Der Sieg von Wörth
Der Sieg von Wörth.
Auf den blutgetränkten Schlachtfeldern Frankreichs erstritt sich vor fünfundzwanzig Jahren Deutschland die heißgeliebte, die so lange vergeblich umworbene Braut: die Einheit. Jetzt, im silbernen Jubeljahr dieser weltgeschichtlichen Ereignisse, blickt unser deutsches Volk dankbar frohen Herzens zurück auf jene große Zeit, von der vorahnend der Dichter gesungen: Es wird eine Zeit der Helden sein!
Jeder deutsche Truppenteil hat sich einen Gedenktag erlesen, den er festlich begeht, einen Schlachttag, an dem seine Fahnen den herrlichsten Ruhmeskranz gewonnen. Durch unser Volk, soweit es noch beseelt ist von rechter Vaterlandsliebe, soweit es noch Herz und Verständnis hat für ideale Errungenschaften, geht wieder ein Hauch der flammenden Begeisterung, die in den denkwürdigen Julitagen von 1870 alle Seelen erfüllte. Möchte doch dieser frische Hauch die Freude an dem damals Gewonnenen aufs neue mächtig beleben und das heute die Wehrkraft Deutschlands bildende Geschlecht stark machen in dem Voraatz: stets bereit zu sein, für die Erhaltung des Deutschen Reiches mit derselben Hingebung einzutreten, mit der die Kämpfer von damals für seine Verwirklichung tapfer das Leben eingesetzt haben!
Unser Bild führt uns lebendig eine Episode aus den ersten großen Kämpfen vor, die den Feldzug glückverheißend eröffneten: „Mac Mahons Flucht durch Fröschweiler.“ Das brennende Dorf, eben noch der letzte Stützpunkt der verzweifelt ringenden Franzosen – von allen Seiten sausen und prasseln die deutschen Granaten hinein, mit dröhnendem Krachen ihre tödlichen Sprengstücke entsendend. Betäubend, sinnverwirrend die Flammen, der Qualm, das Gebrüll der Schlacht, die Schreckensrufe der Fliehenden, die Klagen der Verwundeten „Rette sich wer kann!“ ist die einzige Losung dieser unglücklichen Flüchtlinge, „nur zurück, nur heraus aus diesem Höllenfeuer, gleichviel wohin!“ Auf keuchendem Schimmel der gefeierte Marschall, der Sieger von Magenta, neben ihm zusammenbrechend, Roß und Reiter von todbringendem Geschoß getroffen, einer seiner Adjutanten. Kürassiere, Infanteristen in wildem, unentwirrbarem Knäuel dahinstürmend, solange die hageldicht schwirrenden Geschosse sie verschonen. „Panique, désastre, débâcle“ haben’s die Franzosen selbst genannt; ihr einziger Trost die landläufige, zum Ueberdruß wiederholte Redensart: „Wir sind verraten!“ – –
Nach der frevelhaften, beispiellos überstürzten französischen Kriegserklärung hatte die deutsche Heeresleitung plangemäß und zielbewußt ihre Streitkräfte versammelt, ohne einen Tag, ohne eine Stunde zu verlieren. Dagegen bei den Franzosen fiebernde Hast, planloses Tasten, bodenlose Verwirrung infolge der mangelhaften Organisation, des schlecht geregelten Verkehrswesens, der überall fehlenden Kriegsausrüstung und Verpflegung. Dabei die ungeduldigen, wilderregten Pariser, unter den Klängen der Marseillaise „à Berlin!“ brüllend und höchlich entrüstet, daß die unbesiegbaren Soldaten unter ihren schlachtberühmten Generalen noch nicht einmal in Mainz waren. Da mußte Rat geschafft werden, es galt, um jeden Preis einen Erfolg zu erringen. Der Kaiser, selbst ratlos und ohne Vertrauen zur eigenen Heerführung, ordnete eine große Rekognoszierung an und Frossard vertrieb mit drei in voller Schlachtordnung entwickelten Divisionen vier preußische Konnpagnien aus Saarbrücken, während Napoleon und Prinz Lulu äußerst befriedigt dieser Heldenthat zuschauten. Der „Sieg“ vom 2. August wurde nach Möglichkeit aufgebauscht, um den Brocken, den man dem gloiregierigen Publikum hingeworfen, recht schmackhaft zu machen.
