Erinnerungen an Heinrich Heine (Die Gartenlaube 1868)

Textdaten
<<< >>>
Autor: Heinrich Laube
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Erinnerungen an Heinrich Heine
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 1–2, S. 8–10, 24–28
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[8]
Erinnerungen an Heinrich Heine.
Von Heinrich Laube.
I.

Zwischen 1826 und 1827 habe ich den Namen Heine’s zum ersten Male nennen hören. Ich war Fuchs auf der Universität Halle und gehörte zur Burschenschaft. Diese Studentenverbindung hatte bekanntlich ein patriotisches Ziel. Von den älteren hallischen Mitgliedern wurde aber damals auch immer betont, daß der Student sich nicht blos um Kneipe und Fechtboden, sondern auch um die eben lebende Literatur zu bekümmern habe. Niedersächsische Studenten waren es vorzugsweise, Hildesheimer, Oldenburger, Hanseaten, welche zuweilen von Heine sprachen. Das will sagen: sie erwähnten witzige Aeußerungen dieses jungen Schriftstellers.

Ich kann nicht sagen, daß mir das einen besonderen Eindruck gemacht hätte. Ich war nicht auf literarische Dinge gestellt, obwohl ich auf dem Gymnasium die Wochenblätter unsicher gemacht mit mittelmäßigen Versen und obwohl ich von Halle aus mit Adolph Müllner in Berührung gekommen war. Ein paar Meilen von Halle entfernt, gab er in Weißenfels die Mitternachtszeitung heraus und belehrte mich da in einem ausführlichen Schreiben über die Fehler von Sonetten, welche ich ihm eingeschickt hatte. Heute ist mir dies ein Zeichen von der literarischen Stille, welche damals in Deutschland herrschte. In Weißenfels wurde ein wichtiges Journal herausgegeben, und der Redacteur hatte Zeit und Lust, einem unreifen Studenten über schlechte Sonette einen langen Brief zu schreiben!

In dieser stillen Zeit tauchte Heinrich Heine auf. Er hatte seine Jugend in Düsseldorf verlebt. Seine Eltern sind offenbar begabte Menschen gewesen. Der Vater ein Geschäftsmann, seine Mutter von der holländischen Seite her. Mit der letzteren kokettirte Heinrich frühzeitig: er widmete ihr eine Schrift und gab mit Nachdruck ihren Familiennamen an: von Geldern. Daß seine Mutter von Adel und eine Christin gewesen, das war etwas, was er betont sehen wollte. Als ich ihn später einmal auf diesen Gedankengang aufmerksam machte, nickte er mit dem Kopfe und sagte: „Allerdings!“ Es hat nicht an Genealogen gefehlt, welche diesen Familienstolz einen erkünstelten nannten und das ,von’ in ein gleichgültiges ,van‘ verwandelten. Eine holländische israelitische Familie, welche in das nahe Düsseldorf eingewandert, habe sich dies „van“ beigelegt, welches nur eine geographische Bedeutung habe. Dies ist auch wahrscheinlich, denn Heinrich Heine ging niemals näher auf diese Frage ein. Es war ihm ein verführerischer Witz, daß er aus einer Mischung christlichen Adels und jüdischer Race entsprossen sein könne, und von Mutterleibe aus romantisches Mittelalter, eingeweicht in zersetzende Geistesschärfe, darstelle. Sein literarisches Wesen wird ja durch solche gemischte Abstammung prächtig erklärt. Wenn ich ihn mit dieser Racentheorie aufzog, so lachte er und sprang auf ein anderes Thema über. Es war ein Zug seiner Eitelkeit aus seiner poetischen Jünglingsperiode. Das Leben hatte diesen Zug später in ihm verwischt. Aber die halbe Lüge war durch eine Widmung an „die geborene von Geldern“ gedruckt und eingeführt; er trug sie auf leichter Schulter weiter und schüttelte sie von der rechten auf die linke Achsel, wenn zudringlich daran getippt wurde.

Er sollte die Rechte studiren und war zu dem Ende in Bonn, in Göttingen und in Berlin. Jede diese Städte hat ihm ein Contingent stellen müssen für seine schriftstellerische Armee. Auch die Vaterstadt Düsseldorf. Seine Geburt fällt noch in’s drittletzte Jahr des vorigen Jahrhunderts, er wuchs auf unter der Franzosenherrschaft am Rheine, der regierende Herr seiner Heimath hieß Kaiser Napoleon. Sein Vater war in enger Berührung mit der „großen Armee“, er führte Lieferungsgeschäfte für dieselbe und kam in persönliche Berührung mit den Marschällen. Der Napoleoncultus datirt also aus seinen frühesten Jugendeindrücken. Daß er ihn poetisch ausbildete und in seinem Buch der Lieder drucken ließ, gehört zu seinen stärksten Dreistigkeiten. Denn die Freiheitskriege pulsirten während der zwanziger Jahre noch in allen deutschen Herzen, und der Name Napoleon bezeichnete den ärgsten Landesfeind.

Dieser Napoleonswelt ist er übrigens auch immer und bis zuletzt treu geblieben. Insofern treu geblieben, als er ihr stets die größte Macht zutraute. Immer wenn in Frankreich der Boden bebte, da erwartete er die Napoleoniden. In den vierziger Jahren, als die Orleans heftig angegriffen wurden und man mit der Republik drohte, da sagte er: „Denk’ an mich, wenn sich das Alles unmächtig erweist! Die Kinder der alten Soldaten bedecken ganz Frankreich. Ihr Gott, welcher ihnen volle Gleichheit, Stärke und Ruhm erschafft, heißt Napoleon. Unter diesem Namen gestaltet sich Frankreichs Zukunft.“ – Außer ihm dachte damals kein Mensch an eine Napoleonische Zukunft. Der Poet sah tiefer als irgend ein politischer Scharfblick.

Sein Contingent aus Bonn hieß August Wilhelm Schlegel. Sein Contingent ans Göttingen wurde der nahe Harz, der Schauplatz seiner Reisebilder. Sein Contingent aus Berlin Hegel.

Berlin war in jener Zeit ein recht langweiliger Ort. Der Aufschwung aus dem Jahre 1813 wurde sorgfältig und immer sorgfältiger gedämpft in den politischen Folgerungen, welche ihm inne wohnten. Das rüttelte sich bereits in ein System, als der blasse und magere Heine in der Behrenstraße wohnte und in den breiten und leeren Straßen der Friedrichsstraße umherschlenderte. Mißmuth und Langeweile verschonten ihn nicht, Drang nach Schriftstellerruhm begann in ihm zu nagen, und er suchte Leute kennen zu lernen, welche dafür etwas bedeuteten: Hitzing, Gans, Varnhagen, Rahel. Letztere, vom Judenthnm stammend, belebte ihn am meisten; er lenkte öfters gegen Abend seine Schritte nach dem stattlichen Hause in der Mauerstraße, dessen ersten Stock Varnhagen mit seiner Gattin schon damals bewohnte. Ich habe zehn Jahre später, inmitten der dreißiger Jahre, oft mit Varnhagen darüber gesprochen, ob man wohl die schriftstellerische Laufbahn Heine’s habe vorhersehen können. Kaum! war das Ergebniß. [9] Rahel hat er noch am meisten interessirt, ihr war er auch am verwandtesten. Dem Herzen nach gar nicht, aber dem Geiste nach. Für die Uebrigen war er gar zu wenig flüssig im persönlichen Verkehre. Er war Zeit seines Lebens launisch. Und nur wenn er guter Laune war, erschien er ausgiebig. Dann aber auch in hohem Grade. In freundschaftlichem Briefverkehr mit Varnhagen ist er übrigens bis an sein Lebensende verblieben; persönlich wiedergesehen jedoch haben sie sich nicht.

