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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Auge und mit jenem Verstande, welcher aus dem milden, sanften, schonenden Lichte des achten Gebotes hervorkommt. Wenn du aber irgend ein löbliches Beispiel findest, so folge ihm treulich nach. Es ist kein Mensch, auch kein Heiliger, untadelich, keiner ein Ideal; aber ist irgend wo eine Tugend, irgend ein Lob zu finden, dem folge nach. Sei versichert, daß fromme Seelen nur durch Christi Gnade fromm und heilig sind, und daß du im Grunde nur Christo folgst, wenn du dem frommen Beispiele Seiner Heiligen folgst. Sein Licht ist es, was vom Monde und den Sternen strahlt wie von der Sonne, und wer in Sein Bild verklärt wird, in dem soll man auch Sein Bild ehren und lieben, wie man in Ihm selbst des Vaters Bild erkennt. „Pilippe, wer Mich sieht, der sieht den Vater“, das ist ein Spruch, aus dem auch folgt: „Wer Mein Licht in den Heiligen Gottes findet und sieht, sieht das Licht Meines Angesichts.“ Darum nur vorwärts und nur allen nachgefolgt, die Ihm nachfolgen, so weit sie Ihm nachfolgen, und nur hineingegangen mitten in den Zug und das Leben und die Gewohnheit Seiner Heiligen, Seiner Kirche. Die Kirche wird niemand irre führen, so lange und so weit sie Gottes Wort und Christi Fußstapfen folgt. Ach, folgte man ihr nur zu Christo und mit ihr Christo nach! Ach wäre es nur ganzer voller Ernst mit der Nachfolge Pauli, und damit Christi! Ach würde uns Ernst und Eifer gegeben! Ach würden wir, wie Feinde aller bösen, so Freunde aller guten Beispiele! Amen.




Am vierundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Coloss. 1, 9–14.
9. Derhalben auch wir, von dem Tage an, da wir’s gehöret haben, hören wir nicht auf für euch zu beten, und zu bitten, daß ihr erfüllet werdet mit Erkenntnis Seines Willens, in allerlei geistlicher Weisheit und Verstand; 10. Daß ihr wandelt würdiglich dem HErrn zu allem Gefallen, und fruchtbar seid in allen guten Werken, 11. Und wachset in der Erkenntnis Gottes, und gestärket werdet mit aller Kraft, nach Seiner herrlichen Macht, in aller Geduld und Langmüthigkeit mit Freuden; 12. Und danksaget dem Vater, der uns tüchtig gemacht hat, zu dem Erbtheil der Heiligen im Licht; 13. Welcher uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsternis, und hat uns versetzt in das Reich Seines lieben Sohnes; 14. An welchem wir haben die Erlösung durch Sein Blut, nämlich die Vergebung der Sünden.

 ES ist, meine lieben Brüder, schon einmal erinnert worden, daß nicht immer der Hauptinhalt einer Epistel die Ursache geworden ist, sie einem evangelischen Texte beizuordnen, daß oft ein besonders schöner oder großer Nebengedanke, ein charakteristischer Zug des Ganzen, welcher für die zusammenhängende Betrachtung des Textes zurücktritt, das Bindeglied für beide Texte bot. Es darf uns das um so weniger verwundern, als für einen Text zuweilen etwas als Nebengedanke erscheinen mag, was für den christlichen Leser und seine Heilserkenntnis von größerer Wichtigkeit ist, als vielleicht die Hauptgedanken. So kommt es denn, daß wir beim Lesen der heutigen Epistel geneigt werden, über den Schluß alles zu vergeßen, was vorausgeht. „Der uns erlöset hat von der Obrigkeit der Finsternis und hat uns versetzt in das Königreich des Sohnes Seiner Liebe, in welchem wir haben die Erlösung, die Vergebung der Sünden“ – so schließt der Text. Welch ein erhabener Schluß, die oberste Sproße auf der Leiter der Gedanken, welche emporzuklimmen uns die übrigen Worte anleiten. Da sieht man das lichte, liebe Königreich des Sohnes eröffnet, ein Reich voll Erlösung und voll gnädiger Vergebung aller Sünden: helle, freundliche, glückselige Lande einer Heimath werden aufgethan, um deren willen man

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/535&oldid=- (Version vom 1.8.2018)