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Autor: Sophie Hoechstetter
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Titel: Erinna
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aus: Vielleicht auch Träumen. Verse. S. 11–19
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: Müller
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Erscheinungsort: München und Leipzig
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Quelle: Princeton-USA* = Commons
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[11]

ERINNA

Die Küste von Naxos. Der griechische Dichter.
ERINNA, das fremde Mädchen.

ERINNA:
Was sag’ ich dir, es sind ja doch nur Worte
Und meine Seele ist’s, die nach dir schreit
Wie jene Menschen, die des Paradieses Pforte
Nicht wiederfanden, schrieen auf in Leid

5
Wer bin ich denn: ein ärmlicher Genoß

Für dich in hohen Ruhmes Hallen
Und du bist schön – und du bist groß,
Ich möchte dir zu deinen Füßen fallen
Und dir die Hände küssen und nur leise fühlen,

10
Daß du es duldest, wenn mein heißer Mund

Entdürstet und sich seine Gluten kühlen
Den Toten gleich im Meeresgrund.

Begegnung
Der Dichter kommt mit Freunden und Freundinnen.

ER:
Im Morgenglanz das Meer, silbern die Luft!
Stolz hebt sie die Segel der Barken

15
Im Morgenglanz, in Morgenluft

Werden wir neu erstarken.

[12]

Holt uns sie, die wie verstoßen
Von Herd und Genossen
So viele Tage schon einsam irrt,

20
Das Meer hat ihren Sinn verwirrt

Oh, so sagt ihr, daß auch bei uns
Göttergeheiligt der Fremdling ist.
Ruft sie – ruft sie zum Spiel und zur Freude
Nehmt sie in Eueren Kreis.

(Einige der jungen Mädchen holen ERINNA.)

ER:

25
Wer bist du? Trägst du Leid

Um eigen oder fremd Geschick?
Wir sahn dich all die Zeit
Mit trübem Blick
Über das Meer hinstarren

30
In Gram verharren.

Kommt dir der Freund von Fernen her
Kommt dir der Bruder übers Meer?
Sag uns, was dich bedrückt,
Dem Tag entrückt. –

ERINNA:

35
Nein, nichts von allem ist mir wahr.

Das Meer ist fremd, das Meer ist klar
Und stumm wie tiefste Nacht
Wird mir nichts bringen – hat nichts gebracht.

ER:
Ja wenn du einsam bist

40
So bleib’ in unserm Kreise,
[13]

Rast’ von der Reise
Bis dich dein Schicksal küßt.

ERINNA sieht erblassend auf die Mädchen,
die ihn zärtlich umspielen.

ER:
Wer bist du?

ERINNA:
In dieser Stunde nichts – in Ewigkeit vielleicht

45
Ein Blatt nur, das der Wind erbleicht.
Sie entflieht.

ER allein:
Du wunderliche Namenlose
Dem Schoße
Von Meer oder Erde einsam entstiegen,
Meine Gedanken müssen zu dir fliegen –

50
Du sahst mich an – und deine Lippe bebte

Du sahst mich an – in deinen Augen lebte
Ja fast der Zorn, als hätt’ ich dich gekränkt
Ich, der den Menschen Schönes nur geschenkt.

ERINNA

in der Nacht am Meer:

Vom Himmel taumeln Wandersterne

55
In blasser Ferne

Küssen sich Erden- und Meeresrand –
Ich hör’ in kühle Weite
Doch unter meinem Kleide
Glüht mein Herz in rotem Brand.

[14]

ER

sucht sie in der Nacht:

60
Weil du nicht kommst, du Fremde

Komm ich zu dir zur Nacht
Und biete dir die Hände
Als Freund, der mit dir wacht.

ERINNA:
Du bietest allen deine Hand

65
Und würfe sie das Meer wie Sand

Zu deinen Füßen nieder
Gibst allen deine Lieder.
Ich sang ein Lied für dich allein,
Es sollte einzig für dich sein –

70
Ich habe mich wohl Frevels vermessen

Bin kaum gekannt – vergessen.

ER:
Du bist Erinna?

ERINNA:
Weh mir, daß ich’s bin.

ER:
Oh komm zu mir, die Stunde will ich segnen

75
Da wir uns nun ein zweites Mal begegnen.


ERINNA:
Nein, laß mich gehn, laß mir das Ehrenkleid
Einsamen Schmerzes unentweiht.

[15]

ER:
Ich habe dich enttäuscht? Oh, meine Seele glüht
Noch jung, wenn auch der Leib verblüht.

ERINNA:

80
Wenn das Verblühen heißt, so hab’ ich dieses Wort

Bisher verkannt. Verblühen ist dann Glanz,
Ist Schönheit, Rausch – Entzücken –
Ja, dann verblüht die Sonne auch
Wenn sie im Frührot neu dem Meer entsteigt,

85
Dann altern auch Gestirne,

Wenn sie uns leuchtend grüßen durch die Nacht.

