Ein Theaterdirektor der alten Schule

Textdaten
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Autor: Rudolf v. Gottschall
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Titel: Ein Theaterdirektor der alten Schule
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aus: Die Gartenlaube, Heft 31, S. 522–524
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Ein Theaterdirektor der alten Schule.

Nichts ist ruhebedürftiger als das Theater, nichts vergeßlicher als das Publikum! Daher verschwinden so rasch die Namen der Intendanten und Direktoren, welche eine Zeit lang in aufdringlicher Weise fast alltäglich die Blätter füllen, und vielgenannten Künstlern und Künstlerinnen geht es nicht besser, wenn nicht namhafte Schriftsteller ihr Charakterbild in ihren Werken aufbewahren. Heutzutage lebt zwar ein Laube, ein Dingelstedt noch im Gedächtnis der Zeitgenossen; aber von andern gleichzeitigen Direktoren weiß die Chronik der Gegenwart nichts mehr zu erzählen; sie hat zu viel über die Bühnenleiter zu berichten, welche jetzt das Steuerruder in der Hand haben und durch ihre Unternehmungen, ihre Thaten und Leiden die Tagespresse beschäftigen. Wenn ich so das Album der von mir persönlich gekannten Theaterdirektoren durchblättere, so taucht das Bild eines jetzt fast vergessenen Mannes vor mir auf, der seiner Zeit viel genannt und viel gescholten wurde, aber viel besser war als sein Ruf Er gehörte zu den gefürchteten Direktoren, und viele Musenjünger schlugen ein Kreuz, ehe sie sich ihm anvertrauten: ich meine Arthur Woltersdorff, der länger als zwei Jahrzehnte das Theaterscepter in der Pregelstadt Königsberg schwang. Die Blütezeit seiner Direktion war ihr erstes Jahrzehnt, vom Beginn der vierziger bis zu demjenigen der fünfziger Jahre. damals, etwa seit 1845, stand ich ihm eine Zeit lang als junger Dramaturg zur Seite. Ich hatte mein juristisches Doktorexamen gemacht, aber aus politischen Gründen nicht die Erlaubnis erhalten, Vorlesungen an der Universität ankündigen zu dürfen. So nahm ich diese Stellung an, durch welche ich gründlich in das Theaterwesen eingeweiht wurde; denn ich war als Dramaturg nicht das fünfte Rad am Wagen, wie das bei heutigen Dramaturgen oft genug der Fall ist; ich hatte nicht bloß die neu eingehenden Stücke zu lesen, sondern auch die Leseproben zu leiten, mich an den Theaterproben zu beteiligen und den Direktor in seiner Abwesenheit zu vertreten, was für einen zweiundzwanzigjährigen jungen Mann immerhin keine leichte Aufgabe war.

