Ein Denkmal praktischen Gemeinsinnes

Textdaten
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Autor: L. C. J.
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Titel: Ein Denkmal praktischen Gemeinsinnes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 580–582
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1866
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: neue Schwimmanstalt in Leipzig
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Ein Denkmal praktischen Gemeinsinnes.


Wie viel Tausend Europäer stürzen jährlich in’s Wasser und verlieren ihr Leben im Kampfe mit diesem fürchterlichen Elemente! Was für Mittel hat denn nun die europäische Vernunft ausgesonnen, um solchem Unglücke vorzubeugen, und mit welchem Erfolge? Sie hat Korkwämser, Schwimmgürtel und andere artige Dinge vorgeschlagen, die wirklich gegen das Ertrinken sichern, wenn man sie – am Leibe hat. Da sitzt aber eben der Knoten; Niemand hat sie am Leibe, wenn er in’s Wasser fällt. Es ist zum Verwundern, daß die Vernunft hierbei nicht mit der Mode in Verabredung trat, was doch sonst so häufig der Fall ist; daß sie, wenn diese Dame Pochen, Culs de Paris und Andres mehr gäng und gebe machte, daß sie, sage ich, diese Dinge nicht von Kork lieferte. So wären die Damen vor dem Ertrinken gesichert gewesen; den Herren hätte sie dann auch leicht durch falsche Schultern und andere Zusätze zu Hülfe kommen können.

Sie setzt Prämien auf die Rettung der Verunglückten. Das ist vielleicht schön, wenn es an innerlichen Prämien fehlt und wenn die Retter im Wasser nicht ebenso rettungslos sind, wie die zu Rettenden; wenn ihre ganze Hülfe nicht allein darin besteht, am Ufer um Hülfe zu schreien, Kähne, Stangen etc. zu suchen, indeß der Unglückliche unterliegt.

Sie zieht endlich den armen, leblosen Kämpfer heraus und überliefert ihn der medicinischen Kunst, um ihn von dieser methodisch in’s süße Leben zurückführen zu lassen. Fern sei aller Spott, nur Achtung, wahre, innige Achtung, fühle ich für die menschenfreundlichen Aerzte, die hierin arbeiten. Aber bringt ein Naturkind herbei, von den sogenannten Wilden, die mit dem Wasser so vertraut wie mit der Luft sind, laßt es Alles mit ansehen, und es wird am Ende, wenn der Todte wirklich wieder aufersteht, fragen: „Wendet Ihr Europäer denn diese Mittel an, weil Euer Bruder ertrunken ist, oder laßt Ihr ihn ertrinken, damit Ihr Gelegenheit habt, diese Mittel anzuwenden?“

Dergleichen Anführungen und Auseinandersetzungen wären vielleicht vor siebenzig Jahren nöthig gewesen, um die Schwimmkunst dem großen Publicum zu empfehlen, und man brachte dergleichen Empfehlungen damals wirklich vor. Wir, das gegenwärtig lebende Geschlecht, wollen uns ein wenig darauf zu Gute thun, daß wir nicht mehr so pathetischer Ansprachen bedürfen, um uns zu überzeugen, daß Reinlichkeit und körperliche Rüstigkeit wünschenswerthe Dinge sind. In allen nur einigermaßen bedeutenderen deutschen Städten existiren, zum Theil mit den Schulen und sonstigen Bildungsinstituten verbunden, jetzt seit einer Reihe von Jahren schon mehr oder weniger zweckmäßig eingerichtete öffentliche Schwimmanstalten. Der Prospect, mit welchem das Gründungscomité für die auf Actien in’s Leben zu rufende neue Schwimmanstalt zu Leipzig, der die Stadt die Ausfüllung einer in der Reihe der öffentlichen Wohlfahrtsinstitute entstandenen fühlbaren Lücke verdankt, am 26. Februar 1866 vor die Oeffentlichkeit trat, konnte mithin den wohlthätigen Einfluß des Badens und Schwimmens auf die Entwickelung und den Gesundheitszustand von Jung und Alt als eine bekannte und anerkannte Sache voraussetzen.

