« Trinitatis 01 Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Sommerpostille
Trinitatis 03 »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am zweiten Sonntage nach Trinitatis.

1. Joh. 3, 13–18.
13. Verwundert euch nicht, meine Brüder, ob euch die Welt haßet. 14. Wir wißen, daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind: denn wir lieben die Brüder. Wer den Bruder nicht liebet, der bleibet im Tode. 15. Wer seinen Bruder haßet, der ist ein Todtschläger, und ihr wißet, daß ein Todtschläger nicht hat das ewige Leben bei ihm bleibend. 16. Darum haben wir erkannt die Liebe, daß Er Sein Leben für uns gelaßen hat; und wir sollen auch das Leben für die Brüder laßen. 17. Wenn aber jemand dieser Welt Güter hat, und siehet seinen Bruder darben, und schließt sein Herz vor Ihm zu, wie bleibt die Liebe Gottes bei ihm? 18. Meine Kindlein, laßet uns nicht lieben mit Worten, noch mit der Zunge; sondern mit der That und mit der Wahrheit.

 WEnn alle Evangelien der Trinitatissonntage vom ersten bis zum siebenundzwanzigsten ihren Fortschritt von einem zum andern mit derselbigen großartigen Klarheit machten, wie die Evangelien der zwei ersten Sonntage, so würde niemand dem gegenwärtig allgemein angenommenen Gedanken beistimmen, daß die Textwahl in der zweiten Hälfte des Kirchenjahres eine unvollkommnere sei, als im ersten halben Jahr. Es kann ja niemand leugnen, daß der Fortschritt in dem Evangelium des reichen Mannes und dem armen Lazarus zu dem heutigen von dem großen Abendmahl glänzend schön und großartig ist. Die Ewigkeit mit ihren Freuden und Leiden und die irdische Zeit der Berufung zu jenen Freuden stehen neben einander und zeigen dem Menschen für sein gesammtes ewiges Heil Weg und Ziel; sie bilden mit einander eine Bibel im Kleinen, und gewähren einen Ueberblick des Reiches Gottes vom Anfang bis zu Ende. Eben so schön und hehr ist der Schritt der beiden epistolischen Texte, den sie vor unseren Augen einhalten. Wenn das Evangelium des vorigen Sonntags noch etwas Räthselhaftes in sich hält, und man zweifelhaft sein könnte, was den Armen so selig, den Reichen aber ewig so unglückselig gemacht habe, so bringt uns die Epistel Licht für alles. Moses und die Propheten, auf welche Abraham im Evangelium weist, verkündigen einmüthig jene Liebe Gottes, von welcher die Epistel des vorigen Sonntags spricht: „Wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott.“ Auch zeigt die Epistel in ihrem zweiten Theile jene Liebe, die dem Reichen mangelte, die Bruderliebe nemlich, ohne welche keine Gottesliebe sein kann, deren Abwesenheit zugleich noch eine zweite leere Stelle zeigt, ich meine die, welche von der Liebe zu Gott besetzt sein sollte. Des Armen Seelenheil ist der Ueberschwang der göttlichen Liebe; des Reichen Unglückseligkeit folgt aus dem Mangel der Liebe zu Gott und den Menschen. In innigster Verwandtschaft, beides mit dem Evangelium des heutigen Tages und den Texten des vorigen Sonntags steht auch die heutige Epistel. Das Evangelium redet vom großen Abendmahl, an welchem die geladenen Männer und so viele andere keinen Theil nehmen, es redet von der mühseligen Gründung und Ausbreitung der Kirche| Gottes, und von der schweren Scheidung des Menschen von der Welt. Es verschweigt dabei eine Seite, nemlich den Haß derjenigen, die sich um ihrer Aecker und Ochsen und Weiber willen von dem Leben dieser Welt nicht scheiden mögen. Diese verschwiegene Seite der Kirchengeschichte tritt nun aber gerade in unserem epistolischen Texte hervor, der von dem Haße der Welt, aber auch von der Liebe Gottes zu Seinen Kindern und der Kinder Gottes zu einander spricht. Die der Einladung des HErrn zu Seinem himmlischen Mahle folgen, genießen Seine Liebe und geben sie andern zu genießen, erndten aber auch den heftigen brennenden Haß der Welt. So ergänzt sich also aus der Epistel das Bild der Kirchengeschichte, welches im Evangelium gemalt ist, zugleich aber zeigt sich auch, wie in einem Spiegel, des reichen Mannes Liebesmangel und des armen Dulders Lazarus Leidensquelle, nemlich der Haß der Welt. – Laßt uns nun aber zu unserem Texte selbst gehen und seinen heiligen Inhalt beschauen, betrachten und anwenden.