Arthur Woltersdarff entstammte einer vermögenden Königsberger Patricierfamilie, deren kaufmännisches Ansehen anfangs noch von seinem Vater und seinem Onkel aufrecht erhalten wurde. Die drei stattlichen Figuren, besonders wenn sie festlich mit hohen weißen Halsbinden erschienen, bildeten ein imponierendes Kleeblatt. Unsere jetzigen Direktoren sind, abgesehen von den Hoftheaterintendanten, zu denen ja mit wenigen Ausnahmen nur Kavaliere gewählt werden, meistens aus dem Kreise der Künstler selbst hervorgegangen: wir brauchen hier nur an Stägemann, Claar, Angelo Neumann, Barnay, Possart zu erinnern, oder es sind Schriftsteller wie L’Arronge, Blumenthal, Brahm und Müller-Guttenbrunn. Daneben giebt’s an kleineren Bühnen noch allerlei Sorten von Geschäftsmännern, die jetzt den Thespiskarren kutschieren, Agenten, Restaurationsbesitzer etc. Woltersdorff war weder Künstler, noch Schriftsteller; er war früher in keiner Weise mit dem Theaterleben verwachsen gewesen; er hatte die Rechte studiert und war wohlbestallter Referendar, als er die Leiwng der Königsberger Bühne in die Hand nahm, nur als Theaterfreund und aus Neigung für die selbständige Verwaltung irgend eines größeren Unternehmens. Eine vollkommene akademische Bildung war damals eine Seltenheit bei Theaterleitern und ist es auch noch heutzutage. So hatte er auch Vertrauen in sein eigenes Urteil und damit hing einer seiner Vorzüge zusammen, den er vor vielen Direktoren voraus hatte: er las die eingehenden Stücke selbst, und wenn ihm eines gefiel und er sich Erfolg versprach, so ließ er es alsbald in Scene gehen, ohne erst hinzuhorchen, ob dasselbe an dieser oder jener „tonangebenden“ Bühne gegeben worden und welche Aufnahme es dort gefunden habe. Er hat, besonders in der Blütezeit seiner Direktion, manches Stück zuerst zur Aufführung gebracht, welches nachher die Runde über die Bühnen machte. Vor den namhaften dramatischen Schriftstellern hatte er großen Respekt und suchte sie bei seinen Reisen durch Deutschland gern persönlich auf. Er wurde zwar von vielen Seiten als ein uncivilisierter Bär verschrieen, aber er war im Grunde ein sehr gebildeter Mann und konnte darin vielen seiner Kollegen, die sich eines weit besseren Rufes erfreuten, einige Punkte vorgeben.

Jene üble Nachrede des Bärenhaften hatte er sich wohl am meisten durch die Art seines Verkehrs mit den Schauspielern zugezogen. Er verkehrte mit ihnen weder als wohlwollender Vater, noch als gleichstrebender Freund, sonderm ausschließlich als unbeschränkter Herrscher, nur die rauhen gleichsam zottigen Seiten seines Wesens stellte er ihnen gegenüber ans Licht. Es war dies teils Grundsatz, denn er meinte, so mit den Herren und Damen von der Kunst, von denen er keine sonderlich hohe Meinung hatte, am besten auszukommen, teils lag’s in seiner Eigenart, sich in seinen oft etwas gewaltthätigen Launen behaglich gehen zu lassen. Auch fühlte er sich als reicher Mann, als zahlende Großmacht den bezahlten, in seinen Taubenschlag herein- und wieder aus ihm herausflatternden Kunstjüngern sehr überlegen. Alle Chikanen, jeden sich auflehnenden Eigensinn glaubte er mit eisermem Fuß niedertreten zu müssen. Da war sein Ton oft kurz angebunden und barsch, und nach einigem Stottern kam es dann zu der beliebten, fast sprichwörtlich gewordenen Schlußwendung seiner Reden: „Am Ende aller Enden“. Doch blieb er im ganzen stets gerecht und unparteilich und hatte über die Leistungen seiner Schauspieler und Sänger ein gutes Urteil. Die hervorragenden wurden von ihm öfters des Abends zum Thee in seine Junggesellenwirtschaft eingeladen. Sein Kopf war immer voll von Plänen, neuen Stücken, neuen Besetzungen, neuen Gastspielen, und er liebte es, darüber in diesem Kreise sich auszusprechen. Der Thee wurde manchem durch kritische Bemerkungen über seine letzten Leistungen nicht gerade versüßt.