Seit fast einem Vierteljahrhundert besaß Leipzig eine Schwimmanstalt; sie befand sich an der Westseite der Stadt, wo die Elster sich dieser in einem kleinen Bogen zuwendet, ein wenig oberhalb der Stelle, an welcher der Marschall Poniatowsky 1813 ertrank. Als sie angelegt wurde, breitete sich noch auf beiden Seiten des Flusses eine im Privatbesitz befindliche Wiese aus. Im Mai 1842 von einem Privatmanne, Herrn Neubert, begründet und hauptsächlich nach den Vorschlägen des bekannten Schriftstellers von Corvin-Wiersbitzki erbaut, erhielt sie im Laufe des Sommers unter dessen Direction ihre Vollendung. Ueber zwanzig Jahre trafen sich seitdem die Freunde der Schwimmkunst und des kühlenden Flußbades in ihren Räumen und fühlten sich heimisch darin. Inzwischen wuchs die Stadt, Gärten und Wiesen machten einem neuen Theile derselben Platz und der Zeitpunkt rückte heran, wo die vorschreitende Bebauung der nächsten Umgebung den längeren Fortbestand der Anstalt unzulässig machen mußte. Die Häuserreihen, welche auf unserem Bilde der neuen Schwimmanstalt den Hintergrund füllen, umfaßten völlig die Stelle, welche ihre Vorgängerin einnahm.

Es war natürlich, daß die Frage über die Verlegung die betheiligten und maßgebenden Kreise lebhaft beschäftigte. In den Erwägungen, welche beiderseits darüber gepflogen wurden, stellte sich endgültig die Ansicht fest, daß für das Unternehmen besser gesorgt sein würde, wenn es nicht von Seiten der Stadt selbst ausgeführt und erhalten werde, da diese einestheils weder so schnell, noch so wohlfeil bauen, anderntheils auch nicht einmal so vortheilhaft verwalten könne, wie Privatleute. Beliefen sich doch die Herstellungskosten der allerdings sehr vollständigen und großartig ausgedachten Schwimmanstalt, welche das Rathsbauamt im Auftrage projectirte, auf die abschreckend hohe Summe von mehr als hundertundzwanzigtausend Thalern. Der Rath entschloß sich daher, sobald im Spätsommer vorigen Jahres die Neubert’sche Anstalt für immer geschlossen war, einer größeren Anzahl mehrjähriger Besucher derselben in einer am 23. October abgehaltenen Versammlung die Bildung einer Actiengesellschaft für den vorliegenden Zweck zu empfehlen, dieser aber die unentgeltliche Ueberlassung des erforderlichen Areals zu verheißen. Ein in jener Versammlung gewählter vorbereitender Ausschuß prüfte hierauf wiederholentlich die Bedürfnisse und Aussichten der Anstalt, suchte sich aus den an ähnlichen Unternehmungen andernorts gemachten Erfahrungen ein selbstständiges Urtheil zu bilden, ließ die Baupläne des Rathsbauamtes vereinfachen und durch den Architekten Herrn Dimpfel neue Risse und Kostenanschläge entwerfen, erlangte später seitens der Stadt die feste Zusicherung, daß diese den erforderlichen Flächenraum der zu bildenden Gesellschaft auf fünfundzwanzig Jahre unentgeltlich überlassen, das Bassin, sowie Zu- und Abflußcanal für Rechnung der Stadtcasse herstellen und für kürzeste Zugänge sorgen wolle. Endlich fand der Beschluß des Rathes auch die einstimmige Genehmigung der Stadtverordneten.

Darüber war der Winter vergangen; erst im März dieses Jahres konnte die Zeichnung der bei den so gewonnenen Grundlagen noch für nothwendig, aber auch ausreichend erachteten sechshundert Actien zu fünfzig Thaler begonnen werden. Sie war schneller bewerkstelligt, als man dachte, die Gesellschaft constituirte sich und legte die weiteren Maßregeln, insbesondere auch die Ausführung des Baues und die Betriebsordnung, alsbald in die Hände eines aus fünfzehn Mitgliedern bestehenden Verwaltungsrathes. In den letzten Tagen des April geschah auf der Stelle, welche die Anstalt jetzt einnimmt, der erste Spatenstich, am 8. Juli waren die Baulichkeiten – Dank der energischen Thätigkeit des Herrn Wasserbauinspectors Georgi, welcher die Ausgrabungen leitete, des Architekten Dimpfel, welcher den Bau beaufsichtigte, und der Gewerken, der Baufabrik Wenck, Werner und Voigt und des Maurermeister Klemm – soweit gefördert, daß es möglich war, die „Saison“ zu eröffnen. Von da an ließ sich gemächlich vollenden, was eilig angefangen war. Unsere Abbildung zeigt die fertige Anstalt in reger Benutzung. Sie liegt, etwa sechszehn Minuten westlich von der Mitte der Stadt entfernt, auf einer

