Textdaten
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Autor: L-n
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Titel: Eine Löwenmutter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 407, 408
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[407]
Menageriebilder.
1. Eine Löwenmutter.
(Mit Abbildung.)

Obgleich seit mehr als zwanzig Jahren ein leidenschaftlicher Besucher von Menagerien, war doch mein sehnlichster Wunsch, eine Löwin mit ihren Jungen sehen und beobachten zu können, unerfüllt geblieben, denn der Fall, daß dieses Thier im Käfig Junge wirft, kommt so selten vor, daß er selbst in großen und lange bestehenden Menagerien ein Ereigniß ist. Zwar hatte ich früher als Kind junge Löwen mit ihrer Mutter gesehen, aber diese Erinnerung ist viel zu schwach, und ich weiß blos noch, daß die kleinen Thiere, wenn sie sich spielend herumkollerten, ganz reizend aussahen.

Endlich sollte nun mein Wunsch in Erfüllung gehen.

Einst am frühen Morgen, beim Eintreten in die große Kreuzberg’sche Menagerie, bemerkte ich, daß die Wärter (in der Menageriesprache ganz prosaisch Knechte genannt) einen leeren Käfig vor dem Behälter eines noch ziemlich jungen Löwenpaares aufstellten. Das Männchen dieses Paares war mir immer sehr interessant gewesen. Es gehörte zu den „arbeitenden“ Thieren der Menagerie und spielte bei den Vorstellungen, welche der Besitzer der Thiere mit den Bären, Hyänen, Leoparden und diesem Löwen in einem Käfig gab, die Hauptrolle. Denn während die andern Bestien sich entweder balgten, oder ihrem Herrn und dessen gefürchteter Nilpeitsche auszuweichen suchten, bestand seine Vorstellung in einem fortwährenden Auflehnen gegen die Zumuthungen desselben, und wer häufig diese Vorstellungen besuchte, konnte fast immer Zeuge der erregendsten Auftritte sein. Vielleicht läßt sich davon später einmal erzählen, jetzt haben wir es mit der Löwin zu thun, welche bald das anziehendste Thier in der Menagerie werden sollte.

Heinrich, der eine Wärter, hatte behauptet, daß diese Löwin bald Junge werfen würde, und deshalb, neben dem Versprechen eines Trinkgeldes für den Fall der Bestätigung, den Auftrag erhalten, das Thier abzusperren, damit es dann ungestört von dem männlichen Löwen sei. Es geschah dies, indem der leere Käfig dicht vor den mit den beiden Löwen gerückt wurde, vorher aber der Löwe durch eine eingeschobene Zwischenwand von der Löwin getrennt worden war. Dann wurden die beiden aneinander stehenden Eisengitter aufgezogen, und indem man die Löwin durch ein [408] Stück Fleisch in den neuen Käfig lockte, ließ man gleichzeitig das Gitter fallen, und der Umzug war geschehen. Schwierig ist zwar immer noch, den jetzt viel schwereren Käfig an seinen neuen Platz einzureihen, doch die Hauptsache ist dann geschehen. Auf diese oder die umgekehrte Weise geschieht stets der Wohnungswechsel in Menagerien.

Von Tag zu Tag wartete ich nun, daß die Prophezeiung des Wärters sich erfüllen sollte, und jeden Morgen eilte ich zuerst an den Käfig der Löwin. Vergebens. Der Tag nahte heran, an welchem die Menagerie abreisen sollte, und da schon einige Wochen seit der Absperrung der Löwin verstrichen waren, so stiegen leise Zweifel bei mir auf, ob nicht ein Irrthum vorliege. Aber der Wärter ließ sich nicht irre machen und behauptete, daß das Anschwellen der Euter ein untrügliches Zeichen sei. Er mochte allerdings Erfahrung haben, denn er hatte von Jugend auf in Menagerien gedient, während die meisten andern Wärter als gerade unbeschäftigte Handarbeiter und dergl. solche Dienste annehmen und sie gelegentlich wieder verlassen.

Die Menagerie ging zuletzt wirklich ohne junge Löwen nach Dresden ab, kam aber doch mit solchen dort an. Gerade die kurze Reise sollte ereignißvoll werden, denn während eine der schönen Giraffen, welche schon seit Jahren die Zierde der Menagerie waren, durch das Anstoßen ihres hohen Behälters an eine Ueberbrückung der Eisenbahn getödtet ward, warf die Löwin unterwegs ihre Jungen, und als nach der Ankunft die Käfige geöffnet wurden, lag die Alte ruhig bei ihren Kleinen, sie eifrig beleckend.