An diesen Abenden zeigte es sich, daß er ganz im Theater aufging, nur gelegentlich schweifte die Unterhaltung auf das Gebiet der Tagespolitik ab. Auch hier war er unabhängig in seinem Urteil und ließ sich durchaus nicht von der ostpreußischen liberalen Bewegung mit fortreißen. Am interessantesten wurde die Unterhaltung, wenn berühmte Gäste zugegen waren. Und daran fehlte es niemals an der Königsberger Bühne. Woltersdorff wußte sie heranzuziehen. Wen haben wir nicht damals, im ersten Jahrzehnt von Woltersdorffs Direktion, in der Pregelstadt gesehen! Die geniale Schröder-Devrient, Emil Devrient, den Liebling der Musen und Grazien, seinen Bruder Karl, dessen Spiel so reich war an [523] großartigen Zügen, Düring mit dem kecken Wurf seiner komischen Genrerollen, die imposante Edwine Viereck, die leidenschaftliche Antonie Wilhelmi, die reizende Tänzerin Fanny Cerrito, die es liebte, auf dem gartenumhegten Königsberger Schloßteich umherzurudern, die schlanke Grisi und andere Ballettköniginnen . . . alles, was damals Ruf und Namen hatte! Vor diesen Sternen am Kunsthimmel zog dann auch der schroffe Direktor liebenswürdigere Saiten auf; doch behauptete die böse Fama, daß diese Liebenswürdigkeit in auffallender Weise nachließ, wenn die Gastspiele keinen klingenden Erfolg hatten, und daß da bisweilen auch den auswärtige Ehrengästen gegenüber der Bär zum Vorschein kam.

Woltersdorffs Eigenart brachle es mit sich, daß um sein Haupt ein Kranz von Anekdoten sich bildete, in denen Wahrheit und Dichtung oft in einer schwer zu sondernden Weise verschmolzen. Dieser Anekdotenkranz bietet viel Ergötzliches; doch ist dabei das Mißliche, daß ein charakteristischer Zug desselben die volkstümliche Derbheit ist, deren sich der Direktor befliß, wenn er in unbewachten Augenblicken seinem Humor die Zügel schießen ließ. Einige kleinere Proben mögen indes Striche zum Charaktergemälde des ostpreußischen Bühnenleiters geben.

Wie alle Direktoren von Stadttheatern, die aus eigener Kasse wirtschaften, war auch Woltersdorff sehr auf Ersparnisse bedacht; er machte indes daraus kein Hehl wie manche andere Bühnenleiter, welche derartige geschäftliche Rücksichten unter den hochtönenden Wendungen eines „künstlerischen Programms“ zu verschleiern suchen. Für das Gleichgewicht des Etats zu sorgen, war er eifrig bemüht, und jeder Finanzminister hätte sich an ihm ein Muster nehmen können. Lange Jahre war an seinem Theater ein Musikdirektor angestellt, dessen Frau eine vorzügliche Chorsängerin war, eine gute Stimme hatte und stets in erster Linie stand. Eines Tages ließ Woltersdorff ihn zu sich kommen, sagte ihm, er habe sich viele Jahre lang gequält, sei stets fleißig gewesen und habe stets seine volle Zufriedenheit erlangt. Deshalb habe er beschlossen, ihm fortan für den Monat sechs Thaler Zulage zu geben; Dank verlange er nicht dafür. Hochbeglückt geht der Musikdirektor nach Hause, wo die Kunde von der Gehaltserhöhung große Freude bereitet. Einige Tage darauf wird die Frau aufs Direktionsbureau bestellt; Woltersdorff nimmt seine gestrenge Miene an und sagt sehr kurz angebunden zu ihr: „Liebe Frau, Sie thun zwar immer noch Ihre Pflicht, aber ich muß ein paar jüngere Chorsängerinnen annehmen, mit den alten geht’s nicht mehr. Wenn Sie also bleiben wollen, muß ich Ihnen sechs Thaler monatlich abziehen.“ Und so war das Gleichgewicht des Etats gerettet.

Sein Ansehen suchte sich Woltersdorff stets zu wahren und wenn er auch einmal im Dunkeln tappte, so ließ er sich doch nichts davon merken, sondern trat mit gewohnter Sicherheit und Unfehlbarkeit auf. Eine neu engagierte Sängerin kam zu Anfang der Saison ins Theaterbureau und beschwerte sich über eine Rolle, die sie erhalten habe, aber nicht singen wolle, da sie ihr nicht liege und dies auch nicht ihr Fach sei. „Gerade für dies Fach habe ich Sie engagiert,“ erwiderte Woltersdorff, „bitte, gehen Sie nach Hause und studieren Sie diese Rolle.“ Als die Künstlerin das Bureau verlassen hatte, fragte er den Sekretär, wer denn die Dame gewesen sei.