Doch nun kam die Reihe an die Deutschen. Moltke meldete: „Fertig!“ und König Wilhelm kommandierte: „Vorwärts!“ Mit Hurra überschritt des Kronprinzen III. Armee die Grenze und warf sich auf die nach Weißenburg vorgeschobene Division Abel Douay. Die Bayern nahmen das befestigte Weißenburg, die Königsgrenadiere samt ihren preußischen Kameraden erstürmten todesmutig die starke Geisbergstellung. „Unser Fritz“ hatte seinen ersten Sieg über die Franzosen errungen und Preußen und Bayern jubelten dem ritterlichen Königssohn zu, dem kannpfesfrohen blonden Recken mit seiner herzgewinnenden Leutseligkeit. Da war’s, wo ein zutraulicher Bayer dem Kronprinzen zurief: „Ja, Königliche Hoheit, wenn Sie uns 1866 konnmandiert hätten, würden wir die Malefiz-Preußen sakrisch verhauen haben!“
Doch Weißenburg war nur ein Vorspiel.
Hinter dem Sauerbach, den Marktflecken Wörth vor der Mitte seiner Front, hatte Mac Mahon mit fünf Divisionen eine starke Höhenstellung eingenommen, in welcher er auch den Angriff überlegener Kräfte abzuweisen hoffte, zumal der Angreifer den sumpfigen Grund des Sauerbaches zu durchschreiten hatte. Der Marschall hatte sogar die Absicht, zum Angriff überzugehen, sobald er alle verfügbaren Kräfte der ihm unterstellten drei Corps beisammen haben würde. Der Kronprinz beabsichtigte für den 6. August noch keinen ernsten Angriff. Aber schon am Abend des 5. August waren sich die Gegner so nahe auf den Leib gerückt, daß sie bei erster Gelegenheit aufeinander platzen mußten. In der Nacht bissen sich bereits die beiderseitigen Vorposten miteinander herum und am 6. früh hielt es der Führer der 20. Brigade (vom preußischen Corps) für geboten, sich des dicht vor ihm liegenden Sauer-Ueberganges zu bemächtigen. Die dort nach Wörth führende Brücke war zerstört, die prenßischen Schützenlinien durchwateten das Flüßchen und besetzten den Ort, der vom Feinde frei war. Nun aber gerieten sie in das mit Heftigkeit entbrennende Feuer der französischen Höhenstellung und das Gefecht wurde voriäufig abgebrochen. Doch hatten die beiderseiagen Artillerien die Konversation so laut geführt, daß die bayrische Division Hartmann, von Langensulzbach vorgehend, sich in ein lebhaftes Gefecht mit dem linken Flügel der Franzosen verwickelte, freilich zunächst ohne entscheidenden Erfolg. Das Eingreifen der Bayern bestimmte nun wieder den Kommandierenden des 5. Corps, General von Kirchbach, die Franzosen bei Wörth ernstlich anzufassen. Die Artillerie wurde vorgezogen und um 10 Uhr standen über hundert deutsche Geschütze im Feuer. Bis an die Brust im Wasser durchwateten die Compagnien die Sauer, vermochten sich aber nur mit größter Mühe auf dem jenseitigen Ufer zu behaupten.
