Die junge Schwedin mit ihren Schülern

Textdaten
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Autor: Heinrich Leutemann
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Titel: Die junge Schwedin mit ihren Schülern
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 826–830
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Eine Dompteuse
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Menagerie-Bilder.
Nr. 7. Die junge Schwedin mit ihren Schülern.

Vor allen Dingen sei mir zum Beginn der das nachstehende Bild erläuternden Zeilen die Versicherung gestattet, daß in demselben Nichts übertrieben ist; Alles, nicht blos das muthvolle und herausfordernde Auftreten des kühnen Mädchens, sondern auch die verschiedenen Arten, sowie die Gesammtzahl der dargestellten Bestien und deren Auftreten, ist streng wahrheitgemäß. Einmal scheint mir diese Versicherung nicht überflüssig, weil sich dem Beschauer des Bildes, der diesen Glanzpunkt der Kreutzberg’schen Menagerie noch nicht in Wirklichkeit gesehen hat, leicht Zweifel an der Wahrhaftigkeit des Küstlers aufdrängen möchten. Sodann giebt sie mir aber auch Gelegenheit, eine Lanze einzulegen gegen Die, welche, oft dazu am wenigsten berufen, die üblich gewordene Redensart von den „grämlichen, faulen, halbtodten, sich selbst nicht mehr ähnlichen Löwen“ der Menagerien immer von Neuem wiederkäuen. Weil sie vielleicht den Löwen in seinem Käfig gähnend oder schlafend antrafen und er so vernünftig war, sich nicht stören zu lassen, so müssen nun alle Menagerielöwen verkommene Geschöpfe sein. Mit einem Gerard, der allein und oft auf wenige Schritte Entfernung dem Löwen der Wildniß entgegengestanden und ihn erlegt hat, ließe sich über diesen Punkt streiten, mit jenen Leuten nicht. Ich verweise einfach auf das Bild.

Dies vorausgeschickt, will ich nun mich gleich der Hauptperson des Dramas, der kühnen Thierbändigerin, zuwenden. Fräulein Cäcilie Nicolai aus Stockholm, in den Ankündigungen der Menagerie nur „die junge Schwedin“ genannt, arbeitet, ohne sich vielleicht dessen selbst bewußt zu sein, mächtig mit an den Aufgaben der Zeit. Jedermann weiß, daß unter die Zeitströmungen der Gegenwart auch das Bestreben gehört, der Frauenthätigkeit neue und größere Bahnen anzuweisen. Man hat Mädchen und Frauen zum Schriftsetzen empfohlen, leider aber wollen die Herren Schriftsetzer Nichts davon wissen; in den Telegraphenstationen will man sie beschäftigt sehen, allein die Telegraphisten sind nicht damit einverstanden, und nur die edlen Künstler empfangen die Künstlerinnen stets mit offenen Armen.

Unserer Künstlerin muß das große Verdienst zugeschrieben werden, sich und andern ihres Geschlechts durch eigene Kraft eine neue Bahn gebrochen zu haben. Gleich den großen Künstlern der Vergangenheit und Gegenwart, welche ohne die jetzt oft unentbehrlichen Kunstkritiker ihren Weg fanden, hat sie nicht erst einen Hinweis auf das Thierbändigen abgewartet, sondern ist kühn dem Fingerzeig des Schicksals gefolgt. Zwar ist sie keineswegs die erste Dame, welche Zahmheitsproductionen mit wilden Thieren zeigt, aber in der Vorführung von Wildheitsvorstellungen dürfte sie denn doch noch keine Nebenbuhlerin haben. Wie es geschehen ist, daß gerade sie berufen war, bei den in solcher Weise noch nicht dagewesenen Vorstellungen der Kreutzberg’schen Menagerie eine so bedeutende Rolle zu spielen, soll hier, soweit mein Wissen reicht, mitgetheilt werden.

