniedrigung der Kunst, wird bis auf den heutigen Tag fortgesetzt, und am meisten durch die Künstler selbst.“

„Was konnte Luther dafür? War er nicht in seinem Recht gegen die Verderbniß der Kirche? Oder leugnen Sie diese?“

„Ich leugne sie nicht. Ich bin kein blinder Fanatiker, ich weiß den Mann wohl zu würdigen und habe Respect vor seiner Energie. Aber, bewußt oder unbewußt, hat er, um das, was er für Aberglauben und Verderbniß hielt, zu stürzen, auch den Glauben untergraben, er hat das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Der Zwiespalt der Gemüther, den er in die Welt gebracht, hat wie ein Gift an der Menschheit gefressen, bis sie das geworden ist, was sie heute ist: materiell, speculativ, nüchtern und egoistisch. Und dann, was nennen Sie Protestantismus? Was ist sein eigentlicher Inhalt? Die katholische Kirche hat nur einen Glauben; in ihr ist kein Zweifel, kein Scrupel. Aber wie ist es mit der protestantischen bestellt? Ist es Luther oder Zwingli, Calvin oder Wiklef, der Recht hat? Bis auf die Lichtfreunde und andere moderne Erfindungen der Aufklärerei herab ist es immer nur das Streben nach Verflachung und Ernüchterung, worin sie übereinstimmen; in allem Anderen gehen sie unter sich noch weiter auseinander, [265] als sie vom Katholicismus abweichen. Ich kann es begreifen, daß man an die Stelle des Glaubens, wenn man einmal nicht glauben kann, die philosophische Ueberzeugung, d. h. an die Stelle des Gemüths den calculirenden Verstand, an Stelle der poetisch-religiösen Empfindung die nüchterne Reflexion setzt, aber dazwischen ist ein Abgrund. Darum danke ich meinem Schöpfer, daß ich als Katholik geboren und erzogen bin.“

Was ich dem greisen Meister, der mit jugendlichem Eifer gesprochen hatte, auf diese Ansichten, die ich von meinem Standpunkte aus nur in bedingter Weise theilte, antwortete, gehört nicht hieher. Allein ich glaubte, diese Aeußerungen, welche ich noch an demselben Tage mir notirte und die ich daher fast ihrem Wortlaut nach verbürgen kann, anführen zu müssen, weil sie für die eigenthümliche Denkweise des Mannes charakteristisch sind. Er war ein Feind jeder Halbheit. Was er dachte, fühlte – dachte, fühlte er ganz, und darin lag seine Größe, die Klarheit, Einfachheit und Energie seiner Empfindung. In der Idee, die er erfaßte, ging er ganz und unbedingt auf; aber er ließ sie auch ganz und unbedingt in sich aufgehen; er wurde nicht von ihr beherrscht, sondern er beherrschte sie und entließ sie aus sich gestaltet und mit dem unverkennbaren Stempel seiner eigenen Größe bezeichnet.

Er hatte auf meine anfängliche Frage in Betreff der Figur mit dem Predigertalar auf seinem „Jüngsten Gericht“ nicht geantwortet. Da er sonst ziemlich unverhohlen über Alles sich aussprach, so hütete ich mich wohl, meine Frage zu erneuern, weil er offenbar darauf nicht antworten wollte. Hatte er eine Concession an den baierischen Confessionalismus gemacht, oder war diese ganze Auslegung eine irrige? Für mich blieb über diesen Punkt ein Zweifel. – –

Selten, aber dann mit einer gewissen ironischen Bitterkeit, sprach er über die modernen Kunstrichtungen. Ich versuchte zuweilen, die Genre- und Landschaftsmalerei als berechtigte Gebiete zu vertheidigen, er wollte jedoch davon nichts hören. „Diese Leute,“ meinte er, „brüsten sich mit der Naturwahrheit und der große Haufe jauchzt ihnen natürlich Beifall zu. Ich habe tiefe Ehrfurcht vor der Natur, sie ist von je meine Lehrmeisterin gewesen; aber was die heutige Kunst Naturwahrheit nennt, ist nur die flache und gedankenlose Natürlichkeit, der sinnliche Schein der rohen Materie. Sie bilden sich ein, Maler, Künstler zu sein, aber sie sind nur Copisten. Wenn ihnen das Modell fehlt, geht ihnen auch der Gedanke aus. Und der Gedanke allein ist es, durch welchen der wahre Künstler die Natur zum Kunstwerk erhebt.“

