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Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres

Verse zuzurufen: „Verwundert euch nicht, lieben Brüder, wenn euch die Welt haßet.“ Die Unerfahrenheit des Christen und die bloß verständige Betrachtung läßt freilich das reine Gegentheil vermuthen, wie wir bereits dargelegt haben. Das aber ist die Erfahrung aller Zeiten von Ur an, daß die Welt das Christentum mit Haß empfangen hat, mit Haß verfolgt, ihm Leben und Dasein mit Schwert und Tod verwehrt hat. Die Erfahrung sagt so und die Ueberlegung der Umstände macht es erklärlich. Die Welt ist Tod, das Christentum ist Leben. Wer unter den Weltkindern sich vom Christentum überwinden läßt, der dringt vom Tode zum Leben hindurch. Wer aber den Tod lieber hat als das Leben und in ihm verharrt, der bleibt nicht bloß des Lebens untheilhaftig, sondern er wird ein Feind des Lebens. Er wird es in dem Maße mehr, als ihm das Leben lebendiger und liebevoller naht, und da dieß Annahen von Seiten der Christen, d. h. der Lebendigen auf Befehl des Allerhöchsten mit allem Ernste, mit aller Angelegentlichkeit, mit aller Sehnsucht nach Ueberwindung des Todes und Haßes in den Kindern des Todes geschieht, so gibt es einen Kampf zwischen Tod und Leben, der nach dem Zeugnis der Geschichte oftmals mit dem zeitlichen Unterliegen der Kinder des Lebens endet. Es ist zwar keine Zeit, in der es nicht Beispiele gäbe von seliger Ueberwindung des Todes durchs Leben, zahlreicher aber sind in allen Zeiten die Beispiele, da sich tödtlicher Haß und häßiger Tod der Kinder der Welt scheinbar siegreich gegen die Christen erhub. Das ist so gar oft geschehen, daß alle Verwunderung weg sein kann, daß jedermann darauf gerüstet und vorbereitet sein sollte. In unsern Gegenden und Zeiten werden wir zwar Beispiele dieser Art nur wenige finden, wenn wir nemlich bloß leuchtende mächtige Beispiele gelten laßen; aber auch unter uns fehlt es nicht an zahllosen Belegen und Beispielen der feineren und geringeren Art. Der Sinn der Welt ist nicht ausgestorben, es dürfte nur eine Stunde der Finsternis kommen und ein Hauch aus der Hölle die glimmende Glut anfachen, so würde es am Martyrium, an Folter und Marter nicht fehlen. Und hält auch die allmächtige Hand des Allerhöchsten noch eine kleine Weile den Gluthauch zurück, so harret doch die Hölle und die Welt nicht umsonst auf ihren Antichristus, und ehe der HErr kommt, Sein Reich aufzurichten, wird unter allen Beweisen für den kräftigen menschenmordenden Haß derer, die das Wort nicht mit Sanftmuth aufnehmen, der furchtbarste erscheinen und der Antichristus sein Schwert und seine Fahne wider alles schwingen, was heilig ist. Der ganze Sinn der Weltgeschichte ist kein anderer, als der des Kampfes zwischen Tod und Leben, und die angestrebte gemächliche Ruhe so vieler, die im Frieden Gottes unter Gottes Feinden am liebsten ewig auf Erden wohnen möchten, ist und bleibt ein jammervoller Selbstbetrug, ein elendes, vergebliches Kunststück, ein mühevoller, immer neu verunglückender Versuch, Christum und Belial zu vereinen.

 Neben diesem Bilde des Kampfes zeigt uns ja aber unser Text auch ein ganz anderes, das entgegengesetzte. Es ist ja allerdings zwischen Welt und Kirche ein heißer Kampf, aber die Kinder Gottes und Seines Lebens haben doch noch ein anderes Verhältnis, als das zur Welt, nemlich das zu einander selbst, das Verhältnis zur heiligen Kirche. Da gibt es auch kirchliche Kämpfe, und es reiben sich an einander die Richtungen, welche sich vor dem Throne des Lammes kreuzen. Weil sich nicht alle in allen Stücken dem Wort und Ausspruch des lebendigen Gottes unterwerfen, so gibt es Verschiedenheiten, welche theils nicht gering angeschlagen werden dürfen, theils aber von den Menschen höher angeschlagen werden, als es sein sollte, und anstatt daß eine jede auftauchende Verschiedenheit zu einem neuen Frieden und größerer Einigkeit führen sollte, gibt es im Gegentheil bedauerliche Riße und Scheidungen genug. Das scheint freilich dem allen zu widersprechen, was gemäß unserem Texte zum Ruhm und Preise kirchlicher Liebe und Einigkeit gesagt werden wird. Dennoch aber beruht der Ruhm und Preis nicht auf Lüge, auch nicht auf Täuschung oder Uebertreibung, sondern alles was wir zu sagen haben, ist wahr und im Laufe der Kirchengeschichte tausendmal auch wirklich und in der Erscheinung gewesen und wird es auch ferner sein und bleiben bis ans Ende.

 An den Pforten der Kirche prangt das Zeichen der größten Liebe, das Zeichen der Liebe JEsu, das Kreuz des HErrn, und erinnert an das, wovon der 16. Vers unseres Textes redet, an die aufopfernde Liebe unseres HErrn. Ganz richtig sagt Johannes:

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Löhe: Epistel-Postille für die Sonn- und Festtage des Kirchenjahres. Samuel Gottlieb Liesching, Stuttgart 1858, Seite 015. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Wilhelm_L%C3%B6he_-_Epistel-Postille.pdf/391&oldid=- (Version vom 1.8.2018)