Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Wirtschaftspolitik

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Autor: Carl Johannes Fuchs
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Titel: Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Wirtschaftspolitik
Untertitel:
aus: Handbuch der Politik Zweiter Band: Die Aufgaben der Politik, Neuntes Hauptstück: Allgemeine Wirtschaftsfragen, 44. Abschnitt, S. 231−238
Herausgeber: Paul Laban, Adolf Wach, Adolf Wagner, Georg Jellinek, Karl Lamprecht, Franz von Liszt, Georg von Schanz, Fritz Berolzheimer
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Erscheinungsdatum: 1914
Verlag: Dr. Walther Rothschild
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Erscheinungsort: Berlin und Leipzig
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44. Abschnitt.


Die geschichtlichen Grundlagen der deutschen Wirtschaftspolitik.
Von
Dr. Carl Johannes Fuchs,
o. Professor der Volkswirtschaftslehre an der Universität Tübingen.


Literatur: Bearbeiten

G. Adler, Die Epochen der deutschen Handwerkerpolitik 1903. –
v. Below, Territorium und Stadt. 1900. –
Bucher, Die Entstehung der Volkswirtschaft. 8. Aufl. 1911. –
Derselbe. Art. „Gewerbe“ im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. –
A. Cremer. Die Bedeutung des preussischen Zollgesetzes von 1818 für die Entwicklung Preussens und den deutschen Zollverein, 1891. –
Fuchs, Die Epochen der deutschen Agrargeschichte und Agrarpolitik, 1898. –
Derselbe, Artikel „Bauer“ und „Bauernbefreiung“ im Wörterbuch der Volkswirtschaft (hier auch weitere Literatur). –
Derselbe, Die Handelspolitik Englands und seiner Kolonien, 1893. –
Knapp, Georg Friedrich, Der Untergang des Bauernstandes und der Ursprung der Landarbeiter in den alten Provinzen Preussens, 1887. –
v. Rohrscheidt, Vom Zunftzwang zur Gewerbefreiheit, 1898. –
Schmoller, Das preussische Handels- und Zollgesetz von 1818. Rede 1898. –
Derselbe, Zur Geschichte der deutschen Kleingewerbe, 1870. –
Sieveking, Grundzüge der neueren Wirtschaftsgeschichte vom 17. Jahrh. bis zur Gegenwart (Grundriss der Geschichtswissenschaft von Meister, Bd. II) 1907. 2. Aufl. 1913. –
Sombart, Der moderne Kapitalismus, 2 B. 1902. –
Derselbe, Die Juden und das Wirtschaftsleben 1911.

I. Bearbeiten

Die erste und wichtigste geschichtliche Grundlage der heutigen deutschen Wirtschaftspolitik bildet die Agrargeschichte. Denn alle Probleme der heutigen deutschen Volkswirtschaft wurzeln schliesslich in der eigentümlichen Agrarverfassung des Deutschen Reiches, die das Produkt der deutschen Agrargeschichte ist. Es handelt sich da vor allem um den bekannten „Dualismus“ zwischen ostelbischem und westelbischem Deutschland – dort das Vorherrschende grosse Güter, hier bäuerliche Wirtschaften –, der nicht nur in der heutigen Agrarpolitik und Handelspolitik, sondern ebenso auch in der Gewerbepolitik, insbesondere der gewerblichen Arbeiterfrage der Industrie, in der Wohnungsfrage und in allen anderen einzelnen sozialen Fragen sich geltend macht. Aber bei näherer Betrachtung ist der eine dieser beiden Teile, der Westen, selbst nicht einheitlich, sondern in sich weiter gegliedert: wir haben nämlich zwei Gebiete der [232] grossen Bauerngüter im Nordwesten und Südosten und ein Gebiet der Mittel- und Kleinbauerngüter in Mitteldeutschland und im Südwesten. Es handelt sich dabei keineswegs nur um Grössenunterschiede, sondern im letzteren ist Freiteilbarkeit mehr oder weniger vorherrschend, in den beiden anderen dagegen das System der geschlossenen, ungeteilten Vererbung der Höfe an einen Erben, das „Anerbensystem“.

Auch diese weiteren Unterschiede, ebenso wie der erste, sind Produkte der geschichtlichen Entwicklung. Allerdings sind sie nicht so alt wie jener, der tatsächlich bis auf das 9. Jahrhundert zurückgeht. Denn die Grenze zwischen Ost- und Westelbien im oben gekennzeichneten Sinn ist die alte Slavengrenze, und was östlich davon liegt, ist Kolonisationsland mit einer um tausend Jahre jüngeren deutschen Geschichte. Im älteren westlichen Teil aber bestand ursprünglich eine einheitliche gleiche Agrarverfassung, die der „älteren Grundherrschaft“, mit der Villicationsverfassung. Zu einem Herrenhof mit mässigem Eigenland (terra salica) gehörten mehr oder weniger zahlreiche Bauernhöfe, deren Bewohner persönlich unfrei, „hörig“, waren und dem Grundherrn Geld- oder Naturalabgaben, auch z. T. Dienste, für die erbliche Nutzung ihrer Bauernstelle leisten mussten. Solche hörige Lathufen hatten die kleineren Grundherrschaften 20 bis 30, die grösseren, namentlich geistlichen, in die Hunderte und Tausende, von denen dann immer eine Anzahl eine Villication mit einem Frohnhof als wirtschaftlichem Mittelpunkt bildeten, auf dem der Verwalter oder „Meier“ sass. Diese älteren Grundherrschaften waren aber sog. „Streubesitz“, d. h. sie bildeten keine geographisch abgeschlossenen Gebiete, und die Bauernhöfe eines Dorfes gehörten nicht alle zu einer Grundherrschaft, sondern in der Regel zu verschiedenen. Die Bauernstellen selbst aber waren klein und unteilbar.