Was von Heine selbst schriftlich auf uns gekommen ist aus jener Berliner Zeit und bald nach derselben, das gehört zu seinen dürrsten Arbeiten. Eine kleine Reise in’s polnische Land hinein, welche im Gubitz’schen „Gesellschafter“ gedruckt wurde, und der Briefwechsel mit einem Freunde Moser zeigen nur geringe Spuren des Heine’schen Talentes. Seine mißlichen Eigenschaften: Ueberhebung, Ruhmsucht, manierirtes Haschen nach Witz, stehen im Vordergrunde und belästigen, weil eben von einem Hintergrunde noch nicht viel zu spüren ist. Er ist dieser mißlichen Eigenschaften nie ganz Herr geworden, aber er lernte sehr schnell, er sah mit genialem Auge sehr viel, er füllte also seinen Geist sehr rasch, und deshalb treten schon nach wenigen Jahren diese mißlichen Eigenschaften in solchen Schatten, daß man sich nicht mehr genöthigt fühlt, sie vorzugsweise anzuschauen. Er findet frühzeitig den Tact für seine Fähigkeiten, verläßt den Weg ruhiger Darlegung und Begründung, auf welchem ihm wenig Reize blühen, und wendet sich der freien Erfindung zu. In ihr verwerthet er seine besten Gaben, und zwar auf eine neue Weise. Er ist poetisch und witzig. Dies Dichten und Trennen spricht er zum ersten Male in einem Athem aus. Damit begründet er eine eigene literarische Kraft des Namens Heine.

Ich will nicht sagen, daß diese poetisch-witzige Fähigkeit absolut neu gewesen. Es haben sie manche Humoristen, namentlich englische, besessen, es liegt in Voltaire eine ähnliche Mischung vor Augen, sie war in starkem Grade Shakespeare zu eigen, welchem der Witz überall eindrang und welchem der weite Begriff des Witzes überall zu schaffen gab. Aber ein Dramatiker kann und muß seine Gaben vertheilen, und dadurch gewinnen sie eine ganz andere Form und Wirkung, als wenn die Mischung immer aus ein und demselben Munde strömt. Und gerade dieser ein und derselbe Mund, aus welchem Heine in dem bald erscheinenden „Buch der Lieder“ und in den „Reisebildern“ die grellen Gegensätze sprudelte, Witz im Arme der Poesie, Poesie in den Krallen des Witzes, gerade dies war der überraschende neue Effect. Ich brauche das Wort „Effect“ absichtlich. Man wird immer irre gehen, wenn man Heine nach Inhalt und Gesinnung beurtheilen will. Er war durchweg Künstler, und nur Künstler; die Form, der Effect war ihm die Hauptsache.

Ich habe in Gesprächen mit ihm oft mit Staunen bemerkt, welch’ eine Theilnahme für dramatische Form er zeigte, wie er eigentlich darnach schmachtete, ein Stück schreiben zu können, welches aufgeführt würde. Er peinigte mich mit der wiederholten Frage, ob denn sein „Almansor“ und „Ratcliffe“ wirklich nicht aufführbar wären. Mir war diese Sehnsucht nach dramatischer Form ein merkwürdig Zeichen, ein Zeichen, daß auf dem Grunde seines Talents das Drama geruht hätte. Ruhige Kraft, Gerechtigkeit des Sinns und Geduld der Entsagung auf persönliche Gelüste hat ihm gefehlt, er hat sein dramatisches Talent für Monologe Heine’s verbraucht, und so ist seine schriftstellerische Form entstanden, welche eine wilde Ehe von Gegensätzen zeigt.

Der dramatische Embryo in ihm zog ihn denn auch zu Shakespeare, wie zu keinem andern Poeten. Es war ihm ein Genuß, als ihn ein französischer Buchhändler veranlaßt hatte, zu Stahlstichfiguren Shakespeare’scher Charaktere einen erklärenden Text zu schreiben. Einen erklärenden Text schrieb er freilich nicht, die Shakespeareerklärer waren ihm ein Gräuel, und seine Späße über den poetischen Unverstand oder Querverstand derselben waren Legion, aber Ekstasen schrieb er über Shakespeares Figuren. Sehr wunderlich war er dabei, wenn er über Inscenesetzung der schwer darstellbaren Stücke Shakespeares sprach. Die alte englische Bühne mit ihrem naiven Apparate wieder einzuführen, fand er lächerlich – dafür hatte er zu lange in Paris gelebt – aber eine neue Bühne dafür zu erfinden, schien ihm mitunter wünschenswerth. „Und ein neues Publicum auch,“ warf ich dazwischen.

„Da hast Du Recht!“ rief er lachend, „die Bühne des neunzehnten Jahrhunderts ist oben und unten nicht mehr für phantastische Poeten. Wir müssen uns an’s Ballet halten.“

Wirklich schrieb er eins und zwar den „Faust“. Diese Arbeit gehört in seine letzten fünf Jahre, und er bestand hartnäckig auf dem Wunsche, daß es im Wiener Hofoperntheater ausgeführt würde. Dort mußte ich das Manuscript einreichen. Es war brillant geschrieben und strotzte von geistreichen Bosheiten gegen die herkömmlichen Anschauungen über Himmel und Hölle. Die Hölle natürlich besonders, welche den Faust haben sollte, war reichlich bedacht. Bedacht! Denn es lag der Reiz mehr im Gedanken, als im Vorstellbaren, und wenn ich mir den Balletmeister vergegenwärtigte, welcher solch’ geistvolles Poëm in Scene setzen sollte, so geschah dies nicht ohne Heiterkeit. Indessen fehlte es doch auch nicht an phantastischer Schilderung zu Aufgaben für den Maler, Decorateur und Maschinisten. Holbein, welcher das Operntheater dirigirte, war ganz bestürzt über die Zumuthung. Er hatte sich grundsätzlich nie mit solch’ lästerlicher Poesie beschäftigt und rettete sich schleunigst hinter die spanische Wand der Technik. Diese sagte mit Recht: solch’ ein Manuscript sei ja kein Balletbuch, denn es fehle jegliche scenische Eintheilung. – Freilich mit noch besserem Rechte hätte man diesen Entwurf einem geistvollen Balletmeister wenn es einen solchen gab, überantworten können, damit er den plastischen Kern herausschäle und ihm so viel, als erreichbar, vom Kometenschweife des Gedankens belasse. Dann war wohl ein originelles Faust-Ballet daraus zu entwickeln. Heine’s Manuscript hätte als Nachwort dem Büchelchen angehängt werden können, welches der Zuschauer an der Casse kauft. Der denkende Zuschauer, wenn es solche im Ballet giebt, hätte nach der Vorstellung daheim dies Nachwort gelesen, um zu entdecken, daß er äußerst geheimnißvolle und bedenkliche Dinge sorglos angeschaut. Mit solcher Perspective tröstete ich damals Heine, welcher sehr ungehalten war über die Geistlosigkeit der Theaterherren.

„Für Dich sind sie ja auch nicht erschaffen,“ entgegnete ich, „denn Du raffst in einzelne Zeilen zusammen, wovon ein ganzer Theaterabend Nahrung verbreiten will.“ Dies leuchtete ihm ein, wenigstens seiner Eitelkeit. Und es war im Grunde das, was ich oben angedeutet: seine Muse war ein dramatischer Embryo, der die Entwickelung nicht mochte, weil er sie für langweilig hielt. Kurzweil war seine Losung.

Dieser Balletentwurf „Faust“ ist damals auch nach Berlin gekommen, und die „Satanella“ Taglioni’s soll daraus entstanden sein. Die Verwandtschaft ist verzweifelt entfernt, und von der Seele des Heine’schen Ballets ist der „Satanella“ nicht ein Atom zugegangen.