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Die neue Leipziger Schwimmanstalt. Aus der Vogelperspective aufgenommen von A. Eltzner.

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Mitten durch die Insel führt der Länge nach ein Canal, der sich bald auf eine Strecke von einhundertachtzig Ellen zu einer fünfzig Ellen breiten teichartigen Fläche, dem eigentlichen Schwimmbecken, erweitert. Oberhalb und unterhalb der Erweiterung befinden sich Grabenköpfe, welche sie vom Canal abschließen, den Eintritt des Hochwassers verhindern und eine völlige Absperrung des Wassers möglich machen, wenn es wünschenswerth erscheinen sollte, zum Zwecke der Reinigung des Bodens das Wasser in den westlichen tief gelegenen Fluthgraben abzulassen. Das obere Stück jener Erweiterung ist bis auf eine Tiefe von vier bis sechs Ellen ausgegraben und für den ausschließlichen Gebrauch der Schwimmer bestimmt, das untere Drittel gehört den Badenden, Männern und Kindern. Es hat eine Tiefe von fünf bis anderthalb Fuß. Die ansteigende Sohle ist theils mit Ziegeln gepflastert, theils wird sie, wo der Ausflußcanal in gleicher Tiefe mit dem Schwimmbecken hindurchgeht, von einem Gitter aus Latten gebildet. Das Ganze ist von einer aus Pfählen und Pfosten gefügten Uferverkleidung eingeschlossen, welche bis zur Höhe des höchsten Wasserstandes aus Eichenholz, darüber aus Tannenholz gefugt ist und einen elf Fuß breiten, gleichfalls mit tannenen Dielen belegten Breterweg (Perron) trägt.

Zwischen dem Bad für die Schwimmer und dem für die Nichtschwimmer führt eine mit Geländern versehene Brücke von der einen Seite des Perrons zur andern; sie ist zur „Abrichtung“ bestimmt, d. h. bietet den Schwimmlehrern den Standort. An ihren Ausgängen befindet sich auf beiden Seiten ein Thürmchen mit den Vorrichtungen für kalte Sturz- und Regenbäder. Zwei Brunnen, welche hier unter dem gemauerten Boden des Bades liegen, liefern dazu ein kühleres und frischeres Wasser, als der Fluß es in der heißern Jahreszeit bringt. Im Uebrigen hat das Bassin keine besondere Einfassung, abgesehen von den Stellen, wo sich die in’s Wasser führenden Treppen befinden.

Für die Anlage und Ausstattung der Gebäude, welche das Bassin umgeben, boten die bewährten Einrichtungen der ehemaligen Neubert’schen Anstalt den Anhalt, so daß eine frühere Beschreibung der letzteren zum Theil wörtlich auf die neue übertragen werden kann, doch ist Alles höher, weiter und freier geworden. Am untern schmalen Ende (im Mittelgrunde unseres Bildes) erhebt sich nunmehr das zweistöckige massive Wirthschaftsgebäude; es enthält die Zimmer für den Expedienten, die Schwimmmeister und sonstigen Anstaltbeamten, den Restaurateur und mehrere geräumige Wirthschaftslocale zu den Seiten der Eingangshalle. An der der Stadt abgewendeten Langseite zieht sich eine große offene Auskleidehalle mit Bänken, Kleiderhaken hin, die nöthigen Badetoilettenbedürfnisse, Stiefelknechte, Spiegel, Bürsten und Kämme, liegen hier in richtigen Abständen vertheilt an Ketten oder werden aus dem mittelsten vergitterten Abschnitte der offenen Halle ausgegeben. Gegenüber in ziemlich gleicher Länge befindet sich das Gebäude, welches die Räume zum getrennten Auskleiden der Einzelnen enthält. Es besteht aus fünfzehn gleichen ziemlich quadratischen Zimmern nebeneinander. Der Eingang in dieselben ist vom Perron. Rechts und links von diesem Eingange befinden sich an den Wänden des Zimmers auf jeder Seite vier abgesonderte Zellen, die von einander durch Holzwände getrennt und durch eine besondere Thür zu verschließen sind. Diese Zellen umschließen abermals Alles, was zur Bequemlichkeit beim Aus- und Ankleiden der Badenden dient. Da das mittelste jener fünfzehn Zimmer zum Ausgeben der Wäsche an die regelmäßigen Besucher der Anstalt gebraucht wird und keine Zellen enthält, so beträgt die gesammte Zahl derselben einhundert und zwölf. Tragbare eiserne Bänke stehen zwischen den Thüren.