In diese gleichartige Verfassung des älteren westlichen Deutschlands kam nun im 12. und 13. Jahrhundert eine Gliederung, welche bis heute fortdauert, durch die Aufhebung der Villicationen in Niedersachsen und eine ähnliche Entwicklung in Westfalen. Um seine mit dem Eindringen der Geldwirtschaft im Anschluss an die Kreuzzüge gestiegenen Bedürfnisse durch Erhöhung seines Einkommens zu steigern, löste der niedersächsische Grundherr die bisherige Verfassung bei welcher der Verwalter sich auf seine Kosten bereichert hatte, auf: er liess die hörigen Bauern frei, wodurch ihre Höfe an ihn zurückfielen, vereinigte in der Regel je vier dieser bisherigen Bauernstellen zu einer neuen grossen und „vermeierte“ diese d. h. verpachtete sie auf Zeit – so, wie er es zuvor mit der ganzen Villication dem Verwalter gegenüber, allerdings nicht mit befriedigendem Erfolg, getan hatte – an einen der freigelassenen Bauern, sodass er nach Ablauf weniger Jahre die Pacht erhöhen konnte, also das Steigen der „Grundrente“ ihm zugut kam. Die anderen drei Viertel der freigelassenen Bauern sanken teils in eine niedrigere Klasse der ländlichen Bevölkerung, die „Häusler“ oder „Brinksitzer“, herab, teils zogen sie in die zahlreichen, damals gegründeten Städte, teils endlich über die Elbe ins Slavenland und lieferten so das Menschenmaterial für die Kolonisation des Ostens.

Der zurückgebliebenen bäuerlichen „Meier“, d. h. Zeitpächter, aber nahm sich hier bald der moderne Staat an, der in den fraglichen Territorien sich kräftig entwickelte und ein lebhaftes finanzielles Interesse an der wirtschaftlichen Lage des Bauern, seines vornehmsten Steuerzahlers, gewann. Infolgedessen verbot er schon im 16. Jahrhundert die Erhöhung des Meierzinses und konnte dann unschwer das Meierrecht zu einem erblichen Rechte machen, auch sorgte er in der Folge für die Aufrechterhaltung der Geschlossenheit des Bauernguts und übte im nachmaligen Königreich Hannover bis zur Einverleibung in Preussen eine „öffentliche Grundherrschaft“ auch über die Bauern der privaten Grundherrschaften aus. Die Bauernbefreiung, welche die Bauern schon persönlich frei vorfand, hatte daher hier im wesentlichen nur das erbliche, im 18. und 19. Jahrhundert auch als dinglich anerkannte Meierrecht in Eigentum zu verwandeln und zu diesem Zweck vor allem Ablösung des Meierzinses, der anderen Abgaben und der Dienste zu ermöglichen. Dies geschah, nach einer vorübergehenden ersten gewaltsamen Einführung in der Franzosenzeit, endgiltig unter dem Druck der Julirevolution in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts. Aber jene öffentliche Grundherrschaft und das besondere bäuerliche Privatrecht, insbes. das „Anerbenrecht“, blieben bestehen, bis das Land preussisch wurde, und sie in den 70er Jahren durch die fakultative Einrichtung der „Höferolle“ ersetzt wurden. So ist Hannover ein Grossbauernland [233] geworden und geblieben. Und in den grossen Linien, wenn auch nicht in den Einzelheiten, ist die Entwicklung auch im übrigen Nordwesten und am Niederrhein ebenso verlaufen.

