Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Eine Gesundheitshalle
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aus: Die Gartenlaube, Heft 11, S. 176, 178–179
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1875
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[176]

Eine Gesundheitshalle.

Ein plötzlicher Schneesturm hatte mich auf meinem allabendlichen Gang zum Bade in die Thorhalle der Pleißenburg getrieben, wo sich bald eine Anzahl schutzsuchender Flüchtlinge zusammenfand. Unter diesen begrüßte mich ein Freund, der erst kurze Zeit aus dem bairischen Oberfranken nach Leipzig übergesiedelt war; er fragte mich:

„Ja, wohin wollten Sie denn bei dem sanften Wetter?“

„In’s Bad, um meine Lungen und Flossen durch Schwimmen zu stärken,“ antwortete ich.

Mein strammer Franke schrak vor dem kühnen Gedanken förmlich zusammen und rief: „Bei der Kälte in’s Flußwasser? Ich glaub’, Sie – (er sprach das Compliment nicht aus). Herrgott, da kriegt man ja den Gefrörer (fränkisch: Fieberschauer), wenn man nur daran denkt.“

„Kommen Sie nur getrost mit mir!“ erwiderte ich. „Ich weiß im voraus, daß Sie, ehe eine halbe Stunde vergeht, als der fröhlichste Mensch sich im Wasser tummeln und es so erfrischt und gestärkt an Leib und Seele verlassen, wie nur irgendje das schönste Sommerbad.“

Ich erklärte ihm nun, daß es sich nicht um ein offenes Flußbad handle, sondern um ein Vollbad in einem geschlossenen, angenehm durchwärmten Raume mit großem Bassin und immer frischem Zu- und Abfluß einer stets bis zu bestimmter Temperaturhöhe gebrachten Wassermenge. Hatte ich ihm auch damit den „Gefrörer“ vertrieben, sein Vorurtheil gegen Kaltbaden im Winter überhaupt hielt noch fest; aber er war doch sofort bereit, „die Gelegenheit sich einmal anzusehen“. Seltsamerweise mußte ich wahrnehmen, daß von den übrigen etwa anderthalb Dutzend Anwesenden die Wenigsten von einer solchen Badeanstalt in Leipzig etwas wußten und Alle, bis auf Einen, den ich als

[177]

Ein Winterabend im Sophienbad zu Leipzig.
Nach der Natur aufgenommen von Gustav Sundblad.

[178] Badegenossen kannte, den Schauer des Vorurtheils gegen solch ein Winterbad theilten.

Diese Beobachtung ist es hauptsächlich, die mich zu dem vorliegenden Artikel veranlaßt hat. Denn wenn hier am Orte, wo solch eine wahrhaft „wohlthätige“ Anstalt besteht und seit Jahren täglich benutzt wird, dennoch im Allgemeinen eine solche Unbekanntschaft mit ihr und ihren Einrichtungen möglich ist, so ist wohl der Schluß erlaubt, daß man an übrigen Deutschland noch weniger davon weiß und die etwaigen Vorgänger und Nachbildungen derselben wohl nur spärlich vorhanden sind.

Und doch gilt von dieser sozusagen „perennirenden“ Schwimmanstalt Alles, was wir im Jahrgange 1866 (S. 580) zum Lobe und zur Empfehlung der „neuen Schwimmanstalt zu Leipzig“ gesagt haben, nur in noch viel höherem Grade. Der unschätzbare Werth der Schwimmkunst, der dort dargelegt ist, erfährt seine höchste Würdigung doch jedenfalls erst durch eine Anstalt, welche den Schwimmunterricht vollkommen unabhängig macht von allen Wandelungen der Jahreszeiten und Witterungen. Mein älterer Knabe hat mitten im Winter Schwimmen gelernt, so daß er, als endlich die offenen Bäder möglich wurden, wie ein Fisch im freien Wasser daheim war. Man bedenke, daß wir im Durchschnitte nur vier Bademonate haben, und berechne, wie viele Tage, in kalten und regnerischen Sommern, auch davon noch für die Bewegung im offenen Bade verloren gehen, wenn nicht, namentlich für Kinder und Frauen, die Gesundheit auf das Spiel gesetzt werden soll – dann wird man alle Gerechtigkeit einer „Gelegenheit“ (wie mein Franke sagte) widerfahren lassen, welche uns alle Freuden, Genüsse und Wohlthaten des Vollbades nicht nur um acht Monate verlängert, sondern auch den Unregelmäßigkeiten der Temperatur keinen Einfluß auf ihre wahrhaften Hallen der Gesundheit gestattet.

