Eine Eintrittspforte zum Thüringer Walde

Textdaten
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Autor: Friedrich Helbig
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Titel: Eine Eintrittspforte zum Thüringer Walde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 32, S. 537–542
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Bericht über Arnstadt
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Eine Eintrittspforte zum Thüringer Walde.


Groß und in beständiger Mehrung ist die Zahl der Waller, die alljährlich nach dem Rüstgange des Winters heilsuchend für die Gebrechen des Leibes und der Seele oder auch aus frischer Wanderlust hineindringen in das lauschige Waldgeheimniß der Thüringer Berge. Vor Zeiten kamen die Thüringer Sommergäste tief aus dem Süden. Es waren seltsame, schier unheimliche Gäste, fremd im Gebahren, fremd in der Tracht. Prüfend und forschend durchzogen sie das vielfach noch unerschlossene [538] Land, stiegen in Flüsse und Weiher und wuschen den blinkenden Kiesel rein von Schlamm und Schlacke oder gruben tiefe Gänge in das krystallene Gestein. Im Herbst zogen sie reich beladen von dannen. Das Volk nannte sie Krystallgänger, Wahlen (Wälsche), Venetianer. Die modernen Thüringer Sommergäste stammen dagegen zumeist aus den Flachländern des deutschen Ostens und Nordens, und der Thüringer sieht sie weit lieber als jene, denn sie bringen ihm an gemünztem Golde wieder, was jene an ungemünztem davon getragen.

Daher liegen auch die Eingangsthore zu der Thüringer Bergfeste vornehmlich auf der Nord- und Ostseite, und eine der gesuchtesten Eingangspforten ist neben Eisenach die Stadt Arnstadt. Sage und Geschichte haben sie mit einem reichen Kranze ihrer Blüthen geschmückt; ihr äußeres Erscheinen hat sich vielfach noch seine Eigenart bewahrt. Ihre anmuthige Lage, ihre waldigfrische und doch wieder sonnig gemilderte Luft, ihre heilkräftigen Bäder laden den Fremden zur dauernden Fesselung, und neuerdings hat der Weltruf einer ihr zu eigen gehörenden gefeierten Dichterin, deren Schöpfungen mit ihrem Boden vielfach innig verwachsen sind, sie mit sonnigem Glanze bestrahlt. So erhebt sie sich aus dem Kreise des Gewöhnlichen.

In der That hat die Stadt zwei Gesichter. Mit dem einen schaut sie hinaus in die wellige Ebene, die sich von Thüringen bis zum Harze breitet, das andere aber blickt noch tief hinein in die Gründe des Thüringer Waldes, der ferne äußersten Vorposten bis zu ihren Füßen sendet. Die rasch dahinrauschende Gera ist ein echtes Kind der Berge. Ihre hellgrüne Welle bringt den Gruß von den Geländen des Schneekopfs, dessen Höhenzug den Hintergrund des Plaueschen Thales in Wechsel- und effectvoller Beleuchtung, malerisch abschließt. Dieser Plauesche Grund, wie ihn uns der Stift des Zeichners vergegenwärtigt, vereinigt in sich bereits die ganze eigenthümliche Scenerie des Thüringer Waldes. Da fehlen nicht die hohen sonndurchglitzerten Kirchenhallen des Buchenwaldes im Contraste zu den düstern Säulengängen der Fichten- und Kiefernwaldung, noch der grüne, saftige Wiesengrund, noch die lauschigen Seitenthäler, noch die Burgruine, um deren Trümmer sich der immer grünende Epheu der Sage schlingt. Das Städtchen Plaue, das ihm seinen Namen gegeben, trägt schon in dem dort vorzugsweise gepflegten Gewerbszweige, der Porcellanfabrikation, die Signatur des Thüringer Waldes. Das Thal hat früh schon seinen Sänger gefunden in dem Arzte W. Neubeck[WS 1], einem Sohne Arnstadts, der seine „arkadischen Hirtengefilde“ in schwellenden Alexandrinern feiert. Im Westen der Stadt, im Hintergrunde des großen Mittelbildes des unserem heutigen Artikel beigegebenen Tableaus, stehen die drei Burgwächter Thüringens, die drei Gleichen: vornan die Wachsenburg, die im modernisirten Gewande jetzt gastliche Herberge bietet, dann links die Mühlberger Gleiche, malerisch gelegen, aber am tiefsten verfallen, da aus dem Chaos der Trümmer fast nur noch der runde zinnengeschmückte Bergfried als letzter Zeuge fehdelustiger Tage hervorragt, und rechts im Hintergrund die Wandersleber Gleiche, die eigentliche Stammburg der Grafen von Gleichen, in deren Bogengängen und Verließen die blaue Blume der Romantik in reicher Fülle blüht.