Anders dagegen in Mittel- und Südwestdeutschland. Hier ist es zu einer geldwirtschaftlichen Umgestaltung der älteren Grundherrschaft im Interesse des Grundherren nicht gekommen: diese blieb hier äusserlich bestehen und verfiel damit innerlich. Da die alten Grundzinsen hier keine der gesteigerten Grundrente entsprechende Erhöhung erfuhren, wurden sie aus einem ursprünglichen Entgelt für die Nutzung der Höfe zu einem blossen Rekognitionszins für das Obereigentum des Grundherrn. Damit wurde das Besitzrecht des Bauern hier ein sehr gutes: Erbzinsrecht oder zinspflichtiges Eigentum. Und der Bauer erlangte auch damit das Recht, den an sich hier klein gebliebenen, nicht wie in Nordwesten vergrösserten Hof zu teilen, wozu die günstigeren klimatischen Verhältnisse dieser Gegenden, mit dem Anbau von Handelsgewächsen und namentlich von Wein, aus technischen Gründen Anlass gaben. So entwickelte sich hier die Freiteilbarkeit schon frühzeitig. Aber der Bauer wurde auf der anderen Seite hier nicht persönlich frei, sondern war einem Erb- oder Leibherrn untertänig, „leibeigen“, der später nicht immer mit dem Grundherrn identisch war, und dazu kam dann hier auch noch hauptsächlich der von ihm regelmässig verschiedene private Gerichtsherr, welchem der Bauer namentlich Dienste zu leisten hatte. So war der Bauer hier bei guten Besitzrechten persönlich stark gedrückt und mehreren Herren Dienste und Abgaben schuldig. Die willkürliche Steigerung dieser Leistungen und die Inanspruchnahme der Almenden durch die Herren führten hier zum Ausbruch des Bauernkriegs, der zwar mit der Niederlage der Bauern endigte, aber doch eine Warnung für die Herren bildete, so dass sich die Lage der Bauern hier seitdem nicht weiter verschlechterte, sondern bis zur Bauernbefreiung eher verbesserte. Letztere war hier nicht aus wirtschaftlichen, sondern hauptsächlich aus politischen Gründen, gegenüber den vielen kleinen Standesherren, schwierig und wurde zwar durch die „Konstitutionen“ vom Anfang des 19. Jahrhunderts mit der Aufhebung der „Leibeigenschaft“ begonnen, aber in ihrem wichtigsten Teil, der Ablösung der Dienste, Zehnten und Grundzinse, erst durch das Jahr 1848 vollendet, dann allerdings mit geringen Opfern der Bauern und starken Zuschüssen des Staates.

Schwieriger aber gestaltete sie sich noch im Südosten: den südlichen Gebieten Badens und Württembergs und Altbayern. Denn hier herrschte im 18. Jahrhundert eine ähnliche Agrarverfassung wie im Nordwesten: grössere, wenn auch nicht ganz so grosse Bauerngüter, ohne Freiteilbarkeit, zu schlechterem Besitzrecht als im Südwesten besessen. Dazu waren die Bauern ausserdem aber auch wie hier persönlich unfrei, und die Grundherrschaft war zum Teil lebensfähiger geblieben, nicht in blosses Obereigentum übergegangen, ja es finden sich Ansätze zu der gleich zu schildernden Entwicklung des Nordostens, der „Gutsherrschaft“. In Altbayern durften die Bauernhöfe im 16. Jahrhundert von den Grundherren „gelegt“ werden, aber es geschah doch nicht, weil der Staat, der auch hier stark genug war, dies durchzusetzen, eine Steigerung der Frohndienste der Bauern verbot, und andere Arbeitskräfte nicht zur Verfügung standen. So ist auch dieses Gebiet ein Mittel- und Grossbauernland geblieben.

Die Entwicklung im Nordosten dagegen geht ganz auf den kolonialen Charakter des Landes zurück. Daraus erklärt sich, dass von Anfang an neben den Bauern zahlreiche Ritter zur Verteidigung des Landes vorhanden waren, welche wir schon ein Jahrhundert nach vollendeter Kolonisation im Besitz von zahlreichen, z. T. schon ziemlich grossen Ritterhöfen in Mitte der Bauerndörfer finden, doch zunächst nur als Nachbarn der Bauern neben diesen. Aus ihm erklären sich auch die verschiedenen grossen, geographisch abgeschlossene Gebiete bildenden Grundherrschaften des Landesherrn, der grossen Vasallen und der Kirchen und Klöster, welche sich beim Beginn der Kolonisation in das Land teilten und es sämtlich durch eine umfassende bäuerliche Kolonisation besiedelten und germanisierten. Die Lage dieser Kolonisten war zunächst, obwohl sie von Anfang an unter einer dieser Grundherrschaften standen, eine sehr gute: sie hatten persönliche Freiheit und erbliches Besitzrecht. Im Laufe der auf die Kolonisation folgenden Jahrhunderte aber wurden die Rechte, welche der Landesherr als solcher oder als Grundherr an ihnen hatte, bei den ungeordneten finanziellen Verhältnissen der dortigen Staatsgebilde, das Zahlungsmittel, mit welchem er seine Vasallen und Ritter, und jene wieder ihre Ritter bezahlten, [234] und so gelangten die Inhaber der Ritterhöfe allmählich in den Besitz aller Rechte an den ihnen benachbarten Bauern eines oder mehrerer Dörfer. Vor allem erlangten sie die Gerichtsherrschaft, und damit beginnt die Minderung der persönlichen Freiheit der Bauern: sie werden an die Scholle gebunden, „Privatuntertanen“ des Ritters. Und indem der Ritter von dem bisherigen grossen Grundherrn das Obereigentum am Bauernland erwirbt, wird er auch zum kleinen Grundherrn der Bauern, also Gerichtsherr, Erbherr und Grundherr in einer Person. Diese kleine Grundherrschaft ist auch ein geographisch abgeschlossenes Herrschaftsgebiet: in Verbindung mit dem durch Frohndienste der Bauern bestellten Rittergut, das ihr Mittelpunkt ist, bildet sie die „Gutsherrschaft". Auch beginnt im 16. Jahrhundert, als mit dem Aufkommen der stehenden Heere der Ritter sich hier in einen Landwirt verwandelt, schon die erste Einziehung von Bauernstellen zur Bildung von Ritterhöfen, das „Bauernlegen“, z. T. auf Grund gesetzlicher Befugnisse gegenüber „ungehorsamen“ Bauern oder „für den eigenen Bedarf“. Aber dies war doch zunächst noch von nur geringem Umfang.

