Ein deutsches Sanges-Jubelfest

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Autor: unbekannt
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Titel: Ein deutsches Sanges-Jubelfest
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 380–382
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: 25 Jahre Kölner Männergesangverein
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Ein deutsches Sanges-Jubelfest.


Silberkanne
dem Kölner Männergesangverein geschenkt von der Königin Victoria.

Mit dem Aufschwung, den der öffentliche Geist in Deutschland seit der Thronbesteigung Friedrich Wilhelm’s des Vierten von Preußen genommen, begann auch eine neue Aera für das deutsche Lied. Als kurz nach dem Regierungsantritt des neuen Königs das Gedicht Nicolaus Becker’s:

den deutschen Nationalgeist mächtig anregte, trat an vielen Orten im Vaterlande das Bedürfniß hervor, dem Gesange, zunächst dem patriotischen Liede, die lange vernachlässigte Kunstform wieder zu geben. Nach dem gegen Frankreich gerichteten Liede Becker’s, das mit der Beseitigung der orientalischen Frage und des Ministeriums Thiers bald verscholl, tauchte das Lied vom deutschen Vaterlande des alten Arndt wieder auf, den der neue König eben wieder in Amt und Würden eingesetzt hatte. Reichardt’s schöne Composition erforderte vierstimmigen Männergesang. Herwegh folgte mit den „Liedern eines Lebendigen“, Hoffmann von Fallersleben mit den „Unpolitischen Liedern“, Prutz, Seeger u. A. tauchten auf, fanden ihre Componisten und es ging ein frischer Hauch der Begeisterung durch die lange unter den Fesseln des Polizeistaates niedergehaltenen deutschen Herzen. Die Liedertafeln, die seither das Quartett lediglich zu geselligen Zwecken gepflegt, erweiterten sich und traten in die Oeffentlichkeit, um der herrschenden Stimmung Ausdruck zu geben, und als Ende 1841 der Kriegslärm sich gelegt hatte, erfolgte im Frühling darauf die Constituirung des Männergesangvereins zu Köln. Am 27. April gründeten dreißig Sänger und Sangesfreunde den neuen Bund, der bald zu großer Bedeutung sich empor schwingen sollte. Der Domorganist und Dirigent der Singakademie, Franz Weber, übernahm die Leitung.

Das damals durch die Begründung der Eisenbahnen mächtig aufblühende Köln war, wie kaum eine andere deutsche Stadt, zur Pflege der populärsten aller Künste berufen. Von allen Seiten zogen neue Ansiedler in die alte Stadt, täglich mehrte sich die Zahl der tüchtigen [381] Kräfte, jeder Berufene nahm gern Theil an dem neuen, so mannigfachen Genuß verheißenden Streben. Gleichwohl hatte die Direction Gelegenheit genug, ihre Energie und Ausdauer zu erproben, denn Mißgunst, Neid und Eifersucht legten dem jungen Institute viele Hindernisse in den Weg. Aber schon im zweiten Jahre seines Bestehens errang der Kölnische Männergesangverein den ersten Preis in dem von der „Societé des Mélomanes“ zu Gent veranstalteten Gesangwettstreit. Sein Ruf war damit begründet und er ward nun bald das Vorbild für die allenthalben in den kleinen Städten auftauchenden Vereine für Männergesang.

Ehrenpokal
des Kölner Männergesangvereins für seinen Dirigenten.

Neben der energischen Pflege der Kunst war es die Uneigennützigkeit, welche dem Verein alsbald die allgemeine Theilnahme zuwendete; damit Hand in Hand ging die Aufopferung der Mitglieder. Von Begeisterung für ihre schöne Sache getragen, brachten sie Alle gern materielle Opfer für den gemeinsamen Zweck. Sie bewährten ihre Devise: „Durch das Schöne stets das Gute.“

Aus seinen ersten Ueberschüssen machte der Verein eine Schenkung an den Kölner Dom, ein Glasmosaik-Fenster für die obere Chor-Galerie, und dagegen erhielt er jene schöne Vereinsfahne, welche noch heute bei allen Festen entfaltet wird, gestickt von den Kölnischen Mädchen und Frauen.

Anfangs 1846 gründete der Verein den deutsch-vlämischen Sängerbund und gab in Verbindung mit 2300 belgischen und deutschen Sängern am 14. Juni das erste große Festconcert auf dem „Gürzenich“. Felix Mendelssohn-Bartholdy schrieb eigens dafür die Composition des Schiller’schen Gedichtes „An die Künstler“ und leitete persönlich das Concert.