Vom Kronprinzen war nochmals die Weisung eingegangen, heute die Schlacht zu vermeiden. Aber „Unheil, du bist im Zuge, nimm welchen Lauf du willst“, mußten die deutschen Kämpfer sich sagen; General von Kirchbach entschloß sich, auf eigene Verantwortung den Kampf weiterzuführen. Auch das 11. Corps, durch den immer lauter und anhaltender erschallenden Kanonendonner in seinen Biwaks alarmiert, hatte sich in Marsch gesetzt und strebte dem Kampfplatze zu. Der Kronprinz, in stürmischem Ritt den Weg von seinem Hauptquartier zum Gefechtsfelde durchmessend, traf zur rechten Zeit ein, um die Leitung der schon im voller Wut tobenden Schlacht zu übernehmen. Die Regimenter des 11. Corps, teils gegen den rechten Flügel der Franzosen vorstoßend, teils des Feindes rechte Flanke umfassend, greifen mit frischem Nachdruck in das Gefecht ein. Die schwarzen Wüstensöhnne, die Turkos, empfangen sie mit wilden Geheul und rasendem Feuer; doch bald müssen sie weichen. Da stürzt sich, die dem rechten Flügel drohende Gefahr erkennend, die Kavalleriebrigade Michel, Kürassiere und Lanciers, auf die Infanterie des 11. Corps. Das Regiment 32, [526] eben bei Morsbronn in der Rechtsschwenkung begriffen, sieht die Reiterscharen auf sich losbrausen; rasch ballen sich die Compagnien, die Halbbataillone zusammen, schleudern auf nächste Entfernung den in wilder Jagd daherstürmenden Kürassieren ihr vernichtendes Schnellfeuer entgegen – und alsbald stürzen Rosse und Reiter übereinander, in wilder Hast jagen die zerschmetterten Geschwader von dannen, doch nur, um den schneidigen Husaren Nr. 13 in die Hände zu fallen, die mit Macht auf die Flüchtlinge einhauen.
Nun dringen in lebhaftem Gefecht die Regimenter des 11. Corps durch den Niederwald vor, ihnen zur Rechten schließen sich die Streiter des 5. an, das brennende Elsaßhausen wird erstürmt, das Gehölz südlich Fröschweiler genommen. Auch die Bayern gehen von neuem mit Nachdruck zum Angriff vor, mehr und mehr werden die Verteidiger bedrängt. Noch einmal sucht Mac Mahon durch kräftigen Vorstoß sich Luft zu schaffen; aber die einen Augenblick zurückgedrängten Angreifer werden sofort wieder vorgeführt und stürmen unaufhaltsam vorwärts. Die Kavalleriedivision Bonnemains wirft sich mit dem Mute der Verzweiflung auf die deutsche Infanterie, wird aber von demselben Geschick ereilt wie vorher die Brigade Michel. Jetzt, am späten Nachmittage, rücken von Süden her auch die Württemberger an und stürzen sich mit schwäbischer Tapferkeit in den Kampf; General von Bose, obwohl erheblich verwundet, sammelt die verfügbaren Abteilungen seines 11. Corps und führt sie zum Sturm auf das brennende Fröschweiler – – jetzt ist kein Halten mehr: in der Mitte durchbrochen, beide Flügel umfaßt und geworfen, ergreifen die Franzosen die Flucht und wälzen sich im wüsten Durcheinander der Flucht auf Reichshofen und Niederbronn. Keine Möglichkeit, den zurückflutenden Massen eine bestimmte Richtung anzuweisen, fast alles strömt auf Zabern zu. Eigentümlich berührte es uns Deutsche, daß die französischen Flüchtlinge beim Passieren eines Dorfes unaufhörlich nach „Zuckerwasser“ riefen. Bayern und Thüringer würden ihren Durst auf andere Weise zu löschen wünschen.
Hätte die deutsche Kavallerie rechtzeitig zur Stelle sein können, so wäre Mac Mahons Armee völliger Vernichtung anheimgefallen. Aber auch so verlor sie 12 000 Tote und Verwundete und ließ 200 Offiziere, 9000 Mann als Gefangene in den Händen der Sieger, außerdem 33 Geschütze und 2000 Beutepferde. Die Deutschen hatten den entscheidenden Sieg mit einem Verlust von fast 500 Offizieren und 10 000 Mann erkauft.