Arnstadts Vergangenheit geht weit in unserer Geschichte zurück; bezeugt doch eine pergamentene Verbriefung von Walpurgis 704, daß schon zu dieser frühen Zeit der Ort existirte. In den Decembertagen des Jahres 954 wurde hier der Act der Aussöhnung zwischen dem großen Kaiser Otto dem Ersten und seinem aufständischen Sohne, sowie die Wahl des kaiserlichen Bruders Wilhelm zum Erzbischof von Mainz und zum Statthalter von Thüringen gefeiert. Arnstadt stand seitdem unter der Botmäßigkeit der dem Mainzer Bisthume zugehörigen Abtei Hersfeld, die auf der Wachsenburg eine Art Zwinguri errichtet hatte. Im Jahre 1197 geschah hier die Vorwahl Philipp’s von Schwaben zum deutschen Kaiser und nach dessen Tode die Anerkennung des seitherigen Gegenkönigs, des Welfen Otto von Braunschweig, durch die sächsisch-thüringischen Fürsten.

Seit der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts finden wir die Hoheit über Arnstadt zwiefach getheilt. Ueber die eine Hälfte gebot noch die Abtei Hersfeld, über die andere die Grafen von Kefernburg. So trug die Stadt halb ein geistliches, halb ein weltliches Gewand. Die Burg der Grafen von Kefernburg lag nur eine halbe Stunde von der Stadt. Die Kefernburger waren ein altes mächtiges und wohlbegütertes Geschlecht, das seine Ahnherren unter den Heerführern Attila’s suchte, aber schon 1388 ausstarb.

Seitdem blieb ihr altes Stammschloß verödet. Regen und Sturmwind schlossen gemeinsam den Bund zu seiner Zerstörung, und zuletzt trug die nüchterne Zeit auch noch den letzten Stein von dem freiliegenden Hügel. Noch vor dem Aussterben der Kefernburger Grafen war Arnstadt durch Kauf an die Grafen von Schwarzburg gekommen. Auch der Abt von Hersfeld gab seine Hälfte an sie dahin, und die Stadt verblieb seitdem beim Hause Schwarzburg und zwar zuletzt bei der Sondershäuser Linie. Unter diesen in Arnstadt residirenden Schwarzburger Grafen tritt uns vor Allem die leuchtende, ritterliche Gestalt Günther’s des Einundzwanzigsten entgegen, der eine kurze Zeit die Krone Deutschlands trug.

Im Jahre 1560 hielt Günther der Streitbare mit Katharina von Nassau, einer Schwester Wilhelm’s von Oranien, in dem von ihm erbauten Schlosse zu Arnstadt ein hochzeitliches Beilager ab, das die immensen Ziffern des dabei Genossenen zu einem chronikalischen Curiosum gemacht haben. Noch ruht der Segen vieler städtischen Stiftungen auf dem Andenken des fürstlichen Ehepaares.

