Die englischen Schulen im Österreichischen Museum

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Autor: Adolf Loos
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Titel: Die englischen Schulen im Österreichischen Museum
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 171–176
Herausgeber: Franz Glück (1899–1981)
Auflage:
Entstehungsdatum: 1898
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
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Originalsubtitel:
Originalherkunft: erstdruck unbekannt. Die angabe der ersten ausgabe von „ins leere gesprochen“, daß der aufsatz in der „wage“ gedruckt worden sei, ist unrichtig.
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[171]
DIE ENGLISCHEN SCHULEN
IM ÖSTERREICHISCHEN MUSEUM
(29. januar 1898)


In Wien ist man in den letzten jahren sehr empfindlich geworden. Holt man etwas von draußen herein und sagt den leuten: „Seht, so macht mans in Tripstrill oder Buxtehude“, so muß man es sich gefallen lassen, als stadtverräter und unpatriotischer mensch an den pranger gestellt zu werden. Ob es nun bilder oder sessel, opern oder taxameter sind, ist gleichgültig. Die freunde der wiener industrie behaupten dann: „Durch die vorführung ausländischer bilder, sessel, opern und taxameter wird die heimische bilder-, sessel-, opern- und taxameterindustrie geschädigt.“

Ich kann das nicht einsehen. Sind die sachen schlechter als die unseren – dann hurra! Dann können wir uns getrost in die brust werfen und uns über diese tatsache freuen. Dann wird durch die konstatierung dieser tatsache die wiener industrie einen neuen aufschwung erzielen. Wenn aber die sachen besser sind? Dann wirken sie nicht direkt, aber indirekt zur hebung der heimischen industrie. Denn das wiener gewerbe wird sie sich zum muster nehmen können, und die distanz, die das heimische vom fremden kunsthandwerk trennt, kann mit einem schlage ausgeglichen werden.

Hofrat von Scala hat englische schülerarbeiten ausgestellt. Sind die nun besser oder schlechter als die unseren? Ich glaube, daß sie besser sind. Unsere fachschulen und kunstgewerbeschulen sind nämlich eine nachahmung der englischen einrichtungen. Da wir aber stillgestanden sind, während sich die engländer rapid vorwärts [172] bewegt haben, befinden sich unsere schulen im besten falle auf dem standpunkte, auf dem sich die englischen vor zwanzig jahren befanden.

Bleiben wir also dabei, daß die englischen schülerarbeiten besser sind als die unseren. Dann sind wir verpflichtet, die distanz auszugleichen. Wir haben es ja verhältnismäßig leicht. Die engländer, als pfadsucher, urbarmacher und pfadfinder in einer unbekannten richtung und in einem unerschlossenen gebiet, haben zeit verloren. Ohne kraftvergeudung, ohne experimente können wir nun auf den bequemen, ausgetretenen pfaden nachrücken.

Unsere schulen haben den kontakt mit dem leben verloren. Dem schüler wird die gegenwart verleidet: „Oh, wie schön wars doch im mittelalter! Und erst zur renaissancezeit! Da rauschte es von brokaten und knisternden seiden. Hei, wie die pauken wirbelten und nackte frauen im zuge schritten, den könig einzuholen. Und schmuck, und farbe, und wallende federn! Und jetzt? Einfach grauslich. Karrierte anzüge, telefondrähte, pferdebahngeklingel. Aber was geht das uns an? Wir wollen dastehen wie felsen im modernen häßlichen getriebe, mit rauschenden seiden und wallenden federn. Nieder mit dem telefon! Wenns aber sein muß? Dann wollen wir ein kompromiß eingehen. Wir versehen das telefongehäuse mit rokokoornamenten und die hörrohre mit rokokogriffen. Oder gotischen. Oder barocken. Je nach wunsch des bestellers.“ Wie hieß das schlagwort, das in den letzten jahren in der kunstgewerbeschule geprägt wurde? „Alte möbel für moderne bedürfnisse.“

Das „stilvolle“ telefongehäuse blieb uns erspart. Das verdanken wir nur dem umstande, daß das telefon nicht in Deutschland oder in Österreich, sondern in Amerika [173] erfunden wurde. Bei den straßenautomaten waren wir nicht so glücklich. Auch unsere gaskandelaber fallen in diese kategorie und werden wohl selbst dem blinden den großen rückschritt zum bewußtsein bringen, der sich in der wandlung unseres geschmackes seit der aufstellung der letzten englischen vollzogen hat.