Trotz Chassepots und Mitrailleusen, trotz des „élan“ der Zuaven und des Geheuls der Turkos hatten die Deutschen gesiegt. Unzweifelhaft hatten sich die Franzosen tapfer geschlagen; aber das einheitliche Zusammenwirken der von allen Seiten herbeieilenden deutschen Heeresabteilungen hatte die Entscheidung herbeigeführt. Der Tag von Wörth war der erste glänzende Triumph der deutschen Kampfeseinigkeit: Preußen, Thüringer, Hessen, Bayern und Schwaben hatten sich in brüderlichem Wettstreit die Hand gereicht. In opferwilliger Waffenbrüderschaft waren Führer und Truppen ohne Zaudern dem Schlachtfelde zugeeilt, folgend dem eigensten Antriebe, auf den Kanonendonner losmarschierend, gehorchend dem Kampfruf der Kameraden. Die Schlacht bei Wörth, improvisiert durch die Kampflust der Truppen, wurde zum Siege durch das verständnisvolle Eingreifen der Führer und durch die geniale obere Leitung, die zu rechter Stunde mit klarem Blick die Zügel erfaßte und den Kampf, den sie anfangs nicht beabsichtigt, zum glücklichsten Ausgang führte.
Der Sieg von Wörth, der daheim im deutschen Vaterlande jubelnde Begeisterung erregte, war nicht nur ein glänzender Erfolg der deutschen Waffen, gab nicht nur dem deutschen Heere und dem deutschen Volke frohe Siegeszuversicht, sondern er hatte vor allem auch die folgenschwere Bedeutung, daß nunmehr Süddeutschland gesichert war gegen den Einbruch des Feindes. Rheinpfalz, Baden und Schwaben brauchten jetzt nicht mehr zu fürchten, daß Turkos und Gums als „Kulturträger“ der großen Nation sich bei ihnen einstellten; im Gegenteil war jetzt die Mahnung des Dichters: „Alldeutschland in Frankreich hinein!“ volle Wahrheit geworden, zumal an demselben Tage auch bei Spichern ein ruhmvoller Sieg errungen ward, so daß beide Flügel der deutschen Heere festen Fuß gefaßt hatten in Feindesland.
Ueberwältigend, niederschmetternd wirkte die Kunde von Weißenburg, von Wörth, von Spichern in Paris. Noch am 6. August hatte eine falsche Siegesnachricht die Pariser in einen Freudentaumel versetzt, so daß wieder einmal die Marseillaise aus voller Brust gesungen wurde. Da kam wie ein kaltes Sturzbad die Schreckensbotschaft und Schmerz und Wut bemächtigten sich der Bevölkerung. Die fremden Barbaren unaufhaltsam hineinströmend über die Grenzen, überflutend den Boden des Vaterlandes, wohl gar auf Paris vordringend, auf Paris, die heilige Metropole der civilisierten Welt! Im Gesetzgebenden Körper brach ein furchtbarer Sturm los, das Ministerium stürzte und die Kaiserin als Regentin berief als Retter in der Not den Grafen Palikao, der sollte helfen. „Alle Mann zu den Waffen, Paris in Verteidigungszustand!“ lautete das Feldgeschrei – so schlug der deutsche Sieg von Wörth seine Wellen bis in das Herz Frankreichs hinein.
Wir aber gedenken dankerfüllten Herzens der deutschen Tapferkeit und Waffenbrüderschaft, die uns jenen Siegeskranz geflochten, gedenken schmerzbewegt der schweren Opfer, die der blutige, ruhmvolle Kampf uns auferlegt, gedenken in tiefer Wehmut und nie verlöschender Verehrung und Bewunderung des unvergeßlichen Siegers von Wörth, des uns allzufrüh entrissenen Kaisers Friedrich, dessen herrliche Gestalt dem deutschen Volke allezeit wie eine Verkörperung des lichten Siegfried der Heldensage erscheinen wird, gleichwie unser Heldenkaiser Wilhelm I. im Volksgemüt die Stelle Barbarossas eingenommen hat, doch überlegen dem staufischen Kaiser in seiner schlichten Pflichttreue und beispiellosen Selbstlosigkeit. P. v. S.