 Unser Text handelt ganz offenbar von Haß und Liebe, vom Haße der Welt gegen die Christen und von der Liebe der Christen zu den Brüdern. Allerdings ist mehr die Rede von der Liebe, als vom Haß, doch aber springt der Gegensatz zwischen beiden so grell ins Auge, wenn man die Worte unserer Lection beschaut, daß man sich aus dem Texte nicht bloß die heiligen Reden von der Liebe, sondern auch die vom Haße merken muß. – Ein Blick in den Zusammenhang der drei ersten Textesverse zeigt uns deutlich, daß Haß und Tod zusammengestellt, als Wirkung aber des Haßes oder des Todes der Mord angegeben ist, der Brudermord, und der Verlust des ewigen Lebens. Umgekehrt, wird die Liebe mit dem Leben zusammengenommen und als Wirkung der Liebe oder des Lebens die Aufopferung hingestellt, die den eigenen Leib und das eigene Leben, dazu auch alle Güter dieser Zeit für den Bruder dahingeben kann und sich gedrungen fühlt, demselben in That und Wahrheit Beweis von ihrem Dasein und ihrer Inbrunst zu geben. In diesen so eben vorgelegten Gedanken von Haß und Liebe vollendet sich der Inhalt unserer ganzen Epistel, wenigstens der Hauptsache nach, und wir werden, ehe wir noch die Anwendung vorlegen, welche in diesem Texte von den vorgelegten Sätzen gemacht wird, sie selbst vorher ins Auge faßen und genauer erörtern müßen.

 Haß ist Tod, sagten wir. Wir wiederholten damit nur das unwiderlegliche Urtheil unseres Textes, denn nicht bloß sagt der 14. Vers von denen, die die Brüder lieben, „sie seien vom Tode zum Leben hindurchgedrungen“, sondern es wird auch von denen, die die Brüder nicht lieben, gesagt, daß sie „im Tode bleiben“. Die reine Erwägung dieser Stellen kann einen jeden überzeugen, daß nach dem Sinne des heiligen Jüngers Johannes jedenfalls Haß und Tod entweder gleichbedeutend sind, oder der Haß als eine Ausgeburt des Todes dargestellt wird. Nicht minder klar ist aus unserem Texte der andere Satz, welchen ich euch vorlegte, daß der Haß, wie er eine Ausgeburt des Todes ist, oder der Tod selber, seinerseits auch wieder tödtet. Denn ausdrücklich sagt der 15. Vers: „Wer seinen Bruder haßet, der ist ein Todtschläger.“ Selbst todt, schlägt also auch der Haß todt, gleich viel, in welcher Weise, gleichviel, wo er sein Werk beginnt, am Leibe, oder aber an der Seele.

 Endlich bedürfen wir auch nur einige Worte unseres Textes anzuführen, um einem jeden die Ueberzeugung zu verschaffen, daß ein Haßender nicht selig werden kann. Es heißt ja: „wer seinen Bruder haßet, der ist ein Todtschläger, und ihr wißet, daß ein Todtschläger das ewige Leben nicht hat bei ihm bleibend.“ Es ist also möglich, daß jemand bereits das ewige Leben in sich trage, dann aber in Haß verfalle und damit dieß ewige Leben wieder aus sich selbst verjage. So wären also alle unsere Sätze, die wir vom Haße aufgestellt haben, als wahr und richtig bewiesen.

