Textdaten
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Autor: H. v. C.
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Titel: Deutsche Rettungsaktionen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 268–270
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Spendensammlung für Menschen in Seenot
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Deutsche Rettungsstationen.


„Nein, lieber Herr, Beschreibungen und Phantasie reichen nicht aus, sich das wahre Bild von den Gefahren, Mühseligkeiten und Leiden auszumalen, welche das Leben an unseren durchgehends gefährlichen Küsten zu einem so harten machen. Viele Reden fließen nicht vom Munde des wahren Unglücks, der schweren Sorge und Herzensangst, die so oft dort herrschen, man muß dem Allen in’s Auge gesehen haben. Nur wer an der Küste wohnt, hat ein Herz für die Noth der Seeleute. Ihr Binnenländer schwärmt in Euren Zeitungen von deutschen Flotten, wo aber mit der kalten That, ja nur mit der Hand in die Tasche geholfen werden soll, da geht Euch das Meer nichts an.“

Diese unumwundenen Worte mußte ich neulich von einem alten Seemann hinnehmen, als ich versucht hatte, ihm den uralten, den Deutschen ganz besonders eigenthümlichen Zug nach der See, das daraus entspringende Streben nach Seemacht und den Unmuth der Nation über die bisherige Vernachlässigung derselben und über die Vereitelung der volksthümlichen Begründung einer deutschen Flotte auseinander zu setzen.

Trotz des Scheins der Wahrheit seines Vorwurfs hatte der Mann dennoch Unrecht, weil er die Schuld augenblicklicher Zustände unberücksichtigt ließ, als die bisherige geringe Theilnahme des Binnenlandes an dem Ehrenwerte der deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger seinen Zorn erweckte.

Wir haben diesem Unternehmen bereits drei Artikel gewidmet,[1] in welchen das Rettungswesen an den deutschen Küsten ausführlich und durch Illustrationen verdeutlicht besprochen und namentlich die nationale Zusammenfassung der vorher vereinzelten Versuche durch die Gründung der genannten „deutschen Gesellschaft“ auf dem Vereinstage zu Kiel, am 29. Mai 1865, dargelegt und der Unterstützung der Nation empfohlen worden ist.

Wenn nun bis heute dennoch die Theilnahme des Binnenlandes hinter den Erwartungen der Küste weit zurückblieb, so kann dafür der das ganze innere Deutschland aufregende Kampf um die politische Neugestaltung des Vaterlandes doch wohl zu genügender Entschuldigung dienen. Nur die Augen, nicht die Herzen des Binnenlandes sind gerade in den beiden Jahren der ersten Entwickelung unseres Seerettungswesen von den Küsten abgezogen worden. Der alte Zug im deutschen Volke lebt noch, und es bedarf sicherlich nur einer klaren Hinweisung auf denselben, um auch im Binnenlande die werkthätige Theilnahme Aller, denen bei den starken Ansprüchen, welche die jüngsten Tage an die Opferwilligkeit der Opferfähigen machten, die Mittel für patriotische Zwecke noch zu Gebote stehen, der „deutschen Gesellschaft für Rettung Schiffbrüchiger“ zuzuwenden.

Deshalb nehmen wir diesen Gegenstand abermals auf. Nach einem neueren Berichte der Gesellschaft vom Februar d. J. sind durch ihre Anstalten seit ihrem Bestehen vier Male Menschenleben aus Todesgefahr gerettet worden. Daß sie nicht mehr gethan, sei dem glücklichen Umstand zu danken, daß unsere Küsten seit dem Sommer 1865 wenig Unglücksfälle aufzuweisen gehabt, wenigstens nicht im Bereiche der Rettungsstationen. Von diesen bestehen bis jetzt zweiundzwanzig, und zwar auf Amrum, Sylt, in Travemünde, in Büsum, für Rügenwaldermünde und Treptowerdeep (Bezirksverein Stettin), auf dem Weserfeuerschiff (Bezirksverein Bremen), zu Leba, zu Koppalin und auf Wangerooge, sämmtlich Stationen mit Rettungsbooten; dazu kommen fünf Raketenapparate, ferner elf Boots- und eine Mörserstation der Vereine zu Emden und zwei Bootsstationen zu Hamburg. Im vorigen Jahre wurden endlich noch zwei Raketenstationen auf Sylt (Bezirksverein Husum), eine Bootsstation für Warnemünde, ferner Raketenstationen für Warnemünde, das Fischland (Bezirksverein Rostock), Rügenwaldermünde und Treptowerdeep, und endlich Boots- und Raketenstationen für Hela und Bodenwinkel (Bezirksverein Danzig) gegründet. Als ein 1866 gewonnener großer Fortschritt wird die Vervollkommnung des bisherigen ziemlich mangelhaften Raketenapparates durch die Hülfe des preußischen Staates anerkannt, welcher im Feuerwerkslaboratorium zu Spandau die nöthigen Apparate der Gesellschaft anfertigen läßt. Die Zahl der Küstenbezirksvereine hat sich seit unserm letzten Bericht von 1866 nur von dreizehn auf vierzehn vermehrt.