Nach der Universitätszeit war Hamburg der Aufenthaltsort für Heine geworden. Seine Eltern waren längst vom Rheine dorthin übergesiedelt. Der Vater scheint ein spekulativer Kopf gewesen zu sein, aber das Glück scheint ihm nicht gelächelt zu haben. In Hamburg dagegen residirte der glückliche Fürst des Heine’schen Stammes, Salomo Heine, der Millionär. Er hat sich immer wohlthätig und freigebig erwiesen gegen die Familie des Dichters. An Witzworten über ihn hat es natürlich nicht gefehlt; sie bleiben nie aus, wenn Geld und Geist mißlich neben einander gestellt werden. Das bekannteste war sein Urtheil über den jungen Dichter Heinrich: „Wenn er was gelernt hätte, so brauchte er keine Bücher zu schreiben.“ Es klingt ganz so gut, als ob es Heinrich selbst erfunden hätte. Ich habe übrigens Heinrich nie anders von seinem Oheim Salomo sprechen hören, als mit Hochachtung und einer warmen Zurückhaltung, welche er seinem ungeberdigen Satyr grundsätzlich aufzuerlegen schien. Der Onkel Salomo und dessen Sohn Karl waren die einzigen Wesen, die er auch in vertrautem Gespräche nie antastete, und wenn ihm ein scherzhaftes Wort über sie entschlüpfte, so polsterte er dies sogleich mit einer Watte von Gutmüthigkeit, welche sonst ein ganz fremder Artikel war auf seinem Lager. Namentlich hegte er einen tiefen Respect vor der sittlichen Größe des Vetters Karl, selbst dann noch, als ihm dieser Vetter schwere und nicht eben lobenswerthe Sorgen machte wegen der Rente, welche der Oheim Salomo ausgesetzt hatte für den poetischen Neffen. Das Testament Karl Heine’s, ein wahres Staatsmuster von Güte und weiser Fürsorge, hat später dargethan, daß Heinrich den Charakter seines Vetters ganz richtig geschätzt hatte.

Dennoch hatte der Aufenthalt Heinrich Heine’s in Hamburg bis zum Jahre 1830 etwas Unbehagliches für ihn. Seine ersten Bücher, „Buch der Lieder“ und „Reisebilder“, hatten ihm wohl eine pikante Berühmtheit verschafft, aber diese wurde doch viel [10] bestritten, und der junge Dichter fühlte das Bedürfniß, mit geräuschvollerem Flügelschlage vom Alsterpavillon aus aufzusteigen und über die Länder dahin zu fahren. Seine Ansprüche waren groß. Er hatte auch nichts versäumt, die gemeinen Hindernisse einer breiteren Laufbahn aus dem Wege zu räumen: in Göttingen hatte er seine Promotion zum Doctor Juris zu Wege gebracht, um einen Titel und eine gewisse Anwartschaft zu haben, und von Göttingen aus war er einmal plötzlich nach Langensalza gefahren und hatte sich dort taufen lassen. Religiöse Sehnsucht nach der christlichen Gemeinschaft hatte ihn nicht getrieben, wohl aber Sehnsucht nach freier bürgerlicher Gemeinschaft. Nun saß er da in dem kaufmännischen Hamburg, welches den blassen, unqualificirbaren Doctor im Vorübergehen fragend ansah, und harrte unruhig des Windes, der ihn weiter heben sollte. Täglich trat er an der Ecke des Gänsemarktes in den Buchladen seines Verlegers Julius Campe und fragte nach Neuigkeiten. Campe war ganz geeignet, zu stacheln. Er war ein politischer Buchhändler in der doppelten Bedeutung dieses Wortes, und erkannte die Neigung des deutschen Lesepublicums sehr wohl. Humor! Humor in politischer Richtung! Das war sein Recept für neue Bücher. Heine bedurfte zwar keiner Leitung im Ganzen, denn sein eigentliches Talent vertrug sie gar nicht, es ging mit ihm selber durch. Aber Fingerzeige über die Stimmung des Tages waren ihm stets willkommen, und Reizung war immer wirksam auf ihn. Da brach die Julirevolution aus, und die Laufbahn Heine’s war entschieden. Auf den hoch gehenden Wogen des europäischen Dranges, mit veralteten Beschränkungen zu brechen, schiffte er sich ein unter politischer Flagge, schrieb zu einem Buche von Kahldorf gegen den Adel eine herausfordernde Vorrede und – ging nach Paris.

Hierdurch ist Zweierlei über ihn gekommen: er hat die Heimath verloren und ist den politischen Schriftstellern eingereiht worden. Die zweite Hälfte seines Lebens, über ein Vierteljahrhundert, hat er in Frankreich zugebracht, nur auf ein paar Wochen ist er ein einziges Mal wieder zum Besuche seiner Mutter in Hamburg gewesen. Dadurch ist er aller leiseren und feineren Uebergänge im Vaterlande verlustig geworden und hat statt dieser französische Denk- und Sprechweise in sich aufgenommen. Dies ist hochwichtig für die Beurtheilung seines Wesens.

Nicht ganz so wichtig, aber wichtig ebenfalls ist es, daß er mit der politischen Uniform bekleidet wurde. Sie hat sein wahres Bild in den Augen der Welt einfach verwirrt und hat ihn selbst nur zu oft irre geführt.

Er war ein Poet, nicht aber ein Politiker. Es war ein Zufall, und für ihn ein unglücklicher Zufall, daß gleichzeitig mit ihm Ludwig Börne aus Deutschland nach Frankreich flüchtete. Diese und manche andere Aehnlichkeit hat zwei grundverschiedene Männer aneinander gekoppelt in der öffentlichen Meinung, und sie Jahrzehnte lang einer Kritik nach gleichen Maßstäben überliefert. Solcher gleichmäßige Maßstab mußte Beiden Unrecht thun, Heine in der Gegenwart, Börne für die Zukunft. Die Gegenwart unterschätzte Heine, die Zukunft – es geschieht jetzt schon – wird deshalb Börne unterschätzen. Die Schriften Börne’s werden allmählich neben den Heine’schen den Schaffungskeim vermissen lassen, und man wird sich wundern, wie eine scharfe Tagespolemik einem Weltkriege habe gleich geachtet werden können, so wie man sich in unsern Tagen gewundert hat, daß Börne’s reiner, consequenter Charakter mit klarem, wenn auch negativem Zwecke neben dem unruhigen, wechselvollen, pietätslosen Geiste Heine’s auch nur in Vergleich kommen könne.

Da lebten sie denn in Paris neben einander und in den ersten dreißiger Jahren versuchten sie es, freundschaftlich neben einander zu leben. Vergebliches Bemühen! Ein Bemühen wenigstens von Seiten Börne’s, welcher gerne vermieden hätte, das Ansehen der Partei zu schwächen durch einen Bruch mit Heine. Es war unmöglich innerhalb der Naturgesetze, welche jedem von Beiden innewohnten. Börne hatte ein bestimmtes Ziel, ein politisches. Demokratische Freiheit war der Inhalt seines Strebens. Die Schrift, welche er drucken ließ, war ihm nichts weiter als die Waffe. Hätte er eine andere wirksamer zu handhaben gewußt, er hätte diese andere Waffe vorgezogen. Nicht um Literatur, nicht um Kunst, nicht um Consequenzen, welche über Politik hinaus liegen, war es ihm zu thun. Was literarisches Talent an ihm war und was er in stiller Frankfurter Zeit als Herausgeber der „Wage“ zu heitern Genrestücken ausgebildet hatte, das war in ihm selbst zurückgetreten wie Dilettantenthum. Die politische Mission, in welche ihn die Revolutionszeit geführt, war ihm Alles geworden, und wenn er einmal an etwas Speculatives herantrat, so geschah auch dies nur in specifisch politischem Sinne. Nur der Mensch im Staate beschäftigte ihn.