Ich nannte Kaulbach. Cornelius schwieg einen Augenblick, als wollte er eine plötzliche Erregung niederkämpfen, und sagte dann mit ruhiger, aber doch, wie mir schien, bewegter Stimme: „Kaulbach kommt mir wie der verlorene Sohn vor, nur mit dem Unterschiede, daß er nicht reuig zurückgekehrt ist, wie dieser. Auch er ist ein Anbeter des goldenen Kalbes geworden; ein großes, doch für die echte Kunst verlorenes Talent. Das Beste, was er gemacht, ist sein ‚Reineke Fuchs‘; das, was mir am meisten mißfällt, sind seine Malereien im Neuen Museum: es fehlt ihnen nicht nur die echte künstlerische Weihe, die Größe des Stils, sondern auch der äußere Zusammenhang. Er hat Dinge hineingeschoben, wie die ‚Hunnenschlacht‘ und die ‚Zerstörung Jerusalems‘, die gar nicht hineingehören, blos weil sie schon vorhanden waren. Das thut kein wahrer Künstler, der Respect vor der Kunst und vor sich selber hat. Ich habe ihn aufgegeben.“ Er fügte noch Mehreres, sein persönliches Verhältniß zu Kaulbach betreffend, hinzu, was ich verschweigen muß.

Nur einmal habe ich Cornelius ärgerlich und gereizt gesehen. Gewöhnliche Dinge, gelegentliche Unbequemlichkeiten etc. konnten ihm nichts anhaben, sie reizten nur seinen Humor. Allein das Geringste, was seine Kunst betraf, regte ihn auf, wenn er das Gefühl auch zu unterdrücken versuchte. Es war von dem Einfluß die Rede, den er auf das Ausland ausgeübt; er nannte die beiden Belgier Guffens und van Swerts und meinte: „Das sind ein paar tüchtige Kerle, welche ganz im ernsten deutschen Stil arbeiten und die deutsche Kunst in Belgien zu Ehren bringen. Allen Respect vor ihrem Streben! Von denen könnten unsre deutschen Maler lernen.“

„Halten Sie diese Richtung für malerisch?“ fragte ich.

„Malerisch?“ gegenfragte er heftig. „Halten Sie mich für einen Maler?“

Ich war erschreckt über seine Heftigkeit und bat ihn, mich nicht mißzuverstehen. Aber er drang auf eine bestimmte Antwort.

„Sie sind ja Kritiker,“ rief er, „so lassen Sie denn einmal Ihre kritische Weisheit leuchten. Ich weiß sehr wohl, daß es Leute giebt, die da meinen, ich könnte nicht malen. Freilich, was man heute unter Malerei versteht und was in meinen Augen nichts ist als gedankenleere Farbenkleckserei, dafür würde ich mich bedanken … Doch, sagen Sie Ihre Ansicht.“

„Ich sprach von der Richtung, nicht von der Technik,“ erwiderte ich, auf Alles gefaßt, „und diese Richtung ist durch ihre rein idealistische Natur über das Malerische hinaus auf eine höhere, abstractere Technik angewiesen.“

„Nun, und was ist denn dies,“ fragte er mit einer gewissen Ironie im Ton, „für eine Technik?“

„Es ist der Carton. Ich gestehe offen, es ist meine innigste Ueberzeugung: Ihre Richtung, so erhaben sie ist, ja gerade wegen ihrer Großartigkeit und Erhabenheit, ist doch wesentlich cartonmäßig, wenigstens kommt die ganze Gedankentiefe des Inhalts, den Sie so groß und wahrhaft monumental gestalten, nur im Carton zur höchsten künstlerischen Geltung.“

„Und so meinen Sie, daß meine Cartons nicht gemalt werden könnten?“

„Sie können gemalt werden, aber die Gemälde werden nicht die volle Erhabenheit, nicht die reine spiritualistische Wirkung besitzen, wie die Cartons.“

„Wissen Sie was, Sie verstehen nichts von Malerei. Guten Morgen.“

Er wandte mir den Rücken und ging langsam – wir befanden uns draußen auf dem Platz – nach seinem Hause zu. Ich stand und sah ihm mit beklemmtem Herzen nach. Ich hoffte immer noch, daß er sich umwenden würde, aber er that es nicht, und ich begab mich in tiefer Niedergeschlagenheit nach Hause; ich war überzeugt, daß ich ihn nicht wiedersehen würde.

Doch ich irrte mich. Schon am andern Tage erhielt ich eine Einladung zu einer Spazierfahrt. Es war seine Gewohnheit, Nachmittags mit seiner Frau zuweilen spazieren zu fahren. Hier lernte ich erst die Größe seines Herzens, die ganze Liebenswürdigkeit seines Charakters kennen. Es ging durch den Thiergarten, den Canal entlang nach Tivoli hinauf. Während der Fahrt wurde wenig und Unbedeutendes gesprochen. Oben angekommen, suchten wir einen stillen Platz unter den Bäumen; und bald standen drei schäumende Seidel Actienbier vor uns. Cornelius war sehr heiter. Von unserer gestrigen Differenz erwähnte er nichts; nur als ich unterwegs auf der Rückfahrt den Wagen verließ, gab er mir die Hand und sagte: „Kommen Sie morgen früh, wenn Sie können.“ Ich sagte zu, begierig, was er mir zu sagen habe.