Den kontakt mit dem leben haben unsere schulen verloren. Fragt nur unsere industriellen, kunsthandwerker und geschäftsleute. Da herrscht nur eine stimme: Die jungen leute aus unseren schulen sind unbrauchbar. Sie können was, das ist wahr. Aber sie können gerade das, was am wenigsten bezahlt wird. Sie beherrschen den münchner bierkneipenstil, den stil jener leute, die für eine mark drei gänge und ein dessert beanspruchen. Sie können lusterweibchen machen und den lieben, guten, alten altdeutschen dekorationsdivan, der seit einem jahrzehnt tagtäglich von zwanzig sängerinnen in zwanzig wiener „kleinen anzeigern“ zu einem bruchteile des anschaffungspreises angeboten wird. Vom geschmacke des kaufkräftigen publikums, also jenem geschmacke, der bei Förster oder Würzl[H 1] kultiviert wird, wurde den jungen erzählt, daß er „unkünstlerisch“ sei. Diese geschäfte aber, ich könnte ja dutzende von namen nennen, haben stets im „englischen“ geschmacke, oder besser gesagt, im vornehmen geschmacke gearbeitet. Denn alles vornehme nennen die wiener jetzt englisch.

Wie könnten unsere schulen den anschluß an das leben wieder gewinnen? Die gegenwärtige ausstellung der engländer gibt uns die beste antwort. Wir sehen, wie dort die guten jahresarbeiten aus den verschiedenen schulen nach London wandern, um einer prüfung unterzogen zu werden. Dadurch hat man die schulen von einer stelle aus [174] in der hand. Man kann sich mit leichtigkeit davon überzeugen, wo etwas gutes gearbeitet wird. Man kann der schule, die ein wenig zurückbleibt, neues blut in gestalt eines tüchtigen lehrers oder direktors zuführen. Wir haben ja auch etwas ähnliches: die inspektoren. Aber ist das englische system nicht einfacher und praktischer?

Die eingesendeten arbeiten werden also geprüft und die besten davon prämiiert. Von wem? Nun, wohl von den dazu durch den staat bestimmten organen. Falsch! Die engländer machen das anders. Die sagen sich: Ein schulinspektor mag ja einen sehr guten geschmack besitzen; er wird diejenigen sachen für die besten halten, die seinem wesen, seinen bedürfnissen am meisten entsprechen. Aber die welt besteht nicht aus schulinspektoren. Viel besser eignen sich künstler und industrielle zu dergleichen. Die wissen am besten, was uns frommt, was wir vermeiden müssen und was wir brauchen. Dieses jahr gab es etwa dreißig juroren (examiners, wie sie der bericht nennt). Namen wie Arthur Hacker, Fred Brown und Walter Crane fallen uns auf. Keiner hängt in irgend einer weise mit den schulen zusammen. Zu drei und drei liegt diesen juroren die pflicht ob, die in gruppen geteilten arbeiten zu begutachten. Sehen wir zu, wie sie ihre aufgabe erledigen. Nehmen wir die gruppe der architektur. Wir lesen: examiners: professor G. Aitchison, R. A.; T. G. Jackson, R. A.; J. J. Stevenson.

„Architektonische entwürfe.

Die qualität der arbeiten in diesem jahre erreicht nicht das hohe niveau der arbeiten des vorjahres.

Die examiners freuen sich über die vielen entwürfe für arbeiterwohnhäuser und würden es gern sehen, wenn man mehr konkurrenzen für solche aufgaben ausschriebe.

[175] Einige pläne zeigen, daß sich die architekten wenig zeit genommen haben; die examiners sind der meinung, daß man beim entwerfen nicht hudeln soll (that planning should not be hurried).

Die examiners wiederholen, worauf sie jahr für jahr aufmerksam machen mußten, daß halbe holzkonstruktionen, wenn sie überhaupt angewendet werden (zum beispiel stein im parterre, holz oben), echt sein müssen. Sie wiederholen ihren wunsch vom letzten jahre, die übertrieben gezierten buchstaben bei der beschreibung der pläne zu unterlassen, da viele aufschriften nur mit mühe entziffert werden konnten.

Die examiners bemerkten einige pläne, die symmetrisch angelegt waren, obwohl die symmetrie den bauwerken folgerichtig nicht entsprach.

Die himmelsgegenden sollten bei allen plänen angegeben sein.“

Dann folgt die kurze kritik der einzelnen blätter. Zum beispiel: „Die zeichnung von Allan Healey aus der Bradford-kunstschule (technical college) für ein pult mit lichtschirm zeigt einige erfindung, doch ist das material nicht beschrieben; die details sind roh.“

So müssen sich alle einer ziemlich herben kritik unterwerfen. Bei den entwürfen für linoleum heißt es etwa: „Sie sind so armselig (poor), daß keine auszeichnung auf sie entfallen kann.“

Von solchen leuten beurteilt zu werden und preise zu erhalten, ehrt schüler und anstalten. Die fabrikanten kaufen prämiierte arbeiten sofort an, und viele der tapeten, die uns aus der 1897er klasse in originalzeichnungen vorgeführt werden, haben ihren weg in den [176] welthandel gefunden und sind auch in Wien schon käuflich.

Wir sehen also, wie in England die schule mitten im leben steht. Kunst und leben ergänzen sich friedlich. Bei uns aber heißt es: kunst kontra leben!

Anmerkungen (H)

  1. [453] zwei sehr bekannte wiener firmen, die eine für ausländische galanterie-luxuswaren, die andere für lederwaren aller art.