Erst der dreissigjährige Krieg brachte dann einen allgemeinen Niedergang und eine erste starke Verminderung der Bauern in diesem Gebiete. Das Kolonisationsland mit seiner jüngeren Kultur und dünneren Bevölkerung wurde von ihm auch viel tiefer und dauernder geschädigt als das übrige, ältere Deutschland. Vor allem verschlechterte sich die Rechtslage der Bauern, welche den Krieg überstanden hatten, bei der „Wiedereinrichtung der Landgüter“ namentlich durch die Hilfe der Herrschaft beim Wiederaufbau der Höfe; von den „wüst“ gewordenen Stellen aber stellte die Herrschaft überhaupt nur so viele wieder her, als bei vollster Anspannung der Kräfte der auf sie gesetzten Bauern zur Bestellung des ritterschaftlichen Ackers notwendig waren. Das Land der übrigen Stellen aber wurde allmählich, in dem Masse als die Frohnbauern erstarkten und mehr leisten konnten, mit dem herrschaftlichen Acker vereinigt. So tritt in dieser Zeit eine bedeutende Verminderung des Bauernlandes und der Bauernstellen zugunsten der Rittergüter ein: die zweite Periode des „Bauernlegens“ im Nordosten. In ähnlicher Weise wirkten im folgenden Jahrhundert der schwedische und der siebenjährige Krieg. Aber schon hatte vor dem letzteren der junge preussische Staat mit einer energischen Agrarpolitik begonnen, zu der ihn charakteristischer Weise nicht finanzielle, sondern militärische Interessen – die Gefährdung der Rekrutierung und der Einquartierung der Truppen durch das Bauernlegen – drängten. Der von Friedrich dem Grossen verwirklichte „Bauernschutz“ machte dem Bauernlegen ein Ende, indem er zwar nicht den einzelnen Bauern als augenblicklichen Inhaber einer Stelle, aber diese selbst für die Zukunft vor der Einziehung schützte. Damit blieb dem grössten Teil des heutigen deutschen Nordostens, den alten Provinzen Preussens, die dritte und schlimmste Periode des Bauernlegens erspart, welche im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts und im ersten des 19. in dem damals nicht zu Preussen gehörigen Gebiet von Schwedisch-Pommern und ebenso in Mecklenburg, infolge der Einführung technischer Neuerungen des landwirtschaftlichen Betriebes aus England, unter kapitalistischem Gesichtspunkt – ähnlich wie dort im 16. und nochmals im 18. Jahrhundert – ganze Bauerndörfer in einzelne grosse Güter verwandelte und den Bauernstand, abgesehen vom Domanium, gänzlich aufrieb.