Also frisch hinein! – Die Dämmerung war rasch zur Nacht übergegangen. Der Schneesturm, der uns zusammengejagt hatte, tobte zwar noch; aber wir brauchten für die kurze Strecke von unserem Schutzwinkel bis zum Durchgangsthore der Dorotheenstraße (Reichels-Garten) nichts nach ihm zu fragen. Ein paar Schritte über die Pleißenbrücke, und wir betreten, links schwenkend, durch den Vorgarten das Wartezimmer des Sophienbades. Nachdem wir uns am Schalter mit Eintrittsmarken für das „Schwimmbassin“ versehen, durchwandeln wir einen langen Gang, von dem links und rechts ein paar Dutzend Thüren zu warmen Wannenbädern führen, und gerathen endlich auf einen geräumigen[WS 1] Vorplatz. Mein Franke, ganz von Begierde erfüllt auf Das, was da kommen sollte, schoß gleich auf die hohe Doppelthür der Mitte los. Aber – „halt!“ mußte ich rufen. „Da geht’s in die Dampf- und Heiße-Luft-Bäder von Koch-, Sied- und Brathitze – auch eine sehr schöne Gegend! – aber zu unserem Paradies führt da links das Treppchen hinauf.“ Ich war gespannt auf seine ersten Aeußerungen, öffnete die Thür – und da stand er, Augen und Mund freudig geöffnet. Endlich rief er:

„Ah! Schau schau! Ja nun, das ist schon ganz was Anderes! Das ist freilich plaisirlich, und schön aber auch.“ Allerdings gewährt, namentlich bei der Gasbeleuchtung in den Abendstunden (im Winter auch schon in den Morgenstunden) die Halle mit dem Gewimmel fröhlicher Menschen auf den Seitengängen, auf den Galerien und in dem den ganzen Mittelraum einnehmenden Bassin mit seiner dunkeln, im Wellenspiel schimmernden Fluth ein heiter anmuthiges Bild, das jeden Stammgast des Bades täglich von Neuem erfreut; warum sollte mein Mann aus Franken so bald mit seinem freudigen Erstaunen fertig werden? Er hatte seine ganze Aufmerksamkeit schließlich den einzelnen Gruppen und Personen im Wasser zugewandt und sprach nun plötzlich mit edler Entschlossenheit:

„Da sehen Sie nur die ganz kleinen Büble, die der Schwimmmeister dort an der Stange im Wasser hängen hat! – ‚Eins – zwei – dreioh!‘ lautet sein tiefes gedehntes Commando – und hier die alten, grauen Herren zwischen diesen Staatskerlen von jungen Männern. – ich schämet’ mich ja vor dem ganzen Vaterland, wenn ich da nicht mit thun wollte.“