Der Mensch im Staate war aber für Heine nur ein kleiner Theil des Menschen. Er behandelte diesen kleinen Theil auch vielfach, aber er that es leichtsinnig; es interessirten ihn zahlreiche andere Theile des Menschen nicht minder. Und so mußte er das gewissenhafte Lebensinteresse Börne’s bei hundert Gelegenheiten verletzen. Wie konnte ein solches Gespann gleichen Schritt halten! Ein Arbeitsroß und ein Flügelroß! Pflügen wollte das eine, fliegen das andere! So kam es denn zwischen ihnen zu jenem Bruche, welcher die Liberalen in Deutschland peinigte. Das Resultat dieses Bruches war nach Börne’s Tod ein Buch über Börne, welches Heine schrieb, welches kunterbuntes Aergerniß verursachte und widerwärtigen Parteiscandal, ja ein Duell Heine’s zur Folge hatte.

Um die Zeit, da er mit diesem Buche schwanger ging, lernte ich Heine in Paris persönlich kennen; brieflich war ich seit Jahren mit ihm in Verkehr gewesen.

Heine war damals (1839) auf der Höhe seines Lebens, körperlich wie geistig. Sein Leib war feist, seine Geistesstimmung munter und behaglich; er glich einem Abbé aus dem achtzehnten Jahrhundert. Hing er doch überhaupt, da er noch im vorigen Jahrhundert geboren war, mannigfach zusammen mit diesem geistreichen Säculum, ein Seitensprößling Voltaire’s, in der Poesie mit stärkerer deutscher Milch aufgesäugt, im Witze mit französischem Weine getränkt. Es ist nichts Zufälliges, daß in den fünfziger Jahren seine in’s Französische übersetzten Schriften so tiefen Eingang finden konnten bei den französischen Schriftstellern, so tiefen Eingang, wie ihn seit Jahrhunderten kein unfranzösischer Autor gefunden. Man lese Beuillot’s „Odeurs“! Dieser giftige Franzose, welcher für die Interessen der Kirche zu schreiben vorgiebt, sagt es zum ersten Male grimmig heraus: „Den tiefsten Einfluß, und natürlich verderblichsten Einfluß, auf die modernen Schriftsteller Frankreichs hat Henri Heine ausgeübt.“


[24]
II.

Mit welchem Stolze würde es Heine erfüllen, hätte er die Anerkennung erlebt, welche die Franzosen seinem Einflusse zu Theil werden ließen! Damals (1839) nach neunjährigem Aufenthalte in Paris war er wohl schon mit allen notablen Autoren Frankreichs bekannt, mit einigen auch befreundet. Aber die Bekanntschaft und Freundschaft war doch noch eine unsichere. Heine kannte sie, sie aber vermutheten nur, ihn zu kennen. Deutsch verstand natürlich keiner, und die Bruchstücke von Uebersetzungen Heine’scher Schriften waren eben nur Bruchstücke. Sie flößten Respect ein und weckten die Ahnung von einem sehr eigenthümlichen, geistig sehr überlegenen Poeten, dessen ganzer Umriß noch in Nebel zerrann. Erst in den fünfziger Jahren, als Heine auf traurigem Siechbette die Übersetzung seiner Schriften in’s Französische mit eben solcher Sorgfalt und Genauigkeit betrieb, wie er die kleinen stachligen Verszeilen seiner Gedichte zehnmal zu redigiren strebte, erst da bildete sich die Heine’sche Gestalt in festen Umrissen aus vor den aufmerksamen Franzosen, erst da begann sein deutlicher Einfluß auf junge französische Autoren, welchen Veuillot in den sechziger Jahren so ärgerlich kennzeichnen mochte als antikirchlich und verderblich.

Die älteren Schriftsteller, mit denen Heine damals befreundet oder wenigstens bekannt war, verkehrten sehr zuvorkommend mit ihm und sehr artig. Ich konnte die Nuancen dieses Verkehrs studiren, denn Heine nahm sich die Mühe, mich mit den meisten derselben persönlich bekannt zu machen. Nicht in Gesellschaften, wo man eben nur vorgestellt wird, sondern indem er mich zu ihnen in’s Haus führte. Dies ist in Frankreich nicht leicht, der französische Schriftsteller ist sehr karg mit seiner Zeit, und namentlich Ausländer interessiren ihn herzlich wenig. Einer Heine’schen Anfrage aber zeigten sie sich alle zugänglich, selbst Victor Hugo, dessen Schwulst und Bombast dem Spotte Heine’s näher lagen als der Verehrung. So lange die gegenseitige Abneigung nicht schriftlich und grell manifestirt worden, verdecken die französischen Autoren die inneren Antipathien recht geflissentlich und zeigen sich freundlichst als Männer von Welt, die Höflichkeit einschiebend als einen Wall von Blumen. Davon hatte auch Heine viel mehr gelernt, als ich ihm zugetraut, und sein artiger Umgang mit französischen Poeten, deren Poesien ihm gar nicht zusagten, verrieth keinen Zug des rücksichtslosen deutschen Schriftstellers. Nur gegen den deutschen Landsmann, gegen mich, verleugnete er bei diesen Besuchen nicht immer die heimathliche Art. Bei Alfred de Vigny zum Beispiele, der mit einer recht langweiligen, dicken Engländerin verheirathet war, überantwortete er mich unbarmherzig dieser Ehehälfte und unterhielt sich abgesondert mit de Vigny. Glücklicherweise kam mir dieser selbst, ein feiner, etwas melancholischer Cavalier, endlich zu Hülfe, Heine aber lachte wie ein Straßenjunge der „Reisebilder“, als wir herauskamen und ich ihn ernstlichst versicherte: es sei mir weniger um die Bekanntschaft dieser gewiß sehr braven Engländerin zu thun gewesen. „Sehr brav!“ fügte er seinem Lachen hinzu, „und de Vigny ist sehr dankbar, wenn ihm die Kosten häuslicher Unterhaltung eine Weile abgenommen werden.“

Am vertrautesten war er mit Jules Janin, Alexander Dumas Vater und Gautier. Ihnen ergänzte er durch mündliche Unterhaltung, was sie aus seinen unverständlichen deutschen Schriften nicht erfuhren – den witzigen Geist. Er sprach gerade nicht besonders gut französisch, weil er in guter Stimmung und bei frischem Gedächtniß sein mußte, wenn die fremde Sprache ihm leicht fließen sollte, aber er sprach charakteristisch. Wie er sich im Deutschen immer genau die überraschenden und treffenden Ausdrücke hervor suchte, so hatte er sich auch im Französischen vorbereitet. Der schlagende Ausdruck war ein immerwährendes Studium Heine’s. Tagelang prüfte und fragte er: wie drückt man diesen Begriff, wie drückt man dieses Wort am besten im Französischen aus? „Ich hab’s!“ – rief er eines Tages bei mir eintretend – „ich hab’s! Les élèves de Charles! muß man Carlsschüler übersetzen.“ Mit dieser simplen Entdeckung hatte er sich tagelang beschäftigt. Aber gerade dadurch war er eindrucksvoll auf die Franzosen. Die Ausfüll-Phrasen wurden gleichgültig, weil die entscheidenden Punkte trefflich zum Vorschein kamen. Er war ihnen wie ein Gesicht, von welchem man nur die prächtigen Augen sieht und beachtet.

