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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

was sie begehren, so weit es Gott zuläßt, und wenn sie haben, wonach sie hungerte und dürstete, so wird es in Zeit und Ewigkeit auf den Weg des Verderbnißes von Gottes Hand gebracht. Anders die Nachfolger Pauli. Sie erwarten vom Himmel her den Heiland JEsum Christum, den HErrn. Darauf warten sie im Leben, darauf entschlafen sie im Sterben; auch ihr Leib ruht in Hoffnung von Erwartung der Wiederkunft des HErrn. Endlich kommt ER, – sie stehen auf, oder werden in der letzten Zukunft Christi verwandelt, – ihr Leib blüht neben dem Leibe des Erlösers, – wie die Planeten vom Lichte der Sonne leben sollen, so leben sie dann ganz von Seinem Lichte, Seinem Verdienste, dem Erfolge Seiner blutigen Leiden, dem Leben, das ER in ewigen Ehren bei Seinem Vater fand. Das soll keine Ehre sein? Christus, Seine Engel, Seine Seligen und Heiligen werden einen Menschen, dem es so ergeht, beglückwünschen, – die Himmel werden sich freuen über solche Verklärung eines Sünders: und das sollte keine Ehre sein? Der Teufel, seine Engel, alle verlorenen Seelen werden knirschen ob solchem Verlust, nach solcher Herrlichkeit langen und sie nie erlangen, darnach sich sehnen, ohne je Erhörung zu finden: und was selbst die Hölle so sehr anerkennt, soll keine Ehre sein?

 Meine Brüder, ich bin der Meinung, St. Pauli Beispiel konnte einen nüchternen Menschen wohl anziehen, daß man ihm nachfolgte, wäre es auch nur, um gleicher Herrlichkeit theilhaft zu werden. Wenn die entschiedene Freundschaft Christi und die ausschließliche Liebe zu Seinem Kreuze, dazu der Wandel für die ewige Zukunft, das Leben in Glauben und Hoffnung, solche Ziele, solche Gnade, solchen Preis findet; wer, sollte man denken, mag denn nun lieber den Halben, den Feinden des Kreuzes Christi folgen? „Sollte man denken“ – wohl gesprochen; denn in der Wirklichkeit ist es anders. Ein Blick in die tägliche Erfahrung, die Betrachtung der Anziehungskraft der bösen Beispiele und des Widerstands menschlicher Herzen gegen die Kraft des guten Beispiels kann einem jeden begreiflich machen, wie St. Paulus über die Feinde des Kreuzes Christi, über die Halben, die bösen Beispiele bittere Thränen weinen konnte. Was man im Glauben faßen muß, bewegt die Seele nicht in dem Maße wie auch nur der eigene Wahn, selbst wenn er alles Antheils an der Wahrheit bar und offenbar thöricht ist. Darum ziehen auch Glaubensbeispiele so gar wenig an. Darum mahnt der Apostel so vergebens: „Welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach.“ –

 Selbst traurig, könnte ich zum Schluße eilen und schweigen, – die Beispiele, gute und böse, ziehen und bewegen laßen, wie viel oder wenig es sei; ich kann und weiß ja nicht zu ändern, was von Anfang der Sünde her so geworden und gewesen ist. Aber ich kann nicht unterlaßen, euch noch eine Klage vorzubringen, – eine Klage, die ich oft und viel im Herzen habe und ihre Regung spüre. Alle Welt sieht, daß menschliche schlechte Beispiele so mächtig verderben; dennoch können so viele immer und immer wiederholen, daß man kein anderes Vorbild als Christum nehmen und von allen menschlich guten Beispielen absehen müße. Woher sie die Beweise für ihren Satz nehmen wollen, weiß ich nicht. Die Schrift einmal enthält keinen Beweis, wenn man nicht, worin freilich viele in unsern Tagen Meister sind, Gottes Wort in die Schule nehmen und es reden laßen will, was einem beliebt. Die Symbole der Kirche können als solche keine Beweise liefern, weil allein die Schrift Beweiskraft hat, aber keinerlei Tradition zur Ueberweisung der Gemüther dienen kann. Könnten sie beweisen, wir wollten nicht verlegen sein, Beweise zu liefern, da die Vorrede des Concordienbuches und andere Stellen deutlich davon reden, daß kaiserliche Majestät dem König David, andere Christen andern guten Beispielen verstorbener (oder auch lebender) Heiligen folgen sollen. Auch ist alle Welt, so weit die Wolken gehen, einig, daß man gutem Beispiel folgen soll und kann. Warum soll man denn den frommen Menschen nicht nachfolgen? „Seid meine Nachfolger,“ ruft St. Paulus. „Schauet ihr Ende an, folget ihrem Glauben nach,“ ist ein anderer Spruch der Schrift, wie bereits erwähnt. Zwei Sprüche reichen hin, das Herz zu erleuchten, gewis zu machen und für den Eindruck vorzubereiten, welchen die Ebr. 12, 1 ff. aufsteigende lichte Zeugenwolke, diese herrliche Wolke der Nachfolge menschlich frommen Beispiels macht, welcher so oft durch Worte des Alten und Neuen Testaments hervorgebracht wird. Prüfe alle Beispiele mit feinem

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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 158. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/534&oldid=- (Version vom 1.8.2018)