Aber auch die Bauernbefreiung versuchte Friedrich der Grosse schon in Angriff zu nehmen. Doch scheiterte er noch an dem Widerstand seiner Beamten und der Schwierigkeit der Aufgabe, welche hier viel grösser war als im übrigen Deutschland, da es sich hier nicht um die Beseitigung einer mehr oder weniger fossil gewordenen mittelalterlichen Verfassung handelte, sondern um die in neuerer Zeit entstandene Arbeitsverfassung der hier teils von Anfang an vorhandenen, teils durch das Bauernlegen entstandenen landwirtschaftlichen Grossbetriebe. Ihre Beseitigung bedeutete daher entweder das Aufhören der letzteren, deren Besitzer militärisch und politisch die Träger des preussischen Staates waren, oder die Notwendigkeit der Beschaffung anderweitiger Arbeitskräfte. So gelang auch Friedlich Wilhelm I. nur die Bauernbefreiung bei seinen Domänenbauern, wo er selbst der Gutsherr war, und nur durch Gewährung von Beihilfen zur Beschaffung neuer freier Arbeitskräfte für die Pächter der grossen Vorwerke. Die Befreiung der Privatbauern dagegen kam erst nach dem tiefen Sturze Preussens im Jahre 1806 zustande, als einer der Hauptteile der grossen Stein-Hardenbergischen Gesetzgebung, [235] welche durch Befreiung der wirtschaftlichen Kräfte die Wiederherstellung des preussischen Staates erreichen und die von der französischen Revolution gewaltsam durchgesetzten Reformen von oben her seitens des Königtums friedlich verwirklichen wollte. Es ist seit dem grossen Werke Knapps bekannt, dass dies auf dem Gebiete der Agrarpolitik nur zum Teil gelungen ist, und grosse sozialpolitische Fehler dabei gemacht wurden. Dazu gehört nicht nur die Durchbrechung, welche der Bauernschutz, im Anschluss an die Aufhebung der Erbuntertänigkeit im Jahre 1807, in gewissem Masse erfuhr, sondern vor allem die Einschränkung des Hauptteils der Bauernbefreiung bei den privaten, im „gutsherrlich bäuerlichen Verhältniss“ stehenden Bauern – der Aufhebung der Frohndienste und Verwandlung des schlechteren Besitzrechtes in Eigentum der sog. „Regulierung“, – durch die Deklaration von 1810 zum Regulierungsedikt von 1811 und die Aufhebung des Bauernschutzes zugleich mit der Regulierung, und zwar für alle Bauern, sowohl die der Regulierung unterworfenen, als die von ihr nachträglich ausgenommenen, d. h. in der Hauptsache die kleinen, nicht „spannfähigen“ Bauern. Nicht, dass letztere von der Regulierung ausgenommen wurden, und ihre Dienste zunächst dem bisherigen Gutsherren erhalten blieben, war der grosse Fehler, denn dies war notwendig, sollten die damals unzweifelhaft den technischen Fortschritt repräsentierenden und auch aus politischen Gründen nicht entbehrlichen Grossbetriebe weiterbestehen, sondern, dass nicht wenigstens für sie der Bauernschutz bestehen blieb. Infolgedessen wurden sie bis zur Wiederausdehnung der Regulierung auf sie im Jahre 1850 zum grössten Teil gelegt und in besitzlose Landarbeiter auf den grossen Gütern – die Insten, Gutstaglöhner oder Katenleute – verwandelt. Andererseits aber führte das sofortige Aufhören des Bauernschutzes auch bei den regulierten Bauern weiterhin noch in erheblichem Umfange zur Aufsaugung von Bauernstellen durch den Grossbetrieb, jetzt allerdings auf dem Wege des Kaufs. Zugleich aber erfolgte bei der Regulierung die Entschädigung des Gutsherrn auch nicht in Geld, sondern in Land, d. h. der Bauer mit „lassitischem Besitzrecht“ erhielt nur zwei Drittel, wenn es erblich war, und nur die Hälfte, wenn es unerblich war, des bisher von ihm benutzten Landes zu freiem Eigentum, der andere Teil ward mit dem Gutslande vereinigt.

So führte also die Bauernbefreiung im Nordosten keineswegs zu einer Rückgängigmachung der Entwicklung, welche die ritterlichen Grossbetriebe zum grossen Teil aus ehemaligen Bauernstellen hatte entstehen lassen, sie führte zu keiner Vermehrung der Bauernstellen und namentlich nicht des Bauernlandes – im Gegenteil zu einer weiteren Verminderung. Und so ging diese Konzentrationsbewegung hier weiter bis zur Neuzeit und führte zu dem gewaltigen Überwiegen des Grossgrundbesitzes im Nordosten, das heute – abgesehen von den hier nicht zu erörternden politischen Wirkungen – für die Volkswirtschaft Preussens und damit des Deutschen Reiches eine so fundamentale Bedeutung hat. Auf dieser geschichtlich entstandenen Agrarverfassung beruht das Übergewicht, welches der Grossgrundbesitz noch heute in Preussen hat, die Bedeutung und Macht der agrarischen Bewegung in Deutschland, die Höhe des durch sie herbeigeführten Zollschutzes, die ländliche Arbeiterfrage des Nordostens und die Entvölkerung des Landes durch die „Flucht vom Lande“ mit allen ihren nachteiligen Folgen für die sozialen Probleme, nicht nur auf dem Lande selbst, sondern auch in den Städten und in der Industrie. Auf die Folgen, welche sich daraus für die moderne deutsche und speziell preussische Agrarpolitik ergeben, wird am Schluss zurückzukommen sein.

II. Bearbeiten

Auch die gewerbliche Entwicklung in Deutschland hängt von Anfang an mit dieser agrargeschichtlichen aufs Engste zusammen. Denn der im ersten Abschnitt geschilderte Frohnhof war zweifellos wenigstens in technischer Beziehung die Wiege der Entwicklung der einzelnen Gewerbe, wenn auch nicht, wie man früher angenommen hat, in wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht gerade des Handwerks und der Zünfte in den Städten. Ist die Frage nach ihrer Herkunft und Entwicklung noch immer viel umstritten, so haben wir dafür ein klares Bild von ihrer Organisation und Wirksamkeit zur Zeit ihrer vollen Ausbildung. Sie bildeten damals unzweifelhaft eine „Konkurrenzregulierung“, die bei dem starken Einströmen der Bevölkerung in die Städte notwendig geworden war und die gewerbliche Tätigkeit aus einer „freien Kunst“ in ein [236] mehr oder weniger obrigkeitlich oder autonom geregeltes „Amt“ verwandelt hatte. Sie war zugleich das Rückgrat der städtischen Wirtschaftspolitik, welche sich unter ihrem Einfluss nach den ersten freieren Jahrhunderten überall ausbildete, mit dem Ziel, aus jeder Stadt und dem sie umgebenden Land eine „autarke“ Wirtschaftseinheit zu machen, in der möglichst alles erzeugt wurde, was man brauchte, mit Arbeitsteilung zwischen Stadt und Land, Bürger und Bauer: die „Stadtwirtschaft“.