Mit dem Aussterben eigener Fürsten kam auch das Arnstädter Schloß, das schon unter den Kefernburgern als Schloß Neideck bestand, in Verfall und wurde allmählich zu jener malerischen Ruine, die unser heutiges Bild zeigt. Nur der seltsam geformte hohe Thurm mit seinem Freigeländer blieb noch unversehrt. Der Schloßgarten war sonst ein „Klein-Trianon“. Namentlich fehlten darin nicht die wälschen Wasserkünste mit ihren neckischen Ueberraschungen. Da gab es Grotten, welche den ahnungslos Eintretenden mit einem Bade überschütteten, einladende Rasenbänke, die den sorglos Niedersitzenden unversehens unter Wasser setzten. Eine Stelle im Parke hieß das Maienfest. Dort pflanzte nach einem alten Brauche jeder fürstliche Thronerbe im achten Jahre eine Linde. (Siehe das erste Capitel der Marlitt’schen Erzählung. „Die zweite Frau“.) Das Alles haben nur die alten prachtvollen Linden überdauert.

In gleicher Verödung, aber nicht den Schlaf des Todes, sondern nur den Erstarrungsschlaf Dornröschens schlafend, harrend und gewärtig seiner Wiedererlösung, liegt auch das edelste Kleinod der Stadt, das stolze Denkmal mittelalterlicher Bauherrlichkeit, die Liebfrauenkirche, nicht hoch und dominirend, wie die meisten Heiligthümer der Hierarchen-Herrschaft, sondern tief versteckt in einer Senkung des Terrains, da „wo die letzten Gäßchen steil den Berg hinan klettern“. Die Liebfrauenkirche wurde zum befruchtenden Keime für die schlummernde Gestaltungskraft einer Marlitt, zur scenischen Basis ihrer reizenden zuerst veröffentlichten Erzählung „Die zwölf Apostel“.

Der zierliche Dom hat verschiedene bauliche Metamorphosen durchlebt, die ihn zum würdigen Gegenstande einer Baukunststudie machen. Anfangs wohl nur eine schlichte Capelle im prunklosen Stile der ersten christlichen Kirchen, wie das ein paar Fenster im Mittelschiffe zu bezeugen scheinen, gegründet, wie es heißt, zu Ehren der Bischofswahl Wilhelm’s von Mainz, erweiterte sie sich später zur romanischen Basilika, die noch jetzt die Grundform bildet, bis eine noch spätere Zeit einen Hauptchor im rein gothischen Spitzbogenstile hinzufügte und auch sonst noch die Gothik ihre Zierrathen von halb neckischer, halb geheimnißvoller Symbolik überall anbrachte, wie überhaupt an Fenster und Portal sich Rund- und Spitzbogen vielfach den Rang streitig machen. Von den zierlichen Thürmen ist gleichfalls der westliche älter als der östliche. Der letztere ist eine wahrhafte in Stein ausgeführte Filigranarbeit. Die Sage, welche in der mannigfachsten Gestalt das alte Bauwerk durchschwirrt, sich an Knauf und Simse hängt und im Dämmerlichte der Seitencapellen kauert, nennt den zierlichem der beiden Thürme das Werk eines Gesellen, den der über den künstlerischen Obsieg seines Gehülfen erzürnte und beschämte Meister, der Erbauer des weniger zart ausgeführten andern Thurmes, mit hinterlistiger Rede hinauf auf den Thurm gelockt und beim Hinausblicke aus dem Fenster in die Tiefe gestürzt haben soll. Sein Hündlein, treuer als der treulose Meister, ist dem Stürzenden nachgesprungen. Das Wahrzeichen dieser sündigen Blutthat hat der arge Meister dann hoch am Thurmfenster selbst im Steine versinnlicht. [539] Die Sage erzählt uns auch, daß die Kirche das Werk einer frommen gräflichen Frau gewesen sei. Zaghaft habe sie gefürchtet, daß ihr Reichthum nicht langen werde den Bau zu vollenden, aber mit dem letzten Heller sei auch der letzte Stein darein gefügt gewesen. Sie läßt noch jetzt „in der Nacht, da der Heiland geboren ward“, die erloschenen Kerzen am Hochaltare und die ewige Lampe im Seitenschiffe sich wieder entzünden, die verschwundene Orgel von Neuem erklingen, die Nonnen in langem Zuge durch den verödeten Gang vom Kloster herüber auf die Empore schreiten, die zinnernen Särge sich öffnen und die darin schlummernden Leiber der alten Grafen von Schwarzburg, der Herren von Witzleben und Anderer aus den dunkeln unterirdischen Grabgewölben heraufsteigen und eine geisterhafte Menge sich versammeln, der mitternächtigen Mette zu lauschen, bis die erste Morgenstunde den frommen Spuk wieder in die Gräber bannt. Sie erzählt auch von jenen zwölf silbernen Aposteln, die einst den Hauptaltar schmückten und die eine angstvolle Priesterhand in Kriegsnöthen an eine Stelle vergrub, die noch immer ihres glücklichen Entdeckers harrt. Zwar soll der sandsteinerne Katzenkopf im südlichen Seitenschiffe nach der Stelle blicken, wo sie verborgen liegen, aber Katzenaugen sind falsch und trügerisch. Dann soll es wieder ein Stein mit einem Maltheserkreuz sein, darunter sie liegen, aber noch hat ihn Keiner gefunden.