 Ebenso ist es mit dem, was wir von der Liebe behauptet haben. Liebe ist Leben; wer kann diesen Satz leugnen, wenn er die Stelle unseres Textes liest: „Wir wißen, daß wir vom Tode zum Leben hindurchgedrungen sind, denn wir lieben die Brüder.“ Also wer die Brüder liebt, der lebt, und wenn er zuvor todt war, also haßte, und den Haß mit der Liebe vertauschte, so ist er vom Tode zum Leben durchgedrungen. Gleichwie aber der Haß nicht bloß todt ist, sondern auch tödtet, so ist die Liebe nicht bloß Leben, sondern sie vermag es auch das Leben und alle seine Güter, zum Zeugnis ihres Daseins| dahinzugeben. Das sagen die letzten Verse unseres Textes, so klar und dabei so ausführlich und eingehend, daß wohl niemand es wagen darf zu leugnen. „Darin haben wir die Liebe erkannt, daß jener, nemlich unser HErr, für uns Sein Leben gelaßen hat.“ Es gibt noch ein Zeugnis der Liebe, die das Leben ist, denn wie der Tod tödtet, so macht sie, die das Leben ist, lebendig, wie das leicht zu beweisen steht. Allein dieß Lebenszeichen der Liebe kann nicht als Beispiel und zur Nachahmung hingestellt werden, weil kein Mensch, so sehr er auch liebe, Leben zu geben vermag. Dagegen aber jenes Zeichen der Liebe, welches in unserem Texte vorgelegt wird und in der Aufopferung des eigenen Lebens und in der eigenen Habe besteht, wird in dem Beispiel JEsu Christi allen zur Nachahmung hingestellt. Wie sehr Er liebte, zeigte sich in Seinem Tode für uns alle. Das sagt auch Johannes und setzt dazu: „Wir sollen auch das Leben für die Brüder laßen.“ Ist aber das die göttliche Forderung an uns alle, was ists denn Großes, wenn auch verlangt wird, daß wir das zeitliche Gut im Dienste der Brüder opfern sollen? „Wer dieser Welt Güter hat, und sieht seinen Bruder Mangel leiden und schließt das Herz vor ihm zu, wie bleibt in dem die Liebe Gottes?“ Es entschwindet also aus dem unbarmherzigen Herzen die Offenbarung der allerhöchsten Liebe, der Liebe Gottes, der unsern großen Mangel sah, Sein Herz gegen die Elenden nicht verschloß, sondern ihnen gab, was sie bedurften. Kein Eindruck, keine Wirkung der Liebe Gottes bleibt in dem unbarmherzigen Menschen, der höchste Lebenserweis des lebendigen HErrn im Himmel in Seiner göttlichen Liebe hat weder Leben noch Liebe entzündet in dem Herzen, das keine barmherzige Bruderliebe übt, und ob auch Leben schon einmal vorhanden gewesen wäre, so entflieht es doch mit der Liebe, mit dem liebevollen Erbarmen, und der Unbarmherzige behält nichts übrig, als den Tod. Aus diesem allen, meine lieben Brüder, habt ihr nun gewis die Ueberzeugung gewonnen, daß die Sätze, welche ich oben von der Liebe aufgestellt habe, ganz in unserem Texte gründen und wir können nun einmal die Anwendung zeigen, welche der Text selbst von unseren Sätzen macht.
.
