Textdaten
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Autor: Richard von Strele
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Titel: Erdbeeren
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 375–376
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Erdbeeren.

Von Richard von Strele.

Die Erdbeere ist uns allen eine liebe alte Bekannte von Kindesbeinen an. Wir haben sie selbst gesucht im sonnenlichtdurchsponnenen Walde, wir haben sie frisch vom Strauche genossen, eine nach der andern, wir haben sie an Halmen gleich Korallen aneinandergereiht oder in Sträußchen gebunden auf den Hut gesteckt; aber noch einen Fundort der Erdbeeren gab es für uns, zwar auch in einem Walde, aber nicht in dem von Birken und Buchen – im deutschen Märchen- und Sagenwalde.

Wie leuchteten der Kinder Augen, wenn Mütterchen in dämmernder Stube uralte Geschichten erzählte von dem Brüderlein und Schwesterlein, die auf die Beerensuche gingen und nun plötzlich einem Riesen, einer holdseligen Frau gegenüberstanden, wohl gar der Mutter Gottes selbst. In der Gegend von Männerstadt legt der Storch im Walde eingeschlafenen Kindern Goldperlen und die schönsten Erdbeeren in die Hand. In Tirol helfen die saligen Fräulein den Kindern Erdbeeren sammeln und pflücken so schnell, daß in einer Viertelstunde alle Körbchen gefüllt sind. Vom Laurathal bei Schlier erzählt man: Einmal verirrte sich im Walde, da, wo Fräule Laura gehen soll, ein Kind. Auf einmal kam ein warmes Lüftchen und es war da so grün und blühend wie im Frühling. Es sei gerade gewesen wie im Paradiese. Erdbeeren seien dagestanden in Hülle und Fülle und das Kind pflückte nach Herzenslust. Fräule Laura sei in diesem Garten schneeweiß spazieren gegangen. – Die Huzulen der Bukowina fabeln von der Dokia, welche durch die Stiefmutter gezwungen wurde, Erdbeeren zu suchen, ehe noch der Frühling gekommen. In einem Harzer Märchen helfen einem armen Stiefkinde Gott Vater, Gott Sohn und der Heilige Geist mitten im Schnee einen Korb voll dicker Erdbeeren pflücken. Auch die Erdweibchen in Effingen treten hilfreich auf. In Baisingen heißt es: „Waren Kinder im Walde und sammelten Erdbeeren. Da kam Christus der Herr und fragte: ‚Kinderchen, was habt ihr da?‘ – Sie sagten: ‚Nichts!‘ – Sagte Christus: ‚Nun soll es auch nichts sein!‘ Und seitdem sättigen die Erdbeeren nicht mehr.“ Und dieselbe Geschichte erzählt man an vielen, vielen Orten. Auch der Dichter Scheffel kannte sie, drum läßt er den St. Gallner Abt zu Hadwig, der Schwabenherzogin, sagen: „Das Studium der Wissenschaft ist dem jungen Menschen kein Zwang, kein lästiger, es ist wie Erdbeeren, je mehr man genießt, desto größer der Hunger!“

Die Erdbeere war als wildwachsende Pflanze längst bekannt, und schon in alter Zeit gehörte es zu den Freuden der Kinderwelt, in die Erdbeeren zu gehen. Schon ein Minnesänger jubelt:

set, dô liefen wir ertbern suochen
von den tannen zuo der buochen
über stock und stein –
der wîle daz diu sunne schein.“

Und im „Ruodlieb“ tragen die Kinder die roten Beeren in selbstgeflochtenen Weidenkörbchen heim. In den Karpathen der Bukowina fertigen die Beerensammler Tüten aus abgeschälter Tannenrinde an, ein Verfahren, von dem auch Rückert weiß: „Und die Tanne oder Linde giebt geduldig ihre Rinde, wenn die Näpfe fehlen.“ In dem finnischen Nationalepos „Kalewala“ spricht die Birke:

„Oft schon kamen zu mir Verlass’nem,
Zu mir unglückseligem Baum,
In den Tagen des Frühlings Kinder,
Knaben und Mädchen nahten sich,
Schnitten mit Messern meine Rinde,
Ritzten meine saftige Haut.
Böse Hirten an Sommertagen
Nahmen mir mein schimmerndes Kleid,
Schnitten Becher daraus zum Trinken,
Oder Körbchen zu Beeren gar.“

Aus Tannenzweigen flechten die Kinder an der Semmeringbahn ihre Erdbeerkörbchen, die sie den Reisenden zum Kaufe anbieten. In der Chronik der Grafen von Zimmern liest man: „So haben die edelleut von Dalburg, genannt die kemmerer, ein [376] hof zu Wormbs, da ist inen järlichs ein rath schuldig, uf den pfingsttag zwen rumpf uß ainer rinden gemacht, mit erpör zu geben und mueß die rumpf krom sein; mer ist inen der rath alda zu überantworten zwen new krum hefen mit kromen deckeln, auch voller erpör.“

Auf dem Königsstuhle zu Rhense nahm der Bürgermeister an einem Sommertage Erdbeeren als Abgabe in Empfang.

Wie beliebt die Erdbeere beim Volke ist, das ersehen wir auch aus den verschiedenen Rätselfragen und Redensarten, die von ihr im Schwange sind, und nicht nur bei den Deutschen. So sagen z. B. die Zigeuner: „Was ist das? Ein Mütterchen sitzt im Grünen, wackelt schläfrig mit dem Kopfe und hat eine rote Haube auf?“ – Das schweizer Rätsel lautet: „’s stot ame Reili, uf-em-e Beili und lot trolle en fürrote Chnolle.“ Aehnlich in Schwaben:

„’s sitzt etwas amme Rainle,
Es wackelt ihm sein Beinle,
Vor Angst und Not
Wird ihm sein Köpfle feuerroth.“

Seit dem 16. Jahrhundert ist die Erdbeere eine Kulturpflanze geworden. Da wurden die amerikanischen Erdbeeren nach Europa gebracht. Die Amerikaner sind auch heute noch hervorragende Erdbeerzüchter, und es soll in Amerika nichts Seltenes sein, wenn ein einziger Farmer täglich 500 bis 800 Quart auf den Markt bringt. Nach England kamen die amerikanischen Erdbeeren im Jahre 1629, nach Frankreich 1715, nach Deutschland erst später. Zu den besten Erdbeeranlagen gehören im Inselkönigreiche die von Aberdeen. In ungeheurem Maßstabe wird die Erdbeerkultur in der Umgebung von Paris betrieben, namentlich in Bagnolet. Von der virginischen oder Scharlacherdbeere, von der Ananas- und der Chile-Erdbeere stammen die unzähligen Abarten der Gartenerdbeeren. Auch die Walderdbeere wurde in die Gärten versetzt, wo sie zwar protziger, aber nicht geschmackvoller wurde. In Hohbergs „Kuchelgarten“ (1682) lesen wir über die Gartenerdbeeren:

„Es werden Erdbeer auch allhier nicht übel stehen,
Wo sich das Erdreich mag mit seinem Grund erhöhen,
Die Pröpstling sonderlich, dadurch der Mund erfrischt.
Das Herz erquicket wird, ganz rot, weiß untermischt;
Man pflanzet Erdbeerberg’; ihr viel’ sie also setzen,
Daß wie ein Weingebürg ihr Anblick kann ergetzen,
Getheilet spannenweit, auf Stäblein angemacht,
Fein angebunden dran und etwas hoch gemacht.“

Duftender und schmackhafter als die Gartenerdbeere ist jedenfalls die Walderdbeere. In seinen „Spätfrüchten“ singt Adolf Pichler:

„Sind wir denn so arm im Norden,
0 Haben gar nichts wir zu bieten?
Mit des Südens schönsten Blumen
0 Wagen’s unsre Alpenblüten.
Neben Pfirsichen und Trauben,
0 Deiner Villa Stolz und Ehre,
Möcht’ ich fast noch höher preisen
0 Das Arom der Walderdbeere!“