Uebrigens war er in guter Stimmung vollkommen befähigt, ein inhaltsvolles Gespräch mit den begabtesten Franzosen so zu führen, daß [25] er ganz wie Ihresgleichen erschien. Bei einem Morgenbesuche habe ich das einmal erfahren, zu welchem uns George Sand annahm, obwohl sie eben erst aus dem Bette aufgestanden war. Sein Verhältniß zu ihr war ein sehr freundschaftliches. Sie war Heine’s frivolen Wendungen fremd, aber sie hatte doch Achtung vor seinem Geiste. Es fanden sich zu diesem Lever allmählich recht verschiedene, aber lauter interessante Personen ein: der Musiker Chopin, damals Günstling der Sand, der Schauspieler Boccage, ein geistvoller Mann, ein Rochefoucauld (Sosthène) mit Traditionsgedanken des französischen Adels, und endlich Lamennais. Zwischen ihm und der Sand gab es ein inneres Bündniß religiösen Sinnes. Er übersah ihre sinnlichen Bedürfnisse, sie übersah seine kirchlichen Anknüpfungen und Wünsche. Das ehrliche, religiöse Herz war ihnen gemeinschaftlich, ihr beiderseitiges Verhältniß zu Heine war der freie Geist, welchen ihm Beide zutrauten und welchen Heine an jenem Morgen gegen Lamennais fast mißbrauchte – zu meinem Erstaunen mißbrauchen konnte, denn es gehörte dazu eine volle Beherrschung der französischen Sprache. Er hatte mir zugeflüstert, daß Lamennais einmal nahe daran gewesen, Papst werden zu können, und daß es den gesellig schüchternen Mann in Verlegenheit setzen werde, wenn das Gespräch nach dieser Richtung hin geleitet würde. Dies that Heine, und zwar in den mannigfaltigsten sarkastischsten Wendungen. An jenem Morgen sprach er französisch, wie ich es nie wieder von ihm gehört; ein Beweis, wie sehr er Mensch der Stimmung war und wie viel Vorbereitetes in ihm zerstreut lag, was bei erhöhter Stimmung zu einer mächtigen Wirkung gesammelt werden konnte.

Im Grunde war es mit seiner deutschen Rede nicht viel anders. Kopfweh war seine immer wiederkehrende Noth. Er glich oft einer hysterischen Frau, die ewige Krisen in Migräne durchmacht. Da sprach er dann abgebrochen und wüst, die Sätze nur halb fertig, die nothwendigsten Worte oft mühsam suchend. Man meinte, eine verdrießliche Unfähigkeit vor sich zu haben. Hunderten von deutschen Besuchern hat er damit den widerwärtigsten Eindruck gemacht, denn Geringschätzung Anderer, Ungezogenheit vielfältigster Art fehlten selten dabei; wohl aber fehlte Alles, was man human nennt. Und derselbe Mensch war in der nächsten Stunde ein ganz anderer. Körperlich wohler und gut angeregt von den Gegenständen des Gesprächs, oder auch nur von den Sprechenden, denen er schmeicheln oder die er bekämpfen wollte, entwickelte er eine Suada voll Inhalt, Raschheit und Lebendigkeit.

Seine Stimme war Tenor, weich und angenehm, wenn er guter Laune war. Er konnte dann fein schmeicheln und so liebenswürdig sein, wie er’s mit Franzosen war, auch mit denen, die ihm gleichgültig waren. Sein Auge war nicht groß, aber sehr fein. Es schloß sich auch noch zur Hälfte, wenn sein Antlitz in Bewegung gerieth. Trotzdem war es sehr beredt, und besonders für alles Schalkhafte und Schlimme äußerst hülfreich. Ebenso sein Mund, welcher die abwechselnden Stimmungen treulich begleitete. Er spielte eine große Rolle im Gesicht, da Heine immer sauber und vollständig rasirt war. Ich habe ihn nie mit einem Barte gesehen. Sein länglich volles Gesicht war von zartem Teint und wohlgefärbt, das weiche Haar blondbraun, die Nase leicht gebogen und gut geformt, Stirn und Kinn kräftig. Der ganze Kopf, reich ausgebildet, trat Einem entgegen wie der Kopf eines sinnlichen Weltgeistlichen, oder auch wie der eines hinterhältigen Diplomaten, welcher geneigt ist, die wichtigsten Dinge rasch und beiläufig abzufertigen. Dieser Kopf saß auf einem kurzen Halse und auf einem mittelgroßen Körper, welcher wohlgenährt, ganz ohne Taille und von weißem, schönem Fleische war. Seine Hände namentlich waren weiß und fleischig. Nichts an ihm – vielleicht der etwas platte Fuß ausgenommen – erinnerte an den Typus der jüdischen Race. Er erschien immer sauber, auch wenn er sich vernachlässigte, und trug feine Wäsche. Ueberhaupt war in seinen Bewegungen etwas Weiches und Geschmeidiges, so daß man auf den Gedanken kam, er habe viel mit Frauen verkehrt. Das war denn auch so. Eine große sinnliche Reizbarkeit hat ihn durch’s ganze Leben begleitet, und ihr hat er nachgegeben bis zur Schwäche, bis zur Schwächung seines Lebensmarks. Die grimmige Krankheit, welche schon 1846 begann und ihn ein ganzes Jahrzehnt zu Tode gepeinigt hat, ist von einer Beschädigung des Rückenmarks ausgegangen und hat keine Heilung zugelassen.

1839 und 1840, die Zeit, während welcher ich fast ein Jahr persönlich mit ihm verkehrt, war noch frei von jeder schweren körperlichen Sorge. Er war glücklich und heiter, soweit er dies eben sein konnte bei einem Wesen, welches für seine Sicherheit und seinen Ruhm Tag und Nacht sorgen zu müssen glaubte, welches der Mehrzahl gebildeter Menschen schlechte Absichten und tief angelegte Intriguen zutraute. Er hatte etwas von einem Raubthier, das ununterbrochen auf der Hut ist, und hierin am meisten zeigte sich seine Herkunft von einem verfolgten Geschlechte. Wenn ich ihn mahnte, diese Unruhe doch endlich einmal aufzugeben, dann rief er halb grimmig, halb komisch: „Wie kann ich aus meiner Haut, die aus Palästina stammt, und welche von den Christen gegerbt wird seit achtzehnhundert Jahren! Das Taufwasser von Langensalza hat daran nichts verbessert, und der Ausdruck ,ewiger Jude’ hat tausendfache Bedeutung!“

Um diese Zeit – 1839 – hatte er ein Liebesverhältniß zu einem Eheverhältnisse erhoben. Das heißt im Pariser Sinne, welcher dazu weder Zeugen noch Autoritäten in Anspruch nimmt und trotz dieser fehlenden Bestätigung zu den Pflichten der Monogamie sich bekennt. Er stellte ein junges, stattliches Mädchen als seine junge Frau vor. Sie war eine volle Figur mit heiterem runden Antlitz und von angenehmem Wesen. Heine hatte die größte Freude an ihrem naiven fröhlichen Naturell und hat diese Freude an ihr nie verloren. Stets, bis zu seinem letzten Athemzuge, hat er sich glücklich gepriesen in ihrem Besitze, und er selbst hatte immer etwas Naives und Kindliches, wenn er von ihr erzählte und sie schilderte. In keinem andern Verhältnisse habe ich ihn so viel kleine liebenswürdige Züge und Wendungen enthüllen sehen, welche aus seinen besten Gedichten mit Kindesaugen hervorblicken.

Er war durchaus lieb und gut und fein und liebenswürdig mit seiner sogenannten „kleinen Frau“. Daß sie nichts von seinen Schriften verstand, war für ihn ein Triumph. „Sie liebt mich persönlichst, und die Kritik hat dabei gar nichts zu thun!“ rief er vergnügt. In der That war das sehr drollig, wenn sie fragte, ob es denn wahr wäre, daß ihr Henri ein berühmter Dichter sei? Sie fand das sehr anmuthig und wollte mit der Zeit auch Deutsch lernen. Ich erinnere mich nicht, daß ihr diese Zeit gekommen wäre. Heine war aber doch darauf bedacht, sie auch systematisch in Kenntnissen und Bildung weiter zu bringen: er gab sie in ein Pensionat und besuchte sie nur Sonntags. Eines Sonntags nahm er uns mit. Die jungen Pensionärinnen hätten einen kleinen Ball, und wir sollten seine „kleine Frau“ tanzen sehen. Sie war bei Weitem die größte unter allen, tanzte aber zum Entzücken ihres Mannes mädchenhaft und graziös, wie der kleinste Backfisch. Wie glücklich war er damals, wie unbefangen im Zauberkreise der Neigung! Jede Stufe der fortschreitenden Schulbildung gab ihm Stoff zu lustigen Betrachtungen, besonders in Geographie und Geschichte. Daß sie die Reihe der ägyptischen Könige jetzt besser auswendig wußte, als er selbst, und daß sie ihn belehrt habe über den wunderlichen Vorfall mit der wollespinnenden Lucretia, das fand er reizend über die Maßen.