Nichts konnte ihn mehr außer sich bringen als ein Zweifel an seiner Gerechtigkeitsliebe. Ein Komiker, der sich in keinen günstigen Verhältnissen befand, wurde auf Grund der Theatergesetze in Strafe genommen. Als dieser sich bei Woltersdorff darüber beschwerte, erhielt er von ihm zur Antwort: „Mein Theater ist wie eine Lokomotive; da muß ein Rad ins andere greifen; dasjenige, welches den Dienst versagt, rangiere ich aus!“ Darauf erwiderte der aufgebrachte Komiker: „Sehen Sie sich nur vor, daß Ihnen nicht einmal solch ein Rad in den Nacken springt, Sie Blutsauger!“ Ueber diese empfindliche Kränkung konnte sich der Direktor nicht beruhigen; er ließ den Kapellmeister und alle die ersten Angestellten zu sich kommen; sie mußten einen Schein unterschreiben, daß er kein Blutsauger sei.

Uebrigens war Woltersdorff einer der ersten und der wenigen Theaterdirektoren, welche durch einen Titel seitens der Regierung ausgezeichnet wurden. Anlaß dazu gab ein Gastspiel seines Opernpersonals am Berliner Hoftheater, bei welchem er die Opern von Dittersdorf und andere Spielopern des vorigen Jahrhunderts zur Aufführung brachte, die er vorher in Königsberg seinem Repertoire einverleibt hatte. Es war dies jedenfalls ein Verdienst und zeugte von der tonangebenden Selbständigkeit seiner Direktionsführung. Er erhielt den Titel „Geheimer Kommissionsrat“. Auch als Schriftsteller hat sich Woltersdorf versucht, indem er wie Heinrich Laube einen eingehenden gewissenhaften Bericht über seine Theaterführung veröffentlichte.

Woltersdorff war ein sehr fleißiger Direktor. Er las, wie erwähnt, nicht nur alle Stücke, er diktierte auch alle Briefe selbst und hatte darin große Fertigkeit: es kam alles klar zu Tage und der Stil geriet nirgends ins Stolpern. Nur bei den Aufführungen selbst kam er etwas aus dem Gleichgewicht; er vermochte es nicht, in seiner Loge auszuhalten; wenn ihn etwas aufregte oder ihm mißfiel oder auch in minder wichtigen Scenen trottete er hinter den Coulissen in einer Art von nervöser Unruhe hin und her, korrigierte Zettel oder schrieb eigenhändig die Proben auf der schwarzen Tafel auf. Seine Bühnenleitung war keine ruhmsüchtige; sie ging nicht auf Experimente aus, von denen in den Blättern gesprochen würde; ihr Ziel war, das einfach Tüchtige hinzustellen, gute Vorstellungen gut ausgewählter Stücke – und in jenem ersten Jahrzehnt war das Repertoire in der That vortrefflich. Zu Hilfe kam die damalige Blüte dramatischer Dichtung. Welch ein köstliches Weinjahr für das Theater war z. B. dasjenige von 1847. Da kamen in einer Saison Laubes „Karlsschüler“, Gutzkows „Uriel Acosta“, Freytags „Valentine“ zur Aufführung! In der Leitung des Theaters unterstützten den Direktor zum Teil sehr tüchtige Kräfte; wir erwähnen nur August Wolf, den späteren Direktor des Burgtheaters, und Vollmer, der lange Zeit mit anerkannter Tüchtigkeit das Theater in Frankfurt am Main geleitet hat. Die frische geistige Bewegung, welche damals Königsberg zu einer politischen Leuchte für Deutschland machte, kam auch dem Theater zu gute: es regte und rührte sich alles am Pregel und Geister und Herzen waren empfänglich für Darbietungen der Kunst. Auch das Jahr 1848 mit seinen Straßenaufläufen und Volksversammlungen schädigte das Theater nicht allzusehr. Woltersdorff machte der Volksstimmung einige Zugeständnisse, obwohl ihm die Bewegung gegen den Strich ging. Ich selbst stand derselben näher. Es hatte sich eine Bürgerwehr gebildet und das Altstädtische Bataillon hatte mich zum Kommandeur gewählt, eine Auszeichnung, die ich neben meiner politischen Gesinnung meiner Dienstzeit bei den Berliuner „Neuschatellern“ (den Gardeschützen) verdankte. Durch mich kam auch das Theater in Beziehung zu jener Bewegung, allerdings nicht das Direktionsbureau, sondern die Garderobe, denn ich muß es nachträglich bekennen, daß der Säbel, den ich am breiten schwarzrotgoldenen Gurt trug, aus dieser Garberobe entlehnt war.

