Textdaten
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Autor: Robert Springer
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Titel: Ein gestürzter Titan
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 260–262
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[260]
Ein gestürzter Titan.
Erinnerung an Friedrich Hölderlin bei seiner Säcularfeier.
Von Robert Springer.

Hoch auf strebte mein Geist, aber die Liebe zog
Bald ihn nieder; das Leid beugt’ ihn gewaltiger;
     So durchlauf’ ich des Lebens
 Bogen und kehre, woher ich kam.   Hölderlin.

Hundert Jahre sind es her, daß ein deutscher Dichter, ein Dichter von unvergänglichem Namen, daß der Lyriker Hölderlin geboren wurde, und wir begingen dieses Geburtsfest vor wenigen Wochen in geziemender Weise mit einer Säcularfeier. Denn was bliebe uns Deutschen aus jener Zeit der Erinnerung würdig, wenn nicht die unsterblichen Namen, an welche sich unsere Literaturgeschichte knüpft? Und sie sind uns Alle theuer geblieben, sie Alle, welche während der politischen Herrschaft des Absolutismus die deutsche Republik der Geister schufen, und das Volk weiht den Namen jener Heroen die höchste Verehrung, wenngleich sich auch an diesen Platen’s klagendes Wort bewährt: „Es gesellt sich ihnen selten freundschaftsvoll ein Gemüth und huldigt körnigem Tiefsinn.“ Aber selbst wer die Messiade nur aus Bruchstücken kennt, feiert doch Klopstock als den Genius, der sich dem Höchsten weihte, uns eine neue Welt eröffnete und unsere Literatur zu einer höheren Stufe erhob; wer nur seinen Fuß flüchtig in den Vorhof der Philosophie gesetzt hat, preist dennoch Kant als den Begründer der kritischen Philosophie; Herder’s Allegorien, Wieland’s üppige Romane und Lehrgedichte verlassen nur selten den ihnen angewiesenen entlegensten Winkel unserer Büchersammlung, aber wir hegen sie wie der Geizige den Mammon, den er nicht verwendet und doch über Alles liebt; ja, selbst Jean Paul’s glühende und farbensprühende Lyrik berauscht nur die Herzen weniger Auserwählter mehr und dennoch feiern wir ihn als den herrlichsten und gemüthvollsten Freund und Tröster unserer Jugend. Wie der Ritter im Kampf auf Tod und Leben die Lanze einlegt für den Namen seiner Geliebten, so verfechten wir im Streit wider die andringenden materiellen Zeitläufe die Glorie und Unsterblichkeit unserer literarischen Heroen. Zu diesen Namen gehört Johann Christoph Friedrich Hölderlin[WS 1].

Seine Werke sind nicht allgemein bekannt. Er schrieb philosophische Briefe für Niethammer’s Journal, die längst verschollen sind; seine Gedichte, voll hohen lyrischen Schwunges, aber mit Anspielungen auf das griechische Alterthum überladen, erschienen erst, von Uhland und Schwab gesammelt, lange nachdem er schon als Dichter berühmt, ja, als er schon geistig todt war. Wie Wenige kennen leider mehr sein bedeutendstes Werk, den Roman „Hyperion“, eine großartige Schöpfung, die ihre Handlung aber auf den Boden des alten Griechenlands und des Hellenenthums verlegt hat und in deren zweitem Theile die Blitze des Genius sich schon durch das Gewölk des Wahnsinns Bahn brechen mußten! Wie Wenige, sagen wir, haben diese Werke gelesen, und doch zählen wir Hölderlin zu unsern ausgezeichnetsten Lyrikern und Achim von Arnim nennt ihn den größten aller elegischen Dichter der Deutschen.