 Was ist natürlicher, was, ich möchte sagen, verzeihlicher, als wenn ein Mensch, der einem andern eine große Wohlthat erweist, auf Anerkennung derselben und Dank für sie rechnet? Wenn er nun aber statt des Dankes Undank erndtet, und von dem Undank, der Welt Lohn, überrascht wird, ist das nicht eben so verzeihlich, eben so natürlich, da man doch seinem Nächsten weniger die Sünde, als Gutes zutrauen soll? Ein anderer Fall von gleicher Würde. Wenn ein Mensch, der früherhin gewandelt, nicht wie er sollte, sich umwendet und einen unsträflichen Wandel beginnt, darf er nicht auf Anerkennung seiner Beßerung rechnen, hat er nicht vollkommen Recht, wenn er vermuthet, man werde sich nun seiner freuen und anfangen ihn zu achten? Wenn er nun aber rein das Gegentheil erfährt, wenn ihm statt Achtung Verachtung, statt Vertrauen Mistrauen, statt Liebe Haß begegnet, soll ihm das nicht verwunderlich sein? Wir wißen es schon lange, uns belehrt die Erfahrung von achtzehnhundert Jahren, daß die Wohlthat des Christentums mit Undank und die Bekehrung der Sünder zu einem heiligen Leben mit Haß bezahlt wird. Bei der immer neuen, ja täglichen Erfahrung sollten wir uns daran so sehr gewöhnt haben, daß wir auch nicht einen Augenblick darüber verwundert wären, und doch bringt uns jede neue Erfahrung neues, schmerzliches Befremden. Wie können wir es da von den Christen der ersten Gemeinden anders erwarten, als daß sie sich überrascht und schmerzlich berührt fühlten, da ihnen die ersten Erfahrungen dieser Art zu Handen kamen? Sie selbst, durchdrungen von der hohen Wohlthat des Christentums, in der täglichen Erfahrung des segensreichen Einflußes trugen ihren eigenen Segen andern mit der Zuversicht und Ueberzeugung entgegen, daß ihnen und ihrem treuen HErrn im Himmel Dank und Ehre werden müßte. Statt deßen aber erndteten sie nur Undank, Zorn und Haß der ganzen Welt, und sie, die Kinder eines guten Gewißens, mußten sich gewöhnen und es sich gefallen laßen, wie Uebelthäter und Verbrecher behandelt und von der menschlichen Gesellschaft ausgestoßen zu werden. Sie lebten und liebten und man gab ihnen dafür Haß und Tod. Das konnte namentlich für den Anfang gar nichts anderes wirken als Befremden, ja Aergernis. Das gab den heiligen Aposteln Anlaß zu vieler seelsorgerischen Belehrung und Zurechtweisung, das veranlaßte auch den heiligen Johannes, den Gläubigen in unserem 12.| Verse zuzurufen: „Verwundert euch nicht, lieben Brüder, wenn euch die Welt haßet.“ Die Unerfahrenheit des Christen und die bloß verständige Betrachtung läßt freilich das reine Gegentheil vermuthen, wie wir bereits dargelegt haben. Das aber ist die Erfahrung aller Zeiten von Ur an, daß die Welt das Christentum mit Haß empfangen hat, mit Haß verfolgt, ihm Leben und Dasein mit Schwert und Tod verwehrt hat. Die Erfahrung sagt so und die Ueberlegung der Umstände macht es erklärlich. Die Welt ist Tod, das Christentum ist Leben. Wer unter den Weltkindern sich vom Christentum überwinden läßt, der dringt vom Tode zum Leben hindurch. Wer aber den Tod lieber hat als das Leben und in ihm verharrt, der bleibt nicht bloß des Lebens untheilhaftig, sondern er wird ein Feind des Lebens. Er wird es in dem Maße mehr, als ihm das Leben lebendiger und liebevoller naht, und da dieß Annahen von Seiten der Christen, d. h. der Lebendigen auf Befehl des Allerhöchsten mit