ER:
Und weßhalb willst du dann dich von mir wenden?
Ist’s, weil mit kinderfrohen Händen
Die Mädchen zärtlich mich umfassen?

90
Oh, nun versteh’ ich dein Erblassen

An diesem Morgen. Komm, Erinna, komm,
Gar manche Fackel mir verglomm,
Doch unsre Fackel soll die letzte sein,
Die wir den alten Göttern weih’n.

95
Komm, lange sehnt’ ich mich

Eh du mir nah
Komm, lange liebt’ ich dich
Eh ich dich sah. –

ERINNA:
Was sag’ ich dir, es sind ja doch nur Worte

100
Und meine Seele ist’s, die nach dir schreit

Wie jene Menschen, die des Paradieses Pforte

[16]

Nicht wiederfanden, schrieen auf in Leid
Wer bin ich denn? Ein ärmlicher Genoß
Für dich in hohen Ruhmes Hallen

105
Ach laß mich doch zu deinen Füßen fallen

Dir deine Hände küssen und nur leise fühlen
Daß du es duldest, wenn mein heißer Mund
Entdürstet und sich seine Gluten kühlen
Den Toten gleich im Meeresgrund.

ER:

110
Du Allerholdeste, ich neige mich vor dir,

Vor deiner Jugend, deiner Seele Mut
Die zu mir fand und auf das Schönste mir
Vertraut als gäb’ sie sich in Aphroditens Hut.
Du Allerholdeste, ja du hast mich verstanden

115
Du kamst, gelöst aus alter Sitte Banden

Und bringst mir dich. Ich will dir wiedergeben
Was du mir gabst mit meinem ganzen Leben
Die Einzige, die mir so ganz vertraut
Sei Freund und Schwester mir und Frühlingsbraut.

ERINNA

hilflos bewegt:

120
Durch schmerzverdunkelte Nacht

Klang mir dein Lied wie purpurner Rausch
Dein Lied ist deine Seele
Deine Seele liebe ich –
– laß mich sie küssen. –

ER:

125
Deine Seele will meine Seele küssen?

O Kind aus Märchenland,

[17]

Seelen, die zu einander müssen
Brauchen des Eros Band.
Steh auf von meinen Füßen

130
Komm, gib mir deine Hand,

Gib mir den Mund, den süßen
Mein Herz ist voll zum Rand.
Die ewigen Götter lieben die Freude
Und des Lebens Lust ist der Opferrauch

135
Den wir ihnen in Schönheit bringen

Und so bedeute
Uns dieser alte heilige Brauch,
Daß unsere Seelen zusammen klingen. –

Vereinigung

Wie Mandelbäume im Frühlingsblust

140
Sind wir mit Reichtum bedacht

Aus goldenen Schalen der Lust
Trinken wir still zur Nacht
Unser vermähltes Blut.

Epilog

ERINNA:
Sonst braucht’ ich Worte, brauchte die Geberde

145
Ein irres Kind der Erde

Die mich gebar
Und jetzt, Geliebter, sag’ ich dir in Küssen
Nicht nur die Liebe – alles was von Wissen
Und Tod und Nacht in meiner Seele war

150
Vermag sie stummen Mund’s mit dir zu tauschen

Deinem Herzen lauschen

[18]

Kann jeder Nerv des Körpers nun verstehn –
Du wirst nie wieder von mir gehn –
Wir suchten uns durch eine Ewigkeit

155
Und fühlt mein Blut nur deines Kommens Zeit

So weiß ich, daß es nichts gibt, was uns trennt
So weiß ich, daß im stillen Hain ein Altar brennt
Auf dem die blaue Flamme unsrer Leidenschaft
Gleich wie die Himmelsvenus glüht in Liebeskraft –

160
– Ja, wenn ich nur in dämmernder Nacht

Den Atem spüre, der dich hebt,
So weiß ich, in uns beiden lebt
Eine Seele, die alles vollbracht.

ER:
Du kamst zu mir, wie ein vergottet Abbild

165
Des eignen Jugendglühens – bist Erinnerung

Und Offenbarung mir in süßem Zweiklang –
Ich liebe dich, ich liebe dich,
Kein ander Wort weiß mehr mein Mund,
Kein andres Denken kennt mein Herz

170
Als das noch: du bist mein.

Und wenn ich weinen könnte, o so wär’s,
Daß ich dir nicht die erste Liebe dieses Lebens
Mehr geben kann. Aber Tränen
Hab’ ich nicht mehr. So goldenstill

175
In Süße hast alles du getaucht

Hast mich begnadet, daß ich nur noch bitte
Die Spindel, die den Lebensfaden
Uns trägt, sei fruchtbar
Wie der blaue Flachs des Feldes –

[19]
180
Du – du Geliebteste, doch bin ich stolz

Denn eines kann ich vor dir voraus:
Auf meinen Armen trag ich dich
Dem Wind entgegen
Trag dich dereinst durch Tod und Nacht

185
Und Weltenbrand

Zu letzter Lust