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Am dreiundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Phil. 3, 17–21.
17. Folget mir, lieben Brüder, und sehet auf die, die also wandeln, wie ihr uns habt zum Vorbilde. 18. Denn viele wandeln, von welchen ich euch oft gesagt habe, nun aber sage ich auch mit weinen, die Feinde des Kreuzes Christi, 19. Welcher Ende ist die Verdammnis, welchen der Bauch ihr Gott ist, und ihre Ehre zu Schanden wird, derer, die irdisch gesinnet sind. 20. Unser Wandel aber ist im Himmel, von dannen wir auch warten des Heilandes JEsu Christi, des HErrn. 21. Welcher unsern nichtigen Leib verklären wird, daß er ähnlich werde Seinem verklärten Leibe, nach der Wirkung, damit Er kann auch alle Dinge ihm unterthänig machen.

 WEnn man in dem heutigen Evangelium das Angesicht Christi ansieht, – was sieht man? das Antlitz eines heiligen Gottes, ja des heiligen Gottes, des Mannes von unsträflichem und unnahbarem Wandel, deßen Beispiel hehr und hell vor allen Augen sich erhebt und nicht weniger als das Wort Gottes, das ja von Ihm strahlt, ein Licht auf unsern Wegen und eine Leuchte unserer Füße genannt werden kann. Gar nicht nach dem Sinne weder der Juden noch der Herodianer, sondern ganz anders, weit erhaben über jede von ihnen nur angenommene Möglichkeit antwortet Er auf ihre Frage voll tückischer, lauernder, berechnender Klugheit: „Ist es recht, daß wir dem Kaiser Zins geben oder nicht?“ Wahrlich, Seine Antwort gleicht Seinem Wege, da Ihn die Juden steinigen wollten, Er aber mitten durch sie hinstrich, ohne daß ihre Augen, geschweige ihre Steine Ihn trafen. „Meine Wege sind nicht eure Wege, – meine Gedanken nicht eure Gedanken“, hieß es da. Sein grader, heiliger Gang findet sein Vorwärts, seine Durchgangspforte ohne den Dank der Menschen, und wer Ihm nachwandelt, dem geschieht nach dem Maße armer Sünder das Gleiche zu Seinem Preise: Seine Heiligen wandeln Ihm nach sicher und gienge es den Todesberg hinan, durch Todesthale und Grabespforten.

 Anschließend an das Evangelium redet auch die Epistel von Aergernis und seligem Beispiel. Laßet uns den schönen herrlichen Inhalt miteinander erwägen; ich denke, wir werden am Ende wohl gestehen müßen, daß der Sonne des Beispiels Christi nach das heilige Beispiel der Apostel wie ein lichter Mond wandelt, während die von St. Paulo verworfenen Aergernisse und bösen Beispiele sich an solchem Lichte wie Schlingen ausnehmen, die auf nächtlichen Wegen ausgebreitet liegen, die Heiligen zu fällen.

 Zuerst betrachen wir die Aergernisse, und haben wir sie hinter uns – wenn nicht im Leben (ach wäre es so!), so doch in der Betrachtung; so wollen wir uns an dem Abglanze von JEsu Sonnenglanz, am prächtigen, lichten Gang des Mondes, d. i. des apostolischen Beispiels weiden.