Eine noch spätere Zeit hat auf das Mitteldach der Kirche einen plumpen vierschrötigen Thurm mit mächtiger Helmhaube gesetzt, um die Glocken hinein zu hängen, welche die zierlichen Vorderthürme durch ihre Schwere gefährdeten. Da sitzt er nun auf dem Dachsimse groß und patzig wie eine dralle Viehmagd zwei schlanken und zierlichen Damen des Salons gegenüber. Noch gar manches Kleinod birgt das Innere der Kirche. So vor Allem einen köstlichen Altarschrein, der in seinen äußern Decken Scenen aus der Passionsgeschichte wiedergiebt, drinnen aber in reicher Vergoldung ein Schnitzwerk, die Krönung der Himmelskönigin darstellend, mit entsprechenden der biblischen und Heiligengeschichte entnommenen Bildern enthalt. In dem nördlichen Seitenchore begegnen wir einem mächtigen steinernen Sarkophage, der obenauf die Figuren eines Grafen, „Günther und seiner Frauen Elisabeth“ trägt. Zu den Füßen der Frau liegt ein Hund, das Sinnbild der Treue, zu denen des Mannes ein Löwe, das Sinnbild des Muthes, unten am Sockel aber steht als Sargwächter die thüringische Sagenfigur des treuen Eckardt. In der Sacristei stoßen wir auf ein buntes Durcheinander dahin geretteter Kirchenstücke; wir finden dort Gefäße, Schreine, Reliquienkästen, Klingelbeutel, Christuskreuze, theilweis mit Vorrichtungen zu künstlicher Blutung versehen, allerhand geschnitzte und gemalte Figuren, Heilige, Apostel, Grafen von Schwarzburg, Gustav Adolf, Doctor Luther, Alles im friedlichen Beisammensein.