allem Ernste, mit aller Angelegentlichkeit, mit aller Sehnsucht nach Ueberwindung des Todes und Haßes in den Kindern des Todes geschieht, so gibt es einen Kampf zwischen Tod und Leben, der nach dem Zeugnis der Geschichte oftmals mit dem zeitlichen Unterliegen der Kinder des Lebens endet. Es ist zwar keine Zeit, in der es nicht Beispiele gäbe von seliger Ueberwindung des Todes durchs Leben, zahlreicher aber sind in allen Zeiten die Beispiele, da sich tödtlicher Haß und häßiger Tod der Kinder der Welt scheinbar siegreich gegen die Christen erhub. Das ist so gar oft geschehen, daß alle Verwunderung weg sein kann, daß jedermann darauf gerüstet und vorbereitet sein sollte. In unsern Gegenden und Zeiten werden wir zwar Beispiele dieser Art nur wenige finden, wenn wir nemlich bloß leuchtende mächtige Beispiele gelten laßen; aber auch unter uns fehlt es nicht an zahllosen Belegen und Beispielen der feineren und geringeren Art. Der Sinn der Welt ist nicht ausgestorben, es dürfte nur eine Stunde der Finsternis kommen und ein Hauch aus der Hölle die glimmende Glut anfachen, so würde es am Martyrium, an Folter und Marter nicht fehlen. Und hält auch die allmächtige Hand des Allerhöchsten noch eine kleine Weile den Gluthauch zurück, so harret doch die Hölle und die Welt nicht umsonst auf ihren Antichristus, und ehe der HErr kommt, Sein Reich aufzurichten, wird unter allen Beweisen für den kräftigen menschenmordenden Haß derer, die das Wort nicht mit Sanftmuth aufnehmen, der furchtbarste erscheinen und der Antichristus sein Schwert und seine Fahne wider alles schwingen, was heilig ist. Der ganze Sinn der Weltgeschichte ist kein anderer, als der des Kampfes zwischen Tod und Leben, und die angestrebte gemächliche Ruhe so vieler, die im Frieden Gottes unter Gottes Feinden am liebsten ewig auf Erden wohnen möchten, ist und bleibt ein jammervoller Selbstbetrug, ein elendes, vergebliches Kunststück, ein mühevoller, immer neu verunglückender Versuch, Christum und Belial zu vereinen.

 Neben diesem Bilde des Kampfes zeigt uns ja aber unser Text auch ein ganz anderes, das entgegengesetzte. Es ist ja allerdings zwischen Welt und Kirche ein heißer Kampf, aber die Kinder Gottes und Seines Lebens haben doch noch ein anderes Verhältnis, als das zur Welt, nemlich das zu einander selbst, das Verhältnis zur heiligen Kirche. Da gibt es auch kirchliche Kämpfe, und es reiben sich an einander die Richtungen, welche sich vor dem Throne des Lammes kreuzen. Weil sich nicht alle in allen Stücken dem Wort und Ausspruch des lebendigen Gottes unterwerfen, so gibt es Verschiedenheiten, welche theils nicht gering angeschlagen werden dürfen, theils aber von den Menschen höher angeschlagen werden, als es sein sollte, und anstatt daß eine jede auftauchende Verschiedenheit zu einem neuen Frieden und größerer Einigkeit führen sollte, gibt es im Gegentheil bedauerliche Riße und Scheidungen genug. Das scheint freilich dem allen zu widersprechen, was gemäß unserem Texte zum Ruhm und Preise kirchlicher Liebe und Einigkeit gesagt werden wird. Dennoch aber beruht der Ruhm und Preis nicht auf Lüge, auch nicht auf Täuschung oder Uebertreibung, sondern alles was wir zu sagen haben, ist wahr und im Laufe der Kirchengeschichte tausendmal auch wirklich und in der Erscheinung gewesen und wird es auch ferner sein und bleiben bis ans Ende.