„Hören Sie, lieber Doctor, ich habe über unser neuliches Gespräch nachgedacht, und wenn ich Ihnen auch nicht Recht geben kann – ich werde Ihnen Ihren Irrthum ein ander Mal beweisen – so habe ich doch Unrecht gehabt, grob gegen Sie zu sein, weil Sie Ihre Ueberzeugung aussprachen. Wohlan, das erfordert eine Buße. Sie müssen mich um irgend Etwas bitten, worin ich Ihnen gefällig sein kann. Sagen Sie, was kann ich für Sie thun?“

Und dies sagte er in einer so milden, herzlich-offnen Weise, daß ich auf’s Tiefste bewegt war. Ich wußte nicht, was antworten, und ergriff, durch ein unwiderstehliches Gefühl getrieben, seine Hand und küßte sie.

„Nein, nein,“ rief er, „so kommen Sie nicht fort. Ich muß Ihnen durchaus einen Gefallen thun. Sprechen Sie!“

Da fuhr mir plötzlich ein Gedanke durch den Kopf. Ich trug mich damals gerade mit der Idee einer photographischen Portraitgalerie berühmter Männer, wovon später auch das erste Heft unter dem Titel ‚Pantheon‘ erschienen. Ich hätte sonst nicht gewagt, Cornelius eine solche Zumuthung zu stellen, wie ich sie beabsichtigte, weil ich seine Abneigung dagegen kannte. Jetzt aber schien mir der Augenblick günstig.

„Wohlan,“ sagte ich zögernd, denn ich kannte die Schwierigkeit der Sache, „wollen Sie wirklich etwas für mich thun, dann gestatten Sie, daß ich Sie photographiren lasse.“

„Photographiren?“ sagte er enttäuscht, „wozu? Wissen Sie nichts Besseres?“

Aber einmal im Zuge, hörte ich nicht auf zu bitten; ich stellte ihm vor, daß er durchaus nicht nöthig haben sollte, deshalb [266] zum Photographen oder überhaupt aus dem Zimmer zu gehen. Es daure nur wenige Minuten u. s. f. Seine Frau kam dazu, sie war für mich eine Bundesgenossin in diesem Falle.

„Pietro, ich würde es thun,“ meinte sie.

„Nun denn, meinetwegen!“ murrte er etwas verdrießlich, und ich eilte fort, um meinen Freund, den Photographen A. Schwendy, zu avertiren. Am andern Tage fand die Sitzung statt; Cornelius war genöthigt, sich der Operation zweimal zu unterwerfen, weil sie das erste Mal mißlang. Dafür war die zweite Aufnahme eine desto gelungenere. Kein anderes Portrait giebt den energischen Ausdruck dieses bedeutenden Gesichts, die ganze Modellirung dieses merkwürdigen Kopfes in so entschiedener und treuer Weise wieder wie dieses.[1]

Ich habe die ganze kleine Episode hauptsächlich deshalb so ausführlich erzählt, weil sich in ihr die Herzensgüte und die wahrhafte Humanität des großen Künstlers so lebendig wiederspiegelt.

Diese Erinnerungen aus den letzten Lebensjahren des großen Künstlers, wie aphoristisch sie auch seien, mögen den Lesern der Gartenlaube als Einleitung zu der kurzen biographischen Charakteristik dienen, welche ich nun von Cornelius, als einem der merkwürdigsten Geister und edelsten Charaktere der neueren Zeit, zu entwerfen versuchen will.


  1. Von Cornelius existiren mehrere Portraits aus verschiedenen Zeiten seines Lebens. Unter denen der späteren Zeit zeichnet sich eine Profilzeichnung von Bendemann durch monumentale Auffassung und idealen Stil aus. Sie trägt das Datum „7. August 1862“ und die von Cornelius darunter gesetzten Worte: „Die Natur ist die Frau, der Genius der Mann. Wenn beide sich in Liebe vereinen, erzeugen sie unsterbliche Kinder, schön und herrlich wie sie selber.“ Sodann haben ihn Schrader (für das Kölner Museum) und Oskar Vegas (für das Antwerpener Museum) in Oel gemalt. Aber eine Originalphotographie nach dem Leben existirt außer der obengenannten nicht. Dieselbe ist kürzlich in dem „Künstleralbum“ meiner deutschen Kunstzeitung, „Die Dioskuren“, veröffentlicht worden.
    D. V.