 Mit einem Worte bezeichnet St. Paulus V. 18. die bösen Beispiele, die üblen Vorbilder, er nennt sie „Feinde des Kreuzes Christi“. Damit schon hat man einen abschreckenden Schattenriß der Feinde. Wenn der Apostel die Leute, vor welchen er warnt, Feinde der Philipper, oder gar Feinde des menschlichen Geschlechts genannt hätte, er würde damit nicht so schwarz und abschreckend gezeichnet haben, als mit dem Ausdrucke „Feinde des Kreuzes Christi“. Dies Kreuz, an welchem der Eine Gerechte litt für die Ungerechten, an welchem der allmächtige HErr gebunden, ja angenagelt wurde, auf daß wir armen Sclaven der Sünde, des Todes und Teufels frei würden: dies Kreuz, von welchem, so dürr und grausam es aussieht, dennoch das Leben entsproßen ist, das am Baum der Erkenntnis Gutes und Böses verloren gieng, – dies Kreuz, nicht schön an Gestalt, wie es ist, muß sich dennoch allen Herzen empfehlen, ist auch| allen Christen von Anfang an empfohlen gewesen, geliebt, gelobt von allen. Wie kommt es denn, daß St. Paulus gewisse Menschen, – welche doch unter den Christen wandeln mußten, sonst wäre die Warnung unnöthig gewesen, – Feinde des Kreuzes nennen konnte? Das ist die Frage. Die Antwort ist folgende. Es hat niemals, seitdem der HErr am Kreuze erblaßte, an Leuten gefehlt, welche kein Wohlgefallen an diesem Kreuze fanden. Zu Pauli Zeiten gab es unter den Judenchristen eine auch in diesen Vorträgen schon oft bezeichnete Partei, welche Feinde des Kreuzes Christi waren, so wie es St. Paulus predigte. Bei Paulo hieß es: „Es sei ferne von mir rühmen, denn allein von dem Kreuze JEsu Christi, durch welches mir die Welt gekreuzigt ist und ich der Welt.“ Er wollte, wenn von des Menschen Weg zur Ewigkeit und zu dem ewigen Heile die Rede war, gar nichts wißen als von den Leiden Christi am Kreuze: die allein, von Gott angenommen als für uns geschehen, von den Menschen in Armuth des Geistes, allein im Glauben ergriffen, waren in Pauli Augen die Ursache des Heiles. Außer dem Kreuze erkannte er kein Heil. Dagegen wollten jene Judenchristen dem Gesetze und der eigenen Kraft des Menschen es zu halten, eine Stelle auf dem Heilswege gesichert wißen. Nicht allein Christus, nicht allein Sein Leiden und Sterben, sondern auch die Unterordnung unter das Gesetz von Seiten des sündigen Menschen, die Beschneidung und all der äußerliche, dem Menschen mögliche Gehorsam sollte etwas vor Gott gelten. Damit aber traten sie eben dem HErrn und Seinem Kreuze zu nahe. Dies steht einsam, erhöht allein, erhaben allein. Jeder Zusatz ist ihm feindlich. Wer irgend etwas zusetzt, der ist schon ein Feind des Kreuzes Christi, nimmt von dem Kreuze den vollen Segen nicht, gibt ihm nicht die ganze Ehre, verdunkelt seinen Glanz und das Heil des Menschen. So faßt es St. Paulus und hat damit ganz und gar Recht. Es ist und bleibt eine höchst gefährliche und verdammliche Sache, wenn man dem Kreuze etwas zur Seite stellen will. Neben Christo können nur Schächer und Missethäter hangen; Er alleine ist es, zu dem die Schächer am Kreuze beten und von Ihm Sein Gedächtnis erflehen können. Nacht und Elend breitet sich über alle Seelen, deren Blick von dem sterbenden Auge JEsu sich wendet, wohin es auch sei. Einfach und allein zu Ihm wende dein Herz und dein Auge, und nenne kühnlich jeden einen Feind des Kreuzes Christi, der, wie jene Judenchristen, Zusatz zum Kreuze findet. Die ganze judenchristliche Richtung erstarb und mußte ersterben, weil sie nicht St. Pauli Weg wanderte; es muß erst kommen die Kirche von Judenchristen, die, weil sie allein an Christo, dem Gekreuzigten bleibt, auch selbst bleibt und in die Klarheit geht, welche ihr Christus, Seine Propheten und Apostel für das Ende der Tage verheißen.