Die Erdbeere ist keine eigentliche Beerenfrucht; was wir als Beere ansehen, ist der fleischig und saftig gewordene Fruchtboden, in welchen die kleinen Trockenfrüchte eingeteilt sind, jene kleinen unscheinbaren Nüßchen, welche den Fleischkörper bedecken. Diese Nüßchen und die aus dem Wurzelstocke entspringenden, stets neue Wurzeln treibenden langen Ausläufer sind die Fortpflanzungskörper unserer Pflanze. In erster Linie haben wir die Arten Fragaria vesca L., die gewöhnliche Walderdbeere, und Fragaria collina Ehrh., den Bresling, ins Auge zu fassen. Sie sind es, welche in den Holzschlägen, an Rainen und Waldrändern wachsen, von armer Leute Kindern eingesammelt und uns in die Städte gebracht werden. In neuester Zeit wurde das Beerensuchen an vielen Orten als Forstfrevel mit Strafen belegt; ein Fürstenbergisches Dekret vom Jahre 1746 bestrafte übrigens das Beerensammeln bereits mit einem Reichsthaler Geldbuße oder mit dreitägiger und dreinächtiger Beturmung.

Unter den Beerensammlerinnen giebt es manchen Aberglauben. So bekränzen die Beerengängerinnen des Brockens die sogenannte Brautklippe, wenn sie in einem Sommer zum erstenmal zu derselben kommen, und glauben dadurch das ganze Jahr hindurch Glück im Auffinden der Beeren zu haben. Erdbeerenopfer kommen nach Jahn in Böhmen vor und nach Höfler opferte man den drei Jungfrauen, die in unterirdischen Gängen singen, drei Aehren oder man band den Kühen Körbe von Erdbeeren und Alpenrosen zwischen die Hörner „für die Fräulein“.

Die Frage, wie man die Erdbeeren genießen soll, wurde von Feinschmeckern vielfach erörtert.

Georg Hesekiel behauptet einmal, es gehe nichts über Erdbeeren, welche mit dem Saft einer süßen Orange befeuchtet sind. Erdbeeren in Burgunder tischt Dido bei Blumauer dem Aeneas auf. Bei Brillat-Savarin liest man, ein Gelehrter habe alle Zubereitungsarten übertroffen, indem er die gelbe Schale der Orange zufügt, die er mit Zucker abreibt. Bei den Göttermahlen auf dem Berge Ida sollen die Erdbeeren auf diese Weise zubereitet gewesen sein. Und Mörike schreibt in seinem Gedicht „Versuchung“:

„Wenn sie in silberner Schale mit Wein uns würzet die Erdbeer’n,
Dicht mit Zucker noch erst streuet die Kinder des Walds:
O wie schmacht’ ich hinauf zu den duftigern Lippen, wie dürstet
Nach des gebogenen Arms schimmernder Weiße mein Mund!“

Schimper ist für Wein und Zimmet.

Vossens Luise trägt „spanische Erdbeeren mit sahniger Milch“ auf. Das ist alter deutscher Brauch.

Gevatter Märten, in dem gleichnamigen Gedicht in kurhessischer Mundart, ladet die Kasseler Kurfürstin ein:

„Se muß zusaa’n, uns emol zu besuchen
Up ’ne suure Melch un Erdbeeren blos.“

In Karl Becks Dichtung „Meister Gottfried“ heißt es: „Ich bringe Weizenbrot und fetten Rahm, sie taugen stets zur Erdbeer wundersam!“ Daher auch die Redensart „Die Erdbeeren mit der Milch hinabschlucken!“

Daß die Erdbeeren auch in der Volksmedizin eine Rolle spielten, mag noch zum Schluß erwähnt werden. In der Schweiz giebt es sogar Erdbeerkurorte, z. B. Felsenegg-Churwalchen, Eigenthal. Der alte Linné hat mit Erdbeeren sein Zipperlein kuriert.