Die sich gegenüber stehenden Giebel der beiden charakteristischen Häuser, welche die südöstliche Ecke des Marktplatzes bilden, haben unsern Künstler zur Zeichnung des hübschen Seitenbildes veranlaßt. Die Häuser haben aber auch ihre innere Bedeutung. Die beiden ersten Fenster des über einer Säulengalerie hervorspringenden Hauses – die Galerie zieht sich an der ganzen Breitseite des Marktes hin und dient namentlich an regnerischen Markttagen zur Verkaufshalle – erhellen das Zimmer, in welchem E. Marlitt das Licht der Welt erblickte. In diesem säulengetragenen Hause verlebte sie eine fröhliche, heitere Jugend, denn sie hatte nichts von dem träumerischen, kopfhängerischen Wesen, wie es ihr wohl die Legende andichtet, welche ungestillte Neugier bereits phantastisch um ihr Leben gewoben hat. Ein lustiges, neckisches unbefangenes Kind, hat sie aus dem herben Ernste eines wechselvollen Lebens von dieser Eigenart ihres Wesens Vieles noch hinübergerettet in ein, späteres Alter, und die sonnige Heiterkeit senkt auch noch ihre frischen Lichter in die Einsamkeit, zu welcher körperliche Leiden und eine gewisse keusche Scheu vor öffentlicher Schaustellung sie verurtheilen. In dem andern Eckhause mit seinen weit hervorspringenden Ecken, den erzenen Drachenköpfen hoch oben an dem langaufstrebenden Dache, die das Regenwasser hinunter auf die Pflastersteine speien, erkennt der Leser des „Geheimnisses der alten Mamsell“ bald die Staffage des Hellwig’schen Hauses. Es war eine Reminiscenz aus der fröhlichen Jugendzeit, welche sich in der Dichterin wieder belebte, als sie den Schauplatz ihres Romans an diese Stätte verlegte. Sie hat dieses Haus, das Gasthaus „Zum Schwarzburger Hofe“, zu einer Merkwürdigkeit umgeschaffen, welche kein Fremder mehr ungesehen läßt. Dieser ganze obere Stadttheil mit seiner Barfüßerkirche – in welcher die bigotte Frau Hellwig ihre Andachten verrichtete – und dem ganzen Complexe alter Kloster- und Stiftsgebäude ist in seiner Verkehrsstille ein wahrer Heimgarten der Poesie. Da ist weiter hinauf auch das „alte häßliche Stadtthor mit dem noch, häßlicheren Thurme“ – auch das Häßliche hat ja seine Aesthetik–, der, wie es in jenem Romane heißt, „auf seinem Rücken dräuet“, da „schlingen sich, wenn man durch die grünschimmernde Wölbung tritt, prächtige wohlgepflegte Lindenalleen in wunderlichem Contraste um alte geschwärzte Stadtmauern, wie ein frischer Myrthenkranz um einen ergrauten Scheitel“.

Bei dem Austritte aus dieser Lindenallee begrüßt uns das neue freundliche Heim der Dichterin, ihre in Bild und Wort schon oft geschilderte Villa. Auf freier Höhe, die im Hintergrunde noch hoch emporsteigt bis zur „Alten Burg“, liegt die Stadt gerade in ihrem am schönsten entwickelten Theile. Mit eigenthümlichem Zauber wirkt das Bild, wenn der Abend hereinbricht, die Contouren der Häuser sich im Dunkel verwischen und nur die Gasflammen als Hunderte von schwimmenden Lichtpunkten aus der dunkeln Fluth hervortauchen. Beim Ausblicke vom Balcon aber schweift das Auge hinüber nach dem Krater der Kefernburg, nach Oberndorf mit seiner uralten freiragenden Kirche und nach dem grünenden Haine dahinter.

Ganz im Gegensatze dazu liegt das einstige Heim eines andern Dichters tief drunten in der Niederung des Thales. Wilibald Alexis, der glückliche Nachahmer Walter Scott’s, baute sich sein Abbotsford, in dem er seinen von qualvollen Leiden getrübten Lebensabend verbrachte, dicht an die lauschigen Ufer der Gera unter die Schatten hochragender Kastanienbäume. Droben im Walde in noch tieferer Stille trägt ein einsames Plätzchen den Namen Alexis-Ruhe. Der Dichter aber hat schon längst das stillste und engste aller Häuser bezogen draußen an der Mauer des Friedhofs; die treue Pflegerin seiner Leiden, zuletzt selbst einem hülflosen Siechthume verfallen, ist ihm vor Kurzem dahin gefolgt und ruht unter einem Kreuze an seiner Seite.