In so behaglicher Epoche seines Lebens hatte er das polemische Buch über Börne geschrieben, treu seiner innersten Natur, immer auf dem Kriegsfuße zu bleiben und für jede Stunde sich eines siegreichen Feldzugs fähig zu erweisen. Lächelnd gab er mir das Manuscript und war sehr erstaunt ob meiner Bestürzung. Ich war aus tausend Gründen dagegen. Zunächst aus strategischen im Sinne der liberalen Operationsarmee. Wozu diesen Zwiespalt der liberalen Kräfte enthüllen und erweitern?! Ganz ohne Noth und Zwang. Alsdann aus literarischen Gründen. Ich suchte ihm auseinander zu setzen, wie tief der Unterschied sei zwischen ihm und Börne, der Unterschied der Aufgaben und Fähigkeiten; daß Börne einen Parteikampf zu führen gehabt und mit scharfem Talente, mit unleugbarer Bravour geführt; daß Heine dagegen größere Fähigkeiten, größere Aufgaben zu lösen habe. Das Schicksal des Menschen, nicht blos das Schicksal des Staatsbürgers, sei ihm überantwortet für sein Talent und seinen Geist. Heine verleugne seinen weiteren Beruf, wenn er ohne dringende Nöthigung ein Duell aufführe wegen persönlicher Differenzen in untergeordneten Dingen.

Es war umsonst. Der Trieb nach persönlicher Rache, oder wenigstens nach persönlicher Genugthuung, war zu stark in Heine’s Naturell. „Aug’ um Auge, Zahn um Zahn“, war jüdisch-biblisch tief eingeprägt in sein Wesen. – „Nun denn,“ schloß ich nach tagelangen Debatten, „wenn Du also dem Gelüste absolut nicht [26] entsagen kannst, dann adle es wenigstens durch eine Zuthat, welche über Börne hinaus ragt!“

„Wie das?“

„Setze mitten in diese Invectiven hinein einen Berg, welcher Deine höheren und weiteren Anschauungen der Welt erhebend darstellt. Sein Inhalt wird den Lesern die Ueberzeugung einflößen, die Polemik vor und hinter diesem Berge sei eine leichte Zuthat, welche erklärt und entschuldigt werde durch Dein’ persönliches Bedürfniß, historisch vollständig zu sein, historisch aufzuräumen.“

Das leuchtete ihm ein. „Das ist der Rede werth!“ sagte er und ging fort. Und als er wieder kam, legte er die Hand über beide Augen, wie er zu thun pflegte, wenn er etwas reiflich Ueberdachtes aussprechen wollte, und sprach: „Mit dem ,Berge’ hast Du Recht. Ich werde ihn errichten.“ Und so sprach er nun Tag um Tag: „Der Berg ist angefangen! Der Berg wächst, der Berg erhebt sich!“

Dies war sein letztes Wort, als wir Abschied nahmen. Ich verließ Paris, ehe das Buch fertig, war, und war recht enttäuscht, als ich einige Monate später in Deutschland das Buch erhielt, und als angekündigten Berg darin nichts weiter fand, als die Freiheitshymnen aus Helgoland, welche er in die Mitte eingeschoben. Das war freilich meine Meinung nicht gewesen, so wohlfeil hatte ich mir den Berg nicht vorgestellt. Aber kleinlaut mußte ich mir doch auch eingestehen, daß man auf einen Künstler nicht einwirken könne, wie auf einen bloßen Schriftsteller, und daß Heine auf dem letzten Grunde seiner innersten Natur immer Künstler sei und bleibe, welcher nicht lehrsam sich äußern könne, sondern immer eine Strömung der Leidenschaft suche.

Sieben Jahre lang sah ich ihn nicht wieder. Nach den Stürmen, welche er durch das Börne-Buch über sich heraufbeschworen und welche ihm auch eine leichte körperliche Verwundung eintrugen in einem Zweikampfe mit Herrn Strauß, dem Gatten der von Heine verunglimpften Freundin Börne’s, kam ein längerer Friede über ihn. Er neigte wieder vorzugsweise dem Verse zu und künstlerischen Stoffen. Satirische Wendung erleichterte ihm den Uebergang. Er sandte mir plötzlich den „Atta Troll“ nach Leipzig zum Abdrucke in der „Zeitung für die elegante Welt“, welche ich redigirte. Im schönsten Manuscripte auf bestem Briefpapier. Seine Handschrift war sauber und erinnerte an eine Kaufmannshand, welche viel Allotria getrieben: bei ruhiger Abschrift ganz kaufmännisch fest und nur in starken Grundstrichen über den geschäftlichen Charakter hinausgehend, bei eiliger Zuschrift ohne diese Grundstriche und in dünne Undeutlichkeit hinfahrend. Ueberhaupt war von seiner Familie ein positiver Kaufmannsrest in ihm verblieben. Er war genau in Geldfragen, er berechnete Auflagen und Honorar sehr pünktlich, er machte mit Behendigkeit Ueberschläge, er speculirte unter classenmäßiger Eintheilung und Abtheilung des Publicums auf das Lese- wie Kaufpublicum, er that sich was zu Gute aus literarische Geschäftskenntniß. Die Leser seiner endlosen Briefe an Campe werden das mit Seufzen bemerken. Aber nach allen Vorbereitungen der Ziffern war doch ein Windstoß der öffentlichen Meinung, war irgend eine höhere Wendung der Dinge hinreichend, diesen ganzen Ziffernbau wie ein Kartenhaus in ihm umzublasen. Der Poet und der Gentleman sprangen dann auf in ihm und ließen jeglichen Streit um Geldvortheile ohne Beachtung. Aehnlich war er auch im übrigen Privatleben. Seinen Zuschnitt machte er sparsam, wenn aber der Tag ein kostspieligeres Bedürfniß herbeiführte, wenn ein bittender Anspruch ihn von Sorgen unbehelligt fand, oder wenn gar seine „kleine Frau“ einen Luxuswunsch verrieth, dann war er poetisch freigebig.

Ebenso war auch seinen mit fester Hand niedergeschriebenen Manuscripten nicht bis an’s Ende zu trauen. Das Ende heißt hier der Abdruck. Ehe der Abdruck vollendet war, regnete es Abänderungen, und das endlich druckreife Manuscript hatte bis dahin sein sauber gewaschenes Antlitz total verloren. Der gewissenhafte Herausgeber seiner „Gesammelten Werke“, die ja bekanntlich erst nach Heine’s Tod erschienen sind, hat zum Schrecken poetischer Leser diesem Heine’schen Bedürfnisse artistischer Correcturen Rechnung getragen und alle Varianten unter dem Texte angeführt. Hoffentlich nur für die erste Auflage!

Die Censur begünstigte diese Neigung Heine’s zu Varianten, indem sie ihn zu Aenderungen nöthigte. Der verstorbene Historiker Wachsmuth censirte den Atta Troll und entsetzte sich pflichtgemäß über zahlreiche Partien des satirischen Gedichts. Wachsmuth kennend und die Linie kennend, welche er einhalten mußte, schrieb ich immer Heine sogleich nach Empfang eines neuen Heftes: dies und dies wird gestrichen werden, sorge für Ersatz! – Und in kürzester Frist erhielt ich einen neuen Text. Manchmal hatte ich Wachsmuth’s niederdeutschen Charakter, der mitunter stark humoristische Accente vertrug, irrthümlich unterschätzt, und die Heine’sche Variante ist ungedruckt in meinen Händen geblieben. Ich hab’ es auch glücklicherweise unterlassen, sie dem Herausgeber der „Gesammelten Schriften“ mitzutheilen.