Schon seit einer Reihe von Jahren haben Damen bei den Vorstellungen in dieser Menagerie mitgewirkt und Herr Kreutzberg scheint den Schwedinnen eine besondere Anziehungskraft zugetraut zu haben. Die erste Frau des Menageriebesitzers, welche zunächst mit auftrat, führte diese Bezeichnung nicht, wohl aber ein mehrere [827] Jahre nachher sich producirendes junges, sehr hübsches Mädchen, die Tochter des dänischen Zauberkünstlers Bils, also eine Dänin. Sie trat unter der Bezeichnung der „sechzehnjährigen Schwedin“ auf, indem sie zu Bären, Hyänen und Leoparden in den Käfig ging und mit ihnen das oft gesehene afrikanische Gastmahl aufführte. Sie schien sich nicht sehr glücklich in der wohl nicht ganz freiwillig gewählten Thätigkeit zu fühlen und mochte auch kein rechtes Talent dazu haben, womit ich ihr keineswegs zu nahe treten will. Lange hat sie darum nicht gethierbändigt, denn sie ist schon seit geraumer Zeit glückliche Gattin geworden. Für die Menagerie schien aber seitdem das Auftreten einer sechzehnjährigen Schwedin zur Nothwendigkeit geworden zu sein, und Herr Kreutzberg hat es verstanden, für doppelten Ersatz zu sorgen. Zunächst war es die eine seiner eigenen Töchter, welche die Reisen der Menagerie begleitete und in das Geschäft mit eintrat. Ziemlich gleichzeitig aber dürfte unsere Heldin der Menagerie durch das Schicksal zugeführt worden sein, und zwar als Kreutzberg die Städte Rußlands besuchte. Unsere Dame war bis dahin als Sängerin gereist, und noch jetzt rühmt man ihre schöne Stimme. Ob nun die kühne Sängerin und der Schwedinsuchende Herr Kreutzberg sich in Riga oder Petersburg trafen und fanden, dürfte gleichgültig sein; genug, unsere Heldin brach mit ihrer Vergangenheit, denn, so sagte sie einst zu mir, „wenn man jetzt kommen will durch die Welt, so muß man haben Courag!“ So reist sie denn bereits seit einigen Jahren nun in Begleitung der Bestien und hat bis Ostern dieses Jahres gewöhnlich in den Vorstellungen mit Fräulein Kreutzberg abgewechselt. Dabei war aber fast immer die „junge Schwedin“ angekündigt, so daß damals wohl Mancher die wahre gar nicht zu Gesicht bekam.

Seitdem ist dies anders geworden. Fräulein Kreutzberg hatte in letzter Ostermesse das Unglück, bei einer der Vorstellungen von einer Hyäne in den Arm gebissen zu werden, so daß sie zur Heilung ihrer Wunde in Leipzig zurückbleiben mußte, und, wie mir der Vater sagte, nicht mehr mitwirken wird. (Beiläufig hier gleich die Bemerkung, daß merkwürdigerweise gerade diese Hyäne von dem noch zu erwähnenden Löwen Leo bei einer Vorstellung todtgebissen wurde; zugleich ein Beweis, daß die Nemesis überall waltet, in der Menagerie so gut wie sonstwo.) Nunmehr ist unsere Heldin wieder die alleinige Schwedin geworden, und gerade dieses Jahr sollte ihren Ruhmeskränzen neue hinzufügen.

Die Leser der Gartenlaube werden sich vielleicht erinnern, daß ich ihnen vor einem halben Jahre die Vorstellung, welche Batty mit seinen fünf Löwen in Deutschland gab, in Wort und Bild zu schildern versuchte. Die nicht gewöhnliche Dressur dieser Thiere war es keineswegs, welche das Aufsehen verursachte, sondern vielmehr die fortwährende Gefahr, in welcher sich der eine Mann den fünf auf’s Höchste gereizten Bestien gegenüber zu befinden schien und auch wirklich befand. Nun, Herr Kreutzberg verstand das Zeichen der fortschreitenden Zeit und, dem Thun mancher alten Leute entgegen, welche sich von der Verfahrungsweise ihrer Jugend nicht trennen können, säumte er nicht, dem Zeitgeist Rechnung zu tragen. War die Devise bisher: „Zahme Löwen“, so hieß sie jetzt: „Wilde Löwen“, und zwar so viel als möglich. Sie wurden geschafft. Sieben Löwen, in einem großen Käfig vereinigt, wurden angekauft, alle ungezähmt und von gleichem jugendlichen Alter. Sie stammten sämmtlich aus Südafrika und waren von dem allen Menageriebesitzern und zoologischen Gärten wohlbekannten Thierhändler Jamrach in London an Herrn Kreutzberg für die Summe von 3500 Thalern verkauft.