Bezirksvereine des deutschen Binnenlandes bestehen bis jetzt nur in siebenunddreißig Städten, obwohl die Gesellschaft in einhundert und einem Binnenplatze Vertreter hat, und da zu der Einnahme vom zweiten Halbjahr 1865, welche nicht ganz achtzehntausend fünfhundert Thaler betrug, die Küstenländer das Meiste beisteuerten, so ist die Bemerkung gerechtfertigt, aber auch doppelt betrübend, daß gerade Städte wie Berlin, Dresden, Breslau und München mit weit geringeren Summen verzeichnet seien, als die kleinsten Küstenorte, und daß von Städten wie Köln, Nürnberg, Hannover, Stuttgart in dieser Sache noch gar nichts zu melden sei. In Leipzig ist man soeben in der Bildung eines Bezirksvereins begriffen.

Oft bedarf’s im Leben nur der Kenntniß über die Kosten und den wahren Werth eines Gegenstandes, um uns auch mit unseren guten Wünschen ihm näher zu bringen. Ein Rettungsboot kostet durchschnittlich fünfhundert Thaler und der gesammte Beiapparat dazu – Zubehör, Karren und Bootsschuppen – gegen elfhundert, ein Mörser-Apparat zweihundert Thaler. Also mit der verhältnißmäßig so geringen Summe von sechszehn- bis achtzehnhundert Thalern kann man eine Rettungsstation gründen, welche möglicherweise Hunderte von Menschen im Verlaufe weniger böser Seejahre für das Leben erhält. Würde nicht mancher Reiche, der für Wohlthun und Ehre ein Herz hat, sich ein ebenso schönes als dauerndes Denkmal stiften durch ein Vermächtniß für einen solchen Zweck, eine Gründung dieser Art? Aber auch der patriotische Mittelmann braucht vor der Theilnahme nicht zurückzuschrecken; schon für einen Thaler jährlichen Beitrags kann er Mitglied der Rettungsgesellschaft werden, und daß ihm dieser Thaler bei jeder Nachricht von der Rettung Schiffbrüchiger an einer deutschen Küste die herrlichsten Zinsen trägt, wer zweifelt daran?

Und wie führt der edle Sinn der Männer, welche die Leitung dieses Werks der Menschenliebe als freie Verpflichtung auf sich genommen haben – denn die gesammte Verwaltung und Vorsteherschaft fungirt unentgeltlich und nur kostenfrei – von einer Verbesserung und Vervollkommnung des Ganzen zur andern! Es war nämlich ein großer Uebelstand, daß für die Rettung mittels der Raketen- und Mörserapparate die Schiffbrüchigen selbst nicht eingeübt waren und darum manche Rettung sehr erschwert oder ganz vereitelt werden konnte. Diesem Uebelstand ist, wie der erwähnte Bericht sagt, nun theilweise dadurch abgeholfen worden, daß von Staatswegen befohlen ist, auf allen Schifffahrts- und Steuermannsschulen das Rettungswerk praktisch und theoretisch zu üben; ferner ist in Aussicht gestellt, daß jedem Schiffe, welches die deutschen Küsten verläßt, eine in deutscher oder englischer Sprache geschriebene Instruction für Schiffbrüchige mit auf den Weg gegeben

[269]

Rettung Schiffbrüchiger mittels Raketenapparat und Rettungsboot.

