Wanderungen im Österreichischen Museum

Textdaten
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Autor: Adolf Loos
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Titel: Wanderungen im Österreichischen Museum
Untertitel:
aus: Adolf Loos: Sämtliche Schriften in zwei Bänden – Erster Band, herausgegeben von Franz Glück, Wien, München: Herold 1962, S. 177–181
Herausgeber: Franz Glück (1899–1981)
Auflage:
Entstehungsdatum: 1898
Erscheinungsdatum: 1962
Verlag: Herold
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Erscheinungsort: Wien
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft: erstdruck in der „neuen freien presse“ vom 27. november 1898, s. 9. ÖNB-ANNO
Quelle: PDF bei Commons
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[177]
WANDERUNGEN
IM ÖSTERREICHISCHEN MUSEUM
(27. november 1898)


In einer schule wurde geographie gelehrt, jahraus, jahrein. Europa, Asien, Afrika, Australien und Amerika. Aber das schulbuch, das in dieser schule im gebrauche war, hatte ein loch. England fehlte. Warum? Nun, weil die engländer sich in der stadt, in der die schule stand, der sympathien der bevölkerung nicht erfreuten. Man dachte, den engländern einen besonderen tort anzutun, wenn man sie ignorierte. Da kam ein neuer schulleiter. Mit betrübnis sah er, daß seine schüler in Tokio und Venedig, Samarkand und Paris wie zu hause waren, daß sie aber Chippendale und Sheraton – pardon London und Liverpool nicht einmal dem namen nach kannten. Diesem übelstande beschloß er abzuhelfen.

Die weitblickenden, fleißigen schüler konnten dem neuen lehrer nicht genug danken, als er ihnen durch die aufnahme Englands in den lehrplan eine neue welt erschloß. Die faulen aber fanden das sehr überflüssig. Da sich aber die dankbarkeit immer in der stille äußert, während das übelwollen mit geräusch verbunden ist, glaubte man außerhalb der schule, daß alle schüler gegen die neue einführung seien. Zudem hatten die fleißigen mit dem neuen studium vollauf zu tun und zum demonstrieren keine zeit.

*

Das herrenschlafzimmer, das sich im parterre des säulenhofes befindet, ist ein reizender raum. Er hat seine fehler. Gewiß. Die decke ist kein raumabschluß. Das grüngebeizte holz schreit nach einem stückchen weißer [178] mauer, und da wäre, weil auch die wände mit stoff überspannt sind, die decke gerade der rechte platz gewesen. Das war ja das geheimnis des durchschlagenden erfolges, den das Otto Wagner-schlafzimmer auf der jubiläumsausstellung zu verzeichnen hatte. Wenn aber die decke auch noch den grünen ton der möbel hat, hält es ja kein mensch in der grünen sauce aus. Zudem wurde noch das unglücklichste deckenmotiv gewählt, das man sich denken kann: ein eiserner rost, um den sich laubwerk rankt. Bei regenwetter hält man es nur dann unter einem solchen plafond aus, wenn man den regenschirm aufspannt.

Das sind einwendungen, die natürlich mit dem eigentlichen zimmer, mit der tischlerarbeit, nichts zu tun haben. Diese ist vorzüglich. Die prächtigen holzschnitzereien von der hand Zeleznys, die echt tischlerische profilierung geben dem raume, trotz den neuen formen, etwas altmeisterliches. Architekt Hammel hat ihn entworfen. Er hat sich in die seele des tischlers hineingedacht und den architekten in sich zu überwinden getrachtet. Daraus folgt aber, da das zimmer zur gänze von seiner hand herrührt, daß die messingbeschläge der tischlerarbeit nicht gleichwertig sein können. Die sind nämlich auch tischlerisch und weisen sogar dasselbe ornament auf wie das holz. Das bett kann bei tage durch portièren den blicken des besuchers entzogen werden. Ich halte das für überflüssig. Es wäre schrecklich, wenn sich wieder die ansieht einschleichen würde – die in der ersten hälfte unseres jahrhunderts geltend war –, daß das schlafen und das schlafengehen etwas seien, was man schamhaft seinen mitmenschen verbergen müsse. Dafür ist der waschtisch um so praktischer, der gegen die wand zu mit kacheln verkleidet ist.