Ganz erfüllt von den hohen Idealen der Antike und nur genährt mit jenem Bildungsstoff, der allein aus den Anschauungen und den Werken der römischen und hellenischen Classicität geschöpft ist, tritt Hölderlin in’s praktische Leben und findet sich dort völlig fremd. Gleich vielen der edelsten unserer Denker, irrt er schier obdachlos umher und sucht vergeblich nach einem Amte, es bleibt ihm nur die traurige Aushülfe, sich in das wissenschaftliche Tagelöhnergeschäft eines Hauslehrers zu flüchten. Auch die Krankheit der überspannten Jugend und das damalige Wertherfieber seines Vaterlandes befällt ihn: eine Liebesneigung ohne sinnliche Befriedigung. Bis so weit verläuft Alles herkömmlich wie bei vielen deutschen Genien; es fehlt nur, daß die classische Bildung sich endlich in einem auskömmlichen Amte mit der prosaischen Alltäglichkeit versöhne und praktischer Tüchtigkeit weiche, daß der poetische Schwung noch ausreiche, die Mußestunden [261] eines gemüthlichen Philisterlebens zu vergolden, und daß das Wertherfieber in einem gesetzmäßigen kinderreichen Ehestande erlösche.

Aber dieses Loos war Hölderlin nicht beschieden. Von glühender Einbildungskraft emporgehoben, aber im Zwiespalt zwischen Natur und Geist, verliert er den Pfad, der ihn zur rechten Zeit zurückleiten konnte auf den Boden der Wirklichkeit, und vergißt den Zauberspruch, der den Fluthen der Phantasie Einhalt thut und das Gleichgewicht der Seelenkräfte wieder herstellt. Es erfüllt sich an dem Unglücklichen in der Wirklichkeit das grause Schicksal, das Shakespeare seinen Theaterhelden andichtet, um die kalten Herzen seiner britischen Landsleute zu rühren: Hölderlin wird wahnsinnig und erhöht den Ruhm eines deutschen Dichters mit dem Märtyrerthum des Irrenhauses.

Lassen wir die hervorragendsten Momente dieses unheilvollen Dichterlebens an unserem Blick vorübergehen.

Zu Laufen in der reizenden Neckargegend, wo der Vater als Verwaltungsbeamter eines ehemaligen Klosters lebte; erblickte Friedrich Hölderlin am 20. März 1770 (nicht am 29. März, wie in Folge eines Druckfehlers im „Magisterbuche“ viele seiner Biographien angeben) das Licht der Welt. Der Vater wurde ihm schon im zweiten Jahre durch den Tod entrissen. Hölderlin verlebt seine Kindheit in dem Städtchen Nürdingen, in reizender, von waldigen Bergen umschlossener Thallandschaft. Er erhält Unterricht in der dortigen lateinischen Schule und schließt Freundschaft mit seinem Mitschüler Schelling. Seine Kindheit schildert er in der Strophe:

Mich erzog der Wohllaut
Des säuselnden Hains,
Und lieben lernt’ ich
Unter den Blumen.
So wuchs ich groß
Im Arme schützender Götter.

Im Jahre 1788 sehen wir ihn auf der Universität Tübingen als einen edel gestalteten Jüngling von feinem Anstande, voll Geist und Anmuth, von schlankem Wuchse, das zarte Antlitz mit den braunen schwärmerischen Augen von reichem Haar umwallt – eine Apollogestalt wie der junge Goethe, aber weicher und hinfälliger. Dem Wunsche der Mutter folgend, widmet er sich der Theologie, vertieft sich jedoch mit Vorliebe in die alten Classiker, die ihm die Grundlage seines poetischen Schaffens bieten, ihn aber auch gänzlich dem Leben der Gegenwart entrücken. Er dichtet und spielt die Flöte unter des blinden Dulon’s Anleitung. Zu seinen theologischen Studiengenossen gehört der junge Hegel; unter seinen Freunden steht aber Sinclair obenan, aus schottischer Familie stammend, der seine thätige Theilnahme an Hölderlin’s Schicksale bis zu seinem Tode bewahrte.

Friedrich Hölderlin.