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 Der heilige Apostel bezeichnet jedoch die, welche Aergernis für die Philipper gaben, nicht bloß als Feinde des Kreuzes, sondern, könnte man sagen, indem man den vollen Gegensatz hinstellt, er beschreibt sie als Freunde und Knechte des Fleisches. „Sie suchen das Irdische,“ sagt er, oder: „sie haben nichts anderes im Sinne als Irdisches.“ Indem sie das Kreuz allein nicht wollen, indem sie das Gesetz und die alttestamentliche, äußerliche Gesetzlichkeit hegen und pflegen wollen, wollen sie im Grunde nur ihr nationales, jüdisches Wesen und ihre angeerbte Besonderheit unter den Völkern aufrecht erhalten. Indem sie dies ihr eigenes Wesen, ihre im Neuen Testament bedeutungslos gewordene Beschneidung und das ganze damit zusammenhängende Ceremonialgesetz den Heiden zumuthen, wollen sie ihre nationale Besonderheit, zu einer allgemeinen Lebensbedingung, zu einer und zwar zur alleinigen Pforte für alle machen, welche zu dem aus Israel hervorgegangenen Heiland kommen wollen. So eifern sie für das Ihrige, für Irdisches, Vergängliches, als wäre es für Alle und für alle Zeiten gegeben. Man könnte sich nun allerdings denken, daß diese Menschen für ihr zähes Halten an dem Gesetze auch edlere, sogenannte edlere Gründe gehabt hätten, Gründe, welche einige Achtung abnöthigten und billige Beurtheiler zur Entschuldigung zwängen. Allein entweder war es nicht so, oder der Apostel wollte in der hohen Sache und bei dem um sich freßenden Uebel nicht entschuldigen, das Aergernis nicht bemänteln; sondern im Gegentheil ihm alle Hüllen rauben, es in seiner Abscheulichkeit bloß und abschreckend zeigen. Darum braucht er gewaltige Worte, Worte, die man nicht Schelt- oder Schimpfworte nennen darf, weil sie vollkommen wahr sind und sein müßen. „Ihr Gott ist der Bauch,| spricht er. „Ihre Ehre ist in ihrer Schande,“ fährt er fort. „Ihr Ende ist das Verderben,“ weißagt er. Es wird wohl auch nicht anders gewesen sein. Wenn man mit dem Judentum völlig brach, nicht weil man es verachtete (es ist ja das größte vor Christo gewesen!), sondern weil es ausgedient hatte, weil es in Johanne dem Täufer zu bekennen hatte: „Ich muß abnehmen, Christus muß zunehmen“; so hatte man alle Juden geradezu gegen sich. Da wurde man excommunicirt, da trat eine Scheidung ein, welche auch für alle zeitlichen Verhältnisse höchst folgenreich war, eine Scheidung, welche man vermeiden konnte, wenn man bei der Hinwendung zu Christo auch noch das gesetzliche Wesen mitmachte und dadurch das Christentum nur als eine besondere Richtung innerhalb des Judentums erklärte. Es gieng den Judenchristen gerade wie heut zu Tage auch vielen Christen. Die Verhältnisse gestatteten es nicht, paulinisch zu denken; es war zuviel zu verlaßen und aufzugeben. Allein diese Verhältnisse nannte eben Paulus Bauch, Schande, Verderben der von ihm bezeichneten Leute; ihre Feßeln, ihren Einfluß nannte er Götzendienst. Die Ehre, in welcher man sich dadurch hielt, daß man ihnen fröhnte, nennt er eben Schande, – und das Ziel, was damit erreicht werden würde, nennt er Verwesung, Verderbnis und Verdammnis. Freilich! Es war ja nicht anders. Warum muß denn im Neuen Testament das Alte festgehalten werden? Damit man nicht Amt und Brod verliert, damit der Bauch versorgt wird! Warum kann man sich nicht lauterlich mit Verachtung aller eigenen Gerechtigkeit zum Kreuze halten? Weil man nicht bloß das Brot, sondern auch die Stellung, die Ehre verlieren würde. Man will sich doch nicht so gar zur Verachtung derer machen, unter denen man bisher einen guten und klingenden Namen gehabt hat. Allein was ist die Ehre bei den Menschen, wenn