Das Königsberger Theater war damals im Sommer oft eine Wanderbühne; die Gesellschaft Woltersdorffs suchte einzelne Hauptstädte der Provinz heim, besonders Elbing und Memel, das äußerste Thule der preußischen Monarchie. Es gab noch keine bequemen Eisenbahnverbindungen: dafür hatte die Romantik des schauspielerischen Wanderlebens ihren eigenartigen Reiz. Zu Lande ging’s mit der Post oder im Mietswagen; Dampfer trugen uns über das Frische und das Kurische Haff. Das letztere besonders machte einen etwas ungastlichen Eindruck, nicht wegen seiner oft vom wandernden Sand heimgesuchten Nehrung, sondern besonders wegen der unbequemen Landungsstelle. Die von Memel kommenden Dampfer konnten, wegen der am Ufer sehr seichten Flut, nicht an dasselbe heranfahren; kräftige Fischer und Dorfbewohner mußten deshalb, durchs Wasser watend, die Passagiere an Bord tragen. Es war dies für die erste Liebhaberin, die Primadonna und die andern Künstlerinnen immerhin etwas Neues und die hilfeflehenden Gesichter der getragenen Schönen, zwischen Aengstlichkeit und Koketterie schwankend, ließen fast vergessen, welche gefährliche Brandstifterinnen sich unter ihnen befanden. Woltersdorff selbst machte diese romantischen Fahrten nicht mit; er erschien später, um seine vorgeschobenen Truppen zu besichtigen. Auch fanden sich oft in seinem Gefolge angesehene Königsberger Theaterfreunde ein, welche beobachten wollten, wie sich die Kunst der Hauptstadt in der Provinz ausnahm, und nebenbei den Künstlerinnen eifrig und ungestörter als dort den Hof machten.

So blühte die Romantik des Theaters auch unter dem Scepter der gestrengen Woltersdorffschen Direktion. Ich schreibe hier nicht die Chronik derselben; später versandete bisweilen ihre frische Strömung, und durch Gründung des Wilhelmstheaters, noch mehr aber durch diejenige des nach Woltersdorff benannten Berliner Theaters geriet [524] er in das Gebiet der modernen Theaterspekulation. Auch wollte ich keineswegs das Musterbild eines Theaterdirektors entwerfen, zu welchem die heutigen als zu einem nachahmenswerten Vorbild emporblicken sollten; ich wollte bloß eins der Originale unseres Theaterlebens zeichnen und die tüchtigen Seiten eines Mannes hervorheben, der bei Lebzeiten über Gebühr verkannt worden ist. In einer Hinsicht kann Woltersdorff allerdings den Direktoren der Gegenwart zur Nachahmung empfohlen werden: in Bezug auf die Stetigkeit und Ausdauer seiner Direktion. Fünfundzwanzig Jahre lang Direktor eines und desselben Stadttheaters: ist dies nicht an sich ein glänzendes Lob? Hat dies nicht etwas Sagenhaftes in unserer raschlebigen Zeit, in welcher ein Direktor, der fünfundzwanzig Jahre lang ein und dasselbe Theater leitet, in ein Museum für Naturmerkwürdigkeiten gehört? Rudolf v. Gottschall.