 An den Pforten der Kirche prangt das Zeichen der größten Liebe, das Zeichen der Liebe JEsu, das Kreuz des HErrn, und erinnert an das, wovon der 16. Vers unseres Textes redet, an die aufopfernde Liebe unseres HErrn. Ganz richtig sagt Johannes:|Darin haben wir die Liebe erkannt, daß JEsus das Leben für uns ließ.“ Wer erkennen will, was Liebe sei, der muß die aufopfernde Liebe JEsu kennen lernen. Wenn die Alten zum Sinnbild Seiner Liebe gerne den Pelikan nahmen, der seine Jungen mit seinem eigenen Blute nährt, zum Zeichen JEsu den Pelikan malen, zum Preise JEsu ihn besingen, so kann man ihnen hierin völlig Beifall schenken, insonderheit Angesichts des Altars, an dem Er uns mit Seinem eigenen Blute nährt. Der Pelikan ist ein herrliches Abbild des HErrn und Seines theuren Sakraments; aber für die Fülle Seiner Aufopferung ist das Bild des Pelikans nicht ausreichend, weil es die volle Hingabe des HErrn für die Seinen und Seine ganze Aufopferung für sie nicht darstellt. Es gibt keine größere Liebe als die des großen Königs und Gottessohnes, der Seine Feinde mit Seinem Blute versöhnt, damit sie Seine Freunde werden dürften und könnten und würden, der Sein heiliges Leben für die Unheiligen gibt, auf daß sie heilig würden und in Seinem Reiche unter Ihm lebten in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit. Diese Liebe erscheint uns im Kreuz und mahnt uns zur Nachfolge, daß auch wir nur in Liebe zu unserm HErrn und den von Ihm erlösten Schaaren leben und sterben, arbeiten und leiden. Alle Glieder der Kirche ergreifen daher das Kreuz und bekennen sich zu Ihm und zu allem, was es uns sagt und deutet, namentlich aber zu dem heiligen Grundsatz der aufopfernden Liebe, der in dem Reiche unsers Königs Christus von allen Reichsgesetzen das erste und das größte ist. Ich will mich jetzt nicht abhalten laßen von dem Blick auf die Tausende, welche Christen heißen und sich von diesem Gesetze nicht regieren laßen; wohl aber will ich auf die immerhin nicht geringe Schaar derjenigen schauen, die, entzündet von der Liebe JEsu zu uns, nun auch die Brüder geliebt haben und lieben wie Er. Viele heilige Beispiele, mehr als Menschengriffel aufgezeichnet hat, sind dem HErrn im Himmel kund, Beispiele eines Liebelebens, das nach altem Symbole sich selbst wie ein Licht verzehrt, während es andern leuchtet und dient. „Wir sollen auch das Leben für die Brüder laßen,“ sagt unser Text, und wie viele haben Gehorsam geleistet. Denkt nur an jene Schaar von Millionen Märtyrern, welche nicht bloß zu JEsu Ehre starben, sondern auch um ihre Brüder im Glauben zu stärken und zur Nachfolge auf dem heiligen Wege anzuregen. So groß das Aergernis eines jeden Abfälligen, so groß ist die auferbauende Kraft jedes Beispiels von Treue und Liebe zu JEsu bis in den Tod. Eine Kirche aber, welche ihre Beispiele der aufopferndsten Liebe bis in den Tod nach Millionen zählt, wird gewis auch keinen Mangel an Beispielen der geringeren Liebe haben, welche die zeitlichen Güter zum Besten leidender Brüder dahingibt. Denkt an die erste Gemeinde zu Jerusalem, der es in ihrer Liebesglut für JEsum ein Geringes gewesen ist, alles zeitliche Gut zu verwerthen und den Kaufpreis zu den Füßen der Apostel niederzulegen. Erinnert euch an den Ruhm und Preis apostolischer Gemeinden durch die Feder Pauli, jener Gemeinden, die nicht bloß nach Vermögen, sondern über Vermögen gaben, steuerten und sammelten, um die armen jüdischen Gemeinden zu unterstützen, oder um für eine Zeit der Noth, die nicht einmal noch eingetreten war, die Bedürfnisse der Armen herbeizuschaffen. Gedenket