Absichtlich wartete ich einige Wochen, ehe ich nach Dresden reiste, um die kleinen Löwen mehr entwickelt und sehend vorzufinden. Auch waren sie in der ersten Zeit dem Publicum nicht gezeigt worden. Der Anblick war in der That ein reizender. Mit mütterlichem Behagen und Stolz zugleich lag die Alte auf ihrem Strohlager, kein Auge von ihren Kindern verwendend. Diese waren bereits so gewachsen, daß sie nicht mehr durch das Gitter herausgenommen werden konnten, wie dies noch einige Tage vorher geschehen war. Die Farbe war die der Alten, nur trugen sie überall schwache bräunliche Flecken, welche auf Scheitel und Rückgrat zu schwarzen wurden. Mit ihren dicken runzligen Köpfen, den kleinen spitzen Schwänzchen sahen sie gar niedlich aus, wenn sie, oft über die eignen ungeschickten Beine fallend, ihre Ausgänge, d. h. von ihrer Mutter bis vor an das Gitter unternahmen. Keine Bewegung entging der Alten, aber der Ausdruck ihres Gesichts hatte dabei etwas so Zufriedenes, so mütterlich Glückliches, daß man eben so gern auf sie selbst, wie auf die Kleinen sah.

Meine Erwartung, die Löwin durch die Menge der Zuschauer beunruhigt und aufgeregt zu sehen, bestätigte sich nicht, im Gegentheil, sie lag fast stets ruhig im Hintergrund ihres Käfigs, sodaß die Jungen fortwährend Gelegenheit hatten, ihren Durst zu stillen, was diese auch fleißig benutzten. Auch dabei blickte sie fast fortwährend nach diesen hin, sich oft niederbeugend, um sie zu lecken. Durch Letzteres gab sie überhaupt ihre mütterliche Liebe am meisten zu erkennen, und manchmal nahm sie wohl auch eins der Jungen zwischen ihre Tatzen, um es recht von Herzen zu lecken, wobei das Kleine um und um gewendet wurde, so sehr es auch strebte auf den Beinen zu bleiben. Der Gebrauch ihrer Beine war den Kleinen offenbar noch nicht recht geläufig, weshalb denn auch ihre Versuche zu spielen stets mit Umfallen endigten, wobei die Alte gleichfalls behaglich zusah. Trotz dieser Unbehülflichkeit entwickelte sich aber doch schon die wilde Natur, denn komischerweise versuchten sie mehrmals beim Herankommen an das Gitter dem Publicum die Zähne zu zeigen, die sie noch gar nicht hatten.

Ich hatte mir einige Skizzen der ganzen Gruppe bereits entworfen, wünschte nun aber auch die jungen Löwen selbst etwas genauer zu zeichnen, was bei dem dichten Strohlager, in welchem sie sich bewegten, nicht gut möglich war. Ich bat daher Heinrich, den Wärter, der allein so Etwas wagen durfte, mir dazu Gelegenheit zu geben. Ohne Weiteres streckte er seinen muskulösen Arm durch das Gitter, packte den nächsten jungen Löwen und hielt ihn empor. Zu meiner Verwunderung blieb die Löwin ganz ruhig, in ihrem Winkel liegen, behielt aber ihr Kleines unverwandt im Auge. Ein einziges Mal richtete sie ihr Auge auf mich und zeigte mir dabei die sehr ungemütlichen Zähne, ohne aber dieses Compliment auch dem Wärter zu machen, auf so vertrauten Fuß stand sie mit diesem. Als ich aber nun in aller Eile meine Zeichnung vollendet hatte und das Junge losgelassen war, wurde dieses von der Alten mit solcher Energie und Ausdauer von allen Seiten beleckt und umgewendet, als sollten damit alle Spuren der ungeweihten Berührung vertilgt werden.

Nur ungern trennte ich mich nach einigen Tagen, als die Menagerie nach Warschau abgehen sollte, von dem schönen Schauspiel, und immer noch denke ich gern an dasselbe zurück.

Es ist bekannt, daß die Löwinnen nicht immer zwei Junge werfen, sondern meistens nur eins, am seltensten drei. Schon die in Freiheit gebornen kommen nicht Alle auf in Folge des Vielen verderblichen Zahnens, noch seltener ist dies natürlich in der Gefangenschaft der Fall. Wie verderblich übrigens eine häufigere Vermehrung sein würde, ergibt sich daraus, daß nach der Behauptung Gerard’s, des berühmten Löwenjägers in Algier, ein Löwe, welcher 35 Jahre lebt, den Heerden für 50,000 Thaler Schaden zufügt. Wie diese Summe steigt, wenn eine ganze Löwenfamilie zusammenlebt, ist daraus leicht zu schließen. Es ist daher auch in den Gegenden Nord-Afrika’s, wo sich Löwen aufhalten, die Abgabe, welche die Araber dem Löwen gleichsam zu entrichten haben, eine vielfach größere, als die von der Regierung geforderte. Daß man bei diesem gewaltigen Schaden und bei dem Muthe der Araber nicht häufiger sich zu Jagden auf das Thier entschließt, ist eben nur die Furcht vor dem so häufig gefährlichen Ausgang dieser Jagden, und der Löwe wird daher gewiß noch lange Zeit vor Ausrottung, selbst in den bevölkerten Theilen Afrika’s, geschützt sein.

L–n.