Bis dahin waren die Vorstellungen in der Weise gegeben worden, daß die Schwedin, nachdem sie mit den Bären und Hyänen in deren Käfig „gearbeitet“ hatte, dieselben, d. h. zwei schwarze Bären, drei gefleckte und zwei gestreifte Hyänen, aus dem Käfig auf die nebenan befindliche Bühne ließ, wozu dann von der andern Seite der schöne Löwe Leo kam. Das afrikanische Gastmahl folgte und den Schluß machte die Vorführung der Dressur des Löwen.

Jetzt sollte Neues geboten werden; es galt die sieben frisch angekommenen Zöglinge mit der bisherigen Gesellschaft bei den Vorstellungen zu vereinigen. Wie mir Herr Kreutzberg erzählte, hat er diesen sicher höchst interessanten Versuch zuerst in Schwerin, wo sich die Menagerie bei der Ankunft der Sieben befand, vor dem Großherzog unternommen. Ich selbst mußte mir daher sehr erhaben vorkommen, als Herr Kreutzberg eines Morgens vor mir und einem mitgebrachten Freunde allein die nämliche Probe wiederholte. Es war dies in Hamburg im August. Er hatte die Scene dort noch nicht vorgeführt, wahrscheinlich um bei längerer Anwesenheit ein neues Anziehungsmittel in Bereitschaft zu haben.

Ich habe viel Aehnliches gesehen und bin daher nicht gleich hingerissen, bei dieser Gelegenheit sah ich indessen doch manches mir ganz Neue. Vor Allem überraschend und zugleich rührend war der Anblick, wie, als zunächst die sieben jungen mit dem erwachsenen Löwen Leo zusammenkamen, jene sich zu diesem hindrängten und unter eigenthümlichen, an das Miauen der Katzen erinnernden Tönen ihn mit ihren Liebkosungen förmlich bestürmten.

Leo fühlte sich aber durch das Massenhafte dieser Liebe offenbar sehr beängstigt, er suchte die Stürmischen durch kurzes, seinen Zweck aber ganz verfehlendes Brüllen zurückzuschrecken und nahm wohl auch manchmal den Kopf des nächsten ganz in seinen Rachen, ohne ihm aber zu schaden, wahrscheinlich nur zur Andeutung des Möglichen. Außer bei einer schon früher in der Gartenlaube erzählten Gelegenheit habe ich das Seelenleben dieser edlen Raubthiere noch nie so schön und rührend hervorbrechen sehen, denn es war klar, daß die noch nicht ganz erwachsenen sieben Löwen, welche die Erinnerung an ihre Eltern offenbar noch nicht verloren hatten, in dem erwachsenen und ausgebildeten Thier ihren Vater zu erblicken glaubten und nun ihre Freude darüber zu erkennen gaben.