sie um den Preis der Wahrheit und Lauterkeit erkauft wird? Wenn nun der Richter kommt, mit dem kein Spaß noch Spott zu treiben, wie dann? Was wird aus der Ehre werden? Wer Mich ehret, spricht Er, den will Ich wieder ehren; wer Mich verachtet, den will Ich auch verachten. Da geht denn alles Gute, alle Ehre schon hier zeitlich unter; es endet alles miteinander [i]m Grabe; der Leib und Bauch, für den man sorgte, – das Ehrenkleid und alle Ehre – nimmt da ein Ende – und jenseits, und bei der Wiederkehr des HErrn gibt es Verdammnis. – Das ist das Ende der Feinde des Kreuzes Christi und da hinein reißen sie alle, auf die ihr Beispiel Einfluß fand. Sie werden nicht selig und Andere laßen sie nicht selig werden. Darum warnt auch St. Paulus vor ihnen so ernstlich, so oft, so bewegt. So ernstlich, denn du hörst ja seine gewaltigen Worte, mit denen er alle Hüllen der Selbstsucht zerreißt; so oft, denn du liesest ja, er habe es den Philippern oft gesagt, was er hier wiederhole; so bewegt, denn er spricht ja: „nun aber sage ich auch mit Weinen.“ Also war er bei seinen ernsten Worten nicht selbst von fleischlichem Eifer hingerißen; sonst würde ein solcher Mann nicht sagen: „ich habe es euch oft gesagt“; er würde seine starke Warnung vielmehr zurückgenommen haben, anstatt sie zu wiederholen. Also war er auch nicht von Haß beseelt, denn der Haß weint nicht; die Liebe kann weinen und das Erbarmen preßt Thränen aus. Warum weint denn der Apostel, wenn nicht entweder aus Liebe zu den Verführern der Philipper oder zu den Philippern selbst, die in Gefahr waren, verführt zu werden, oder gar aus beiderlei Drang der Liebe? Seine Thränen sind eine Wiederholung der Thränen Christi bei Jerusalem, da Er sah, wie wenig sie bedachten, die Kinder Jerusalems, was zu ihrem Frieden diente. Seine Thränen waren darum heiß, heißer als Kohlen auf dem Haupte, und da sie fielen, konnten sie, wenn auch nicht die Häupter, so doch die Herzen der Philipper treffen und eine mächtige Anmahnung werden, der Warnung zu folgen, von welcher der apostolische Mund troff, während seine Augen gleichfalls troffen.
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 Meine Brüder und Schwestern. Ich glaube den zweiten Theil meines Textes und meines Vortrages nicht antreten zu dürfen, ohne eine, wenn auch nur kurze Anwendung von unserem Texte gemacht zu haben. Ich meine, die Leute, welche St. Paul als böse, ärgerliche Beispiele hinstellt, werden in gewissem Sinne zu denen gerechnet werden können, welche wir „Halbe“ zu nennen pflegen. Diese Halben, welche in ihrer großen Klugheit nach zwei Seiten hin sich mit Theilnahme bewegen, sind jetzt noch, wie zu des Apostels Zeiten, unter allen die ärgerlichsten und ihr Einfluß ist jetzt wie immer der gefährlichste. Kein| maßloser Schwärmer, kein Ketzer, kein offenbar Abfälliger hat jemals den Einfluß gehabt und den Fluch gebracht, wie der Halbe, der mit dem Scheine der allseitigen Gerechtigkeit und Billigkeit zugleich einen andern Schein verbindet, den nämlich, als habe er einen besonders gedeihlichen und gesegneten Weg eingeschlagen. Ihr Bauchdienst, ihr Ehrgeiz, ihr zum Ziele des stillen gemächlichen Lebens strebender Fleiß gefällt allerlei Menschen und sie bilden die sogenannte gerechte, in der That aber falsche Mitte, von der ein falsches lateinisches Sprüchwort sagt, daß selig sind, die die Mitte halten; von denen es im Sinne unsers Textes in der That aber richtiger wäre, zu sagen: „Verdammt sind die Halben.“ Ein starkes Wort, wie ich fürchte, aber wie ich glaube, nicht stärker als wahr und angemeßen dem apostolischen Sinn und mächtigen starken Ausdruck gegen die Halben.