Diese Zunftverfassung und -Herrschaft bestand in Deutschland, trotz der auch hier zum Teil schon im 15. Jahrhundert, allgemein seit dem 16. Jahrhundert, sich entwickelnden Missstände und Auswüchse, infolge der allgemeinen politischen Entwicklung besonders lange. Diese hat bekanntlich das ganze Deutschland nicht wie die Nachbarländer seit dem 16. Jahrhundert eine politische Neugestaltung im Sinne der Zentralisation durch den modernen absoluten Staat erleben lassen, sondern diese Entwicklung in die einzelnen Territorien gedrängt, von denen aber nur wenige, eigentlich nur Preussen, gross und stark genug waren, das Beispiel der Wirtschaftspolitik der Nachbarländer nachzuahmen. Zwar versuchte auch das alte heilige römische Reich deutscher Nation, durch zahllose, schon in ihrer Wiederholung ihre Fruchtlosigkeit zeigende Reichstagsabschiede den Missbräuchen im Handwerk zu steuern und ein einheitliches Reichsgewerberrecht zu schaffen, aber auch der Reichstagsabschied von 1741, der endlich Erfolge erzielte, erreichte sie doch nur durch die Hand der Einzelstaaten, insbesondere in Preussen.

Dieser Staat war überhaupt so ziemlich der einzige, welcher durch seinen Umfang und die eigentümlichen Verhältnisse seiner verschiedenen Landesteile – die Mark Brandenburg und Schlesien der Sitz einer ersten industriellen Entwicklung, die übrigen Provinzen ihre agrarischen Hinterländer – in der Lage war, die in den grossen Nachbarstaaten ausgebildete Wirtschaftspolitik des modernen absoluten Staates, den „Merkantilismus“, nachzuahmen. Er herrschte denn auch unter Friedrich dem Grossen wie unter seinem Nachfolger ganz in den bekannten Formen auf dem Gebiete der Gewerbepolitik und Handelspolitik. Auf ersterem erfolgte daher nicht nur eine einheitliche Regelung des Zunftwesens in Durchführung des Reichszunftgesetzes von 1741, sondern auch eine entsprechende Reglementierung der neuen, ersten kapitalistischen Betriebsform des Gewerbes, deren Aufkommen die Zünfte trotz ihrer langen Herrschaft auch in Deutschland nicht zu hindern vermocht hatten, der Hausindustrie oder des „Verlagssystems“. Des weiteren wurde die dritte gewerbliche Betriebsform der Fabrikindustrie i. w. S., zunächst der „Manufaktur“, wie in den anderen merkantilistischen Staaten so auch hier in der bekannten Weise, namentlich unter Heranziehung und Verwertung ausländischer Einwanderer, insbes. der französischen Emigranten, in jeder Weise vom Staate gefördert oder selbst unternommen. Auch die gewerbliche Arbeiterfrage, welche schon zur Zeit der Zunftherrschaft durch die fortschreitenden Erschwerungen des Meisterwerdens und die Produktion einzelner Handwerke für den Welthandel insofern entstanden war, als nicht mehr alle Gesellen Meister zu werden vermochten, sondern eine selbständige Arbeiterklasse aus ihnen zu werden anfing, fand durch den absoluten Staat hier schon eine gewisse Regelung und Lösung.

Aber diese weitgehende Reglementierung und Bevormundung wurde auch hier, nachdem die Industrie sich mit ihrer Hilfe in gewissem Masse entwickelt hatte, schliesslich als lästig empfunden, und so gehörte ihre Beseitigung, nach dem in Frankreich von Turgot und dann von der grossen Revolution gegebenen Beispiel, durch Einführung der „Gewerbefreiheit“ auch zu dem Programme Hardenbergs und bildet die zweite jener grossen liberalen Reformen. Sie erfolgte im Jahre 1810. Es dauerte dann allerdings bis zum Jahre 1845, ehe sie auch in den neuen Provinzen, also in dem ganzen grösseren Preussen, einheitlich durchgeführt war, und das Jahr 1848 brachte hier, im Gegensatz zu den anderen Gebieten des Wirtschaftslebens, durch die beginnende Handwerkerbewegung mit der Deklaration von 1849 schon wieder einen Rückschlag. Er wurde aber durch die Gründung des Norddeutschen Bundes mit der Einführung der Gewerbeordnung für den Norddeutschen Bund, der nachmaligen Reichsgewerbeordnung, die ganz auf dem Boden der Gewerbefreiheit stand, wieder beseitigt. Inzwischen war in den 60er Jahren auch in den anderen deutschen Staaten die Gewerbefreiheit nach und nach eingeführt worden, aber diese Gesetze [237] gingen alle nach kurzem Bestand in jener ursprünglich preussischen Gewerbeordnung auf. Sie unterschied sich aber von dem französischen Vorbild in der Hauptsache dadurch, dass sie die Zünfte, ebenso wie 1810, nicht ganz aufhob, sondern unter dem Namen „Innungen“ als private Korporationen weiter bestehen liess. Hier hat dann die moderne Handwerkerpolitik mit ihren Versuchen zur Neubelebung ihrer Bedeutung und zu einer neuen Organisation des Handwerks wieder angeknüpft.