In den weitesten Kreisen wurde der Kölner Männergesangverein bekannt, als er im Jahre 1853 auf den Plan eines industriösen Impressario, des Hofbuchhändlers Mitchell zu London, einging und zum Besten des Domes eine Sängerfahrt nach der Welthauptstadt antrat. Es gehörte viel Energie dazu, den zahlreichen Vorurtheilen Trotz zu bieten, welche von allen Seiten gegen den Plan auftauchten. Das große Publicum ist immer geneigt, allen Unternehmungen egoistische Motive unterzuschieben, es glaubt nur ungern an Großmuth und Opferwilligkeit. Als aber die achtzig Sänger, Männer aus allen Ständen, sich auf Monatsfrist aus ihren Verhältnissen losrissen, bereitwillig für Stellvertreter sorgten und mit Mühen und Kosten ihre längere Abwesenheit ermöglichten, da neigte sich alsbald das öffentliche Urtheil zu Gunsten des Unternehmens, zumal der Erfolg über alle Erwartung glänzend ausfiel. Die Theilnahme des englischen Publicums, das einstimmige Lob der Presse, dreimalige Einladungen zur Königin Victoria und eine Einnahme, die nach Abzug der über zwölftausend Thaler betragenden Gesammtkosten und nach geschehener Theilung mit dem Impressario noch dreitausenddreihundertfünfzig Thaler für den Dom und fünfhundert Thaler für wohlthätige Zwecke ergab – das Alles mußte allgemein imponiren.

Noch im December des nämlichen Jahres, traf der unternehmende Impressario wieder in Köln ein, um die Sänger zu einer zweiten Londoner Reise für den nächsten Frühling einzuladen. Diesmal dehnte er seinen Plan auch auf andere englische Städte aus und engagirte den Verein zugleich für Birmingham, Manchester und Liverpool. Obwohl die Erfolge der ersten Reise einen günstigen Verlauf der zweiten voraussehen ließen, traten die Sänger doch die zweite Fahrt nicht ohne Besorgniß an. Der Krimkrieg war ausgebrochen, die Bewohner Englands hatten manchen Angehörigen bei der Armee im fernen Lande, sie mochten vielleicht wenig geneigt sein, auf friedliche Kunstgenüsse einzugehen, und wohl gar die damals in England herrschende, Preußen ungünstige politische Stimmung auf die Sänger übertragen. Aber das erste, am 8. Mai gegebene Concert fand vor überfülltem Hause statt, und namentlich war die höchste Aristokratie außerordentlich zahlreich vertreten. Nur einmal wurden die rheinischen Sänger an den Krieg im fernen Süd-Rußland gemahnt. Auf den Wunsch mehrer hochgestellten Personen unterließen sie beim fünften Concert den Vortrag des Silcher’schen „Grabliedes zur See,“ um nicht die in manchen Kreisen herrschende Trauer über die im Kriege gefallenen Angehörigen wach zu rufen. Außer von der Königin wurde der Verein auch von der Herzogin von Sutherland nach Stafford-House am St. James-Park eingeladen; er gab in dem überaus prächtigen Palaste ein Concert, dem unter Andern auch Lord Russell, Gladstone, Lansdowne, Graf Walewski etc. beiwohnten. Mit Zustimmung des Vereins veranstaltete Herr Mitchell eine größere Zahl von auswärtigen Concerten und begann mit Bradford. Hier, wie in der dicken Luft der andern Fabrikstädte, wirkte das deutsche Lied wie Frühlingssonnenschein und weckte Begeisterung in tausend Herzen, die sonst nur für Baumwolle, für Kette und Schuß geschlagen hatten. Als nach Aufführung von einundzwanzig Concerten die Gesellschaft Abschied nahm, hatte sie, einschließlich eines Beitrags von der Königin, über dreizehnhundert Pfund Reineinnahme, und der Dom erhielt mehr als sechstausendfünfhundert Thlr.

Im Jahre 1855 zweigte sich aus dem Kölner Männergesangverein der „Kölner Sängerbund“ ab, der, seitdem als besonderer Verein bestehend, sich neben demselben einer großen Popularität in Köln und im Rheinlande erfreut und in neuester Zeit der erste war, der die Veranstaltung von Concerten zum Besten der National-Dotation für den Dichter Ferdinand Freiligrath anregte.