 Gegenüber den falschen, ärgerlichen Beispielen der Halben stellt der Apostel sein eigenes Beispiel: „Seid meine Nachfolger, lieben Brüder, so schreibt er, und sehet auf die, welche also wandeln, wie ihr uns habet zum Vorbilde.“ Hierin spricht sich St. Pauli gutes Gewißen aus, ein gutes Gewißen rücksichtlich der Lehre, rücksichtlich der Absichten, rücksichtlich des Wandels. Gutes Gewißen nenne ich es, nicht Hochmuth, daß St. Paulus also redet und reden darf. Wäre wirklich in seinem Wort und in seinem Wandel etwas gewesen, damit man ihn der Unlauterkeit und vorhandener falscher Absicht hätte zeihen können: er würde es wohl unterlaßen haben, sich selbst zum Vorbild aufzustellen und andere zur Nachfolge aufzufordern. Es bedarf aber hoffentlich bei uns keiner Vertheidigung, die wir vor einem Apostel JEsu die größte Ehrfurcht haben, an seine Demuth und Lauterkeit glauben und überdies durch eine genauere Erwägung seiner Worte die verstärkte Ueberzeugung gewinnen, daß wir an ihm das nachahmungswertheste Vorbild haben.

 Gegenüber den Feinden, vor welchen er warnt, hätte St. Paulus sich vor allem einen Freund, einen Liebhaber des Kreuzes Christi nennen und die Philipper auffordern können, vor allem in der Freundschaft und Liebe des Kreuzes ihm nachzufolgen. Allein davon sagt er nichts. Was braucht er sich seiner Liebe zum Kreuze zu rühmen, wegen welcher nicht bloß die Philipper, sondern alle Christen auf ihn das Auge gerichtet haben? Es war in Pauli Leben viel Auffallendes im besten Sinne, viel Hervortretendes, Unleugbares; aber gewis war nichts augenfälliger, nichts bekannter, nichts anerkannter als sein, alles menschliche Verdienst ausschließender, Ruhm und Preis des Kreuzes Christi. Davon kann er ganz schweigen. Seine Feinde wißen das so wohl, daß sie es ihm zum größten Fehler anrechnen. Seine Freunde hingegen erkennen denselben Umstand als größte Tugend, als leuchtendsten Vorzug Pauli an. Sie fühlen es auch nicht bloß durch, daß eine Nachfolge Pauli ohne gleiche Lust und Liebe zu Christo und Seinem Kreuze gar nicht denkbar war; sie sind sich’s bewußt, sie verstehen seine Rede nicht anders; sie werden ohne Zweifel es einander selbst haben sagen können und gesagt haben, daß kein Nachfolger, sondern ein Feind, ein von ihm selbst bemistrauter und angefochtener Feind sein müßte jeder, der ein Feind des Kreuzes Christi genannt werden konnte. Feinde des Kreuzes JEsu können keines Apostels Nachfolger sein, geschweige Pauli, deßen ganzes Wort, seine Schrift und sein Leben sich ums Kreuz gläubig und liebend rankt, wie die Rebe um die Ulme.

 Von seiner Liebe zum Kreuze und dem Beispiele, welches er damit gab, schweigt also der Apostel zunächst; aber sein Schweigen ist beredt genug, sein Leben redet mit lauter Stimme. Gegenüber dem andern Inhalt her Bestrafung seiner Feinde redet aber der Apostel Worte voll erhabenen, feierlichen Ernstes. Von den Feinden hatte er gesagt: „sie suchen das Irdische“. Dem gegenüber spricht er die allbekannten Worte: „Unser Wandel aber ist im Himmel.“ „Unser Wandel“, d. i. unsre Bürgerschaft, unser Bürgerrecht, unser Handel und Wandel, unsre Heimath. Der Apostel kann der Lehre vom Kreuze anhangen, auch wenn er darüber das Zeitliche verliert, auch wenn er bei den Juden an Gut und Ehre verarmt. Warum? weil er eine Stadt hat, die von Gott erbaut ist, das himmlische Jerusalem, und in demselben eine unveräußerliche Bürgerschaft, ein Heimathsrecht, das ewige, unverwelkliche Vortheile gewährt. Das Kreuz Christi ertödtet freilich alles Irdische, auch den Sinn für das Irdische, aber es sichert als Verdienst JEsu eine ewige und selige Heimath zu. Zu dieser ewigen Heimath strebt der Christ, der unter dem Kreuze lebt: los von eigener Gerechtigkeit,| voll Demuth und Beugung, erkennt er dennoch in Hoffnung sich als ewigen Besitzer eines unendlichen Besitzes. Abgestorben für das Zeitliche ist er lebendig für das Geistliche und Ewige und damit recht geeignet, für andere ein Vorbild zu werden in geistlicher Armuth und geistlichem Reichtum, im Nichtshaben und Alleshaben, in Demuth und hochgemuthem Wesen. Wie können vor solchem wahrhaft heiligen und salbungsvollen Beispiele die Feinde des Kreuzes bestehen?