III. Bearbeiten

Noch mehr als die Geschichte der Agrarpolitik und der Gewerbepolitik ist naturgemäss die der Handelspolitik von der allgemeinen politischen Geschichte Deutschlands beeinflusst. Denn gerade hier musste es sich am stärksten geltend machen, dass aus Deutschland nicht, wie aus den Nachbarländern, im 16. Jahrhundert ein moderner geschlossener Nationalstaat mit Überwindung der feudalen Mächte durch eine starke zentralisierte Staatsgewalt geworden ist, welche das ganze Wirtschaftsleben zu regeln übernahm und in den anderen Ländern vor allem eine nationale Handelspolitik trieb. Während dadurch jene zu einheitlichen Wirtschaftsgebilden, zu wahren „Volkswirtschaften“ mit freiem inneren Verkehr und nationaler Arbeitsteilung wurden, blieb Deutschland in seine zahllosen Territorien zersplittert, durch welche der Handelsbetrieb mit ungezählten Lasten, Zöllen, Stapelprivilegien usw. erschwert wurde. Zwar wollte auch das alte Deutsche Reich am Anfang des 16. Jahrhunderts einmal einen Versuch zu einer Reichszollpolitik mit Schaffung eines an der Reichsgrenze zu erhebenden Reichszolls machen, aber der dreissigjährige Krieg begrub dieses Projekt, das von nicht abzumessender, auch politischer Bedeutung gewesen wäre. Infolge dieser politischen Entwicklung erlangte Deutschland aber auch keinen Anteil bei jener ersten Aufteilung der Welt: keine Handelsniederlassungen in Asien und keine Kolonien im neuen Weltteil, und die Wirkungen der Auffindung des Seewegs nach Ostindien und der Entdeckung Amerikas mussten daher, wenn auch nicht sofort, so doch auf die Dauer, überwiegend nachteilig für seinen Handel und seine grossen Handelsstädte werden, wobei nach Sombarts allerdings angefochtener Darstellung auch die Vertreibung der Juden aus diesen eine wichtige Rolle gespielt haben soll, so dass es nicht zufälligerweise gerade nur Frankfurt und Hamburg waren, welche weiter blühten, und von denen ein neuer Aufschwung des deutschen Handels seinen Ausgang nahm.

Die Handelspolitik in den deutschen Territorien aber war im wesentlichen noch die der „Stadtwirtschaft“, nur wenige grössere suchten im ganzen die merkantilistische Handelspolitik der grossen Nachbarstaaten nachzuahmen, nur Preussen gelang es aus den oben angegebenen Gründen wirklich. Aber auch hier fehlte dabei noch die Handelsfreiheit im Innern, die Zölle wurden als „Accisen“ an den Stadttoren erhoben, und es bestanden ausserdem noch Provinzialzölle. Es war die politische Entwicklung wiederum, die Besetzung der Mark Brandenburg durch die Franzosen, welche dieses System hier zuerst gewaltsam durchbrach und zur Einführung mässiger Einfuhrzölle, dem System der (gemässigten) „Handelsfreiheit“ an Stelle des Prohibitivsystems des Merkantilismus führte. Nach dem Intermezzo der Kontinentalsperre wurde dieses System dann endgiltig durch die dritte der grossen freiheitlichen Reformen im Jahre 1818 für ganz Preussen eingeführt, und es waren wiederum wesentlich politische Momente (die damalige Gestaltung des preussischen Staatsgebietes, seine Zerrissenheit in zwei getrennte Teile mit zahlreichen Enklaven und Exklaven an den inneren Seiten, also einer schwer oder gar nicht zu bewachenden Grenze), welche die ausserordentlich niedrigen Schutzzölle von nur 10% vom Werte notwendig machten, – zu einer Zeit, da England, die Heimat des „Freihandels“, ebenso wie Frankreich, noch vollständig protektionistisch war.