Erst im Frühjahre 1847 kam ich wieder nach Paris. Wie fand ich den Mann wieder, den ich als feisten Abbé des Lebenscultus verlassen hatte! Nie werde ich den Eindruck vergessen, als er mir zum ersten Male wieder vor Augen kam. Ich war irrthümlich in seiner Wohnung abgewiesen worden – er hielt seine Thür fest verschlossen – und er hatte mir geschrieben: um elf Uhr komme ich! In einem kleinen Hotel der Rue Daugivilliers beim Louvre hatte ich Unterkommen gefunden. Hotel und Straße sind verschwunden unter der Lichtmachung, welche Haußmann dem alten Paris angeordnet hat, damit der Luft, dem Lichte und den Kartätschen eine freie Bahn eröffnet werde. Mein Zimmer hatte die Aussicht auf den freien Platz zwischen dem neuen Louvre und der Kirche St. Germain l’Auxerrois, auf denselben Platz, welcher in der Julirevolution den blutigsten Kampf, die tapfere Vertheidigung der Schweizer, gesehen hatte. Der Blick war frei bis zur Seine hinüber. Dort hielt ein Omnibus an. Ein kleiner Mann kroch langsam aus dem Wagenkasten und tastete mit einem dicken Stocke vorsichtig über den Platz herüber. Die Frühlingssonne schien hell. Für diesen Mann nicht hell genug. Er blieb mehrmals stehen, rückte den Kopf in den Nacken zurück und griff mit der Hand an sein Auge. Mit den Fingern schob er sein Augenlid in die Höhe, es hatte nicht mehr die selbständige Kraft, sich aufzuschlagen – der in zwei Paletots gehüllte Mann suchte die Aufschrift meines Hotels. Der blasse Mann war Heinrich Heine!

Er trug sein Leiden mit großer Standhaftigkeit, ja er entwickelte kaltblütig die sicheren Fortschritte, die entsetzlichen Steigerungen und das schmerzhafte Ende desselben, und er entwickelte diese Zukunft ganz in der grausam witzigen Form, welche er in seinen Schriften den unangenehmsten Gegnern hatte angedeihen lassen. „Gerechtigkeit muß walten!“ sagte er mit zuckendem Lächeln, „und Ihr seht jetzt, daß Ihr mir immer Unrecht gethan, wenn Ihr meinen Kopfschmerz und meine Verstimmung so oft meiner moralischen Unart zugeschrieben habt. Ich war nie moralisch. Es war ein ganz physischer Leidenskrebs, der mich immer gezwickt hat und nun zerfleischt.“

In diesem Sinne hat er denn auch frühzeitig Testament gemacht. Seine Frau zu sichern, die er auch deshalb schon längst in gesetzlicher Ehe mit sich verbunden, seine Schriften zu ordnen und zu sammeln und seinen Nachlaß sicher zu stellen, dafür hat er schon ein Jahrzehnt vor seinem Tode Sorge getragen. Die Frau war ihm für die lange Leidenszeit ein unschätzbarer Trost. Diese sorglose Französin entwickelte die glückliche Gabe, an die drohende Zerstörung ihres Henri nie eigentlich zu glauben. Ihr lebensheitres Gemüth hielt alle drohenden Symptome für vorübergehend, und gerade solche zuversichtliche Lebenskraft war ein Segen für Heine. Diese Zuversicht ließ ihn jede ruhige Stunde ausnützen, sie tröstete ihn über das Schicksal der Frau selber, sie beglückte ihn auch im Elend. „So sind die Engel!“ pflegte er zu sagen, „sie brauchen keine Hypotheken, sie haben immer flüssiges Vermögen.“

Dennoch war damals noch nicht die Zeit für ihn gekommen, über den Tod und religiöse Todesgedanken zu sprechen. „Das kommt erst später,“ sagte er, „und dann wollen wir uns mit Goethe ’s Clärchen benehmen, wie wir können.“ – Er prophezeite ganz richtig: es dauerte noch gegen zehn Jahre, und erst in seinen letzten Jahren schrieb er mir lange Briefe über religiösen Glauben und sein Verhältniß zu Gott, Kirche, Tod und Unsterblichkeit, Briefe, welche mir leider verloren gegangen sind.

Damals – 1847 – sprach er noch gern von Politik, wie von einer Kunst, welche die französische Regierung systematisch betreibe. „Zu systematisch, zu doctrinär, zu karg und eigensinnig!“ sagte er von Guizot, welcher damals den Ton angab und den geistlichen starken Puritaner durchaus nicht zu verleugnen vermochte. Heine respectirte ihn, hatte aber gar keine Sympathie für [27] ihn und wunderte sich wohl, daß Guizot unter Franzosen so lange möglich war. Dennoch wies er zurück, was ich ihm erzählte von revolutionären Aeußerungen und Aussichten, die ich in den Estaminets gehört hatte. „In den Estaminets,“ rief er, „wo man schlechte Cigarren raucht und schlechtes Bier trinkt, da hört man immer solche Aeußerungen. Diese Leute hätten nichts, wenn sie nicht diese Aussichten hätten. Man kann doch nicht verlangen, daß sie Selbstmörder werden! Den kundigen Louis Philippe werden sie nicht überholen. Bei alle Dem,“ setzte er hinzu, „ist der französischen Weltgeschichte nie über Nacht zu trauen.“

Das war im Frühjahre 1847. Drei Vierteljahre später war der politische Himmel von Paris dicht bewölkt und es wetterleuchtete in den Nächten. Ich weiß, daß Heine auch noch um kein Haar anders sprach, als er im Frühjahre zu mir gesprochen, und daß er die plötzliche Vertreibung Louis Philippe’s einem plötzlichen Kriegsglücke der Republikaner zuschrieb. Die Schüsse auf dem Boulevard, die Ausbeutung derselben durch den geschickten Act „Man mordet uns!“, die nun erst entstehende wirkliche Erhitzung, die ungeschickten Befehle und Gegenbefehle in den Tuilerien, welche die bewaffnete Macht in’s Schwanken brachten, kurz die ewig unberechenbaren Zufälle einer sich jählings ausbreitenden Schlacht hatten unerwarteter Weise den alten König dem Kriegsglücke überantwortet, „Und für alte Leute“ – schloß Heine – „ist das Kriegsglück nur selten, Louis Philippe riß aus, und so kamen wir in die Republik, zu welcher in Frankreich jetzt immer noch die Republikaner fehlen.“

Heine hatte nie Passion für die Republik, obwohl er für sich ihre Freiheiten in Anspruch nahm. Er fürchtete ihre Nüchternheit, er empfand, daß in ihr die Gegensätze untergehen müßten, welche er für seinen poetischen Witz, ja für seine Poesie brauchte. Er fürchtete die schrecklich tugendhafte Prosa, und es war ihm sonnenklar, daß er unter Republikanern eine mißliche, ja gefährdete Rolle spielen müßte. Er dachte stets in erster Linie an seine Person, an sein persönliches Schicksal, wenn von Staatsformen die Rede war, und wenn man ihm dies vorwarf, so lachte er, und sagte: „Dies ist ja natürlich, und weil es natürlich, ist es auch richtig. Thäten dies alle Politiker, so entstünde nicht so viel Abstractes, Künstliches und Gemachtes, was keinen Bestand hat. Man soll naiv sein als Politiker wie als Poet. In der Philosophie soll sich das Bedürfniß der Denker ausdrücken, im Staate aber das Bedürfniß der Menschen.“

Er war überhaupt gründlich ein Realist. Sein Talent nur war durch Herkunft und Erziehung aus romantischer Atmosphäre mit idealistischen Hülfsmitteln glänzendster Gattung versehen. Und gerade dadurch erwuchs der Contrast in seinen Schriften, welcher Realisten wie Idealisten reizte, welcher ihn so außerordentlich populär machte und ihn zu einer neuen, eigenthümlichen Größe stempelte in unsrer Literatur.