[179] Im ersten stockwerke des säulenhofes steht ein sessel. Dieser sessel bildet einen jener anklagepunkte gegen hofrat von Scala, die von der gegnerischen seite erhoben werden. Hören wir die stimme eines „hervorragenden fachmannes“. Er schreibt: „Es ist unglaublich, was man jetzt unter der neuen museumsleitung für minderwertige objekte in den ausstellungen sieht! Jetzt kann man sessel mit strohgeflecht in der allereinfachsten ausführung, ganz gute arbeit, aber doch beileibe nicht kunstwerk, exponiert sehen.“

Das ist ein schwerer vorwurf. Hofrat von Scala hat doch den erwähnten sessel – denn der ist einmal keine erfindung – sofort entfernt, um nicht die entrüstung der hervorragenden fachautorität weiter hervorzurufen? Aber nein! Er wird weiter ausgestellt und beleidigt weiter das ästhetische gefühl jener herren, die nicht anders als nur auf kunstwerken sitzen können.

Es wäre vergeblich, mit jenem fachmann darüber zu reden, daß der einfachste strohsitz, von der hand eines menschen verfertigt, tausendmal höher steht, als der mit der reichsten lederpressung, welche durch die maschine hergestellt wird. Er würde mich nicht verstehen. Aber vielleicht kann man ihm in anderer weise beikommen. Jener sessel kostet, obgleich er – dies sei gerne zugestanden – die allereinfachste form aufweist und nur einen strohsitz hat, dank seiner mustergültigen ausführung zwanzig gulden. Ich kenne aber polierte und geschnitzte sessel mit reichem ledersitz, die um zehn gulden verkauft werden. Und nun behaupte ich: Dieser einfache stuhl ist dem österreichischen kunstgewerbe nützlicher als der reiche zehnguldenstuhl. Denn er erzählt uns, daß gute arbeit etwas ist, was bezahlt werden muß, er hebt [180] das gefühl für den wert im publikum. Und das ist auch eine mission! Glauben sie nicht auch?

*

Ist es nicht auffallend, daß die kühnsten neuerer, also die tüchtigsten menschen, auch die tiefste verehrung für die werke ihrer vorfahren bekunden? Eigentlich nicht. Denn die tüchtigkeit kann nur wieder von der tüchtigkeit gewürdigt werden. Man wird sich daran erinnern, welches aufsehen die hochmodernen möbel eines wiener ateliers in der ausstellung der Secession hervorgerufen haben. Und dasselbe atelier bringt uns diesmal eine genaue kopie eines saales des schlosses Esterházy bei Ödenburg. Auch aus einem andern grunde ist das nicht auffallend. Das genaue kopieren ist nämlich unverhältnismäßig schwerer als das beiläufige. Das weiß jeder maler. Da die mittelmäßigkeit stets in der majorität ist, werden sich bedeutend mehr stimmen für das beiläufige kopieren aussprechen als für das korrekte. Aber das publikum kann sich ja entscheiden.

Ich kann mich nicht erinnern, das aristokratische milieu vornehmer feudalsitze des vorigen jahrhunderts je besser eingefangen gesehen zu haben als in diesem raume. Wäre nicht der leimgeruch, man würde darauf schwören, sich in einem alten adeligen herrensitze zu befinden. Welche arbeitsfreudigkeit, welches feingefühl, welche sensibilität setzt das voraus! Sieben jahre hat sich das atelier mit der renovierung des schlosses beschäftigt, und als frucht dieser langen zeit hat es uns diesen saal geschenkt. Quantitativ nicht viel, dafür aber qualitativ. Daß auch wirklich alte möbel, meisterwerke der tischlerkunst aus dem vorigen jahrhundert, in dem saale aufstellung [181] gefunden haben, kann nur engherzigkeit als fehler anrechnen. Im gegenteile, sie beweisen uns, daß die moderne wiener arbeit mit erfolg neben der alten bestehen kann.

*

Dem für das kunstgewerbe so gefährlichen strohsessel gegenüber befindet sich ein wandleuchter für drei kerzen. Obwohl aus messing, kann er seine schmiedeeiserne abstammung nicht verleugnen. Man kann nicht besser in schmiedeeisen denken. Der schmied nahm so und so viel zoll bandeisen, schlitzte es an bei den enden, spreizte die enden auseinander, schweißte auf der einen seite ein neues stück in der breite des geschlitzten eisens ein, um den dritten arm zu gewinnen, verbreiterte auf dem ambos die anderen enden, um bohrlöcher für nägel, die dann die wandbefestigung übernehmen, anbringen zu können, feilte diese verbreiterten enden gefällig zurecht und bog das so präparierte bandeisen in die gehörige form. Fertig! Und hinterdrein imponiert einem das ding, obwohl man nicht einfacher, primitiver denken kann. Es ist der hauch der natürlichkeit, der diesem wandleuchter entströmt. Wir freuen uns, endlich einmal den schwarzschmied in seiner sprache reden zu hören, nachdem er jahrzehntelang in bombastischen, unverdauten phrasen zu uns gesprochen hat. Aber eines möchte man bitten: Man gebe dem schmiede seinen ureignen gedanken zurück und lasse den leuchter in schmiedeeisen ausführen.