 Der Apostel verfolgt übrigens die von ihm gegebene Beschreibung des bösen Beispiels seiner Feinde noch weiter, und zwar so, wie eine Parallellinie neben der andern einherläuft, ohne je von ihr zu weichen oder sich ihr zu nahen. Von den Feinden sagte er, ihr Bauch sei ihr Gott – ihr Ende aber sei Verderben, Verwesung, Vernichtung, Auflösung des Götzen in Unrath und Nichts. Dagegen, dem gegenüber redet er von einer „Verklärung seines nichtigen Leibes, daß er ähnlich werde dem verklärten Leibe Christi“. Er, St. Paulus, und die ihm nachfolgen, sehen auf den Leib nicht; ihn kleiden, ihn speisen, ihn erhalten – ist bei ihnen eine untergeordnete Nebensache, welche vor dem Bekenntniße des Kreuzes Christi und vor dem Ruhme der ewigen Vaterstadt und dem Trachten nach ihr weit in den Hintergrund tritt. Dem Alltagssinn und Götzendienst der Bauchdiener, der Sorgensclaven, der Anbeter eines gemächlichen Leibeslebens gegenüber kann es gar keinen kräftigeren Gegensatz geben, als den der fröhlichen Armuth derer, die auf Erden nichts bedürfen und nichts suchen, vielmehr jeden Mangel gerne tragen, weil sie doch ewig geborgen sind. Und wie nun hier auf Erden schon ein geistlicher Gegensatz der Seelen sich zeigt: so wird sich je länger, je mehr auch ein ewiger, leiblicher Gegensatz entwickeln. Der Götze des leiblichen Lebens, der Bauchdienst endet zu seinem Hohn und Spott nicht bloß hier in Verwesung, – das würde noch nicht genug Gottesspott auf solch ein Leben sein: nein, es kommt am Tage der Wiederkunft Christi ein Verderben, eine Verdammnis auch des Leibeslebens, welcher gegenüber die Verwesung nur ein schwaches Vorbild sein wird. Was wird dann jenen Sclavenseelen des Bauches an jenen großen Tagen gegeben werden? Doch kein Leib der Herrlichkeit, doch keine Leiblichkeit auch nur wie die hiesige; doch gewis nur eine Verderbnis, eine Verdammnis, d. i. ein Leben des Leibes, das Tod sein und im Elend der Verwesung und abscheulichsten Verworfenheit sich abmühen wird, nicht zu sein, was es ist, und doch ewig nicht aufhören kann, ein Verderben zu sein. Dagegen wird denen, welche hier zuerst getrachtet haben nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit, eine Leiblichkeit zufallen, die im Vergleiche zu diesem nichtigen, geringen Leibe, wenn sie nicht gewis und wesentlich Eine und dieselbe mit ihm wäre und wenn nicht eine unvertilgbare Ueberzeugung davon jedem Seligen gegeben würde, das reinste Gegentheil und etwas ganz Anderes zu sein scheinen würde. „Aehnlichkeit mit dem verklärten Leibe Christi“, – großer Gott, wer könnte das nur nach dem, was wir an Christo während Seines vierzigtägigen verklärten Erdenwandels nach Seiner Auferstehung warnehmen können, ich will nicht sagen „faßen“, sondern nur glauben, wenn nicht der Apostel ausdrücklich auf die göttliche Kraft Christi hinwiese: „damit er kann auch alle Dinge sich unterthänig machen“. Wir wißen, daß wir Christo auch in Seiner Auferstehung dem Maße der Verklärung nach nicht gleich werden können. St. Paulus sagt, es werde ein jeder Stern und jeder Leib seine eigene Klarheit haben. Leuchtet Christus wie die Sonne schon auf dem Berge der Verklärung, geschweige in Seinem neuen Leibesleben nach der Auferstehung; so können wir doch nicht in gleichem Maße leuchten und verklärt sein. Nicht gleich, aber doch ähnlich werden wir Ihm sein. Aber auch das ist groß und schön, eine Aussicht für die armen Dulder im Leibesleben hier auf Erden, die entzücken kann, die auch zur Nachfolge Pauli reizen kann. Da ist dann keine Verwesung, keine Verderbnis des Leibes mehr, sondern eitel Klarheit – und wie wir dazu setzen müßen, eitel Ehre und Herrlichkeit.