der unzähligen Beispiele derer, die in den ersten Jahrhunderten alles das Ihrige dahingeben konnten, um heiligen Zwecken zu dienen, die entweder in eigener Armuth lebten, und mit ihrem Reichtum fremde Noth stillten und linderten, oder alles was sie hatten, ohne Selbstsucht rein im Sinne JEsu verwalteten. Sie verschloßen ihr Herz nicht vor dem Bedürfnis der Armen, die Liebe Gottes blieb in ihnen und erfüllte sie je länger je mehr; weil sie der Liebe dienten, wurde der Geist der Liebe in ihnen immer stärker, und es geschah ihnen nach dem Worte des HErrn: „Wer da hat, dem wird gegeben.“ Denkt an alle die unzähligen Liebeswerke und wohlthätigen Anstalten der alten und neuen Zeit, die hervorgerufen vom Geiste JEsu und Seiner Liebe wie fruchtbare Bäume in der Wüste dieser Welt, wie reiche Brunnen in der dürren Oede stehen, und Zeugnis geben von einer überirdischen aus Gott und Seinem Himmel stammenden, heiligen, segnenden Liebe und von einem göttlichen, unsterblichen Leben. Gegenüber dem Haße der Welt ist diese Liebe der Kirche so schön, welche sich noch überdieß nicht bloß in den Schranken der Bruderschaft und der Glaubensgenoßen hält, sondern Fülle und Reichtums genug hat, um sich auch über die Feinde auszudehnen und den Kindern der Welt selbst ihre segensreichen Früchte anzubieten.
.
|  Ueberaus einfach und lieblich ist der Inhalt unserer Epistel, namentlich ihres zweiten Theiles. Nichts ist leichter zu verstehen, nichts kann sich der Einfältigste mit geringerer Mühe und Aufwand der Gedanken zueignen, als diese Warnung vor Tod und Haß, und diese Anmahnung zu Leben und Liebe. Ein desto ernsterer Blick ist es, der aus dem Auge Gottes prüfend in unser Herz fällt. Da heißt es: „Erforsche mich Gott und erfahre mein Herz, prüfe mich und erfahre wie ichs meine, und siehe ob ich auf bösem Wege bin und leite mich auf ewigem Wege.“ Wahrlich, Gottes Auge wird viele auf bösem Wege finden, viele in Haß und Tod, viele bei kleiner Liebe, viele bloß bei dem kahlen Scheine einer Liebe, die keine ist, sondern nur ein schwaches Abbild jener Liebe, ein trügerisches, das wie ein dürres Blatt vor dem Auge des Allerhöchsten verwelkt. Ach, wie viele unter uns haben den hochberühmten Namen der Liebe ohne Ende auf den Lippen, aber ihre göttliche Kraft nicht im Herzen. Viele bekennen die Liebe als Königin und versagen ihr doch den Dienst, sintemal sie ihr nur mit eitlen Worten und purem Schwatzen räuchern, das Rauchwerk aufopfernder Thaten aber nicht kennen, das dem Gott allein gefällt, der die Liebe ist. Selbstsucht thronet, Eigennutz herrschet, Habsucht verwüstet die Seele und das Leben, – bei wie vielen ist es so, bei wie vielen nicht so? Bei wem ist es nie so gewesen? Bei wem ist es in keinem Stücke also, wer darf sagen, ich bin allezeit und in allem ein Diener der reinen Liebe gewesen? Ich hoffe, ja ich sehe und merke, die Versammlung schweigt und innerlich, wenn auch nicht äußerlich, vor Gott, wenn auch nicht vor Menschen, dürfte sich hie und da ein tiefer Gedanke der Buße regen, ob der schauerlichen Versunkenheit der Seelen in lieblosem Thun. An Euch, ja an uns alle ergeht daher das apostolische Wort, die mächtige mahnende Rede Deßen, der keinen Schein will, sondern Wahrheit, und am Schluß der Epistel durch Seine Apostel ermahnet, wie wenn Er mitten unter uns stünde: „Meine Kindlein, laßet uns nicht lieben mit dem Wort, noch mit der Zunge, sondern in der That und Wahrheit.
Amen.




« Trinitatis 01 Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Trinitatis 03 »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).