[270] wird, und endlich sollen die deutschen Consuln an den überseeischen Hafenplätzen seiner Zeit allen nach unseren Küsten abgehenden Schiffen die betreffende Instruction verabfolgen. Auf diese Weise wird das norddeutsche Rettungsverfahren in kurzer Zeit allgemein bekannt werden. Der Verbesserung des Raketenapparats durch preußische Hülfe haben wir schon gedacht. Eine Probe mit demselben, welche die Vollkommenheit des Ganzen ergab, fand unter Mitwirkung preußischer Marineofficiere, unter ihnen der bekannte und verdiente Corvettencapitän Werner, am 30. December des vorigen Jahres bei Bremerhafen statt und wird vom Bericht folgendermaßen geschildert: „Es war zu dem Zwecke vom Schiffer Hagemann ein Blockschiff hergeliehen und mit einem Mast versehen, dann in die Mitte der Weser, ungefähr zweihundert Fuß vom rechten Ufer entfernt, vor Anker gelegt worden, während dreiundzwanzig Navigationsschüler unter Anführung des Capitäns L. Geerken sich in die Rolle der Rettungsmannschaften und der Schiffbrüchigen theilten. Alles ging vortrefflich, schon zwanzig Minuten nach dem Abfeuern der Rakete konnte sich der Steuermann H. Kallenberg in den Rettungsstuhl (sogenannte Lifeboje mit hosenartigem Einsatz) setzen und völlig trocken das Ufer erreichen; dasselbe Manöver machte der Steuermann H. Bödeker eben so glücklich gleich hinterher und unter dem großen Jubel der versammelten Zuschauer.“ – Auch die Wiederbelebung anscheinend Ertrunkener erforderte besondere Vorkehrungen und mußten genaue Instructionen über die erprobtesten Wiederbelebungsversuche, soweit sie bis zum Eintreffen eines Arztes von Laien ausführbar sind, jedem Ortsausschuß einer Station zugetheilt werden. Der Leser sieht, daß bei diesem Unternehmen dem Herzen so viel Antheil wie dem Kopf zugefallen ist, und gerade darum wird auch sein Herz sich gern demselben erschließen.

Zu diesem besten Fürsprecher für alle Werke der Menschen- und Vaterlandsliebe soll auch unser Bild reden, welchem wir noch Folgendes zur Erklärung beifügen müssen. Unsere früheren Illustrationen in der Gartenlaube von 1861 und 1865 stellten nur den Raketenapparat und seine Anwendung dar. Unser jetziges Bild zeigt uns auch das Rettungsboot, und zwar im Kampf mit der Brandung, wegen welcher zugleich ein Raketen- oder Mörserapparat zu Hülfe genommen ist. Letzteres geschieht stets an steilen Küsten, bei unüberwindlicher Brandung oder auf schwierig zu passirenden Strandstrecken. Rettungsboote, sagt unser Bericht, bieten den Vortheil, erstarrte und vor Entkräftung bewegungsunfähige Menschen, auch ohne deren Zuthun, in Sicherheit bringen zu können und schon mit dem Wasser Ringende noch zu retten. Oft ist jedoch die Gewalt der Wogen so stark, daß das Boot mit Ruderkraft nicht an das verunglückte Schiff zu bringen ist. Das gefährlichste Manöver für das Boot ist übrigens das Anlegen an das große Fahrzeug, denn hierbei kann es mit solcher Gewalt gegen den großen, festliegenden Körper geschleudert werden, daß es selber verunglückt und seine Besatzung sich nur in glücklichen Fällen durch Schwimmen und mit Hülfe der Korkjacken – mit welchen wir auch die Matrosen auf dem Boote unserer Illustration bekleidet sehen – sowie mitgenommener Bojen und Matratzen retten kann. – Angesichts dieser drohenden Gefahr begreift nun der Leser die Aufregung in der Frauen- und Kindergruppe und in den Männergestalten unseres Bildes. Ihr angststarres Auge hängt an dem Rettungsboote, wo ihre Lieben mit dem fürchterlichen Elemente kämpfen. Wie laut die Brandung donnert, hat unser Künstler trefflich durch den Mann in der Mitte der Vordergruppe angedeutet, der durch die Hand am Munde die Stimme verstärkt, um von den Nächsten verstanden zu werden. Wir verdanken die Zeichnung demselben Künstler, Leich, welcher uns früher auch einen andern „Helden in Sturmesnöthen“, Cornelis Dito, dargestellt hat. Möge der Anblick dieser Scene die rechte Wirkung nicht verfehlen, möge er vor Allem dazu beitragen, daß der alte Seemann unseres Eingangs von seinem Vorurtheil gegen den nationalen Zug auch der Deutschen des Binnenlandes nach der See und deutscher Seeehre recht bald durch neue Beweise der That geheilt werde.

H. v. C.

  1. Vgl. Gartenlaube 1861 Nr. 51, 1865 Nr. 23 und 1866 Nr. 22.