Die große Ausstellung zu Paris im Jahre 1856 gab Veranlassung, daß der Verein den Entschluß faßte, auch in der französischen Hauptstadt zu Gunsten des Domes zu concertiren. Es zeigte sich jedoch, wie viel weniger der Franzose für die deutsche Musik empfänglich ist als der Engländer. Die Einnahme blieb 18,000 Francs unter den Kosten. Die französische Presse war einstimmig in dem Lobe der Leistungen der Sänger, Rossini’s Worte: „Voilà la première musique depuis dix ans que j’écoute avec plaisir“ (das ist die erste Musik seit zehn Jahren, die ich mit Vergnügen höre) machten die Runde, der Impressario Mitchell hatte die enormste Anstrengung zur Bekanntmachung nicht unterlassen – dennoch mangelte es an der ausreichenden Theilnahme. Von den Zeitungsartikeln gaben manche dem humoristischen Element unter den Sängern reichen Stoff durch die Art, wie sie die Unkenntniß der Franzosen höchst ergötzlich verriethen. Ein Blatt erzählte z. B. eine schauerliche Mähr von einer zu Köln in Trümmern [382] liegenden alten Kirche, deren Thürme bald auf die Flursteine um den Altar niederfallen würden, hätte man nicht im Augenblick höchster Gefahr den Männergesangverein begründet, der bereits Oesterreich und Preußen nach allen Richtungen durchstreift habe und jetzt nach Paris gekommen sei, um die Casse des Domschatzmeisters zu füllen und den Dom fertig zu machen.

Das Deficit der Pariser Sängerfahrt deckte ein Jahr nachher eine dritte Reise des Vereins nach London. Diesmal bot sich denn auch Gelegenheit, ein Volksconcert zu geben, nachdem der Krystallpalast in Sydenham den Sängern eingeräumt war. Die Aufführung fand vor zwölftausend Zuhörern statt.

Hatten die Wanderzüge den Namen des Kölner Männergesangvereins von den beiden Hauptstädten des europäischen Auslandes aus durch den ganzen Welttheil getragen, so wurde in der engeren rheinischen Heimath nicht minder für seine Celebrität gesorgt. Jedem guten und schönen Zwecke dienstbar, griffen die Sänger allüberall ein, wo es galt, zu erwerben, zu erhalten und zu pflegen. Sie sangen zum Besten wohlthätiger Stiftungen, zum Aufbau und zur Erhaltung von Kirchen und Gotteshäusern, für den Schillerfonds zum Ankauf von des Dichters Geburtshause wie für die Restauration des alten Kaiserdomes in Speier; ihre Hymnen begrüßten bei festlichen Gelegenheiten, wie z. B. der Eröffnung der neuen Rheinbrücke und des neuen Museums, die frohen Gäste und klangen bei feierlichen Bestattungen geliebter Todten, z. B. dem Dombaumeister Zwirner, in die Grube nach. Und wieviel Gelegenheit bot nicht im Laufe der Jahre die im ganzen Rheinlande und besonders in Köln in höchster Blüthe stehende Geselligkeit! Wenn wir oben sagten, daß dem Verein Kräfte aus allen Ständen und Kreisen angehörten, so haben wir damit eigentlich schon ausgesprochen, daß der weltbekannte rheinische Humor auch seine Stätte darin gefunden; nun aber waren und sind humoristische Talente ersten Ranges unter den Mitgliedern Dichter und Componisten, Schauspieler und Sänger in Einer Person! Es ist in Köln Sitte (strenge Kritiker nennen es Unsitte), jedem ernsthaften Kunstgenuß einen humoristischen Schluß anzuhängen; vor den erstaunten Blicken des fremden Gastes schlüpft da der würdige Repräsentant der hochtragischen Hauptfigur eines Oratoriums in die Harlekinsjacke und trägt mit derselben Stimme, die eben noch im Dienste der Muse Sebastian Bach’s oder Graun’s auf dem Kothurn gewirkt, nun Scherzlieder im Kölnischen Dialect vor. Ja, die ersten Sänger der großen Gürzenich-Concerte vereinigen sich zum Carneval und spielen und singen im Schauspiele, in Burlesken und Localpossen, die sie selbst gedichtet und componirt haben; sie nennen das ein „Divertissementchen“ geben und zwar regelmäßig auf Kosten der bevorzugten Minorität der Menschheit, der Kaiser und Könige, Minister und Solcher, die es werden wollen – zum Besten der benachtheiligten Majorität, der Armen und Unterdrückten!