Dem Besucher der Anstalt, welcher durch die Eingangshalle hereintritt und sich, je nachdem er sich im geschlossenen oder offenen Raume entkleiden will, links oder rechts wendet, fallen aber am meisten die mancherlei Vorkehrungen auf, welche zur turnerischen Uebung des Springens in das Wasser und dergleichen Uebung im Wasser selber vorhanden sind: schwimmende Balken oder Walzen, schwimmende Bänke, eine Wippe mitten im Wasser, ein über demselben hängendes Seil, ein Holzkreuz, ein Floß etc. Selten sieht man diese Geräthe unbenutzt; besonders die muntere Jugend macht unaufhörlich darauf ihre Künste, führt mit kleinen Rudern bewehrt das Floß auf dem Wasserspiegel hin und her, kippt und wälzt es um, reitet auf Kreuz oder Walze, macht sich den ruhigen Sitz streitig, stürzt sich oder fällt herab und kommt so bald auf die eine, bald auf die andere Art in die wunderlichsten Lagen, bis sie mit dem Wasser so vertraut wird, wie eine Wasserratte. Die große Ausdehnung des Wasserspiegels macht es möglich, dieses Spiel zu gestatten, für das die meisten andern geschlossenen Schwimmanstalten in Flüssen den Raum nicht hergeben können. Mit besonderer Vorliebe endlich ist für die Liebhaberei der Wasserspringer gesorgt. Rechts und links liegen Breter theils fest, theils auf Federn, damit sie wippen und den Schwung des Springers vermehren, mit Matten überzogen, damit der Fuß nicht gleitet. Am obersten Ende des Schwimmbads erhebt sich bis 26 Fuß frei über dem Wasser das eigentliche Springgerüst, in der Mitte eine erhabene Brücke, unter der Schaukelreck und Schaukelringe angebracht sind, an welchen die turnfertigen Kinder, Jünglinge und Männer Leipzigs von der Höhe herab über die Wasserfläche hinausfliegen, um sich im kühnen Absprunge und Ueberschlag mitten in die Fluth zu stürzen, daneben auch ein festes Reck über dem Wasser. Schwerlich findet man gegenwärtig an einem anderen Orte derartige Vorkehrungen in gleicher Vollständigkeit zu einem schönen Ganzen vereinigt, und ebenso gewiß schwerlich eine gründlichere Benutzung, da der Sinn für turnerische Ausbildung in Leipzig lebendiger ist als irgend sonst. Wurden doch in der ersten Woche der Benutzung der neuen Schwimmanstalt 3483 einzelne Billets, außerdem zu billigerem Preise noch 91 Dutzend und endlich 241 Abonnementbillets verkauft, so daß sich ungeachtet des äußerst niedrig gegriffenen Preissatzes eine Einnahme von mehr als 525 Thaler ergab. Auch ist die Anstalt fort und fort fleißig besucht geblieben, trotz der Ungunst des Wetters und so mancher widrigen Verhältnisse in diesem verhängnißvollen Sommer. Als ein schönes Werk und Beispiel des praktischen, auf gemeinnützige Zwecke gerichteten Sinnes der Leipziger Bürgerschaft darf jedenfalls auf allgemeine Anerkennung Anspruch machen.
L. C. J.