Jetzt hielt ich es für meine Pflicht, dem Bekehrten mit meinen Erfahrungen beizuspringen. Nachdem wir uns in zwei Zellen der Galerie badefertig gemacht, führte ich meinen Neuling erst in das ebenmäßig erwärmte Douchezimmer neben dem Schwimmbassinsaale. Unter den Strahl- und Regendouchen, welche von der Decke herab, von der Wand herüber und vom Boden herauf sich ergießen, ist eine für Neulinge zur Abkühlung und angenehmsten Einführung in das Bassin ganz besonders geeignete Regendouche. Das Wasser zu den Douchen ist zum Theil Flußwasser, zum Theil kommt es aus der städtischen Wasserleitung; letzteres hält Jahr aus Jahr ein zehn Grad Réaumur. An der einen Douche ist aber ein Zuflußrohr mit heißem Wasser aus der Dampfmaschine so angebracht, daß der Badende durch Zu- oder Aufschrauben des Hahns zum kalten oder zum warmen Wasser sich einen Regen von beliebiger Temperatur herstellen kann. Hier ist auch der Platz zu den Waschungen mit Seife, die natürlich im Bassin nicht zur Verwendung kommen darf. Mein Freund fand den warmen und lauen Regen sehr „schmeichelhaft“, hielt aber auch die kälteren Grade aus, bis ihn endlich doch beim zehnten Grad sein „Gefrörer“ packte und er entlief. Um so wohliger ward ihm nun im Bassin mit seinen zwanzig Grad Réaumur. Im Ueberbehagen rief er mir zu:

„Recht hatten Sie! Es ist noch keine halbe Stande her, und ich schwimme richtig in Wonne!“

Nachdem wir unsern ungläubigen Franken so weit gebracht, ist es wohl an der Zeit, zum Besten unserer Leser, eine Erklärung unseres Bildes zu geben und daran Einiges über die dort nicht sichtbaren Ein- und Vorrichtungen dieses Bades zu knüpfen.

Die ganze Badehalle hat eine Länge von 19,50, eine Breite von 20,25 und eine Höhe von 6,50 Meter; davon kommt auf das Schwimmbassin selbst 18 Meter Länge und 7 Meter Breite. Im Hintergrunde unseres Bildes (es ist die Eingangsseite mit dem Marken- und Aufbewahrungstisch für bedeutende Werthsachen der Badenden und mit den deponirten Handtüchern, Schwimmhosen und Bademänteln an den Wänden) führen zwei Treppen in den Bassinraum für Nichtschwimmer, der durch ein querherüberlaufendes Tau vom Schwimmerraum abgegrenzt ist; von hier an vertieft sich das Bassin von 0,85 Meter bis zu 2,75 Meter, der tiefsten Stelle bei den Sprungbrettern im Vordergrundes unserer Illustration.

Die Tagesbeleuchtung erhält die Halle durch vierzehn große Fenster an der Seite der Parterre- und Galeriezellen (zum Aus- und Ankleiden) und fünf große Oberlichter, die den dritten Theil der Decke einnehmen und oberhalb welcher der Trockenboden sich befindet. Letztere gewinnen an heißen Sommertagen noch besondere Bedeutung, denn dann wird durch Oeffnen dieser Fenster im ganzen Raum ein erfrischender Luftstrom bemerklich. – Im Winter geschieht die Nachtbeleuchtung durch Gas und die Erwärmung aller Räume mittelst Dampfheizung; die Heizungsröhren liegen unter dem Lattenfußboden der Zellen und Gänge, so daß diese selbst mit erwärmt werden und keine Erkältung der Füße möglich ist.