 Wie kann eine solche Verklärung ohne Ehre und Herrlichkeit abgehen? „Ihre Herrlichkeit, ihre Ehre ist in ihrer Schande,“ bezeugt der Apostel von denen, die er als Aergernisse und warnende Exempel hinstellt. Was Schande ist, haben sie zur Ehre verkehrt, nemlich eben ein Leibesleben in Gemach und Bequemlichkeit statt Hingabe der Glieder und des ganzen Leibes zum Opfer Gotte. Da wird ihnen| was sie begehren, so weit es Gott zuläßt, und wenn sie haben, wonach sie hungerte und dürstete, so wird es in Zeit und Ewigkeit auf den Weg des Verderbnißes von Gottes Hand gebracht. Anders die Nachfolger Pauli. Sie erwarten vom Himmel her den Heiland JEsum Christum, den HErrn. Darauf warten sie im Leben, darauf entschlafen sie im Sterben; auch ihr Leib ruht in Hoffnung von Erwartung der Wiederkunft des HErrn. Endlich kommt ER, – sie stehen auf, oder werden in der letzten Zukunft Christi verwandelt, – ihr Leib blüht neben dem Leibe des Erlösers, – wie die Planeten vom Lichte der Sonne leben sollen, so leben sie dann ganz von Seinem Lichte, Seinem Verdienste, dem Erfolge Seiner blutigen Leiden, dem Leben, das ER in ewigen Ehren bei Seinem Vater fand. Das soll keine Ehre sein? Christus, Seine Engel, Seine Seligen und Heiligen werden einen Menschen, dem es so ergeht, beglückwünschen, – die Himmel werden sich freuen über solche Verklärung eines Sünders: und das sollte keine Ehre sein? Der Teufel, seine Engel, alle verlorenen Seelen werden knirschen ob solchem Verlust, nach solcher Herrlichkeit langen und sie nie erlangen, darnach sich sehnen, ohne je Erhörung zu finden: und was selbst die Hölle so sehr anerkennt, soll keine Ehre sein?

 Meine Brüder, ich bin der Meinung, St. Pauli Beispiel konnte einen nüchternen Menschen wohl anziehen, daß man ihm nachfolgte, wäre es auch nur, um gleicher Herrlichkeit theilhaft zu werden. Wenn die entschiedene Freundschaft Christi und die ausschließliche Liebe zu Seinem Kreuze, dazu der Wandel für die ewige Zukunft, das Leben in Glauben und Hoffnung, solche Ziele, solche Gnade, solchen Preis findet; wer, sollte man denken, mag denn nun lieber den Halben, den Feinden des Kreuzes Christi folgen? „Sollte man denken“ – wohl gesprochen; denn in der Wirklichkeit ist es anders. Ein Blick in die tägliche Erfahrung, die Betrachtung der Anziehungskraft der bösen Beispiele und des Widerstands menschlicher Herzen gegen die Kraft des guten Beispiels kann einem jeden begreiflich machen, wie St. Paulus über die Feinde des Kreuzes Christi, über die Halben, die bösen Beispiele bittere Thränen weinen konnte. Was man im Glauben faßen muß, bewegt die Seele nicht in dem Maße wie auch nur der eigene Wahn, selbst wenn er alles Antheils an der Wahrheit bar und offenbar thöricht ist. Darum ziehen auch Glaubensbeispiele so gar wenig an. Darum mahnt der Apostel so vergebens: „Welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.“ –