Nur zwei Schritte weiter befindet sich ein anderes Grab mit einem liegenden Kreuze, neben welchem noch ein Platz frei gelassen ist, wo die eine treue Tochter neben dem Heimgegangenen heiß verehrten Vater einst ruhen will. Sie weiß, daß sie zum Theile diesem Vater als Erbtheil das eigene hohe künstlerische Empfinden verdankt und daß es nur das stillbescheidene Wesen des Verstorbenen gewesen ist, das ihm eine Anerkennung seines durch verschiedene nachgelassene malerische Kunstwerke zweifellos verbrieften Talents für eine größere Oeffentlichkeit versagt hat. Das liegende Kreuz trägt den Namen „Ernst John“.

Nur kurz wollen wir noch berühren, daß auch der Dichter Novalis, der Hauptvertreter der romantischen Schule, in Arnstadt einige Zeit sich aufhielt, um sich zum praktischen Juristen auszubilden, und daß dieser Aufenthalt für ihn dadurch zur hohen Bedeutung wurde, daß er unter den Damen des Hofstaates der verwittweten Gräfin Auguste Dorothea, welche aus den Trümmern der Kefernburg sich ein Lustschloß, die Augustenburg, gebaut hatte, in welcher es ebenso fromm wie lustig herging, seine erste Liebe nur fand, um sie bald wieder dem Tode abzutreten. Dieser Verlust drückte auf Novalis’ Stirn für immer die Weihe dichterischer Verklärung, grub in seine Seele den tiefen Sehnsuchtsdrang nach dem Jenseits, der durch seine Schriften geht und dem er selbst in früher Jugend erlag.

Wohl könnten wir noch manches Andere von unserer Stadt erzählen, von merkwürdigen Ereignissen und noch bemerkenswerthen Stätten, so von jenen seltsamen Bildnereien, welche die Fronten vieler Häuser zieren, von dem großen kinderfreundlichen Christoph bis zum schuppigen Karpfen, könnten erzählen von dem Wohlstande, dem Fleiße, dem biedern und stark ausgeprägten Familiensinne der Einwohner, aber die Raumbeschränkung, welche sich für jeden solchen Artikel, wie der unsere, vorschreibt, gebietet uns, Maß zu halten.

Nur auf die Bedeutung Arnstadts als Bad und Sommerfrische wollen wir noch hindeuten. Wir möchten auch hier der Dichterin des „Geheimnisses der alten Mamsell“ das Wort lassen. „Innerhalb der letztverflossenen Jahre,“ heißt es dort einmal, „hatte ein Ingenieur seine Wünschelruthe ziemlich nahe dem Weichbilde der Stadt spielen lassen. Der moderne

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Arnstadt und seine Umgebung. Nach der Natur aufgenommen von H. Heubner.

[542] Mosisstab hatte dem Boden einen bittern Quell entlockt, der an der Luft, wenn auch nicht zu Gold und Silber, so doch zu sehr schätzenswerthen Salzkrystallen erhärtete. Das war ein Fingerzeig für die Bewohner. Sie etablirten ein Soolbad, das im Vereine mit dem ausgezeichneten Renommée der Thüringer Luft sehr bald Hülfesuchende aus aller Herren Ländern heranzog.“ In der That ist die sonst so stille Physiognomie des Orts im Sommer eine sehr belebte. Badegäste, Sommerfrischler und Touristen ziehen ein und aus. Gar Manche von ihnen hat Arnstadt so sehr gefesselt, daß sie nicht wieder davon kamen und hier seßhaft wurden. Moderne Villen in den wunderlichsten Stilformen wachsen in stetig sich mehrender Anzahl und ziehen sich schon weit hinein in den Plaueschen Grund.

Die alte Thüringer Art will sich zwar noch nicht recht zu dem neuen Elemente finden, aber dem nivellirenden Drange der Zeit wird sie doch noch gehorchen müssen.
Fr. Helbig.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: W. Neubert