Wie kommt aber das Wasser, und zwar immer frisch und erwärmt, je nach Erforderniß, in das Bassin? Diese Füllung geschieht in zweierlei Weise: durch directe Einführung der städtischen Wasserleitung durch eine Oeffnung von zehn Centimeter, sowie aus der an der Anstalt vorbeifließenden Pleiße mittelst einer Dampfmaschine von sechs Pferdekräften, welche zwei doppelt wirkende Pumpen treibt und zugleich durch ein verdecktes Wellenrad die Oberfläche des Wassers fortwährend in wellenförmige Bewegung bringt. Die Erwärmung des Wassers geschieht durch directe Dampfeinströmung und Zuführung heißen Wassers; im Winter wird die Temperatur auf zwanzig, im Sommer auf siebenzehn bis achtzehn Grad Réaumur erhalten. Will man in recht heißen Sommern, wo unsere kleinen Flüsse bei niedrigem Wasserstand fast nirgends erfrischende Abkühlung möglich machen, im Schwimmbassin eine recht erquickliche Temperatur erzielen, so braucht man nur ein entsprechendes Quantum aus der städtischen Wasserleitung einströmen zu lassen, denn im Hochsommer und im Winter beträgt der Unterschied der Temperatur zwischen den Wassern der Flüsse und der Wasserleitung immer zehn Grad Réaumur. Diesen Temperaturunterschied kann Jeder an sich selbst ermessen, wenn er eine der beiden Regendouchen im Nichtschwimmerraume benutzt, von denen wir eine auf unserer Abbildung in Thätigkeit sehen. Jede führt in einem Rohre Fluß-, im anderen Leitungswasser; auch hier ist’s möglich, beide zu vereinigen und je nach Erforderniß und Zuträglichkeit für den Badenden zu mildern. Was endlich das Ablassen des Wassers betrifft, so dienen auch dazu zwei Ausgänge von je zwanzig bis zehn Centimeter Oeffnung, [179] sodaß für rasche Leerung und Füllung des Bassins auch bei dem lebhaftesten Besuche der Anstalt ausreichend Sorge getragen ist. Vollständig wird das Bassin in anderthalb Stunden entleert und in drei Stunden gefüllt. Auch wird die größte Reinlichkeit des Wassers dadurch gehütet, daß Waschungen darin nicht gestattet und rings an den Wänden des Bassins Spucklöcher angebracht sind.

Wenn für die Frauen und Mädchen neben der obengenannten „neuen Schwimmanstalt“ auch noch eine besondere Schwimm- und Bade-Anstalt gebaut worden ist, so steht täglich für bestimmte Stunden auch dieses Schwimmbassin, die nothwendige Ergänzung jener Sommeranstalten, den Damen offen, und man weiß, daß die Schwimmmeisterin sich derselben ausgezeichneten Erfolge zu erfreuen hat, wie ihr männlicher College; ja, es wird gesagt, daß der kühne Sprung vom Springplatze der Galerie hinab in’s Bassin von jungen muthigen Damen noch häufiger als von der männlichen Jugend ausgeführt worden sei.

So ist diese „perennirende Wasserlust“ nun schon fast sechs Jahre* in Flor; sie hält ihre Getreuen Winter und Sommer fest und erhält sie gesund, indem sie die Jungen erfrischt und die Alten verjüngt. Jeder, der aus diesem Bade, sei es in die schwüle Sommer-, sei es in die kalte Winterluft, hinausgeht, fühlt sich so gesundheitsfroh, daß er Jeden bedauert, der ihm begegnet und von dem er befürchtet, daß er nie die gleiche Lust mit ihm theile. Und dieses mein Mitleid erstreckt sich weit, über ganz Deutschland hin, das ja immer gesünderer Menschen bedarf und doch das nächste und einfachste Mittel, sie sich zu ziehen und zu erhalten, so sehr vernachlässigt. Wir brauchen hier keine medicinische Abhandlung über Bäder einzufügen; wer es an sich selbst erfahren hat, welch außerordentlichen Einfluß kräftigende Hautpflege auf das Leibliche und Geistige des Menschen ausübt, der wird Propaganda machen für die Ausdehnung dieses Wasserheils, dieser Wasserlust über das ganze Jahr und – über das ganze Volk. Und wenn die Schwimmanstalt des Sophienbades in Leipzig, der Stadt im Herzen Deutschlands, Veranlassung werden könnte zur Weiterverbreitung der Einsicht in ihre außerordentliche Heilsamkeit, so wäre damit ein wahrhaft patriotisches Verdienst erworben und eine neue Wirkungsbahn eröffnet für den Vaterlands- und Volksfreund.

* Der Besitzer des Sophienbades, M. E. Loricke, ließ das Schwimmbassin mit den Douche-Einrichtungen von dem Architekten Münch und dem Maurermeister Siegel-Ullrich erbauen; eröffnet wurde es am 7. Juni 1869.

Friedrich Hofmann.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: geäumigen