Dann wiederum verbünden sich die Jünger der Tonkunst von Köln mit den Pflegern der bildenden Künste von Düsseldorf; es trägt diese artistische Allianz ihre goldenen Früchte zur Freude aller Kunstfreunde; die Einen singen Concert, die Andern malen Decorationen und stellen lebende Bilder.

Während seines fünfundzwanzigjährigen Bestehens veranstaltete der Kölner Männergesangverein zur Förderung der Kunst und zu wohlthätigen Zwecken zweihundertsechsunddreißig Concerte, davon einhundertdreiunddreißig in Köln, siebenundvierzig in England und dreizehn in Paris; zur Verherrlichung der Kunst wirkte der Verein achtzehn Mal mit. Er machte sechsunddreißig Reisen und Sängerfahrten, brachte vierundsechszig Serenaden und gab vierunddreißig Liedertafeln zum geselligen Vergnügen. Das materielle Ergebniß der öffentlichen Concerte des Vereins beträgt über dreiundfünfzigtausend Thaler, welche namhafte Summe er zu vaterländischen, vaterstädtischen und wohlthätigen Zwecken vertheilte. Der Verein verfuhr dabei so uneigennützig, daß er weder ein eigenes Local, noch baares Vermögen besitzt. Zuletzt, nachdem er lange in verschiedenen gemietheten Räumen umher nomadisirt, mußte sich die Stadtverwaltung des Obdachlosen erbarmen und räumte ihm die Rathhauscapelle zu seinem Gebrauche ein.

Als nun der fünfundzwanzigste Jahrestag der Stiftung, der 27. April 1867 herankam, schrieb der Kölner Männergesangverein ein großes Festconcert aus, und kaum trug die Presse die Kunde von dem bevorstehenden Jubelfest in die Ferne, als auch schon von allen Seiten die lebhafteste Theilnahme sich kundgab. Der Dichter Roderich Benedix, einst, während seines mehrjährigen Aufenthalts in Köln, ein eifriges Mitglied des Vereins, übernahm den Prolog und trug ihn selbst vor. Die Componisten Ferdinand Hiller, Max Bruch, J. Brambach, F. Gernsheim und Franz Weber schrieben eigens für das Fest Lieder und Gesänge, und die sämmtlichen Vereine und Corporationen, die ein gleiches Streben mit dem Kölner verfolgten, oder alte Schulden der Dankbarkeit für seine langjährige Wirksamkeit abzutragen hatten, ließen sich durch gratulirende Deputationen vertreten. Der jüngere Zweigverein, der „Sängerbund“, schloß sich sofort der Feier an und so kam ein stattlicher Chor von zweihundertsechsundachtzig Männerstimmen zu Stande. Die neuen Compositionen erforderten einige Solisten und eine junge Künstlerin aus dem Sachsenlande, Fräulein Hedwig Scheuerlein aus Halle, fand Gelegenheit, sich als vortreffliche Sängerin zu bewähren.

Von Seiten des Königs von Preußen, der als Protector des Kölner Männergesangvereins eine Einladung zur Theilnahme empfangen, und von der Königin erhielt der Jubilar ein Gratulationsschreiben nebst einem außerordentlich kostbaren Tactstock zum Geschenk. Die beiden bildlichen Darstellungen, die wir unserer Mittheilung beifügen, zeigen eine Silberkanne, die dem Vereine zur Erinnerung an die Londoner Concerte von der Königin Victoria von England verehrt wurde, und einen Ehren-Pocal, welchen die Mitglieder ihrem hochverdienten Dirigenten, dem königlichen Musikdirector Franz Weber, zum Jubiläum überreichten.

Ein seltenes Glück kann man es nennen, daß die Häupter des Vereins größtentheils heute noch, wie vor einem Vierteljahrhundert, mitwirken, vor Allem, daß es dem ersten Tenoristen, Herrn Andreas Pütz, noch heute beschieden ist, seine schöne Stimme und seine hohe Gesangesfertigkeit dem Vereine zu widmen.

Kaum jemals möchte es einer auf freier Verbindung beruhenden kleinen Corporation vergönnt gewesen sein, solche Erfolge zu registriren und eine solche Dauer nachzuweisen. Der Kölner Männergesangverein ist ein glänzendes Zeugniß für den guten Geist des deutschen Genossenschaftswesens; mag dasselbe im Allgemeinen auch mehr materielle Zwecke verfolgen, es beruht doch durchweg auf einem idealen Streben: Verbesserung und Veredlung sind seine Ziele allerwegen.