Hölderlin streift umher in Wald und Wiesenthal. Auf den alten Burgtrümmern und den Höhen von Schemberg, Balingen und Rechberg erathmet er den liebeschwellenden Hauch, der uns aus seinen elegischen Liedern anweht; in jener reichen, mächtigen und lieblichen Natur ersinnt er die tiefen Gedanken über Liebe, Freundschaft und Vaterland, die er im ersten Theile seines Hyperion ausspricht – jene edeln und erhabenen Phantasien über die Wechselwirkung zwischen Bildung und Natur, über die Einigung der Menschen zu einer glücklichen Zukunft und über das Ideal der Menschengeschichte.

Fünf Jahre später treffen wir Hölderlin in Jena. Unterdessen ist der Boden Frankreichs von einer Revolution erschüttert worden und die Stöße haben sich auch in Deutschland, wenngleich nur schwach, fühlbar gemacht. Der junge Dichter, in welchem jene Umwälzung die platonischen Staatsideen zu neuem Leben erweckte, hat, auf Schiller’s Empfehlung, eine Hauslehrerstelle bei der Frau von Kalb bekleidet, aber bald wieder aufgegeben. Er ist als Verfasser mehrerer lyrischer Gedichte, die in der „Thalia“ erschienen, und durch ein Fragment seines „Hyperion“ berühmt geworden und kommt in die Saalstadt, um Fichte zu hören und sich um eine Anstellung zu bewerben, die ihm ein gesichertes Einkommen bieten soll. Ohne Erfolg kehrt er dann in die Heimath zurück, und Sinclair verschafft ihm eine Stelle als Hauslehrer in der Familie des reichen Frankfurter Kaufmanns Gontard. Hier erfaßt ihn die leidenschaftlichste Liebe zu der schönen und geistvollen Frau vom Hause. Ihr Bild weicht nicht mehr aus seinem Herzen. Wenn er ihrer Gegenwart entflieht und Zerstreuung auf den nahe gelegenen Höhen des Taunus sucht; wenn er die Waldungen, welche sich damals noch bis an die südliche und westliche Seite der Stadt erstreckten, in schmerzlicher Wehmuth durchwandert: überall sieht er das Bild der Mutter seiner Zöglinge, das Bild der geliebten Frau, die er unter dem Namen „Diotima“ in seinen Gedichten verherrlicht hat.

Wie die Leidenschaft sein Herz überfluthet, so zerwühlen die französischen Heere den heimathlichen Boden. Verzweifelnd am eigenen Herzen und am deutschen Vaterlande, begiebt sich Hölderlin nach Frankreich; wo er eine Hauslehrerstelle beim Hamburgischen Consul annimmt. Plötzlich aber, vielleicht durch die Nachricht von Diotima’s Tode aus aller Fassung gebracht, verläßt er heimlich seine Stellung und erscheint wieder in der Heimath – gänzlich verändert, in der Kleidung eines Bettlers, gleichsam mit zerschlagenem Antlitz, wie jener ausgestoßene Titan Empedokles, dessen Geschick er in einem poetischen Fragment geschildert hat.

Sein Freund Sinclair, der in die Dienste des Landgrafen von Hessen getreten war, wirkte ihm eine Anstellung als Bibliothekar in Homburg aus. Dort in der reizenden Ebene, welche der Feldberg beherrscht und die Höhenzüge des Spessart und Odenwaldes umgrenzen, auf dem Schauplatze der classischen Vorzeit, unter den Ruinen der Castelle des Drusus, Hadrian und Tiberius – erwachte in dem gestörten Gemüth noch einmal die Liebe zum Alterthum, der Drang nach geistiger Beschäftigung. Er unternimmt eine Uebersetzung des Sophokles und verwirrt sich in diesen gewaltigen tragischen Anschauungen bis zum völligen Wahnsinn.