Die politischen Verhältnisse zwangen dann Preussen auch zunächst, die zwischen und in seinem Gebiete liegenden Staaten sich durch Zollanschluss zu verbinden und weiter auch auf die handelspolitische Einigung von ganz Deutschland unter Führung Preussens – also ohne Österreich – hinzuarbeiten und damit die politische Einigung vorzubereiten. Es sind bekanntlich drei Männer gewesen, welche das Verständnis für die Notwendigkeit einer solchen handelspolitischen Einigung verbreitet und zugleich die Wege zu ihrer Verwirklichung in Wort [238] und Schrift aufgezeigt haben: Friedrich List, Nebenius und Hoffmann. In der von ihnen gedachten Weise ist sie dann seit 1828 zustande gekommen. Doch die Geschichte des deutschen Zollvereins ist zu bekannt und zu sehr Bestandteil der politischen Geschichte Deutschlands, als dass sie hier gegeben zu werden brauchte. Nur darauf sei noch hingewiesen, wie in diesem Zollverein der preussische, relativ „freihändlerische“, Tarif von 1818 zunächst akzeptiert wurde, und dadurch mit den im Interesse ihrer Industrie, namentlich der Textilindustrie, mehr „schutzzöllnerischen“ süddeutschen Staaten von Anfang an Schwierigkeiten entstanden, die zu einem mehrmaligen Wechsel zwischen etwas höheren und etwas niedrigeren Zollsätzen führten; wie dann Preussen in einem Augenblick der Erschlaffung den Handelsvertrag von 1859 mit Österreich schloss, der den Eintritt des letzteren in den Zollverein vorbereitete und damit das Ziel der ganzen preussischen Politik preiszugeben drohte. Da kam der Umschwung in der europäischen Handelspolitik durch den „Cobdenvertrag“ zwischen Frankreich und England im Jahre 1860, mit welchem England den letzten Schritt auf dem Wege zum absoluten Freihandel im englischen Sinne durch autonome Aufhebung der damals noch bestehenden Zölle für Ganzfabrikate tat, während Frankreich damit von dem bisherigen merkantilistischen Prohibitivsystem zu mässigen Schutzzöllen oder gemässigter Handelsfreiheit auf dem Wege von Tarifverträgen mit „Meistbegünstigungsklausel“ mit den verschiedenen Ländern überging. Es ist wiederum bekannt und Bestandteil der politischen Geschichte, wie Preussen einen solchen Handelsvertrag mit Frankreich als Mittel benützte, um die „schutzzöllnerischen“ Strömungen im Zollverein zurückzudrängen und zugleich Österreich für immer aus diesem auszuschliessen. Und die politischen Ereignisse, das Verhalten Österreichs im Jahre 1864, führten dazu, dass es das Ziel erreichte, die Krisis im Zollverein mit einem Siege Preussens endigte. Damit war auch die politische Einigung Deutschlands und damit die Schaffung der modernen deutschen Volkswirtschaft unter Preussens Führung entschieden.

Für ihre Zukunft und deren staatliche Gestaltung, d. h. für die Wirtschaftspolitik des Deutschen Reiches und seines führenden Staates Preussen, aber liegen nach den aufgezeigten geschichtlichen Grundlagen die ersten Aufgaben auf dem Gebiet der Agrarpolitik: es gilt, wie Knapp es genannt hat, eine „Verwestlichung des Ostens“ herbeizuführen, eine Abschwächung des grossen Unterschieds zwischen der Agrarverfassung des ostelbischen und des westelbischen Deutschlands durch eine innere Kolonisation grossen Stils, also Neuschaffung von Bauerngütern (und zwar mittleren und geschlossenen wie im Nordwesten und Südosten) aus bisherigen grossen Gütern – nicht nur aus nationalen Gründen wie in den polnischen Gebieten, sondern ebenso aus sozialen – und Verminderung, aber nicht vollständige Beseitigung der grossen Güter, welche, abgesehen von den politischen und sozialen Momenten, auch aus technischen Gründen als Pioniere des Fortschritts in der Landwirtschaft nicht entbehrt werden können. Durch eine solche einschneidende Änderung der Agrarverfassung, die auch eine umfassende Ansässigmachung von Landarbeitern in sich schliessen muss, wird nicht nur die Landarbeiterfrage in der besten möglichen Weise gelöst und der Entvölkerung des platten Landes Halt geboten,[1] sondern auch die einheimische Getreide- und Fleischproduktion gesteigert und eine Herabsetzung der Getreide- und Viehzölle ermöglicht werden, was unserer Industrie in den künftigen Handelsverträgen zugut kommen wird. Andererseits aber wird die stärkere Besiedlung des platten Landes im Nordosten und das mit ihr, wie die Ergebnisse der Ansiedlungskommission bereits zeigen, Hand in Hand gehende, Aufblühen der Städte in diesen Provinzen ebenso dem Handwerk neue Absatzgelegenheiten entstehen lassen wie der Industrie, welche immer mehr für einen kaufkräftigen, einheimischen Markt wird produzieren und dadurch von dem sich mehr und mehr verschliessenden oder industriell emanzipierenden Ausland unabhängiger werden und den sozial wünschenswerten Übergang zu vorwiegender Qualitätsproduktion wird vollziehen können. Damit wird die Entwicklung dem Ziel der modernen deutschen Handelspolitik zustreben: dem in den Welthandel verflochtenen, aber zugleich tunlichst geschlossenen Nationalstaat.





  1. Vgl. unter Abschnitt 46.