Wenn man mit ihm politisirte, so sprach er praktisch wie ein amtirender Minister, allerdings wie ein poetischer Minister. Aber dies Poetische in seiner Ministerpolitik war Weitsichtigkeit, niemals Unklarheit. Es fehlte ihm keinesweges an der Definition einer Republik, die erstrebt werden könnte, aber er zeigte spöttisch auf die jetzt lebende Menschheit, welche noch hundert Gewohnheiten und Schwächen der absoluten Königszeit im Blute trage. Wie viel Aderlässe, Häutungen und Blutumwandelungen müßten da noch vorübergehen! Namentlich in Betreff der Eitelkeit. Die Republik werde und müsse die Eitelkeit auch befriedigen, aber die Eitelkeit werde einen veränderten Inhalt haben. Diese Veränderung gerade werde den Menschen sehr sauer. – „Und besonders Dir!“ rief ich. „Freilich!“ entgegnete er, „ausgezeichneten Menschen wird eine Veränderung immer am sauersten. Die Mittelmäßigkeit ist am leichtesten zu ändern, weil ihre Eigenschaften an und für sich verwischt sind.“

Ich schied damals von ihm mit dem Gedanken: Du siehst ihn wohl kaum wieder! Seine Krankheit hatte etwas Heimliches und Leises, welches an das giftige Lecken einer Schlange gemahnt; an jedem Morgen konnte plötzlich ein Hauptorgan seine Dienste versagen. „Sie stammt eben aus dem Lebensmarke!“ – sprach er trocken vor sich hin – „die Aerzte mögen mich trösten wie sie wollen, ich habe nichts zu erwarten als ein erbärmliches Siechthum. Wahrscheinlich voller Abwechselungen. Letzteres hat Einiges für sich. Wenn man plötzlich taub aufwacht, so vergißt man einige Zeit, daß man vorher schon blind gewesen ist. Und was hat’s für einen Zweck?! Gar keinen. Zu bessern bin ich nicht mehr, und Jehovah hab’ ich immer respectirt; er brauchte mich nicht martern zu lassen. Höchstens ist diese Passionsgeschichte eine Reclame für die Gesammtausgabe meiner Werke zum Vortheile Campe’s und meiner Frau.“

Kein Mensch kann’s leugnen: er trug sein grimmiges Schicksal sehr tapfer. Ach, und wie langsam kam es zur Hinrichtung! Acht Jahre später kam ich wieder nach Paris, und fand ihn (18ö5) noch am Leben. Aber wie! nur der Kopf war noch derselbe. Der ganze Leib war zusammengeschrumpft zum Gewicht eines Kindes. Man hob ihn mit einer Hand, wenn seine Lage im Bette verändert werden sollte. Er wohnte jetzt draußen in den elysäischen Feldern hoch oben unter Baumkronen. Es war Sommerszeit, und die Ausstellung wälzte den Menschenstrom unter seinen Fenstern vorüber; er sah nichts davon, aber er war nicht traurig, sein Kopf war völlig frei, so frei, daß es zum Erschrecken war. Witz und Frivolität waren ihm treu geblieben, und diese von unten auf absterbende Creatur, welche unter der Bettdecke nur noch ein paar Spannen zusammengezogenen Menschenleibes besaß, forderte mit ungeschwächtem Geiste den Schöpfer alles Menschlichen heraus. Die ganze Wahrheit zu gestehen: dieser letzte Eindruck war – abgesehen vom natürlichen Mitleide – sehr peinlich. Die Frau war, wie sie gewesen: gut, leicht in der Sorge, treu in der freundlichen Ausdauer, ein unerschöpflicher Schatz für ihn, und gegen die unsentimentale, fast lebenslustige Stimmung im Hause des unerbittlichen Absterbens hätte ich wahrlich nichts einwenden mögen. Warum soll sich der Mensch nicht auch beim hereinbrechenden Winter frisch und fröhlich einrichten für die todte Jahreszeit! Das stärkt eher, so wie Heine’s Gespräch über wichtige Lebensdinge, welches er auch mit immer geschlossenem Auge klar, scharf und schlagend führte.

Woher entstand also die Pein? Aus der Störung des harmonischen Gleichgewichtes, welches ein jedes Menschenwesen braucht. Jegliche Störung darin ist ein Schritt zur Fratze. Die geistigen, die physischen und die moralischen Kräfte eines Menschenwesens müssen in einem gewissen Gleichgewichte stehen, wenn dies Menschenwesen einen wohlthuenden Eindruck machen soll. Das war bei Heine nicht mehr der Fall. Unter der Bettdecke eine Mumie, außen ein Kopf, der ungeschwächt war und durch die frechsten Geistessprünge beweisen wollte, daß er unabhängig wäre vom ganzen übrigen Organismus, namentlich unabhängig vom Herzen. Man empfand mit Schauer, daß hier ein Riß im menschlichen Organismus vor Einem läge, daß dies grelle Geistesturnier etwas Gespensterhaftes hätte und in das Bereich der Caricatur geriethe.

Ist es im Kunstwerke anders? Braucht es nicht auch eine volle Harmonie seiner Theile? Und giebt es einen Poeten wie Heine, welchem so häufig und so wahrhaft vorgeworfen wird, daß er durch Mißtöne den Eindruck seiner Kunstwerke beschädige? Nein, es giebt keinen. Heine ist darin einzig. Und ich möchte sagen auf seinem Sterbelager enthüllte sich’s, wie tief dies in seiner Natur lag.

Freilich lag auch der Reiz seines Stils in dieser seiner Natur, in diesen unausgeglichenen Kräften. Der Zweifel und die Verneinung mögen eben so stark sein wie der Glaube und die Schaffung, die Harmonie wird gewahrt bleiben können. Aber der Hohn dazu und die Schadenfreude für die schönsten Empfindungen, für die heiligsten Stimmungen des Menschen, sie sind ein dämonischer Luxusartikel, welcher den Geist kitzelt und das Kunstwerk schwächt. Dies war Heine’s Natur.

Er wußte das selbst in guten Stunden, er zeigte das hinreichend in Gedichten reinster Harmonie. Aber der Dämon der Disharmonie war stärker in ihm als sein Wissen; Heine ließ ihm hohnlachend die Zügel schießen, und wenn man ihm bemerkte: Du verletzest dadurch Dein Kunstwerk, so antwortete er: Wohl! Ich wirke aber zehnfach mehr als all’ Eure Künstler. – Du wirkst, wie der falsche Theatereffect wirkt! – Ah bah!

Diese dämonische Eigenschaft liebkosend lebte er, schrieb er, starb er. An sie nestelten sich natürlich all seine bedenklichen Eigenschaften und moralischen Fehler, Eitelkeit, Rachsucht, Mangel an jeglicher Pietät und eigentlicher Vaterlandsliebe.

Wenn ihn deshalb die kleine Kritik ausschließen will aus der Reihe unserer ersten Dichter, so begeht sie doch eine Thorheit, welche zu Boden fällt. Ueber den gewissenhaften und schönen Gebrauch [28] großer Kräfte mag man rechten, die großen Kräfte kann man nicht hinwegleugnen und die großen Kräfte erzwingen sich stets einen ersten Platz.

Heinrich Heine hat eine Epoche gebildet in unserer poetischen Literatur, und zwar eine solche, welche durch neue Motive in der literarischen Kunst großen Einfluß, große Wandelungen mit sich gebracht. Sein Name ist dadurch unauslöschlich geworden in unserer Literatur. Warum sagst Du nicht unsterblich? höre ich ihn rufen. – Ich antworte : Ueberlaß das der Nachwelt, eitler Dämon!