Dieser Auftritt fand aber nur statt, so lange die acht Löwen unter sich waren; sobald die Hyänen und Bären mit ihnen zusammenkamen, entwickelte sich ein entgegengesetztes Bild. Die sanften Regungen der Löwen verschwanden und machten dem entschiedensten Widerwillen gegen die Hyänen Platz, den ich in solchem Grade bis dahin noch nie beobachtet hatte. Stets suchten sie sich auf der einen Seite des Theaters zusammenzuhalten, um nur ja den Verhaßten nicht zu nahe zu kommen. Diese aber, vor allen die gefleckten Hyänen, liefen mit einer fast pöbelhaften Frechheit überall umher, kamen den Löwen trotz deren Aufbrüllen bis unter die Nase, fraßen gierig den Koth ihrer Feinde und thaten überhaupt Alles, um den Widerwillen jener zu verdienen. Die furchtbarste Aufregung entstand aber, als die Löwen nun von Herrn Kreutzberg, welcher sich bis dahin nur als Zuschauer verhalten hatte, gezwungen wurden, über ein Bret und mitten in ihre Feinde hineinzuspringen. Auf der einen Seite das zornige Widerstreben der Thiere, ihren Platz zu verlassen, die schönen Gestalten der springenden Thiere in der Mitte und die wilde Aufregung der unter ihre Feinde gerathenen Löwen auf der andern Seite – dies bildete und bildet noch jetzt bei jeder Vorstellung ein so gewaltiges Schauspiel, daß es wohl Jedem unvergessen bleiben wird.

Selbst ich, nachdem ich die Vorstellung in Leipzig von Herrn Kreutzberg noch öfter vorgeführt sah, erwartete nicht, auch die Schwedin in dieser wilden Scene zu erblicken. Und doch war’s der Fall. Nachdem sie die seit Jahren vorgeführte Dressur der Bären und Hyänen gezeigt, läßt sie dieselben auf die Bühne, zu ihnen den Löwen Leo, führt das afrikanische Gastmahl auf und tritt, nur mit einer dünnen Reitgerte bewaffnet, schließlich in den Käfig der Sieben, um die Widerstrebenden heraus und unter die übrige Gesellschaft zu treiben. Man vergesse nicht, daß jetzt noch von keiner vollendeten Dressur derselben die Rede sein kann; ihr Anfang besteht darin, daß einige von ihnen auf zwei an dem Gitter befestigte Breter hinaufzuspringen und die übrigen über ein Bret zu setzen haben, was, wie schon erwähnt, Mühe genug verursacht. Zum Ausruhen setzt sich dann wohl auch unsere Heldin auf ein umgekehrtes Faß, mit einer Unbefangenheit, als befände sie sich in der gemüthlichsten Kaffeegesellschaft und nicht umgeben von zähnefletschenden Bestien.

Mit unverkennbarer Freudigkeit und großer Eile verlassen übrigens jedesmal die Sieben den Schauplatz, sobald ihnen durch Oeffnen der Käfigthür das Zeichen dazu gegeben wird, und ihre Aufregung schwindet erst nach geraumer Zeit. Auch die Bären und Hyänen empfehlen sich und nur Leo bleibt zurück, um im Gegensatz zu der bisher so wilden Scene nunmehr Proben seiner Zahmheit abzulegen, wobei gleichfalls Fräulein Cäcilie eine merkwürdige Kühnheit entwickelt.

Schon mehrfach ist die kühne Schwedin verwundet worden, sie spricht aber ziemlich geringschätzig davon. Daß dies vorgekommen, ist bei ihrer Kleidung doppelt erklärlich, denn im Gegensatz zu Batty, welcher bis an’s Kinn zugeknöpft gekleidet war, trägt sie sich nichts weniger als zugeknöpft, was eben auch ihre Sorglosigkeit

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Die junge Schwedin mit ihren Schülern in Kreutzberg’s Menagerie.
Nach der Natur gezeichnet von H. Leutemann.

[830] bekundet. Die Bären spielen bei der Vorstellung so gut wie keine Rolle. Sobald das afrikanische Gastmahl vorüber und die böse Sieben hereingestürzt ist, ziehen sie sich in eine Ecke zurück, wo sie, auf den Hinterfüßen aufgerichtet und mit höchst bedenklichen Gesichtern, dem Aufruhr der Andern zuschauen und dessen Ende abwarten.

Wie bei den Theatervorstellungen der alten Griechen nach der erschütternden Tragödie ein lustiges Satyrspiel den Schluß bildete, so folgt auch in der Kreutzberg’schen Menagerie auf das gewaltige Schauspiel der im Verein vorgeführten fünfzehn Bestien die heitere Erscheinung des Elephanten Pepita und seiner schönen Künste.
L.