 Selbst traurig, könnte ich zum Schluße eilen und schweigen, – die Beispiele, gute und böse, ziehen und bewegen laßen, wie viel oder wenig es sei; ich kann und weiß ja nicht zu ändern, was von Anfang der Sünde her so geworden und gewesen ist. Aber ich kann nicht unterlaßen, euch noch eine Klage vorzubringen, – eine Klage, die ich oft und viel im Herzen habe und ihre Regung spüre. Alle Welt sieht, daß menschliche schlechte Beispiele so mächtig verderben; dennoch können so viele immer und immer wiederholen, daß man kein anderes Vorbild als Christum nehmen und von allen menschlich guten Beispielen absehen müße. Woher sie die Beweise für ihren Satz nehmen wollen, weiß ich nicht. Die Schrift einmal enthält keinen Beweis, wenn man nicht, worin freilich viele in unsern Tagen Meister sind, Gottes Wort in die Schule nehmen und es reden laßen will, was einem beliebt. Die Symbole der Kirche können als solche keine Beweise liefern, weil allein die Schrift Beweiskraft hat, aber keinerlei Tradition zur Ueberweisung der Gemüther dienen kann. Könnten sie beweisen, wir wollten nicht verlegen sein, Beweise zu liefern, da die Vorrede des Concordienbuches und andere Stellen deutlich davon reden, daß kaiserliche Majestät dem König David, andere Christen andern guten Beispielen verstorbener (oder auch lebender) Heiligen folgen sollen. Auch ist alle Welt, so weit die Wolken gehen, einig, daß man gutem Beispiel folgen soll und kann. Warum soll man denn den frommen Menschen nicht nachfolgen? „Seid meine Nachfolger,“ ruft St. Paulus. „Schauet ihr Ende an, folget ihrem Glauben nach,“ ist ein anderer Spruch der Schrift, wie bereits erwähnt. Zwei Sprüche reichen hin, das Herz zu erleuchten, gewis zu machen und für den Eindruck vorzubereiten, welchen die Ebr. 12, 1 ff. aufsteigende lichte Zeugenwolke, diese herrliche Wolke der Nachfolge menschlich frommen Beispiels macht, welcher so oft durch Worte des Alten und Neuen Testaments hervorgebracht wird. Prüfe alle Beispiele mit feinem| Auge und mit jenem Verstande, welcher aus dem milden, sanften, schonenden Lichte des achten Gebotes hervorkommt. Wenn du aber irgend ein löbliches Beispiel findest, so folge ihm treulich nach. Es ist kein Mensch, auch kein Heiliger, untadelich, keiner ein Ideal; aber ist irgend wo eine Tugend, irgend ein Lob zu finden, dem folge nach. Sei versichert, daß fromme Seelen nur durch Christi Gnade fromm und heilig sind, und daß du im Grunde nur Christo folgst, wenn du dem frommen Beispiele Seiner Heiligen folgst. Sein Licht ist es, was vom Monde und den Sternen strahlt wie von der Sonne, und wer in Sein Bild verklärt wird, in dem soll man auch Sein Bild ehren und lieben, wie man in Ihm selbst des Vaters Bild erkennt. „Pilippe, wer Mich sieht, der sieht den Vater“, das ist ein Spruch, aus dem auch folgt: „Wer Mein Licht in den Heiligen Gottes findet und sieht, sieht das Licht Meines Angesichts.“ Darum nur vorwärts und nur allen nachgefolgt, die Ihm nachfolgen, so weit sie Ihm nachfolgen, und nur hineingegangen mitten in den Zug und das Leben und die Gewohnheit Seiner Heiligen, Seiner Kirche. Die Kirche wird niemand irre führen, so lange und so weit sie Gottes Wort und Christi Fußstapfen folgt. Ach, folgte man ihr nur zu Christo und mit ihr Christo nach! Ach wäre es nur ganzer voller Ernst mit der Nachfolge Pauli, und damit Christi! Ach würde uns Ernst und Eifer gegeben! Ach würden wir, wie Feinde aller bösen, so Freunde aller guten Beispiele! Amen.




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