Wir wollen den zerrütteten, von einer trostlosen Mutter beweinten Dichter nicht im Irrenhause aufsuchen, das er zweimal bewohnte, ohne zur Genesung zu gelangen. Wir finden ihn zuletzt zu Tübingen, im Hause und unter der Pflege eines wohlhabenden Tischlermeisters. Das Häuschen ist auf dem Fundament eines alten Stadtthurms erbaut und wird vom Neckar bespült. Von dem Erkerstübchen, welches der Greis bewohnt (er hat hier siebenunddreißig Jahre des Wahnsinns verlebt!), blickt man über lachende Wiesen in das liebliche Steinthal und gegen die Rauhe Alp hin. Der bleiche silberhaarige Greis, dessen halbverloschene Züge die frühere Schönheit, ja, dessen starre Augen selbst ein früheres geistiges Leben verrathen, ist einfach gekleidet, still und in sich gekehrt. Er liest und ändert noch immer an seinem Hyperion, spielt auf einem alten Clavier mit zerrissenen Saiten und schreibt sinnlose Gedichte nieder oder zuweilen verständliche schmerzliche Klagen wie die folgende:

[262]

Weh mir! wo nehm’ ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen und wo
Den Sonnenschein
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehen
Sprachlos und kalt, im Winde
Flattern die Fahnen.

Das ist der zweiundsiebenzigjährige Hölderlin, der wahnsinnige Titan Empedokles!

Wer dächte hier nicht an das langjährige Krankengefängniß eines andern deutschen Dichters, wer dächte nicht hierbei an Heinrich Heine? Und in der That bieten Beide, obgleich so wesentlich von einander verschieden, höchst interessante Vergleichungs-Momente dar.

Heine ein entschiedener Romantiker, wenngleich er die romantische Schule spöttisch negirt, – Hölderlin ein Romantiker auf der Grundlage antiken Geistes. Beide Volkspropheten und Bewegungsdichter; der Eine jedoch dabei sinnlich, schelmisch und frivol, der Andere ideal und voll dithyrambischen Schwunges. Beide werden von einer großen politischen Revolution ereilt und flüchten, zerfallen mit dem deutschen Wesen, nach Frankreich, wo der Eine aber der innersten Zerrüttung anheimfällt, während der Andere objectiv und heiter in alle neuen Lebensverhältnisse ausgreift. Heine, der Dichter der Liebe, der mit seinen Schmerzen cokettirt und wie ein Schmetterling von einer Blüthe zur andern flattert, – Hölderlin, der in seinem Hyperion der Liebe und Freundschaft einen unvergänglichen Altar errichtet, aber an einer unheilbaren Herzenswunde verblutet. Während Hölderlin in scharfen Sittensprüchen gegen die Nationalzerfallenheit der Deutschen eifert, behandelt Heine dasselbe Thema in launigen Zeitungsartikeln, wobei er mit dem Censor Versteck spielen muß. Beide erleben eine zweite Revolution; die französische Februar-Revolution findet aber in Heine nur noch einen lächelnden Skeptiker, – an Hölderlins gestörtem Geiste geht die französische Juli-Revolution spurlos vorüber, nur die Befreiung der Griechen versetzt ihn in eine schnell verrauchende Begeisterung. Beide stolze Freiheitsbäume sterben, ehe die Axt des Todes sie fällte, langsam ab, aber der Eine von der Wurzel heraus, der Andere vom Wipfel abwärts. Während Heine, in seiner Matratzengruft in der Rue Matignon, mit ungetrübter Geisteskraft den morschen Körper zehn Jahre lang gliedweise hinwelken sieht, fristet Hölderlin, das Haupt vom Irrsinn umdunkelt, ein vierzigjähriges Scheinleben.

Am 7. Juni 1843 endete endlich das stumpfe Dasein. Hölderlin starb mit dem Hyperion in der Hand und indem sein letzter Seufzer den Namen „Diotima“ nannte.

Wenn wir uns aber mit Thränen des Schmerzes von diesem Scheiden abwenden, so ziemte es uns wohl, freudig das hundertjährige Geburtsfest zu begehen, – den Geburtstag des Sängers voll Liebe, Geist und Hoffnung, der uns den Hyperion, das mysteriöse, aber herrliche Evangelium über die Natur, die Civilisation und die Zukunft der Menschheit, dichtete.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Da ist wohl die Begeisterung mit dem Verfasser durchgegangen und hat die genaue Recherche behindert; gemeint ist natürlich Johann Christian Friedrich Hölderlin.